Der Hof Lazins im Pfederer Tal in Südtirol.
Dieser inneralpine Haufenhof besteht aus Wohngebäude, Getreidespeicher, gemauertem Speicher und Wirtschaftsgebäude.
Die Kombination von Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden
Wer heute eines der alten Oberallgäuer Bauernhäuser aus der großen Bauzeit nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648) betrachtet, könnte glauben, so seien die Höfe hier schon immer gebaut worden. Doch sind diese zweckmäßigen Bauernhöfe bereits das Endprodukt einer langen Entwicklung.
Zwischen der Landnahmezeit der Alemannen um das 7. und 8. Jahrhundert und dem 17. Jahrhundert liegen fast 1.000 Jahre. In dieser großen Zeitspanne wurden die Oberallgäuer Bauernhöfe zu ihrer heutigen Gestalt geformt. Dabei gab es zu keiner Zeit einen allein gültigen Typ des Bauernhofes, sondern es sind im Oberallgäu zu jeder Zeit unterschiedliche Gehöftformen nebeneinander gebaut worden. Aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg gibt es leider keine im ursprünglichen Zustand erhaltenen Gebäude mehr; erhalten sind nur mehr umgebaute ältere Gebäude. Die Entwicklung der Oberallgäuer Bauernhöfe läßt sich jedoch in groben Zügen anhand genauer Maßaufnahmen alter Bauernhäuser mit ältesten Gebäudeteilen sowie anhand von Vergleichen mit benachbarten „Hauslandschaften” rekonstruieren.
Wir wollen uns in diesem Kapitel mit den verschiedenartigen Oberallgäuer Gehöften, d. h. mit den unterschiedlichen Kombinationen der Wohn- und Wirtschaftsgebäude befassen.
Da dieser Artikel in einer Oberstdorfer Zeitschrift erscheint, muß gleich zu Beginn festgestellt werden, daß sich die Entwicklung des Oberstdorfer Bauernhofes in keiner Weise vom übrigen oberen Illertal und vom Ostrachtal unterscheidet, d. h. einen speziellen Oberstdorfer Bauernhof gibt es nicht. Aus diesem Grund haben wir auch Bilder aus anderen Orten des Oberallgäus in den Artikel aufgenommen
Die Alemannen der Landnahmezeit hatten Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude noch nicht unter einem Dach vereint. Der Hof der Alemannen bestand aus Wohngebäude, Scheuer, Speicher, Grubenhäuser (eine Art Keller mit Dach), umgeben von einem Zaun. Man findet solche urtümlichen Haufenhöfe heute noch in den inneren Tälern der Zentralalpen, jedoch immer nur als Einödhöfe, d. h. fast nie im geschlossenen Dorfverband.
In den großen Ackerbaugebieten des Alpenvorlandes wurden Wohn- und Wirtschaftsgebäude vermutlich schon im späten Mittelalter (13. - 15. Jh.) unter einem Dach zum sog. Einhof vereint. Sehr häufig wurde die Tenne zwischen Wohn- und Wirtschaftsgebäude gefügt, wobei diese Änderung in Süddeutschland als Mittertennenhaus bezeichnet wird, in der Schweiz in der älteren Literatur als „Dreisässenhaus”. Daneben wurden für den Einhof auch andere Grundrißänderungen gewählt, jedoch wurde das Mittertennenhaus gerade in Schwaben und im westlichen Oberbayern der vorherrschende Typ des Einhofes. Eine konstruktive Trennung von Wohn- und Wirtschaftsgebäude ist beim Mittertennenhaus des Alpenvorlandes nicht mehr feststellbar; d. h. der ganze Einhof wurde in der Regel in einem Guß als ein Bauwerk errichtet.
Die heutige Hausforschung nennt diese Höfe auch sekundäre Vielzweckbauten, da sie Räume verschiedenster Funktionen (Wohn- und Wirtschaftsräume) unter einem Dach vereinen.
Die Volkskundler versuchten früher gerne, eine direkte Brücke zwischen den Hallenhäusern Norddeutschlands und den Einhöfen Süddeutschlands zu schlagen. Man glaubte, diese großen Vielzweckbauten seien typisch für die germanischen Stämme gewesen. Die Archäologen haben jedoch in Süddeutschland noch keine ursprünglichen Einhöfe aus der Landnahmezeit entdeckt, es gilt deshalb als sicher, daß die Einhöfe in Süddeutschland eine Entwicklung des Mittelalters sind deshalb sekundäre Vielzweckbauten.
