Das Hotel Luitpold, nachdem es von der Besatzungsmacht aufgegeben und vom Markt Oberstdorf zum Abbruch erworben worden war.
Ein Zeitdokument des Oberstdorfer Fremdenverkehrs aus den zwanziger Jahren
Vor fünfzig Jahren führte uns unser Schulweg an der Hauptfront des Parkhotels Luitpold vorbei. Staunend, ja ehrfurchtsvoll sahen wir die gutgekleideten Damen und Herren hinter den großen Scheiben des Speisesaals sitzen. Die großen Kristallüster, in denen sich das Licht tausendfach brach, waren für uns ein besonderes Markenzeichen der „großen Welt”. Wer mag wohl soviel Geld haben, um sich einen solchen Luxus leisten zu können? So dachten meine Schulfreunde und ich. Wir unterhielten uns öfter darüber.
Etwa 40 Jahre später beschäftigte mich die Frage nach Herkunft und Rang der Luitpold-Gäste wieder. Ein zweifellos vorhandenes Gästebuch könnte darüber Auskunft geben. Doch, wo war dieses Dokument geblieben?
Das einstige Nobelhotel, auf dessen Parkgrundstück heute die Oberstdorfer Kurhäuser stehen, war ja 1960 abgebrochen worden, nachdem es 1953 die Marktgemeinde erworben hatte. Der einstige Vorbesitzer, Dr. Otto Boeckner, ist 1956 ohne direkte Nachkommen verstorben. Wo sollte mit dem Suchen nach dem Buch begonnen werden? Wie so oft spielte auch hier der berühmte »Kommissar Zufall« die entscheidende Rolle, als mir eine ehemalige Angestellte des Hotels sagte, daß die frühere Haushälterin des Dr. Boeckner möglicherweise mehr wissen könnte.
Der Name der Frau war bekannt, jetzt brauchte ich sie nur noch „irgendwo im Niederbayerischen” ausfindig zu machen. Als ich endlich die Wohnung wußte und ein Brieflein dorthin unterwegs war, freute ich mich ob meines Erfolges.
Die Antwort war ernüchternd und doch auch ein wenig ermutigend. Die gute Frau weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ihr Bruder hatte aber einige Sachen, die Dr. Boeckner seiner langjährigen Angestellten hinterlassen hatte, im Besitz. Nach einem längeren Briefwechsel bekam ich eine Aufstellung der Luitpold-Hinterlassenschaften. Zu meiner großen Freude befand sich darunter das Gästebuch. Sofort ging wieder ein Brief in das niederbayerische Städtchen ab, um einen Termin für eine dortige Besichtigung zu bekommen.
Tage, Wochen vergingen. Ich wollte nicht drängen. Doch als Monate ins Land gezogen waren, schrieb ich erneut. Da erhielt ich den Anruf einer jungen Frau, der Tochter meines Briefpartners. Diese teilte mir den Tod des Vaters mit und - daß alle Gegenstände des Luitpold-Hotels an verschiedene Erben gegangen waren. Die weiteren Nachforschungen ergaben, daß mein Briefpartner auf dem Rückweg von der Post (höchstwahrscheinlich hat er da den Brief an mich aufgegeben) vom Herztod ereilt worden war. Das Gästebuch hatte dessen Erbe an den Antiquitätenhandel verkauft. Von hier ab waren alle Versuche, den weiteren Weg des Buches zu erforschen, erfolglos. Ich war sehr enttäuscht, kurz vor dem Ziel ein so wertvolles Stück nicht erhalten zu haben.
Doch, „kommt Zeit, kommt Rad(t)”, meinte der türkische Gastarbeiter, als er frohgelaunt den Diebstahl seines Fahrrades bei der Polizei meldete. Auch für mich arbeitete die Zeit.
