Oberstdorf vor 100 Jahren

von Eugen Thomma am 01.06.1991

1890

  • Der Alpenverein läßt verlauten, daß 1889 im Waltenbergerhaus 172 (115) Personen übernachtet haben. Das Prinz-Luitpold-Haus besuchten 90 (59) Personen (in Klammern die Vorjahreszahlen).
  • Am 18. Januar werden in der »Sonne« Weiden der Sennalpen Söller, Schlappold und Warmatsgund sowie der Galtalpe Bierenwang verpachtet.
  • „Das Atelier ist Sonntag und Montag für Porträtaufnahmen geöffnet”, verkündet der Fotograf Otto von Zabuesnig, dessen Geschäft in einem Kiosk an der Ecke Weststraße / Luitpoldstraße untergebracht war.
  • „Briquettes, sächsische beste Qualität 100 Stück 1 Mark”, werden hier von der Firma F.X. Hermann aus Immenstadt angeboten.
  • Das kgl. Bezirksamt in Sonthofen veröffentlicht die Termine der „thierärztlichen Grenzkontrollen”. Danach dürfen an der Walserschanze im September und Oktober jeden Dienstag, im November bis Mai jeden zweiten Dienstag dem an der »Schanz« residierenden „Controll Thierarzt” Tiere zur Grenzkontrolle (Gesundheitszeugnis) vorgeführt werden. Im Juli und August darf nur ausnahmsweise Nutz- und Zuchtvieh, „das der braunen, gelblichen, grauen Gebirgsrace” angehört, eingeführt werden.
  • Zwischen Sonthofen und Oberstdorf verkehren täglich vier Zugpaare der Localbahn AG (LAG). Die Fahrzeit beträgt rund 50 Minuten.
  • Wie ein Zeitungsinserat ausweist, schlägt die Fasnacht in Oberstdorf hohe Wellen: „Oberstdorf: Telegraphischen Berichten zufolge werden am Gumpigen Donnerstag Nachmittag 1 Uhr auf dem Marktplatz die hier angesiedelten Congo-Indianer-Truppen unter dem Häuptling Tupak-Amunu von den Europäern angegriffen, jedoch letztere nach heftigem Kampf besiegt und nach dortiger Landessitte durch Verbrennung am Pfahl auf barbarische Weise zu Tode gemartert. Während der Verbrennung: Nationaltanz der Wilden. Musik von der Capelle D’chindera Bumm. Hierauf großer Suff im Löwen.”
  • Der „Neue Liederkranz” verabschiedet seinen Vorstand, Tierarzt Josef Brutscher, der, gemäß einem Beschluß des Distriktsrates, neuer Distrikts- und Controlltierarzt in Weiler wird. Bratscher erwarb sich große Verdienste um die Allgäuer Tierzucht.
  • Bei der Wahl zum Deutschen Reichstag hat Oberstdorf 1812 Einwohner. Die rechtsgerichtete Zentrumspartei wirbt mit einem dreiseitigen Inserat und der Parole: „Das Allgäu muß wieder unser werden!” In Oberstdorf stellen sich öffentlich hinter diese Forderung: Pfarrer Alois Heinle, Holzhändler Johann Gschwender, Historienmaler Claudius Schraudolph, Kaufmann Franz Sales Gschwender, Schneidermeister Claudius Rietzler, Wagnermeister Adolf Tauscher und die Ökonomen Johann Bratscher, David Berktold und Rupert Berktold.
  • Die hier sehr starke Liberale Partei stellt diesen gegenüber: Bürgermeister Ludwig Vogler, Beigeordneten Johann Huber, Kaufmann und Standesbeamten Ludwig Gschwender, Gastwirt Leo Becherer, Schmiedemeister Michael Hochfeichter, Bäckermeister Thomas Geißler, Zimmermeister Leonhard Huber, Ludwig Jäger, Alois Kappeler, Michl Rietzler, Thaddä Schugg, Josef Titscher, Bevollmächtigten Jos. Ant. Vogler, Pfannenschmied Michl Besler, Ökonom Jos. Ant. Brutscher, Schreiner Josef Buchenberg, Schreiner F. Dünßer, kgl. Zollverwalter J. E. Frenzl, Karl Fischer, Ökonom Johann Fischer, die „Fabrikanten” Fritz und Hans Gschwender, Mechaniker F. X. Geißler, Bäcker Ludwig Geißler, Betriebsleiter Heimhofer (LAG), Revisionsaufseher Georg Hofmann, Aufseher Andreas Hartig, Ökonom Alois Huber, Melchior Jauß (Gasthof Sonne), Tapezierer Max Jäger, Mühlenbesitzer Johann Koch, Schuhmacher Timothäus Kappeler, Aufseher X. Kremhelm, Spediteur Ludwig Leising, Löwenwirt Ottmar Lautenschlager, Schuhmacher Moritz Math, Metzger Jakob Maier, Schreiner Heinrich Müller, Apotheker Friedrich Prögler, prakt. Arzt Dr. Ulrich Reh, Waagmeister Augustin Rietzler, kgl. Förster Josef Schwarzkopf, Gastwirt Franz Sieber, Stationsführer Ludwig Traber, Schuhmacher Josef Thannheimer, die Ökonomen Anton Übelhör und Alois Vogler, die Schlosser Josef und Ignaz Zobel, Gastwirt Urban Jochum von Birgsau und Gastwirt und Bergführer Joh. Bapt. Schraudolph von Einödsbach.

