1888 - 1988 Hundert Jahre Bahnlinie Sonthofen - Oberstdorf (Teil 1)

von Hans Erb am 01.06.1988

Am 29. Juli 1988 jährt sich die Eröffnung unserer Bahnlinie von Sonthofen nach Oberstdorf zum hundertstenmal. Es gibt wohl kein vergleichbares Ereignis, das die Entwicklung der Marktgemeinde Oberstdorf so nachhaltig beeinflußt hat wie die Eröffnung dieser Bahnlinie. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts war Oberstdorf noch der verträumte und weltabgeschiedene Ort in den Bergen, der bloß über sehr schlechte Straßen erreichbar war. Hierher kamen nur Händler und Handwerker, zu Fuß oder mit Fuhrwerken. Eine bescheidene Verbesserung der damaligen Verkehrsverhältnisse ergab sich im Jahr 1853 mit der Verlängerung der bereits von Kempten nach Sonthofen bestehenden Postomnibus-Verbindung bis Oberstdorf. Dieser „Postomnibus” war eine Postkutsche mit geschlossenem Fahrgastraum, der vier Fahrgästen Platz bot, ein fünfter konnte auf dem Bock neben dem Postillion Platz nehmen.

Diese nach heutigen Begriffen mehr als dürftigen Verkehrsverhältnisse änderten sich erst, als die Eisenbahn ins Allgäu kam. Jetzt war es erstmals möglich, Personen wie Güter in größerem Umfang zu befördern. Am 1. Mai 1853 wurde Immenstadt Bahnstation der neu erbauten „Ludwigs-Süd-Nord-Bahn”, wie die durchgehende Bahnlinie von Hof nach Lindau damals hieß. Dadurch erhielt auch das Oberallgäu Anschluß an den Eisenbahnverkehr. Am 16. November 1873 erfolgte die Eröffnung der „Vizinalbahn” von Immenstadt nach Sonthofen. Sie entstand mit finanzieller Beteiligung der damaligen Marktgemeinde Sonthofen, wurde aber durch die Kgl. Bay. Staatsbahn verwaltet und geführt. Im Anschluß an die Eisenbahnzüge verkehrten Stellwagen und Postkutschen nach Oberstdorf.

ln dieser Zeit wurde der Wunsch nach einer Weiterführung der Bahn bis Oberstdorf laut. Am 27. Juni 1886 fand in Fischen eine Zusammenkunft der an einem Eisenbahnbau interessierten Bevölkerungskreise statt. Es wurde ein Komitee gegründet. Die „Lokalbahn-Bau und Betriebsunternehmung” der Ingenieure Theodor Lechner und Viktor Krüzner in München nahm diese Anregung auf und bat am 12. Juli 1886 das „Hohe kgl. Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern”, das damals für den Bahnbau zuständig war, um Erteilung einer Projektierungskonzession. Dieser Bitte schlossen sich die Stadtverwaltung Immenstadt, die Marktgemeindeverwaltung Oberstdorf, die Gemeindeverwaltung Fischen und die Gemeindeverwaltung Altstädten an. Die Konzession für die Projektierung unserer Bahnlinie wurde am 27. September 1886 von Prinzregent Luitpold genehmigt und der Firma Lechner & Krüzner am 19. Oktober 1886 erteilt. Die beiden Ingenieure arbeiteten nun das Projekt aus. Als ihnen am 9. Februar 1887 die Direktion der neu gegründeten „Lokalbahn-Aktiengesellschaft in München”, kurz L.A.G. genannt, übertragen wurde, lösten sie ihre „Lokalbahn-Bau und Betriebsunternehmung” auf. Die bereits fertigen Entwürfe für eine Lokalbahn von Sonthofen nach Oberstdorf brachten sie in die neue L. A.G. ein. Diese Gesellschaft stellte am 19. Februar 1887 an das bereits genannte Staatsministerium den Antrag auf Erteilung einer Konzession für den Bau und Betrieb einer normalspurigen Lokalbahn von Sonthofen nach Oberstdorf. Am 22. Mai 1887 wurde der L. A.G. diese Konzession erteilt. Nun konnte es losgehen.