Mehr als ein Jahr war vergangen, als mich ein mir bekannter Stadtarchivar anrief und mir sagte: „Das wäre doch was für Sie. In München, im Antiquariat XY, wird das Gästebuch des Hotel Luitpold aus Oberstdorf versteigert. ” Der Museumsausschuß kam extra zusammen und beschloß, daß trotz der angespannten Haushaltslage - der große Umbau war gerade beendet - das Buch ersteigert werden sollte. Toni Köcheler fuhr für das Museum nach München und erstand das Objekt. Den nicht unerheblichen Betrag mußte er aus eigener Tasche vorfinanzieren, weil im Museumsgeldbeutel gerade Ebbe herrschte. Wie schon öfter vorher griff der Verschönerungsverein dem Museum unter die Arme und erwarb das vom Museum „zwischenfinanzierte” Zeitdokument. So geschah, daß nun in dem Buch ein Blatt eingeklebt wurde, auf dem es heißt:
„Vom Verschönerungsverein Oberstdorf e.V. erworben und dem Heimatmuseum Oberstdorf als Geschenk übergeben. Im Jänner 1985.”
Soviel zum Erwerb des 34 × 24 cm großen und 605 Seiten umfassenden Stückes.
Dem Innentitel, »Das Buch der Gaeste«, ist ein Aquarell der Höfats vorangestellt, das kein geringerer als der bekannte Allgäuer Maler Eugen Ludwig Höß gefertigt und signiert hat (siehe Umschlagbild). Diesem Künstler begegnen wir noch öfter in dem Buch. Seiner Vorliebe, Rehe, Hirsche usw. schräggestellt von hinten darzustellen, trug Eugen Ludwig Höß neben Ehren auch den Spitznamen »Reahfidlesmolar« ein. Von künstlerischer Hand gestaltet sind auch die Seiten 19 und 20 des Buches. Mit Frakturschrift schildert uns der Schreiber den Verlauf eines großen Fasnachtsballes im »Luitpold«:
„Ist aber etliche Tag / ehe man des frohen Carneval Abscheiyden beklagte / eyn gross Spectaculum / auch Mummenschanz / gewest in dieses Hauses Hallen. // Seynd sie hiezu in hellen Hauffen kommen geloffen / Männleyn auch Weybleyn / in gar lustiger Mummerey. //
Insonderheyt des Dorfes Jungleut / seynd bereits zu früher Stund gezogen kummen mit eytel Frohsinn / Juchtzen auch Musicieren. // Ist sodann Volk in Scharen // angestanden // bis zu deß Kirch = Hofes Mauern / sintemal und alldieweyl eyn grausamber Landsknecht / auch Thorhüter selbige nur humpelweys hatt eyngelassen zu des Hausses Gemächern. // Stunden allda Reych und Arm / Herr und Knecht / eynträchtichlich als eyne frohe Festgemeynde / bis sie auch innen waren. //
An die 600 Leut / darunter auch nit wenig Haus= und Kurgast / han sich wacker tummblet / etliche in dem Saal / so man den weißen genennet / etliche in derer Jagd Saal / Andere hingegen in der newen Hall / so durch derer Oberstdorffer Meyster benebst Gesollen Kunstfertigkeyt eyn gar ansehnlich Schawstueck geworden / Andere / und solche mit vornehmblicher Ergötzung / in derer Stuben / so man Bräustübleyn benennet / feyn säuberlich mit Guirelanden / Malereyen / fürtrefflichem Broihen auch weyssen Würsten auss = staffieret. // Der Festgemeynde fröhlichste Parthey aber drängte sich in derer Schwemmen / allwo manniglich des Leibes Bürde auff großmächtigen Bierbantzen geruhsam bettete. // Nachdeme der ansonsten ohngemeyn fleyssig Historyenschreyber Vorbemeldeten Bericht so weyt verübet / ist er Gottesjämmerlich faul worden und zeyget Männiglich zum Schlüsse nur noch von deme Mummenschantz Eyn Conterfey.”
Ob nun diese Zeilen von Eugen Ludwig Höß sind oder von dem damals in Oberstdorf ansässigen Edwin Henel, von dem auf Seite 7 eine Federzeichnung zu sehen ist, weiß ich nicht zu sagen. Geschehen ist das alles nach Weihnachten 1921.
