Kackenköpfe, ein verkannter Bergname

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.12.1988

Ein begehrtes Wanderziel sind sie ja gerade nicht, die drei oder vier bewaldeten Schrattenkalkklötze südlich überm Rohr(en)moos, genauer gesagt über dem Schattwald. Freilich: von Norden geht es steil hinauf, unwegsam und mühsam. Von Osten, von der weitgehend angepflanzten (d.h. neu bewaldeten) Alpe unterm Horn oder von Westen, vom Hörnlepaß aus, geht es etwas leichter, doch bequem ist es da auch nicht. Hat man dann endlich einen der Gipfelpunkte erreicht, so bleibt die Aussicht sehr begrenzt, nicht nur wegen der geringen Höhe (bestenfalls 1.560 m), sondern erst recht wegen der sperrenden Tannen. Das Gefühl, auf einem Gipfel zu stehen, mag nicht so recht aüfkommen. Berggänger allerdings, die die Einsamkeit suchen, sind hier meistens am richtigen Platz. Es geht uns hier aber nicht um die bergsteigerischen Qualitäten dieser Köpfe, sondern um ihren eigenartigen, befremdlichen Namen, für dessen Deutung es keine rechten Anhaltspunkte zu geben scheint.

Dennoch hat man sich verschiedentlich daran versucht. August Kübler, gewissermaßen der Altmeister der Allgäuer Namenkunde, hat im dritten Teil seines großen Werkes: „Dunklere Namen und Nachträge” unter 369. Hagge (Im Hacken), einem Flurnamen, den anscheinend eine alte Karte enthalten hat, seine Deutung untergebracht. Vermutlich ist sein Ausgangspunkt der gleiche Name Haken, wie er in Oberstdorf existiert: Das Gelände vom Plattenbichel gegen das Dummelsmoos hinab, heute allerdings überbaut, früher öfters „Im Hogge(n)” geschrieben, was der Mundartausprache sehr nahekommt. Kübler meint nun zu „Kackeköpf’, wie er den Bergnamen wiedergibt, „das erste k aus h durch Assimilation”! Womit das H- assimiliert, d.h. verschmolzen worden wäre, gibt er allerdings nicht an.

Man darf aber vermuten, daß er von g(e)h- ausgegangen ist, wie es z. B. im Mundartwort khereg < gehörig enthalten ist. Um das zweite k, das ck, also ein stark aspiriertes k, kümmert er sich weiter nicht. Er sieht es wohl als selbstverständlich an, daß es in dem Familiennamen Hagge (den er als Grundlage ansetzt) enthalten sei. Dies ist nun aber ganz und gar nicht der Fall, ganz abgesehen davon, daß ein solcher Familienname in Tiefenbach oder im Rohrmoos nicht nachweisbar ist. Er wäre auch als namengebend gar nicht zu erwarten; denn bei diesen Köpfen gab es gar kein Privateigentum, nur Waldanteile der ehemaligen Dauersiedler im Rohrmoos. Schließlich: Weder zu dem vermuteten Familiennamen, noch zum Wort Haken wäre eine Bildung mit der Vorsilbe ge- sinnvoll und vorstellbar.

Etwas einleuchtender scheint auf den ersten Blick die Deutung, die der „Zettler”, also der Alpenvereinsführer der Allgäuer Alpen gibt.

Dort heißt es: „Ghageköpfe = die Köpfe überm Rohrmooser Ghag (Gehag).” Ziemlich selbstbewußt wird dort dann folgerichtig vorgeschlagen: „Richtig wäre die Bezeichnung .Höchster Ghagenkopf für P. 1560, .Gernspitz’ [!!] für P. 1558 und .Vorderer Ghagenkopf für P. 1463, ...” Ausgangspunkt wäre danach das Wort Hag, im Sinn von Grenze; denn einen richtigen Hag hat es dort oben natürlich nie gegeben. Angenommen, die fürs Allgäu etwas befremdliche Bildung Ge-hag hätte es wirklich gegeben, so wäre die Entstehung des anlautenden K- tatsächlich erklärt. Doch wie sollte in einem so wohlbekannten und häufig gebrauchten Wort wie Hag das - ck - Zustandekommen? Dafür gibt es meines Wissens keinerlei Erklärung. Weiter müßte die Ausgangssilbe -en erklärt werden, eine Aufgabe, an der sich auch versierte Sprachwissenschaftler die Zähne ausbeißen könnten. Mit einem Wort: Diese Deutung ist sprachlich unhaltbar.

