Um´s Müsargeald

von Eugen Thomma am 01.12.1987

Als Oberstdorf im 19. Jahrhundert noch von der Landwirtschaft lebte und noch nicht Giftstoffe die Kleintierwelt zerstörten, gab es Jahre, in denen die Mäuse so überhandnahmen, daß die Ernte ernstlich in Gefahr kam. Soviel die Mullis, Muschis und Minkas in den Öschen auch auf der Jagd waren, dieser explosionsartigen Vermehrung der vierbeinigen Feldschädlinge hatten sie nichts entgegenzusetzen. Auch der von der Dorfgemeinschaft aufgestellte „Müsar”, also der amtlich bestallte Mäusefänger, stand dieser Invasion machtlos gegenüber. Die Bürgerschaft hatte nun zu entscheiden, was der drohenden Gefahr entgegengesetzt werden sollte, und sie tat es.

Am 25. März 1867 trat die Gemeindeversammlung (alle stimmberechtigten Gemeindemitglieder - Hofstattbesitzer) zusammen und faßte folgenden Beschluß:

Protokoll

über den heutigen Gemeindebeschluß der Marktgemeindemitglieder resp. Eschfelderbesitzer daselbst die Vertilgung der Mäuse betr.:

Bei Gelegenheit der in andern Geschäften Versammelten Gemeindeglieder wurde in Anregung gebracht, daß die Feldmäuse und Maulwürfe in den Eschfluren sich in auserordentlicher Weise vermehrt haben, daß wann keine Abhilfe geschehe offenbar ein großer Theil der Erndte zerstört werde und daß wenn auch 3 bis 4 Männer zur Vertilgung der selben aufgestellt würden dieselben nicht im stände wären nachhaltig diesem Übel vorzubeugen.

Es wurde hierauf folgender Vorschlag gemacht und derselbe einstimmig angenommen und zum Beschluß erhoben:

1) Es soll sich Jedermann gleichviel ob er Eschfelder besitze oder nicht angelegentlichst mit Fangen der Mäuse et Maulwürfe beschäftigen für jede gefangene Maus soll dem Fänger 3 kr (Kreuzer) für einen Maulwurf 6 kr bezahlt werden und zwar in der Weise diese Löhne getilgt werden: daß nach Verhältnis der Größe des Flächeninhalts jeder einzelne Grundbesitzer in den Eschfluren diese Löhne aufgeschlagen werden sollen, welches am einfachsten dadurch zu geschehen habe, daß diese Ausgabe und Einnahme in der Eschweiderechnung vorzutragen sei.

2) Soll von der Gemeindeverwaltung ein zuverlässiger Mann aufgestellt und baldmöglichst bekannt werden, bei welchem die gefangenen Mäuse vorzuzeigen und vom selben zu zählen und in ein Verzeichnis von wem und wie viele Mäuse et Maulwürfe abgeliefert worden seyen zu bringen sind; welcher Mann angemessen aus der Eschweidehauptkasse für seine Mühewaltung zu entschädigen ist.

Daß diese Verhandlung mit Ruhe und Ord. vollzogen und daß dieser Beschluß von den bei weitem mehr als 2/3 der Gemeindeglieder anwesend waren von denselben einstimmig anerkannt wurden bestätigen 2 der der Versammlung anwohnenden Gemeindeglieder und resp. Eschfeldbesitzer, dann die Gemeindeverwaltung.

Unterschrift der EschfeldbesitzerDie Gde Verwaltung
Johann GehringDünßer, Vorsteher
Christian MichelF. Fischer
Joh. Vogler
Wendelin Witsch
Xaver Ziegerer

Wie ernst das Problem genommen wurde, zeigte sich darin, daß schon am 30. März zwischen Gemeindeverwaltung (vergleichbar mit heutigem Bürgermeister und Gemeinderat) und dem Schuhmacher Jakob Haider nachstehender Vertrag geschlossen wurde:

Auf den Grund des vorbezeichneten Gemeindebeschlusses wurde zwischen der Gemeinde Verwaltung u. Jkb. Haider die Nachzählung der gefangenen Mäuse u. Führung eines Tagbuches hierüber folgender Vertrag abgeschlossen.

1) Jkb. Haider verpflichtet sich, das zur Auszahlung an die Mauslieferanten benöthigte Geld vorzuschießen u. zwar aus eigenen Mitteln.

2) Ein regelmäßiges Verzeichnis über die eingelieferten Mäuse zu führen, die Mäuse gehörig abzuzählen u. von jedem Stück einen Fuß wegzuschneiden resp. so zu bezeichnen, daß sie nicht ein zweitesmal vorgebracht werden können.

3) Die Öschweidbesitzer verpflichten sich dagegen Für seine Geldauslage u. Mühewaltung in folgender Weise zu entschädigen, von jedem Hundert seiner vorschußweisen Geldauslage werden demselben
6 % per Jahr ausbezahlt u. soll jedenfalls die Öschweiderechnung bis zum neuen Jahr 1868 gestellt werden um zum Bezüge der Weidegelder schreiten zu können, damit die Ausbezahlung jenes von Haider verausgabten Kapitals erfolgen kann.

4) Für jeden Tag der Ablieferungszeit erhält Jkb. Haider für seine Mühe Waltung 12 kr. Die Ablieferungszeit wird öffentlich bekannt gegeben werden u. hat während derselben jeden Tag Abends von 7-8 Uhr zu geschehen, jedoch mit Ausnahme von Sonn- u. Feyertagen.