Die Wahl brachte folgendes Ergebnis:

LiberaleZentrum
Oberstdorf224(252)155(154)
Tiefenbach38(39)30(44)
Schöllang34(39}96(99)

Die in Klammern gesetzten Zahlen stammen von der Wahl 1887.

  • Etwa 50 Immenstädter Geschäftsleute geben durch ein Inserat bekannt, daß sie „an gewöhnlichen Sonn- und Feiertagen von 5 Abends an ihre Verkaufslocale schließen”. Die Regelung, die ab 1. März gilt, wird acht Tage später von 36 Sont- hofener Geschäftsleuten übernommen.
  • Spitze Zungen hatten anscheinend unwahre Parolen in Umlauf gebracht. Xaver Geißler setzte sich mit folgendem Artikel zur Wehr: „Erklärung: Das in Sonthofen verbreitete Gerücht, der kgl. Hoflieferant und Commandant der dortigen Feuerwehr, Herr Magnus Schraudolph, hätte dem Unterzeichneten den Befehl erteilt, die bestellte neue Spritze dürfe vor dem 1. April nicht fertig gestellt und geliefert werden, beruht auf vollständiger Unwahrheit, ich wurde von demselben schriftlich wie mündlich um recht baldige Lieferung besagter Saugspritze gebeten, was jedoch wegen zu großer Geschäftsüberbürdung und Nichtlieferung von auswärts bestellter Materialien und Zubehör verzögert wird.
    Franz Xaver Geißler, Mechaniker und Spritzenfabrikant, Oberstdorf’
  • Franz Sieber verkauft den »Löwen« an Ottmar Lautenschlager, der aber nur noch den Gasthof führt und die althergebrachte Brauerei aufgibt. Bei der Neueröffnung spielt die Oberstdorfer Musikkapelle.
  • Die Localbahngesellschaft verbucht für das Jahr 1889 Einnahmen in Höhe von 67.946,17 Mark, denen Ausgaben von 30.040,75 Mark gegenüberstehen.
  • Stark diskutiert wird auch hier in der Bevölkerung die Ablösung des Reichskanzlers Fürst Bismarck und die Berufung seines Nachfolgers Leo von Caprivi.
  • Für „die sensationelle, die Welt in Staunen versetzende Sprechmaschine”, Edisons Phonograph, wird auch in Oberstdorf Werbung gemacht. Die Vorstellung erfolgt „im Saale zum Hirsch in Immenstadt von Sydney Hardy aus London”. Die sensationelle Sache hat auch sensationelle Preise: Ein reservierter Platz kostet 1 Mark und der Stehplatz 60 Pfennig.
  • Am 26. April werden im »Hirsch« die Sommermilchen für 1890 versteigert. Interessant sind dabei die Zahlen, wie die Alpen beschlagen waren:
Schlappold92 KüheVordere Seealpe56 Kühe
Warmatsgund90 KüheSöller53 Kühe
GerstrubenerAlpe60 KüheKrautersalpe50 Kühe
Dietersbach56 KüheBreitengeren40 Kühe
  • Der Milchpreis beläuft sich auf 120 bis 126 Mark je 1.000 Liter.
  • Am 24. Mai wird nach einem Gottesdienst in der Marienkapelle die neurenovierte Appachkapelle wieder benediziert.
  • Der Turnverein Augsburg unternimmt eine zweitägige „Gebirgsturnfahrt” (Bergwanderung) nach Oberstdorf.
