Wenn man in dem folgenden Schriftverkehr zwischen Gemeinde und Bezirksamt (Landratsamt) etwas zwischen den Zeilen liest, findet man auch einen handfesten Streit zwischen Pfarrer Köberle, dem Vorsitzenden des Armenpflegerates, und der Gemeindeverwaltung.
Der Inhalt eines Briefes des Pfarrherrn an die staatliche Behörde enthielt nicht gerade besondere Schmeicheleien über die Gemeindeväter. Sicher trug der lange Postweg die geringste Schuld daran, daß der Herr Bezirksamtmann monatelang keine Antwort auf seine Briefe an die Gemeinde Oberstdorf erhielt. Es ist deshalb kaum verwunderlich, daß dem gestrengen Herrn letztlich im September 1878 die Geduld ausging und er dem Bürgermeister mit disziplinarischen Strafen drohte.
Pfarrer Köberle ging nun dadurch in die Offensive, daß er eine Unterschriftenliste mit verschiedenen Forderungen im Ort zirkulieren ließ, auf der sich schließlich 66 Stimmberechtigte eintrugen. Es könnte als ein Akt früher Demokratie bezeichnet werden, daß auf diese Art eine neuerliche Bürgerversammlung erzwungen werden konnte. Der vom Bezirksamt zuvor eingeforderte Gemeindeverwaltungs-Beschluß kam nicht zustande, weil zum festgesetzten Termin mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder nicht erschienen war und so kein rechtsgültiges Votum abgegeben werden konnte. (Ob das eine gewollte Verzögerungstaktik war?)
Der Bezirksamtmann setzte nun die Bürgerversammlung ohne Rücksprache mit der Gemeinde Oberstdorf binnen zehn Tagen auf den 17. März 1879 fest und drohte dabei dem Bürgermeister eine Disziplinarstrafe von 20 Mark an, falls er diesen Termin nicht einhalte.
Neuerdings hatte der Pfarrherr in seinem Streit gegen die Gemeinde ein paar starke Trümpfe in die Hand bekommen. Es hatten sich weitere Spender gefunden, die ihre Zuwendung (vermutlich nach Absprache mit dem Geistlichen) davon abhängig machten, daß das zu errichtende Gebäude in räumlicher Nähe zur Kirche erstellt und unter die Leitung von geistlichen Schwestern gestellt werden sollte. An Zuwendungen kamen von Maria Johanna Schratt, 900 Mark von Professor Johann von Schraudolph, 700 Mark von Barbara Köcheler, und 100 Mark gab ein Spender, der nicht genannt sein wollte. Der Pfarrherr forderte weiter, daß in dem geplanten Heim auch die Aufnahme von „zahlenden Pfründnern” (Altersheiminsassen) und die „Erziehung von Kindern” möglich sein müßten. Eine spezielle Forderung von Pfarrer Köberle war, daß künftig ihm in Sachen des Hausbaues Stimmrecht im Rat eingeräumt wird. Dies dürfte Bürgermeister und Gemeindevätern gar nicht geschmeckt haben.
Ein Protokoll vom 10. April 1879 spiegelt das Ergebnis der vorgenannten Bürgerversammlung wider. Der gewählte „(Marien-) resp. Armenhausbau- Ausschuß” setzte sich wie folgt zusammen: Bürgermeister Franz Paul Brack, prakt. Arzt Dr. Ulrich Reh, Förster Josef Schwarzkopf, Fabrikant Friedrich Gschwender, die Ökonomen Christian Michel, Rupert Berktold, Adolf Haug und Pfarrer Joseph Alois Köberle, wobei dem Pfarrherrn der Vorsitz übertragen wurde.
In einem Schreiben vom 5. Juni 1879 teilte die Gemeinde dem Bezirksamt auf Anfrage mit, daß es derzeit zwischen 24 und 30 Personen seien, die auf Kosten der Gemeinde aus dem Armenfonds ernährt werden müßten. Wieviel die „Armenpflege” der Gemeinde für einen dieser Ärmsten jährlich ausgeben mußte, ist nicht zu errechnen, weil die Zahl laufend schwankte. Insgesamt wurden z. B. im Jahre 1879 5.375,10 Mark durch die Armenpflege bezahlt.
Natürlich wurde auch versucht, weitere Geldquellen für den Bau des Armen- und Krankenhauses zu erschließen. Da gab es ja in verschiedenen Gemeinden den „Lokal-Fleischaufschlag”, einen Geldbetrag, den alle Metzger und Gastwirte von jedem geschlachteten Tier an die Gemeinde abzuführen hatten; nach heutigem Steuerrecht und Sprachgebrauch wäre das eine Art Luxussteuer auf Fleisch und Fleischerzeugnisse. Die immer schon höchst einfallsreichen Erfinder neuer Steuern hatten da auch noch den „Lokal-Malzaufschlag” in der Hinterhand. Bis in unsere Tage herauf war diese Abschröpf- Möglichkeit gegeben, bloß nannte man sie später Getränkesteuer.