Das auf Seite 11 abgebildete Skiläuferpaar (Aquarell von Magda Grosse) ist eine Karikatur, insbesondere was die „Ausladung” der mit Breecheshosen angetanen Sportlerin betrifft.
Wenige Wochen später beherbergte das »Luitpold« den englischen Politiker Ernest N. Bennet und Frau Marguerita. Captain Bennet, der in Großbritannien gegen den Friedensvertrag von Versailles (1919) kämpfte, schrieb ins Gästebuch:
„Der ungerechteste und brutalste Friedensvertrag der Weltgeschichte hat von Deutschland viel weggenommen; aber das wertvollste von ihrem National Eigentum, ihr geduldiger und ausdauernder Geist, kann Man nicht zerstören, und dieser wird in nächster Zukunft Deutschland’s Grösse und Wohlstand wieder herstellen.”
Der Schriftsteller Waldemar Bonsels, dem wir unter anderem die »Biene Maja« verdanken, wohnte im Juli 1922 im »Luitpold«.
Gui-ji Dschung und Dr. Maria Dschung aus Shanghai dürften im Sommer 1922 noch für ein gewisses Aufsehen in Oberstdorf gesorgt haben.
Das große Tanzturnier am 20. August 1922 sah Lotte Köhler und Lothar Hellmann - beide aus Berlin - als Sieger.
„Es wär’ so schön gewesen, es hat nicht sollen sein,
Wir hatten immer Regen und ausserdem war ich allein!”,
schrieb H. Schmitz aus Düsseldorf im September 1922 ins Buch. Ob der Regen auch gestört hätte, wenn die Lady nicht allein gewesen wäre?
Im Oktober des gleichen Jahres muß das Hotel ziemlich leer gewesen sein; denn man beherbergte dort 20 Mann Einquartierung. Aus den verschiedenen Standorten Deutschlands (Lindau, Kempten, Dresden, Freiberg in Sachsen, Görlitz/Schlesien, Passau, Hirschberg/Schlesien, Bayreuth) stammten die Soldaten, die hier an einer Hochgebirgsübung teilnahmen. Auffallend ist dabei, daß es sich ausschließlich um Mannschaftsdienstgrade handelte.
Nachdem der militärische „Zirkus” vorbei war, spannte im »Luitpold« das Ehepaar Hagenbeck, Chefs des berühmten gleichnamigen Zirkusunternehmens aus Hamburg, aus.
Wie sehr die fortschreitende Inflation die Gemüter belastete, zeigt der Schluß des Gedichtes „Sylvester 1922”:
„. . . So freut Euch, liebet und hoffet aufs best,
Der Dollar, das Scheusal wird enden das Fest!
Dr. A. Zoellner, Direktor der Rosenthalfabriken aus Köln”
Eine Reihe von Gästen reiste in den Monaten Januar und Februar 1923 vorzeitig ab, um daheim nach dem Rechten zu sehen. Franzosen und Belgier waren im Rheinland einmarschiert.
Neben dem Geldadel stiegen auch Mitglieder „Alter Häuser” im »Luitpold« ab. Anfang 1923 war für einige Zeit Viktoria Prinzessin Adolf zu Schaumburg-Lippe, Prinzessin von Preußen, wohnhaft.
Die Besetzung von Saar und Ruhr schlug auch im Gästebuch des Hotels Wellen. Parolen, die wohl auch zur Selbstaufmunterung gehörten, wie „Wir Deutsche an der Saar denken deutsch und bleiben deutsch”, finden sich immer wieder und weisen auf die Probleme der besetzten deutschen Gebiete hin.
Glücklicherweise hat ein „Schriftgelehrter” zumindest die Namen ins Deutsche übersetzt, sonst wüßte ich nicht, daß Herr und Frau Saiki aus Tokio im Juni 1923 im »Luitpold« wohnten.
Zur Auflockerung und Abwechslung hat Edwin Henel ein ganzseitiges Aquarell, eine Partie aus dem Oberen Markt, in das Buch gemalt. Wenige Seiten später findet sich vom gleichen Künstler eine Tuschzeichnung: Zwei Personen, jede unter einem Regenschirm, und dazu der Text: „Baden Baden hat seine große Woche, Oberstdorf seine Regenwoche.”