Zur Bestätigung unterzeichnen
Die Gemeinde/Verwaltung
Unterschriften
Jakob Haider

Der Nachsatz: „Die Zeit zum Mäusefangen wird eigens bekanntgemacht”, muß noch am gleichen Tage überholt worden sein; denn schon am 1. April wurden bei Haider die ersten 30 „Scherr” (Maulwürfe) und sechs Mäuse angeliefert. Das große Halali begann. Bis Ende April waren schon 769 „Scherr” und 330 Mäuse zur Strecke gebracht. Es schälten sich auch bereits die Spezialisten dieser Jagdart heraus: Baldhus Hindelang, Max Kappeler, Joseph Berktold, Konrad Sommer, Georg Link und Ignati Uibelhör war das Jagdglück am meisten hold. So konnte Ignati Uibelhör bereits innerhalb von vier Wochen den Fang von 127 „Scherr” und 36 Mäusen verbuchen, was ihm eine Prämie von 14 1/2 Gulden (fl) einbrachte. Zum Vergleich sei gesagt, daß ein Gemeindetagwerk mit 30 kr, also einem halben Gulden, belohnt wurde. Der Nimrod hatte somit den Lohn für 29 Arbeitstage „eingefangen”.

Aus den Fanglisten geht hervor, daß in den Monaten Mai, Juni und Juli die Anzahl der erbeuteten „Scherr” immer mehr zurückging und die der Mäuse sprunghaft anstieg. Georg Link war es nun Vorbehalten am 15. Juli mit 101 gefangenen Mäusen die „Schallmauer” von 100 Mäusen pro Ablieferung zu durchbrechen.

Am 29. Juli hörte die Jagd mit einem Schlage auf. Vermutlich sollten jene, die zum Wies- und Bergheuen sich außerhalb des Ortes aufhalten mußten, nicht um die Möglichkeit dieses Verdienstes gebracht werden. Wer wäre denn zum Bergheuen gegangen, wenn andere sich zwischenzeitlich beim wesentlich leichteren Mäusefangen das Mehrfache verdient hätten?

Am 9. September wurde die Jagd wieder freigegeben. Die „Hatz” begann aufs neue und die „Strecke” war enorm. Am 10. und 11. September brachten neben vielen „Kleinlieferanten” jeweils 8 Personen mehr als 100 Mäuse zur Zählung. Baldus Hindelang war mit 145 und 123 Stück Rekordhalter und kassierte dafür 13 Gulden 30 Kreuzer.

Dem Öschweideausschuß, der die zwischenzeitlich angefallene Prämiensumme von über 850 fl auf die einzelnen Öschfeldbesitzer umlegen mußte, wurde es unheimlich. Daher wurde ab dem 12. September an Stelle der drei Kreuzer nur mehr ein Kreuzer für eine „Schlupfmaus” (vermutlich junge Mäuse) bezahlt. Das geschah sicher zum Verdruß von Ignati Uibelhör, der an dem Tage 156 dieser kleinen Nager präsentierte.

Welch regen Geschäftsbetrieb Jakob Haider hatte, ist aus der Fangliste zu ersehen. Sie weist insgesamt über 1300 Einträge auf. Allein am 18. September haben 51 Personen ihre Jagdbeute vorgelegt.

um`s Müsargeald Heft 12

Weil vermutlich der Boden zufror, war das Treiben am 18. November zu Ende und so konnte der Zähler seine Tabellen abschließen und die „Mauser-Rechnung für das Jahr 1867” erstellen. In dieser sind vermerkt: 1.302 „Scherr” a 6 Kreuzer, 15.987 Feldmäuse a 3 Kreuzer und 29.318 „Schlupfmäuse” a 1 Kreuzer. „Summarum 1302
Scherr und 45 305 Mäuse. Abgeschlossen Oberstdorf den 23ten November 1867, Jakob Haider.” An „Müsargeald” wurden bezahlt 1.418 Gulden, 11 Kreuzer.

Wer von der mittleren und älteren Generation der Oberstdorfer denkt bei dem Wort „Müsargeald” nicht an das Theaterstück „Dr Leachtlarzins” des leider viel zu früh verstorbenen Josef Rees? Speziell erinnert man sich bei dem Stück an die Figur des „Müsars” Karle, der von Seppl Kiechle so treffend dargestellt worden war und immer seinem Lohn, dem „Müsargeald”, nachlaufen mußte.

So erging es auch Jakob Haider. Er mußte bei den einzelnen Öschfeldbesitzern die Umlagensumme einkassieren. Böser Wille und Armut ließen den „noatege Schüechtar” z. T. monatelang hinter seinem Geld nachlaufen. Er wiederum wurde von seinen Gläubigern zur Auszahlung der Fangprämien gedrängt. Haider war zahlungsunfähig. Oberstdorfer, die sich um den Lohn ihrer Mühen betrogen sahen, beschwerten sich beim Bezirksamtmann in Sonthofen. Dieser hielt sich an Oberstdorfs Gemeindevorsteher, und so ging es hin und her, bis im August 1868 das kgl. Bezirksamt die Säumigen unmißverständlich zur Zahlung ihrer Schuld aufforderte und Haider endlich seinen Verpflichtungen nachkommen konnte. Neben diesen Schwierigkeiten gab es noch eine ganze Reihe von Querelen im „Kampf um ’s Müsargeald”.

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