Im Juli 1887 wurden die benötigten Grundstücke gekauft. In Oberstdorf wurde der Standort des Bahnhofs am damaligen nördlichen Ortsrand festgelegt. Am 1. September 1887 begann der Bahnbau. Im Sommer 1888 entstanden die Gebäude für den neuen Oberstdorfer Bahnhof: ein Bahnhofsgebäude mit nördlich angebauter Wartehalle und südlich angebautem Güterschuppen und eine Lokomotiven- Remise mit Wagen- und Kohlenschuppen (der damalige Standort entspricht etwa dem des heutigen Stellwerks). Die L. A. G. wurde vertraglich verpflichtet, die Oberstdorfer Post im Bahnhofsgebäude unterzubringen.

Die durch den großen Brand im Jahre 1865 schwer beschädigte Vierzehnnothelfer-Kapelle, die bisher der Oberstdorfer Feuerwehr als notdürftiger Geräteschuppen diente, mußte der Zufahrt zum neuen Bahnhof weichen. Für den Erwerb eines Grundstücks zum Bau eines neuen Feuerwehrhauses leistete die L.A.G. einen finanziellen Zuschuß.

Am 29. Juli 1888 war es nach einer Terminverschiebung dann soweit, die Bahnlinie Sonthofen - Oberstdorf konnte eröffnet werden. Bereits am ersten Betriebstag fanden vier Fahrten von Oberstdorf nach Sonthofen statt, die sowohl hin wie zurück zur vollsten Zufriedenheit aller daran Teilnehmenden ausfielen. Am 2. August 1888 war die große Eröffnungsfeier. Ein Sonderzug brachte die Festgäste von auswärts nach Oberstdorf. Der Bahnhof war festlich bekränzt und in der Bahnhofshalle erklang ein Lied der Sänger. Der vorgesehene Festzug fiel dem Regen zum Opfer. Im Oberstdorfer Gesellschaftshaus fand für die geladenen Gäste ein Dinner statt. Es gab Kraftsuppe mit Knödel, Rheinsalm, holländische Sauce mit Kartoffeln, Ochsenlende garniert, mit kalten Beilagen, Wildpretpastete, junge Hühner, Salat, Kompott, Obstkuchen, Gefrorenes und ein Dessert. Nach dem zweiten Gang hielt der Präsident der L.A.G., Lokomotivenfabrikant und Kommerzienrat Georg Krauss, eine Ansprache. Die Oberstdorfer Schulkinder erhielten beim Adlerwirt, auf Kosten der Gemeinde, je eine Wurst mit Brot und, man höre und staune, je einen Schoppen Bier.

Nun war also unsere Bahnlinie eröffnet und nahm ihren regelmäßigen Betrieb auf. Sie war der „Bahnordnung für bayerische Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung” vom 5. März 1882 unterstellt. Ihre Höchstgeschwindigkeit war auf 30 km/h festgesetzt. Die Fahrzeit von Immenstadt nach Oberstdorf betrug rund 1 1/4 Stunden, von Sonthofen nach Oberstdorf rund 40 Minuten. Allerdings war es durch den damaligen Sackbahnhof in Sonthofen (alter Bahnhof) bei allen Zügen nach und von Oberstdorf notwendig, „Kopf zu machen”, d. h. die Lokomotive mußte ans andere Ende des Zuges umgesetzt werden. Dies war nicht nur sehr lästig, sondern auch zeitraubend. Erst mit der Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs, am 2. Oktober 1949, endete dieser umständliche Zustand. Bereits im Rest des Jahres 1888 hatte die Lokalbahn 52.509 Personen und 4.171 Tonnen Güter befördert. Die Zahl der Gäste in Oberstdorf stieg von 2.668 im Jahre 1887 auf 4.270 im Jahre 1889, was sicherlich auf die neue Eisenbahn zurückzuführen ist. Im Jahre 1890 gestaltete der Oberstdorfer Künstler und Chronist Franz Alois Schratt für die L. A. G. ein Fahrplanplakat, das auch heute noch beim Verkehrsmuseum in Nürnberg als Nachdruck erhältlich ist.

Teil 1 Bahnhof - Heft 13

Die Einladungskarte zur Eröffnungsfeier

Teil 1 Bahnhof - Heft 13

Der erste Fahrplan der Bahnlinie Sonthofen - Oberstdorf

( Zur Verfügung gestellt: Verkehrsamt Nürnberg)

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Die Einfahrt des Eröffnungszuges bei Regen in den Oberstdorfer Bahnhof am 2. August 1888.

