Seine Skulpturen überdauern in Wahrheit und Würde - Der Bildhauer Maximilian Rueß

von Irmtraut Brunk am 01.06.1991

Aus flachem Marmorbecken wächst der achteckige Stamm, gekrönt von einer rosenurnkränzten Madonna. Aus der Mittelachse löst sich ein stummer Reigen von Figuren, Repräsentanten eines Fürstenhauses, umgeben von Symbolgestalten der Lebensalter und der Jahreszeiten. Kein Besucher geht an diesem Brunnen im Ehrenhof des Schlosses Zeil einfach vorbei. Er zwingt förmlich dazu, rundumzugehen, um die Vielfalt und Gliederung der Figuren und das ständig wechselnde Farbenspiel des Wassers auf Bronze mit dem Auge zu erfassen, die Harmonie zu spüren, die der Brunnen an sich und in der gesamten Hofanlage ausstrahlt.

Dieser Familienbrunnen des Hauses Waldburg-Zeil ist das Lebenswerk des Bildhauers Maximilian Rueß geworden, der noch so viel hatte schaffen wollen, immer ein wenig gedrängt von dem Nachholbedarf der durch den Krieg und seine Nachwirkungen für seine künstlerische Entwicklung verlorenen Jahre. Dieser Brunnen, an dem er sieben Jahre lang arbeitete, ist gleichzeitig eines der typischsten Zeugnisse für das handwerklich meisterhafte, künstlerisch sehr eigengeprägte Gestaltungsvermögen und der tief humanen Persönlichkeit Maximilian Rueß’. Unverkennbar ein Werk der Gegenwart, doch zeitlos mit großer Verantwortung eingebunden in die historische Substanz und Verpflichtung des Ortes.

Maximilian Rueß hat als Bildhauer mit allem Material gearbeitet: Stein, Holz, Beton, getriebenes Kupfer, Gips für Bronze. Seine Spezialität wurde jedoch das Schweißen von Kupfer. Ursprünglich experimentierte er damit aus Sparsamkeitsgründen wegen der Aufwendigkeit des Bronzegusses. Das Ergebnis faszinierte ihn jedoch mehr und mehr, weil durch das Verschweißen von Kupferblechen sowohl eine sehr lebendige Oberflächenspannung zwischen glatten und schrundigen Partien möglich war, als auch Plastik selbst viel feingliedriger geformt werden konnte.

Das Runde und Heitere war Maximilian Rueß’ Sache nicht, weder von seinem ernsten, grüblerischen Wesen her, noch von seiner künstlerischen Auffassung. Sein figürliches Werk ist geprägt von einer herben, asketischen Klarheit, seine Menschendarstellungen sind Wissende des Leids im Dasein, der Verletzlichkeit der Seele, der leisen, inneren Dramatik, Schicksal zu tragen. Bei aller Zartheit der Form teilen auch die Figuren des Schloßbrunnens diese meditative Haltung: die Reichstruchsessin und der Kriegsmann zu Pferd, Kardinal und Bischof, selbst die Tiere der äußeren Brunnenfassung - wie im Traum befangen. Diese Fähigkeit zu einer starken Verinnerlichung ließ im Werk des Künstlers nie manieristische oder rein dekorative Züge zu Wort kommen.

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Brunnenanlage Schloß
Zeil bei Leutkirch
1982 - 1989
Bronze und Marmor.

Das Haupt- und Lebenswerk
von Maximilian Rueß

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Detail der Brunnenanlage
Schloß Zeil.

Vorne sitzend:
Otto, Reichserbtruchseß
von Waldburg
(1514 - 1573),
Kardinal, Bischof von Augsburg.

Mitte:
Georg III., Reichserbtruchseß
von Waldburg
(1488 - 1531),
der »Bauernjörg«.

Hinten:
Eberhard von Waldburg
(gest. um 1234), Truchseß.
Er verwaltete in Abwesenheit
von Kaiser Friedrich II.
von Hohenstaufen das Herzogtum
Schwaben 
und erzog dessen Söhne
Heinrich und Konrad.

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Kruzifix - 1968
Kupfer geschweißt,
2,40 m hoch
Krankenhauskapelle Oberstdorf

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Hl. Christophorus - 1974/75
Kupfer geschweißt,
2,30m hoch.
Seit 1990 im Besitz
des Marktes Oberstdorf

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Harlekin - 1979
Kupfer geschweißt,
100 cm hoch.
In Privatbesitz

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Daphne - 1979
Kupfer geschweißt,
65 cm hoch
in Privatbesitz

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Pieta - 1980/81
Kupfer geschweißt,
42 × 64 × 37 cm
Krypta im Dom zu Augsburg

Skulpturen - Rueß - Heft 18

Großer Mann - 1982
Gips für Bronze,
70 × 70 x 45 cm
In Privatbesitz

Die Brunnenanlage unterstreicht aber auch seinen sicheren Sinn für Architektur (an ihm sei ein Architekt verlorengegangen, bescheinigt ihm ein Vertreter dieses Standes). Von den richtigen Proportionen bis zur »Farbe« der verwendeten Materialien nimmt hier alles Bezug auf den vorgegebenen Raum, die gewachsene Atmosphäre.