Ganz selbstredend ist, daß viele Eintragungen neben Namen auch Beruf und Titel des Gastes aufzeigen. Auch die Damen schmückten sich gerne mit den Titeln des Herrn Gemahl. Es ist also nicht die Kirche der Zeit voraus gewesen, als da eine Frau Pfarrer angeführt war. Auch war die Reichswehr unserer Bundeswehr in puncto „Frauen in Uniform” nicht voraus, wenn da eine Frau Rittmeister oder eine Frau Major auftaucht. Der Titel des Mannes öffnete manche Türe (heute nicht mehr?).
Elisabeth Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz, geb. Prinzessin von Anhalt, weilte im Juli 1923 auch im »Luitpold«. Begleitet war Ihre kgl. Hoheit von ihrer Hofdame, Magdalena Gräfin Schuprinitz. Ein Generalmajor a.D., mit nicht entzifferbarer Unterschrift, gehörte anscheinend zum Hofstaat. Mit großer Vorliebe wurden ehemals innegehabte militärische Dienstränge dem gegenwärtigen Beruf hinzugesetzt. Da schrieb sich z.B. ein: „Dr. Bechers, Marine Oberstabsarzt a.D., Arzt in Mönchen Gladbach.”
Graf und Gräfin zu Eulenburg mit weiteren Familienmitgliedern verbrachten „vom 26. I. bis 14. II. [1924] herrliche Wochen” im »Luitpold«. Dr. Philipp Graf zu Eulenburg war Legationsrat bei der ehemaligen preußischen Gesandtschaft am bayerischen Königshof.
Am 21. Juni 1924 sollte ein Radioapparat mit „schönem schwarzem Schalltrichter” die neugierig in der Hotelhalle wartenden Hausgäste unterhalten. Aber - verfluchte Technik! Außer Meeresrauschen und Spesen nichts gewesen!
Dr. Hugo Eckener, der berühmte Luftschiff-Pionier, läßt einem Kurzurlaub vom Juli 1924 noch weitere Aufenthalte folgen.
„Wir werden noch oft Heimweh bekommen nach den herrlichen Bergen Oberstdorfs und nach dem gastlichen ,Luitpold’!”,
schreibt Dr. Ernst Mangold, Rechtsanwalt und Direktor der Firma Henschel & Söhne GmbH, Cassel, als er mit seiner Frau Lisa Urlaub macht.
Ein bekannter Mann aus der Flugtechnik, Anton Flettner, verbringt mit Frau und Tochter hier geruhsame Tage. Flettner, der Konstrukteur der Hubschrauber für die Deutsche Wehrmacht, hat nach dem Krieg in Amerika Helikopter für Schwerlasten entworfen.
Ein Mann der Geisteswissenschaften, Max Dessoir, Professor für Ästhetik und Philosophie an der Universität Berlin, schrieb am 22. August 1924 ins Gästebuch:
„Wenn einmal der Grad eines Dr. hospitalitatis geschaffen werden sollte, jener schweren scientia amabilis der Beherbergung und Bewirtung, die nur von wenigen beherrscht wird, dann muessen ihn Dr. jur. Boeckner und Dr. med. Reichenbach ehrenhalber erhalten.”
Auf Seite 215 ist ein Foto in das Gästebuch eingeklebt, auf dem eine Reihe von geschmückten Schlittengespannen zu sehen ist. Unter dem Bild steht:
„Anfahrt der 35 Schlitten zur Luitpold-Schlittenfahrt.”
Unter den Fahrgästen war vermutlich auch der Tenor Heinrich Rehkemper und seine Frau Fräni, zumindest befand sich das Ehepaar zu der Zeit im »Luitpold«. Der Romanschriftsteller Walter Bloem („Der krasse Fuchs”, „Der Weltbrand”, „Das jüngste Gericht” u.a.), der mit der Goethemedaille ausgezeichnet wurde, weilte mit seiner Frau Judith ebenfalls im Hotel.