  • Mit Flötenspiel, Gesang, Böller und Bergfeuerwerk beginnen am Abend des Pfingstsonntags etwa 60 Personen mit der Eröffnung des Nebelhornhauses. Am folgenden Tag steigen etwa 300 Festgäste bei feuchter Witterung zum Nebelhorn auf. Neben Vorstand Edmund Probst war Bürgermeister Vogler einer der vielen, vielen Festredner, als es gegen Mittag doch aufklart. Die Oberstdorfer „Blechmusik” und der Liederkranz umrahmen die Feier, die abends in Oberstdorf im Gesellschaftshaus ihren Ausklang findet.
  • Die bisherige »Bahnrestauration« wird erstmals unter dem Namen »Gasthof zum Stern« genannt, als der „Restaurateur” Fröhlich zu einem Konzert der Oberstdorfer Musikkapelle auf den Fronleichnamstag einlädt.
  • Am 21. Juni erfolgt der Einschlag in die Oberstdorfer Galtalpen.
  • Von Sonthofen aus fährt ein Pferdestellwagen während des ganzen Sommers zu den Passionsspielen nach Oberammergau. Preis 11 Mark.
  • ln Oberstdorf fahren die Stellwagen von der »Sonne« und vom »Mohren« nach Birgsau. Der einfache Fahrpreis beträgt 1 Mark.
  • Beim Waldfest des „Neuen Liderkranz” im Langenwanger Wald spielt die Bataillonsmusik des 1. Jägerbataillons Kempten. „Nachmittag 2 Uhr Abmarsch mit Musik vom Marktplatz. Abfahrt mit der Bahn ab 2 Uhr 26 Minuten. Beginn des Waldfestes 3 Uhr. Während der Abwicklung des Programmes halten alle fahrplanmäßigen Bahnzüge am Festplatze.”
  • Am 15. Juli gibt J. Dannheimer von Spielmannsau bekannt, daß seine neueingerichtete Wirtschaft auch für Beherbergung von Fremden eingerichtet ist.
  • „Anton Klein in Ruben liefert jeden Tag frische Milch nach Oberstdorf und nimmt noch Bestellungen an”, ist im Juli in der Zeitung zu lesen.
  • Wegen „Rutschungen am Altenberg” muß die Distriktsstraße Sonthofen - Oberstdorf für den Fuhrwerksverkehr gesperrt werden.
  • Zwei wichtige Meldungen werden vom Telegraphendienst aufgenommen: Die Equipage Sr. kgl. Hoheit des Prinzregenten ist in Neuhausen mit einen Dampf-Trambahnwagen kollidiert. Der Prinzregent wurde aus dem Wagen geschleudert, blieb aber im Gegensatz zu seinem Adjudanten unverletzt. - Zweite Meldung: Helgoland ist deutsch.
  • Allein am 8. August haben 20 Herren das Nebelhorn bestiegen.
  • Privatbetten kosten in Oberstdorf zwischen 60 Pfennig und 1 Mark. In Gasthöfen liegt der Preis bei 1 Mark.
  • Die Rappenseehütte erhält, fünf Jahre nach dem Bau, außen einen Bretterschirm. Für den Ruheraum werden Federmatratzen angeschafft.
  • Der in Gerstruben als Geißhirt tätige 13jährige Otto Henseler aus Ofterschwang stürzt am 13. August beim Edelweißsuchen an der Höfats tödlich ab.