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Der Bahnhof Oberstdorf kurz nach der Eröffnung

Am 8. September 1894 erfolgte die Aufnahme der L. A. G. mit all ihren Linien in den „Deutschen Eisenbahn Verkehrs Verband”. Im Jahre 1895 bestand das Personal des Oberstdorfer Bahnhofs aus einem Betriebsleiter, der auch Chef der gesamten Strecke Sonthofen - Oberstdorf war, einem Aspiranten, einem Stationsdiener, einem Stationsarbeiter, einem Zugführer und drei Mann Lokomotivpersonal. Im selben Jahr erfolgte die Verlegung der an das Bahnhofsgebäude angebauten Güterhalle. Ihr neuer Standort befand sich jetzt westlich gegenüber dem Bahnhofsgebäude (etwa heutiger Ausgang zum Omnibusbahnhof). Das Bahnhofsgebäude konnte auf dem nun freigewordenen Platz vergrößert werden.

1898 erhielt das Postamt im Bahnhof bei einem Umbau elektrisches Licht. Es wurden elf Glühlampen installiert, die damals als ständige Lampen oder Saisonlampen unterschieden wurden. Ab dem Sommerfahrplan 1899 befuhr die L.A.G., wie die kgl. bay. Staatsbahn, in einem gegenseitigen Übereinkommen, die gesamte Strecke von Immenstadt bis Oberstdorf. Im Jahr 1903 zählte man bereits 10.774 Kurgäste in Oberstdorf. 1905 erhielt das Bahnhofsgebäude auf der Nordseite einen Anbau mit Warteräumen. Bereits im Jahr 1907 verkehrten Sportzüge von Kempten nach Oberstdorf. Schon 1909 gab es durchlaufende Wagen von München und Bruchsal nach Oberstdorf.

Teil 1 Bahnhof - Heft 13

Der Lageplan des Oberstdorfer Bahnhofs vom Jahre 1905.

(Zur Verfügung gestellt: Archiv des Marktes Oberstdorf)

Ein großes Unwetter am 14., 15. und 16. Juni 1910 überschwemmte das ganze Oberallgäu. Die Wassermassen rissen viele Brücken mit, darunter die Eisenbahnbrücken über die Stillach, den Grundbach und die Iller bei Fischen. Der Bahndamm wurde stark beschädigt. Der damalige Betriebsleiter der L. A. G.-Strecke Sonthofen - Oberstdorf, Heinrich Seifert, erbat beim kgl. Staatsministerium militärische Hilfe, die ihm auch gewährt wurde. Unter Leitung von Oberst Schuster, vom kgl. Eisen- bahn-Pionier-Bataillon in München, konnten die notwendigsten Instandsetzungsarbeiten durchgeführt werden.

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Die reparierte Stillachbrücke. Links davon ist die Brücke der damaligen Distriktsstraße nach Oberstdorf sichtbar. Man beachte die damalige Straßenbreite im Gegensatz zur heutigen Bundesstraße.

Im Jahr 1912 verkehrten im Sommer sonntags 10, werktags 9 Zugpaare sowie 1 Güterzug, im Winter sonntags 5, werktags 4 Zugpaare und ebenfalls 1 Güterzug. Es gab durchlaufende Wagen von Frankfurt/M. und München nach Oberstdorf. Die Fahrzeit von Immenstadt nach Oberstdorf betrug 63, von Sonthofen nach Oberstdorf 33 Minuten.

1913 bestand das Personal des Oberstdorfer Bahnhofs aus einem Betriebsleiter, einem Stationsvorstand, vier bis fünf Hilfsbeamten, zwei Stationsdienern, zwei Stationsarbeitern, zwei Zugführern und sechs Mann Lokomotiv- personal. Im Jahr 1914 erhielt das Bahnhofsgebäude auf der Südseite einen weiteren Anbau. Hier wurde das Postamt vergrößert. 1915 betrug der Fahrpreis von Sonthofen nach Oberstdorf in der II. Wagenklasse 1,05 M und in der III. Klasse 0,70 M. Es verkehrten sonntags und werktags je 4 Züge in jede Richtung.

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Der Oberstdorfer Bahnhof mit einem Personenzug der damaligen Zeit.

Fortsetzung folgt

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