Es sieht fast so aus, als habe es im »Luitpold« eine Art von Künstler-Stammtisch gegeben. Eugen Ludwig Höß, Edwin Henel u.a. scheinen dort öfter als Gäste gewesen zu sein. Eine Bleistiftzeichnung „Dame mit Hut am Fenster” von Eric Curry beweist, daß dieser Maler in diesem Hause verkehrte. Auch Maximilian Schels, ein damals in Oberstdorf lebender Maler, hat sich mit einem Aquarell (Skiläufer) im Gästebuch eingetragen. Der Sonthofener Maler Ernst Ziegelmeier hat sich ebenfalls mit einem Aquarell (Hinang mit Oberstdorfer Bergen) in dem Buch verewigt.
Mit Staatssekretär Kempen ist auch die Politik der zwanziger Jahre in dem Buch vertreten.
„Ich glaube an Gott,
Ich glaube an mein Vaterland,
Ich glaube an die Auferstehung Ungarns.
E. Y. Kapuka Demivin, kgl. ung. Oberstleutnant”
steht unter dem 6. Februar 1926 im Buch, in dem auch einige Male der in der Finanzwelt bekannte Name Rothschild auftaucht.
Reichswehroffiziere von der Truppe und aus dem Ministerium kommen im Rahmen einer Nachschubübungsreise nach Oberstdorf ins »Luitpold«. Unter den vielen Namenszügen fällt eine Unterschrift besonders auf:
„Paulus, Hauptmann im Generalstab des Artillerie-Führer V.”
Paulus war 1943 als Generalfeldmarschall Kommandeur der 6. Armee, die in Stalingrad eingeschlossen wurde.
Nach soviel Militär zurück zu den „Zivilisten”: Der Komponist Richard Strauss weilte im August 1926 im »Luitpold«, wo mit
Fürst und Fürstin Quadt auch der Hochadel wieder Wohnung nahm.
Der Münchner Maler Ernst Zimmermann-Gleissenthal hat mit einem ganzseitigen Ölbild das Gästebuch verziert. Wie viele andere, so erscheint auch sein Name bald wieder auf späteren Buchseiten. Oberregierungsrat Beermann aus Hannover stimmte in das Loblied vieler Gäste mit folgendem Vers ein:
„Gäbe es im Luitpold ein Beschwerdebuch,
um Wünsche und Ärger hineinzuschreiben,
So wüßte ich eines sicher genug,
Das Buch würde unbeschrieben bleiben! ”
„Hoffentlich darf ich recht bald wieder einmal im schönen ,Luitpold’ in Oberstdorf wohnen”,
setzte die Opernsängerin Erna Krüger hinzu.
Ein Foto, das einen würdigen älteren Herrn im Oberstdorfer Kurpark zeigt, ist unterschrieben:
„Dr. Johannes Horion, Landeshauptmann der Rheinprovinz.”
Ob da evtl, über Politik gesprochen wurde, als Herr Dr. h.c. Ernst von Richter, Preußischer Staats- und Finanzminister, Mitglied des Preußischen Landtages und der Präsident des Senats der Hansestadt Hamburg, Dr. Petersen, mit Gemahlinnen, im »Luitpold« weilten? Oder ob sich der Herr Minister evtl, mit dem Juristen Dr. Pundt, Direktor der AG für Verkehrswesen in Berlin, unterhielt? Wenn man weitere Namen dieser August- und Septembertage 1927 im Gästebuch liest, drängt sich der Gedanke eines geheimen Politikertreffens auf: Heinrich von Haimhausen, Reichsgesandter in Bayern; Kayser, Ministerialrat, Berlin; und letztlich Geheimrat Dr. Alfred Hugenberg, ehemaliger Generaldirektor der Krupp-Werke, Mitglied der Nationalversammlung, Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), ein Mann mit großem Einfluß auf die Presse und maßgeblich bei der Universum-Film-AG (Ufa) beteiligt - später war er Wirtschaftsminister.