In den Gebirgstälern des Oberallgäus dürfte jedoch - wie in den meisten alpinen Tälern - die räumliche Trennung von Wohn- und Wirtschaftsgebäude noch lange üblich gewesen sein. Zuerst wurden die vielen Gebäude des Haufhofes zu zwei Einheiten zusammengefaßt; der Stall und die Heuschinde wurden zum Wirtschaftsgebäude, Wohnräume, Speicherräume und Keller zum Wohnhaus vereint. Diese Paarhöfe (oder auch „Zwiehöfe”) sind im Oberallgäu heute noch im Kleinwalsertal häufig zu sehen, ebenso in den anderen ehemals walserisch besiedelten Orten Gerstruben, Einödsbach und im Traufberg.
Im Alpengebiet sind Paarhöfe kennzeichnend für verhältnismäßig spät besiedelte Täler mit Einzelhöfen in Streusiedlungen; vorherrschend sind sie in den Walsertälern Graubündens oder auch in weiten Teilen Südtirols mit spätmittelalterlicher Kolonisation.
In den geschlossenen Dorfsiedlungen ist man aus praktischen Erwägungen auch im inneralpinen Siedlungsraum meist zum Einhof übergegangen (Ausnahme: das Wallis). So wurden im 16. Jahrhundert die ursprünglichen Haufenhöfe des Engadin in reine Einhöfe umgewandelt, so daß heute dort nur mehr in Alpsiedlungen einzelne Haufenhöfe zu finden sind. Im oberen Allgäu ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen. Man übernahm vom Unterland, vermutlich schon im 15. Jahrhundert, die neue Mode des Einhofes, stellte das Wirtschaftsgebäude so nahe ans Wohnhaus, daß nur noch eine schmale Durchfahrt übrigblieb und überdeckte das Ganze mit einem Dach.
Die häufigste Form des Einhofes im Oberallgäu ist* nur eine Kopie des Unterländer Mittertennenhauses. Anders als beim reinen Mittertennenhauses ist der Stall jedoch oft seitlich versetzt zum ursprünglichen Wohnhaus.
Einhof in Oberstdorf in der Art des Mittertennenhauses.
(Haus Thannheimer, Oststraße, M 1:200)
Das Bad, die Küche und die Kammer befinden sich im ehemaligen Wagenschopf. Das ursprüngliche Wohnhaus und der Stall sind seitlich versetzt angeordnet. Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude sind nur äußerlich über das Dach und die Außenwände miteinander verbunden. (Dieses Haus soll - wenn es nach dem Willen der Besitzer geht - demnächst abgebrochen werden.)
Das Wohnhaus von „Lumpesars Senz” - Oberstdorf, Metzgerstraße 8, Grundriß. Wohnhaus und Stall sind vermutlich erst nachträglich vereint worden.
Über der Durchfahrt - dem „Schopf’ - bilden provisorische Balkenlagen, die Bäne, eine primitive konstruktive Verbindung zwischen Wohn- und Wirtschaftsteil. Die Pfetten des Daches fuhren nur selten in einer Achse über beide Gebäudeteile; die Pfetten des Wirtschaftsteiles sind entweder mit großen Holznägeln an die Pfetten des Wohnhauses angenagelt oder sie lagern neben den Pfetten des Wohnhauses auf provisorisch eingestellten Säulenstumpen auf.
An der unterschiedlichen Höhenlage von Wohn- und Wirtschaftsgebäude mancher Höfe erkennt man deutlich die spätere Zusammenfügung zum Einhof. Meist werden solche unvollkommenen Einhöfe nur mehr als Auszug oder Alpe genutzt, womit keine Notwendigkeit besteht, das Wohnhaus auf die Höhe des Wirtschaftsgebäudes aufzustocken.
In anderen Einhöfen des Oberallgäus verbirgt sich im Grundriß noch ein ursprünglicher Paarhof. Deutlich erkennbar war dies z. B. in Oberstdorf beim ehemaligen Haus von „Lumpesars Senz” (Metzgerstraße 8, heute abgebrochen). Hier stand der Stall im Grundriß völlig schief zum Wohnhaus; die Heuschinde wurde später einfach darüber gebaut und der Stall mit dem Wohnhaus verbunden.
Auch der Grundriß von Haus Nr. 26 in der Schrofengasse in Oberstdorf (s. Bild S. 192) läßt einen ursprünglichen Paarhof vermuten; das Wohnhaus und das Wirtschaftsgebäude wurden später durch einen hohen Mittelbau miteinander verbunden. Bei der gleichen Hofanordnung in Gerstruben Nr. 4 (Jakobe Hüs) ist die nachträgliche Zusammenfügung zum Einhof äußerlich nocht gut zu erkennen.
ln dem im 17. Jahrhundert „flurbereinigten” Vereinödungsgebieten des Oberallgäus und auch im Lechtal stellte man den Stall bevorzugt direkt ans Wohnhaus; die Einfahrt in die - über dem Stall liegende - Tenne erfolgt meist über eine Rampe. Diese Gehöftform bietet sich vor allem in Gebieten mit geneigtem Gelände an;
Ansicht von der Rückseite
Wohnhaus auf der „Schiggen ” in Holzgau im Lechtal.
