Daß Leute, die viel (meist zuviel) Bier trinken, mit dem Krankenhaus Bekanntschaft schließen, ist nichts Neues. Neu und verwunderlich ist aber, daß Biertrinker „Wohltäter” eines Krankenhauses sein können. So geschehen in Oberstdorf in den Jahren 1897 bis 1923.
Seit Jahrzehnten zerbrachen sich Oberstdorfs Bürgermeister, Gemeindeverwaltung, Pfarrer und Kirchenverwaltung Ende des vergangenen Jahrhunderts die Köpfe, wie der Bau eines Kranken-, Armen- und Pfründnerhauses finanziert werden könnte. Erträge aus Stiftungen, Erbschaften und Sammlungen waren Mark auf Mark gelegt worden, um diesen alten Plan zu verwirklichen. Es fehlte aber in erster Linie an einer sprudelnden Geldquelle, bis ein findiger Kopf die Idee einbrachte, die eine Lösung ergab: Es sollte eine zweckgebundene Abgabe aufs Bier aufgeschlagen werden.
Der erste Oberstdorfer Gemeindebeamte, Marktsekretär Schmidt, hinterließ uns da eine sehr aufschlußreiche Aufzeichnung, die folgend im Wortlaut zitiert wird:
„Durch höchste Entschließung des kgl. Staatsministeriums wurde der Gemeinde Oberstdorf die Erhebung eines Lokalmalzaufschlages von 1 M - dl für den Hektoliter gebrochenen Malzes 0 M 60 dl für den Hektoliter eingeführten Bieres (das im Gemeindebezirk verbraucht wird)
Vom 1. Juni 1897 an zur Bestreitung der Kosten auf Erbauung eines Kranken- und Armenhauses in Oberstdorf bzw. zur Tilgung und Verzinsung der zu diesem Zwecke aufzunehmenden Schulden genehmigt.
Die Erhebung des Aufschlages aus dem gebrochenen Malze wurde von der k. Zollbehörde übernommen, gegen eine Gebühr von 3 % des wirklichen Anfalles.
Die Erhebung des Aufschlages aus dem mit der Eisenbahn eingeführten Bier erfolgt auf Grund einer mit der Direktion der Lokalbahnaktiengesellschaft in München getroffenen Vereinbarung durch die Betriebsverwaltung der Lokalbahnstrecke Sonthofen - Oberstdorf in Oberstdorf gegen eine Provision von 6 % der Einnahmen.
Die Erhebung des Aufschlages des auf andere Weise zur Einfuhr gelangenden Bieres geschieht durch den aufgestellten Kassier Leo Becherer selbst.
Von einer Cautionsleistung des Kassiers wurde infolge der sehr günstigen Vermögensverhältnisse desselben Umgang genommen.
Von den Erträgnissen des Lokalmalzaufschlages bis zum Jahr 1901 wurden verwendet:
2.130 M zum Ankauf von Grundstücken zum Krankenhaus- und Armenhausbau
11.780 M zur Bestreitung der Bau- und Einrichtungskosten desselben
4.800 M zur Verzinsung und Tilgung der Schulden
18.710 M Summa der Ausgaben auf den Zwecke.
Der am Jahresschlüsse 1901 verbleibende Kassabestand verbleibt der Kassa. Damit die Landgemeinde nicht genötigt wird, schon pro 1902 und 1903 einen Zuschuß zur Schulden-Tilgung und Verzinsung zu leisten, nachdem die Lokalmalzaufschlagserträgnisse hiezu gegenwärtig noch nicht ausreichen.”
Bis zum Beginn der Bauarbeiten am Krankenhaus waren die vereinnahmten Gelder in Pfandbriefen bei der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank angelegt. Die Kosten für den Krankenhausbau samt Inneneinrichtung beliefen sich 1900/01 auf 119.752,- Mark.
Bis zum Ende des Jahres 1901 war aus dem Malzaufschlag ohne Zinsen die Einnahmesumme von 20.570,50 Mark aufgelaufen. Wenn damit der Gemeinde auch nicht alle Sorgen genommen waren, so konnte doch - dank durstiger Kehlen - über ein Sechstel der Baukosten abgedeckt werden. Bis in das Inflationsjahr 1923 sorgten Genießer und fröhliche Zecher für unser Krankenhaus. Dann waren die Schulden (heute sagt man Verbindlichkeiten) getilgt und das Recht des Malzaufschlages erloschen.
Die rechtliche Situation für einen „Lokalmalzaufschlag” ist heute nicht mehr gegeben, sonst hätten wir bestimmt auch auf diese Art unser Scherflein für den neuen Funktionstrakt des Krankenhauses beigetragen, nach dem Motto:
„Ein Prosit fürs Krankenhaus”