Gleichzeitig weilte der Präsident des Rechnungshofes des Deutschen Reiches, Staatsminister a.D. Saemisch, im »Luitpold«. Um die illustre Gesellschaft zu erweitern, hat auch Direktor Dr. Bernhard Heymann, einer der führenden Männer der I.G. Farbenindustrie, Leverkusen, im gleichen Hause Aufenthalt genommen, wo bereits neben den schon erwähnten Herrschaften Bruno von Mudra, General der Infanterie a.D., ehemals kommandierender General des 16. Armeekorps, wohnte. Alles Zufälle? Oder wurde im »Luitpold« auch Politik gemacht?
Der Adel war wieder unter sich, als die Prinzen Christoph und Richard von Hessen, zusammen mit Berthold Prinz von Baden, hier weilten. Bei der Wahl der »Winterkönigin« 1927/28 errang Frau Siri Ragnhild Wahl, geb. Gräfin Trampe, aus Berlin, die Krone. Das Gästebuch gibt auch Auskunft über die glanzvollen Bälle und die Entscheidungen bei den Maskenprämierungen. Was da an Kostümen aufgeboten wurde, das zeigen die Bilder, war schon große Klasse.
Eine „Übungsreise” des Reichswehrministeriums bringt dem Hotel wieder Einquartierung vom 22. bis 25. Juni 1928. Drei Namen, die später noch Geschichte machen sollten, stechen aus dem Eintrag der Offiziere hervor: „Graf Geyr von Schweppenburg, Major, 1 A 3. Kav. Div.” - später Militärattache an den deutschen Botschaften in London und Brüssel; „W. List, Oberst, RWM” - der spätere Generalfeldmarschall Wilhelm List wurde im Nürnberger Prozeß zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Weiter enthält das Gästebuch in Zusammenhang mit der „Übungsreise” ein Foto des Oberstleutnants Jodl. Der spätere Generaloberst Alfred Jodl Unterzeichnete am 8. Mai 1945 in Reims auf deutscher Seite die Kapitulationsurkunde. Jodl wurde im Nürnberger Prozeß zum Tode verurteilt.
In das Gästebuch sind drei zusammengehörige Fotos eingeklebt: Das erste zeigt eine südländische Landschaft. Im zweiten Bild ist im linken und rechten Bilddrittel noch die Landschaft zu sehen, während in der Bildmitte bereits der unbekleidete Oberkörper eines jungen Mannes und eines Mädchens sichtbar wird. Das dritte Bild - von der Übermalung gänzlich befreit - zeigt schließlich das Gemälde „Venus und Adonis” von Alessandro Varotari, gen. II Padovanio (1590 - 1650) aus der Tizian-Schule. Das Ölbild war zur illegalen Ausfuhr aus Italien übermalt worden und hing nach Wiederherstellung dann im Speisesaal des Hotels Luitpold.
Mit einem Handzettel wies die Hotelleitung auf die Faschingsbälle des Hotels hin. Für heutige Verhältnisse ist es fast unvorstellbar, daß für eine solche Anzahl von sicherlich sehr kostspieligen Veranstaltungen entsprechende Besucher kamen:
„Samstag 12. Jan.: ,Bunte Nacht’
Samstag 19. Jan.: ,Ein Fest in Sevillia’
Mitw. 23. Jan.: Großer Kurball
Samstag 26. Jan.: ,Blüten des Ostens’
Samstag 2. Febr.: ,Indisches Fest’
Sonntag 3. Febr.: Große Luitpold-Schlittenfahrt
Samstag 9. Febr.: Faschings-Hausball
Sonntag 10. Febr.: nachm. Kostüm. Kinderfest
Sonntag 10. Febr.: abds. Faschings-Redoute
Montag 11. Febr.: Rosenmontagball
Dienstag 12. Febr.: Faschings-Kehraus.”
Fotos von diesen Bällen zeigen, daß die Gäste in hervorragenden Kostümen erschienen sind.