  • Der Prinzregent kommt am 25. August nach Oberstdorf zur Hirschjagd. Begleitet wird der Regent von seinem Sohn Prinz Ludwig, seinem späteren Nachfolger.
  • Der Bergführer Johann Baptist Schraudolph führt seine 300. Partie auf die Mädelegabel.
  • In der englischen Zeitschrift »The Illustrated News« erscheint ein großer Artikel über Oberstdorf. Gelobt werden die schönen Spaziergänge, die hübschen Wohnungen und die billigen Preise. „Niemand geht vorbei ohne ein herzliches Grüß Gott.” Weiter heißt es: „Die an den verschiedenen Ausflugspunkten gelegenen Wirtschaften sind durchwegs ein Muster von Reinlichkeit und Wirt und Wirtin überaus gefällig und zuvorkommend.” Besonders erwähnt werden noch das Moorbad und das Gesellschaftshaus mit Lese-, Musik,- Spiel- und allgemeinem Gesellschaftszimmer, Kegelbahn usw.
  • Stadtkaplan J. B. Hablitzl aus Memmingen kommt als Vikar des St. Loretto-Benefiziums und als Kaplan nach Oberstdorf.
  • Als Hauptschöffen für den Gerichtsbezirk Sonthofen werden 13 Bürger gewählt. Darunter befinden sich aus Oberstdorf: der Kaufmann Ludwig Gschwender, der Gastwirt Melchior Jauß und der Hammerschmiedemeister Martin Neidhart aus Rubi.
  • Zum Sonthofener Herbstviehmarkt werden ca. 1.900 Stück Vieh aufgetrieben. Die Bahn befördert 60 (!) Waggonladungen Rindvieh in Richtung Norden. Die Viehpreise belaufen sich auf 400 bis 500 Mark für Rinder und Kühe. Für Stiere werden 300 bis 400 Mark und für Schlachtvieh 200 bis 300 Mark pro Stück bezahlt.
  • Die Sennalpen Vorderer Einödberg (34 Kühe) und Ringatgund (28 Kühe) werden vom kgl. Forstamt mehrjährig verpachtet. „In Oberstdorf sind innerhalb einer Woche 5 Personen gestorben, deren Alter zusammengerechnet sich auf 369 Jahre beläuft. Der gute Ruf Oberstdorfs als gesunder Ort erhält durch das nicht vereinzelte Vorhandensein so betagter Einwohner die beste Bekräftigung.” - Ein Schnitt von 73,8 Jahren erschien damals anscheinend noch als Sensation.
  • Der in Oberstdorf geborene und im Ostrachtal tätige Oberjäger Leo Dorn erlegt im Daumengebiet seinen 50. Steinadler. Das brachte Dorn den Titel »Adlerkönig« ein.
  • Um aus dem Führerwesen kein „Führerunwesen” werden zu lassen, trafen sich die Verantwortlichen der AV-Sektionen Allgäu-Immenstadt und Allgäu-Kempten in Oberstdorf, um dort mit der Gemeinde Statuten aufzustellen.

Anmerkung:
Als Grundlage für die Ausarbeitung der Jahreschroniken 1940 und 1890 dienten die entsprechenden Jahrgänge des »Allgäuer Anzeigeblattes« und meine privaten Notizen.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
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