Für Namendeutung ist es stets wichtig und meist entscheidend, wie Namen früher geschrieben wurden, als es noch keine landschaftsferne, zentrale Vermessungsämter und kartographische Institute gab, als man einfach direkt nach dem gehörten Laut niederschrieb. Nun hängt im Schloß Wolfegg, dem Sitz der Waldburger- Familie, die seit fast fünfhundert Jahren im Besitz des Rohrmooses ist, ein Ölgemälde vom Jahre 1721, das den ganzen Besitzkomplex im Rohrmoos und auch unsere Kackenköpfe zeigt.

Der Nameneintrag dazu heißt einmal „Mitter Kackhen”, dann „Mütter Karcken”, bezeichnet also den mittleren der drei (oder vier) Köpfe. Wir sehen, daß das - ck - schon alt ist und nichts auf eine Mehrzahlform beim Namen deutet. Auch die kaum ältere Markbeschreibung von 1714 gibt an: „in den hohen Felsen, der Mütter Karkhen genannt.” Hier ist die männliche Form der Einzahl sogar klar erkennbar. Das - r - irritiert uns zunächst etwas, doch scheint es nicht original zu sein; denn der Grenzbeschrieb von 1608 enthält die Angabe „in den (bzw. uß dem) Mittlen Kackhen”, die an dem ck (aspirierten k) keinen Zweifel läßt und kein r mehr aufweist.

Noch weiter zurück kommen wir mit der Lehenurkunde Burkhards von Heimenhofen für den Grafen Johann von Sonnenberg, Herrn zu Wolfegg vom Jahre 1503, in der die Grenzen des dem Waldburger verliehenen Besitzes an der einschlägigen Stelle so angegeben werden: „Vom Waldschrofen ... hin inwerz an den hindersten Kacken, von demselben an das Hörnnlin ...” Diese Angabe steht deutlich im Akkusativ und müßte im Nominativ wohl etwa lauten: *der Kack. Weiter zurück reichen die Unterlagen nun nicht mehr. Verkäufer des Gutes Schattwald lassen in den Urkunden 1502 und 1500 jeweils einen „(obrosten) Waldschroffen” als Grenze angeben, benutzen also nicht den zu untersuchenden Namen. Für sie endete ihr Besitz offenbar am Fuße der Felswände, an den Gipfelpunkten darüber hatten sie sichtlich keinerlei Interesse.

Zunächst einmal haben wir die Einsicht gewinnen können, daß der Zusatz Kopf oder Köpfe mit dem ursprünglichen Namen nichts zu tun hat, sondern erst hinzugefügt wurde, als man nicht mehr wußte, was es mit dem Namen der Kacken auf sich hatte.

Wenn wir nun zum mittelhochdeutschen Wörterbuch greifen, um eine Erklärung für unseren Namen zu finden, gibt es erst einmal eine Enttäuschung. Das Wort kak ist dort zwar verzeichnet, wird aber ausdrücklich als mittel- und niederdeutsch bezeichnet und bedeutet dort .Pranger’. Auch in den üblichen Nachschlagewerken für Flurnamendeutung findet sich nichts Passendes. Nun sind isolierte Namen oft besonders schwer zu deuten, deshalb suchen wir selbst einmal nach Vergleichbarem. Und tatsächlich, im Allgäu gibt es auch sonst noch einen solchen Namen.