Auf Seite 547 des Buches ist folgende Pressenotiz eingeklebt:
„In Oberstdorf finden zur Zeit Verhandlungen zwischen den beteiligten Ministerien Deutschlands, der Tschechoslovakei und Österreichs statt. Gegenstand der Verhandlungen, die ein befriedigendes Ergebnis versprechen, ist die Vereinbarung leichterer Bestimmungen zwischen den genannten Staaten für gewisse Arten von Gütern, deren Beförderung auf der Eisenbahn nur bedingungsweise zugelassen ist. - Vorsitzender der Konferenz ist Ministerialdirektor Vogel vom Berliner Reichsverkehrsministerium. An der Spitze der oesterreichischen Delegation steht Sektionschef Pöschmann vom österreichischen Bundesministerium für Handel und Verkehr. Die tschechische Delegation wird von Sektionschef Dr. Lankas vom Eisenbahnministerium in Prag geführt. Die Delegationen sind im Parkhotel Luitpold abgestiegen, wo auch die Verhandlungen stattfinden.”
Besonderen Gefallen an der tagtäglich durchs Dorf ziehenden Geißherde scheint ein Gast gefunden zu haben. Ein Foto der Geißen vor dem »Sonnenkeller« ist ins Buch eingefügt und unterschrieben mit:
„Heinrich Pauli, Regierungspräsident a.D., Potsdam.”
Das Foto einer hübschen Japanerin im Kimono ist mit japanischen Schriftzeichen unterschrieben und (glücklicherweise) mit lateinischen Buchstaben wiederholt: „Tsuyoshi Ogura, Tokio Japan, 12. 7. 1929”.
„An einer Stätte, deren seltene Lieblichkeit zu schauen meinem geliebten Sohn nicht mehr vergönnt gewesen, habe ich nach langem Kranksein Ruhe und Erholung gefunden, werde stets dankbar der Tage gedenken, welche ich in dem schönen und wahrhaft behaglichen Hotel Luitpold verleben durfte. Oberstdorf, 22. VII. 1929, Elsbeth Freifrau von Hünefeld.”
Freifrau von Hünefeld war die Mutter des als Atlantik-Flieger bekanntgewordenen Günther Freiherr von Hünefeld (gest. 1929), der zusammen mit Hermann Koehl und dem Iren J.C. Fitzmaurice mit der Junkersmaschine »Bremen« 1928 erstmals den Ozean von Ost nach West überquert hat.
Otto Schumann aus Köln verewigte sich mit einem Gedicht auf die in Bau befindliche Nebelhornbahn und spielte insbesondere auf immer neue Verzögerungen an:
„In Oberstdorf die Schwebebahn
Ist leider noch ein leerer Wahn,
Noch ragen ,träge’ in die Luft
Die ,Träger’ in der roten Kluft.
Ich hätte gerne es erlebt,
Daß diese Bahn auch wirklich schwebt.
Vielleicht bleibt’s mir ein schöner Traum,
Der sanft entschwebt in Zeit und Raum.
Zwar wird oft gut, was lange währt,
Vielleicht auch diese Bahn bald fährt!
Ein Sprichwort sagt: kommt Zeit, kommt D-rath:
Das Fahrgeld halt ich schon parat.
Ich halte treu zu der Idee:
Des Nebelhornes steile Höh’
Erhält den rechten Reiz erst dann,
Wenn man per Bahn sie meistern kann.
Und stürb’ ich auch darüber hin,
der frohen Zuversicht ich bin,
Daß einst mein Enkel es erlebt,
Daß er am ,Nebelhornseil schwebt.”
Würde man sich noch mehr Zeit nehmen, um die oft äußerst schwer lesbaren Unterschriften in dem Gästebuch weiter zu entziffern, käme da und dort sicher noch manch interessanter Name zum Vorschein. Doch lassen wir es bei den „Entschlüsselten”. Man sieht daraus, Oberstdorf hatte schon in den zwanziger Jahren einen guten Ruf als Kurort.
Für Nörgler und Jammerer steht auf der letzten Buchseite neben eingeklebten Inflations-Geldscheinen ein mahnendes Wort:
„Vergeßt es nicht!
Im Jahre 1923 kostete in Oberstdorf eine Bratwurst am 29. August 2 Millionen Mark
am 6. September 10 Millionen Mark
am 28. September 50 Millionen Mark.
Wenn Euch die Gegenwart nicht gefällt, so denkt an diese Zeit.”