Der Stall ist direkt ans Wohnhaus angebaut.
Die Heuschinde ist noch im „holzfressenden” Rundholz-Blockbau errichtet. - Die Zufahrt in die Heuschinde erfolgt wie bei modernen Bergehallen in der Giebelmitte der Rückfront. Das Wohnhaus entspricht im Grundriß den Oberallgäuer Häusern.
...dort kann eine Hocheinfahrt ohne besonderen baulichen Aufwand errichtet werden. Im oberen Illertal ist diese Hofform nach Süden hin immer seltener anzutreffen; in Oberstdorf fehlt sie fast ganz (Ausnahme: s. Bild S. 197).
In den Dörfern des oberen Illertales und im Ostrachtal stellte man den Stall gerne direkt unter das Wohnhaus. Diese Hofform war früher im Oberallgäu häufig anzutreffen; vermutlich wollte man die Wärme des Stalles für das Wohnhaus nutzen. Von dieser Hofform gibt es älteste Beispiele aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg bis zu selteneren neueren Beispielen aus dem 18. Jahrhundert (z. B. in Burgberg).
Gehöft in Berghofen bei Sonthofen
Dieses Haus hat den Stall im Untergeschoß, die Heuschinde ist rückwärts angebaut. Das Haus entspricht fast genau dem ehemaligen Anwesen Weiler-Becherer-Schugg in der Rankgasse in Oberstdorf (siehe Alt-Oberstdorf), S. 63 unten.
In Süddeutschland ist diese Art der Gehöfte in Württemberg, Ober- und Unterfranken und in Bayerisch Schwaben zu finden. In den Alpen ist die Lage des Stalls unter den Wohnhäusern in italienisch und französisch besiedelten Gebieten oft anzutreffen. Im Oberallgäu war diese Hofform keineswegs auf arme Bevölkerungsschichten beschränkt. Auch beengte Platzverhältnisse sind offensichtlich ausschlaggebend für diese Häuser gewesen. Es gibt mehrere völlig frei stehende Höfe mit großen Buinden, die ursprünglich den Stall unter dem Wohnhaus hatten. Der Keller konnte bei diesen Häusern natürlich nicht unter dem Stall angelegt werden; man verlegte ihn kurzerhand unter die Heuschinde.
Dieses Haus hat ebenfalls den Stall unter dem Wohnhaus. Der Stall war ursprünglich in Holz errichtet, später wurde vor die Holzwand eine Mauer gesetzt und das Haus auf innenliegende Stützen gestellt.
Die Mauerung des Stalls wurde später häufig notwendig, da die Holzwände der Ställe oft nur eine kurze Lebensdauer hatten. Das Wohnhaus ist ohne Verputz dargestellt. Der obere Stock ist als Ständerbau in einer Spundwand-Konstruktion erstellt. Das Fenster über der Stube war ursprünglich eine Türe, die auf einen „ Umgang” führte.
Es ist anzunehmen, daß der obere Stock früher Speicherzwecken diente, später wurde die Türe durch ein Fenster ersetzt und an der Giebelseite ebenfalls ein Fenster eingepaßt. Die Spundwände sind innen noch unverändert. Die Pfetten des Hinterhauses sind mit Holznägeln an die Pfetten des Vorderhauses genagelt. Der Keller ist als Tonnengewölbe unter der Heuschinde errichtet.
Zusammenfassend muß man feststellen, daß im Oberallgäu und auch in Oberstdorf vielgestaltige Varianten der Kombination von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden möglich waren. Selbst die Firstrichtung des Daches konnte dabei völlig frei gewählt werden. Zwar war beim langgestreckten Mittertennenhaus die Firstachse über die lange Seite des Hauses gängig (auch hier gibt es Abweichungen von der Regel), jedoch wurde bei den kürzeren Häusern ohne mittigen Schopf der First auch quer zur Längsseite des Hauses gestellt.
Damit soll belegt werden, wie vielfältig die Gehöftformen des Oberallgäus waren. ln der Literatur wird häufig der Mittertennenbau als der Oberallgäuer Hoftyp schlechthin dargestellt. In Oberstdorf sind zufälligerweise gerade in den nicht abgebrannten Ortsbereichen überdurchschnittlich viele Mittertennenhäuser erhalten geblieben. Im abgebrannten Mittelmarkt scheint jedoch, wie in den übrigen Dörfern des Illertales, eine große Vielfalt an Gehöftformen existiert zu haben. Sogar ein reiner Paarhof war darunter, wie das Gemälde des Heimathauses von Josef Anton Fischer bezeugt (siehe hierzu Bildband „Alt-Oberstdorf’, S. 93 unten).
In einer kleinen Übersicht haben wir die im Oberallgäu möglichen Varianten der Höfe zusammengestellt
(Bilder S. 198 und S. 199).
Fortsetzung folgt