Es ist ein Hangwaldstück am Osthang des östlichen Günztales zwischen Rohr und Günzach. Man nennt es „im Kakke(n)” oder „Kakkewald”. Ein südlich daran anschließender Bauernhof, amtlich als Dillian bezeichnet, heißt in der Umgebung nur der „Kakkebaur”. Das stiftkemptische Salbuch von 1527 verzeichnet unter Rohr, Gemeinde Immental, Kreis Ostallgäu (Altlandkreis Marktoberdorf) „den vierden tail am holtz, genannt der Kagg In der Beschreibung der kemptischen Pflege Liebenthann von 1714 kommt bei der Einöde Allgay, einem Ausbau des obengenannten Ortes Rohr, erneut dieser Name vor. Ihr Bewirtschafter hat zusammen mit den Rohrern: „aigene Höltzer, der Kackhe genannt”. Hier wird durch die Schreibung mit - ckh - ganz klar, daß es sich um ein aspiriertes k handeln muß, das ursprünglich (wie 1527 noch sichtbar) im Auslaut gestanden haben muß. Der gelehrte Schreiber hat, vermutlich aus der Dativform her, die Endung -e(n) auch auf den Nominativ übertragen.

Stand das -ck einst im Auslaut, so ist im Allgäu immer damit zu rechnen, daß in alten, nicht mehr verstandenen Namen noch die mittelhochdeutsche Auslautverhärtung enthalten ist, wie es z. B. in der Aussprache Zwinck für den Zwing, also den alten Namen der Breitachklamm, noch zu sehen ist. Das gleiche gilt für den Wank, nicht nur von Rubi und im Warmatsgund, sondern z. B. auch für den Pfrontner Ortsteil oder die Wankmühle in Hindelang. Auch Burck(h) (Schöllanger Burg) wird mit einer solchen Auslautverhärtung gesprochen, und sogar im lebendigen Wortschatz gibt es das bei einer ganzen Reihe von Wörtern.

Setzen wir also *Kag als Ausgangsform unseres Namens an. Damit haben wir aber bereits ein Mundartwort gefunden, nämlich: Kag(e), was, Krautstrunk, Mittelrippe eines Kraut- oder Salatblattes bedeutet. Es ist auch gerade für Obergünzburg, also nahe dem Vorkommen des Waldnamens, überliefert. Im Althochdeutschen hat es ,Strunk, Pfahl’ bedeutet, in schwedischen Dialekten heißt kage ,Baumstumpf, in norwegischen .niedriger Busch’. Dazu stimmt auch englisch cag .Stumpf. Nun erkennen wir, daß das alte mittel- und niederdeutsche kak. Pranger auch hierher gehört; denn Schandpfahl und Schandsäule für den Pranger weisen auf dieselbe Sachgrundlage: einen starken Pfahl, eine Säule, einen Baumstrunk hin. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß unser Wort Kegel nur eine Ableitung, nämlich eine Verkleinerung, zu dem nur noch mundartlich erhaltenen Wort Kag darstellt. Es bedeutete im Althochdeutschen besonders ,Pflock, Pfahl’.

Als Ergebnis können wir festhalten, daß unsere Kackenköpfe, eigentlich stumpfe Felsklötze und keine Gipfelgestalten, mit einem Wort bezeichnet wurden, das Stumpf, Baumstrunk’ bedeutet hat, ganz treffend für ihre unalpine Form. Entsprechend der damals allgemein wirksamen Auslautverhärtung wurde dieses Kag zu Kack; dabei blieb es, weil man den Namen nicht mehr an ein lebendiges Wort anschließen konnte, das im Auslaut wieder erweicht worden wäre. Man verwendete den Namen aber kaum je im Normalfall, weil man die drei Felsklötze als Kacken bezeichnete und auch beim einzelnen, herausgehobenen meist Wendungen wie ,über den / auf den / auf dem Kacken’ benutzte. Dabei nahm man keine Rücksicht darauf, daß im abhängigen Fall ursprünglich hätte ein - g - stehen sollen, eben weil man den Namen nicht mehr verstand.

Erst vor ca. 200 Jahren hat man dann - es waren vielleicht die Kartographen - das Grundwort, Köpfe’ angehängt, weil das ohnehin schon den meisten Allgäuer Gipfeln anhaftete und das unverständliche Kacken ,Stümpfe’ so durch den neuen Zusatz wieder in einen verständlichen Zusammenhang gestellt wurde. Es bestätigt sich wieder einmal: Namen enthalten nicht selten ein Sprachmaterial, das in lebendiger Rede längst untergegangen ist oder einen spezialisierten und weiterentwickelten Sinn bekommen hat.

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