Nicht immer fand Maximilian Rueß so glückliche Bedingungen, wenn es um öffentliche Aufträge ging. Sein ganzes gestalterisches Geschick forderte etwa die tiefe Baugrube des Lichthofes am Oberstdorfer Kurhaus, wo er dennoch ein lebendiges, architektonisch geprägtes Miteinander von Zweckbau und Kunstform zu erreichen wußte. Sein Heimatort Oberstdorf und zahlreiche Gemeinden im südlichen Teil des Bezirks Schwaben sind im Besitz von Rueß-Plastiken. Man trifft auf die Spuren dieses Bildhauers, der nach der jeweils optimalen Synthese von vorgegebener Architektur und seiner eigenen Sprache in Bildern und Formen strebte, in vielen Schulen, öffentlichen Gebäuden und sakralen Räumen. Das Figürliche überwiegt dabei, aber er fand auch - Entsprechungen gibt es in seiner Malerei - zu eigenwilligen abstrahierenden Lösungen, die in einem geglückten Spannungs Verhältnis zu moderner kubischer Architektur stehen, wie zum Beispiel im Pausenhof des Gymnasiums Sonthofen oder bei der Mengenplastik in der Sonthofener Sonderschule.

Frühe Aufträge für Maximilian Rueß, der sehr häufig als Preisträger bei öffentlichen Ausschreibungen und Wettbewerben hervorgegangen ist, waren eine über zwei Meter hohe Stifterfigur an der Heiliggeist-Spitalapotheke in Nürnberg, die dem dortigen Straßenbild einen kräftigen Akzent verleiht, sowie die künstlerische Ausgestaltung der Krankenhauskapelle in Oberstdorf mit Christus, Madonna und Kreuzwegstationen in Kupferrelief. Eine besonders schöne Arbeit ist das Kirchenportal aus Kupfer für die Pfarrkirche Altstädten, ein Portal zum Hause Gottes im Geist abendländischer Tradition, ohne vorgegebene Formen zu kopieren.

Maximilian Rueß vermochte aber auch landschaftlich gebundenen Themen gültigen Ausdruck zu verleihen und war dabei weit entfernt von jeder verniedlichenden Heimattümelei. Dazu zählen etwa das »Wilde Mändle« am Bahnhofsplatz von Oberstdorf oder der Hirtenbub am Kurhaus von Hindelang. Menschlicher Erfindergeist, der sich die Natur zunutze macht, versinnbildlicht die Plastik mit Wasserrad und Flußgöttern an der Illerkanalbrücke von Senden - Ay, eine ganz aus dem Stein herausgelöste Skulptur.

Mit besonderer Verantwortung, aber auch innerlicher Bereitschaft, nahm sich Maximilian Rueß sakraler Aufträge an. Ein eindringliches Beispiel ist die Pieta in der Krypta des Augsburger Doms. Es ist eine zweiteilige Kupferarbeit, bei der Maria, in Schmerz erstarrt, mit einer anrührend hilflosen Geste der Arme, den toten Sohn nicht auf dem Schoß hält. Sein geschundener Körper ruht auf einer Bahre, die an das Sterben im Krieg in unserer unfriedlichen Welt denken läßt. Ein Symbol des Trostes ist dagegen der große Christophorus auf dem Kemptener Zentralfriedhof, der unter weit schwingendem Mantel durchs Wasser schreitet - vom Tod zum Leben. Eine ähnliche Christophorus-Figur erwarb auch die Gemeinde Oberstdorf.

Der belesene, musikliebende Künstler erschöpfte sich keineswegs in öffentlichen und privaten Aufträgen. Seine reiche Vorstellungsweit, seine Kraft, inneres Erleben in der äußeren Form der Skulptur zu spiegeln, zeigt sich verstärkt in den freien Arbeiten, die oft bei Ausstellungen zu bewundern waren: Der Harlekin in tänzerischer Pose, der alte Mann im Sessel, der Hinfälligkeit des Alters, aber auch menschliche Würde verkörpert, die zartgliedrigen Tierfiguren, realistisch, doch voll unergründlichen Geheimnisses ihres Seins. Sie belegen eine Künstlerpersönlichkeit, in der sich starke Begabung, Ernst und Tiefe der Auffassung, Gradlinigkeit in der Verfolgung des eigenen Wegs und handwerkliche Meisterschaft vereinten.

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