Die „Steinbockkugeln” (Bezoarsteine), die sich aus Haaren, Harzen und Steinchen im Magen des Tieres bilden, „heilten” gar schwerste Leiden. Sogar die Losung (der Mist) des Alpenbewohners wurde gegen Schwindsucht und Zipperlein eingesetzt.
Geradezu eine Wunderwaffe gegen fast alle menschlichen Gebrechen wurde in dem „Herzkreuzchen”, den verknöcherten Sehnen des Herzmuskels, gesehen. Der Umstand, daß einige dieser „Naturpräparate” auch noch als „Viagra” des ausgehenden Mittelalters sehr teuer bezahlt wurden, gab der Steinbock-Wilderei einen zusätzlichen Auftrieb. Welch tolles Geschäft mit dem erlegten Wild zu machen war, wußten insbesondere auch die Erzbischöfe von Salzburg. Sie unterhielten eigene „Steinbock-Apotheken”, wo die gefragten Mittelchen gegen gutes Geld zum Kauf angeboten wurden. Neben den „Medikamenten” gewannen in jener Zeit auch die Salzburger Steinbock-Schnitzereien an Bedeutung. Es lohnte sich also, einen Steinbock zu schießen!
Wer in den Hochlagen des südlichsten Zipfels der Bundesrepublik Deutschland heute unterwegs ist, muß im Nebel wandern oder die Augen schließen, wenn er kein Steinwild sehen will. Zu beiden Seiten des Rappenalptales bevölkern diese klettergewandten Tiere die Gratregionen. Natürlich war das nicht immer so. Noch vor 50 Jahren kannte man das Steinwild bei uns auch nur noch von Bildern her. Es dürften nahezu 500 Jahre vergangen sein, seit das letzte Tier dieser Gattung im Allgäu erlegt worden ist.
Auch in anderen Bereichen der Alpen nahm die Zahl damals stetig ab. In der Schweiz, in Glarus, wurde 1558 der letzte Steinbock erlegt, am Gotthard 1583. Auch die drakonischen Schutzbestimmungen, die 1612 in Graubünden erlassen wurden, retteten dort den Alpensteinbock nicht mehr. Im Jahre 1650 schlug ihm auch in diesem Gebiet die letzte Stunde. Erzbischof Johann Ernst von Salzburg ließ in den Jahren 1694 -1700 im Zillertal 13 Böcke, 14 Geißen und 23 Kitze fangen, um sie in Gehegen zu halten und regelrecht zu züchten; aber auch dieser Maßnahme war kein Erfolg beschieden. Der Salzburger Erzbischof hat daher zwischen 1712 und 1720 seine zum Schutze des Steinbockes angestellten sechs Jäger entlassen. Sie hatten nichts mehr zu bewachen! Der Jagdliteratur sind Klagen darüber zu entnehmen, daß „die Pauern iezo mit Feuerpüxen” wildern und daher die Zahl des Steinwildes ständig abnehme.
Es müssen aber die Bemühungen um die Wiedereinbürgerung des Steinbockes weitergeführt worden sein. Im Jahre 1772 hat der Salzburger Erzbischof Hieronymus ein Mandat erlassen, in dem es hieß, wer einen Steinbock, „welche mit so großen Kosten, Mühe und Sorgfalt hierlands wieder eingeführt worden”, schieße oder fange, solle auf 10 Jahre in Hohenwerfen eingesperrt werden und an jedem Jahrestag der Tat 50 Prügel erhalten. Selbst diese brutale Strafandrohung konnte den Steinbock in Tirol nicht mehr retten. Ja, sogar in den Gehegen war er nicht sicher. Die aus der Schweiz eingeführten und im Heilbrunner Park (Kaiserschloß) eingesetzten Tiere hatten sich bis zum Jahre 1802 schon auf 12 Köpfe vermehrt, dann wurden sie von Franzosen, die Salzburg besetzt hatten, einfach erschossen.