Selbstbildnis, 1987, Öl auf Leinwand
Malen und Modellieren als »Lebenselixier
Am 5. Oktober 2009 jährte sich der Geburtstag des zuletzt in Oberstdorf im Allgäu heimischen Bildhauers, Malers und Graphikers Walter Kalot zum einhundertsten Mal. Aus diesem Anlass rückte die »Kulturgemeinschaft Oberallgäu« in der Oberstdorfer »Villa Jauss« sein Werk in einem „Kalot- Abend” am 14. Oktober 2009 in den Mittelpunkt. Wie kommt ein aus Berlin zugezogener und nun schon dreizehn Jahre toter Künstler zu einem solchen Ehrenerweis?
In einem Alter, in dem andere sich zur Ruhe setzen, hat Walter Kalot in Oberstdorf, seinem bevorzugten Urlaubsort, ein von den Zwängen des Berufslebens befreites künstlerisches Schaffen begonnen, das ihn weit über das Allgäu hinaus bekannt machte und immer wieder neue Freunde gewinnen lässt. Mit seiner Einstellung zur Arbeit, der Freude am Gestalten, wurde er ein Vorbild für Jung und Alt gegen Bequemlichkeit und Resignation. Die Arbeit war für ihn weniger Notwendigkeit als Lebenselixier. „Trotz der Mühen, die sie mit sich bringt, befreit sie von seelischem Ballast und gibt uns das Maß für die wichtigen Dinge zurück”, so der Künstler. Dabei hatte er nicht nur Selbstfindung und Selbstbestätigung im Sinn; er wollte sich ebenso anderen mitteilen, ihnen Erlebtes, Gedachtes, Erträumtes nahebringen, Einsichten vermitteln, Freude bereiten. Seine Aussagen folgen keinem starren Schema, sondern bedienen sich immer neuer Ausdrucksformen, bleiben aber auch in Verfremdung und Abstraktion stets verständlich.
Heimat Oberschlesien – Ausbildung – Wehrdienst – Graphiker in Berlin
Walter Kalot wurde in der schlesischen Festungsstadt Glatz an der östlichen Neiße geboren. Seine künstlerische Ausbildung erfuhr er an der Kunstakademie in Breslau und an der Kunsthochschule Berlin-Charlottenburg; Otto Mueller und Emil Orlik zählten zu seinen Lehrern. Die Bemühungen, sich in der Reichshauptstadt eine berufliche Existenz als Graphiker aufzubauen, wurden durch die Einberufung zur Wehrmacht jäh beendet. Zehn Jahre später, 1950, kehrte er aus russischer Gefangenschaft zurück – ungebrochen und mit dem Willen, sich durchzusetzen, wie er es unter den extremen Bedingungen des Arbeitslagers im Ural getan hatte. Ein von ihm aus dem Fels herausgehauener Bärenbrunnen in der Lagermitte war beliebtester Treffpunkt der Kameraden und gedankliche Brücke zum entfernten Berlin.
Wieder in Berlin, fand Walter Kalot schnell zur AEG, wo er es bis zum Chefgraphiker mit einem Stab von Mitarbeitern brachte und das Erscheinungsbild der Firma in Messen, Ausstellungen und Prospekten über Jahre hinweg prägte.
Künstlerisches und kulturpolitisches Schaffen in Oberstdorf
Ab 1957 schuf er sich ein zweites Zuhause in Oberstdorf im Allgäu. Hier, in seinem Atelier mit angegliederter Galerie, bereitete er seinen Rückzug aus dem Berufsleben und die Tätigkeit als freischaffender Künstler vor. Den Einstand gab er mit den Bronze-Plastiken des »Jungen Bären« im Kurpark und dem Fischreiher-Brunnen vor dem Kurhaus von Oberstdorf. 1968 wurde er für die Bronze-Plastik »Hahn und Henne« mit dem Kunstpreis des Bezirks Schwaben ausgezeichnet.
Walter Kalot war lange Jahre aus dem Kulturleben Oberstdorfs und der Region nicht wegzudenken. 1972 gründete er zusammen mit zwei Gleichgesinnten die »Kulturgemeinde Oberstdorf«, deren Arbeit er im Vorstand mitgestaltete. In der Folge organisierte und betreute er die Kunstausstellungen dieser Vereinigung, insbesondere die zur Tradition gewordenen Ausstellungen während der alljährlich im Herbst stattfindenden, weit über das Allgäu hinauswirkenden »Oberstdorfer Kulturtage« und bereicherte sie durch vielgestaltige eigene Beiträge – zuletzt durch phantasievolle Gebilde aus Draht und Papier. Die Plakate zu den Kulturtagen und die Veranstaltungsprogramme der Kulturgemeinde waren seine selbstverständlichen „Zutaten”.
Der Bekanntschaft Walter Kalots mit Gertrud von le Fort verdankt Oberstdorf die schöne Bronze-Büste der Dichterin im Foyer des Kurhauses und ein Relief-Bildnis für das Gymnasium des Marktes Oberstdorf, das ihren Namen trägt. Auch von dem schwäbischen Dichter Arthur Maximilian Miller und dem früheren Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle gibt es eindrucksvolle Bildnisse. Auf der Stirnseite des alten Rathauses von Oberstdorf hat er in einem Fresko zwei wichtige Ereignisse aus der Geschichte der Marktgemeinde festgehalten: die Markterhebung durch Maximilian I. im Jahre 1495 und den Beginn des Fremdenverkehrs durch Eröffnung der Bahnlinie 1888. Für seine Lebensleistung und speziell die „Bereicherung der Allgäuer Kunstszene” wurde der 85-Jährige 1995 mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Zeugnisse der Gestaltungskraft und Schaffensfreude Walter Kalots finden sich auch an weiteren Orten Oberschwabens und darüber hinaus: beispielsweise der Bewegungsbrunnen vor dem Verwaltungsgebäude des Allgäuer Überlandwerks in Kempten, das Vertriebenendenkmal in einer Parkanlage von Sonthofen und die ebenfalls in Sonthofen aufgestellte, den Gedanken der Stromerzeugung aus Wasserkraft variierende Edelstahlplastik für die Allgäuer Kraftwerke. Ferner ist der an Eichendorffs Studienzeit in Heidelberg erinnernde Gedenkstein am Philosophenweg, in schönster Lage über der Stadt, sein Werk. Wo andere Menschen sich von den Anstrengungen des Arbeitslebens erholen, auf Madeira, schuf er als 72-Jähriger in mehrmonatiger harter Arbeit für das Meeresschwimmbad der Inselhauptstadt das Großrelief »Die Woge«; der Präsident von Funchal ehrte ihn dafür mit der Bürgermedaille der Stadt.
Die Meisterschaft des Künstlers drückt sich aber auch in kleinen Formen, in Medaillen und Plaketten, aus – darunter die »Gertrud-von-Le-Fort-Medaille« des Marktes Oberstdorf. Am bekanntesten dürfte die für die Eichendorff- Gesellschaft entworfene Medaille sein, deren Abgüsse zu einer begehrten Auszeichnung für Wissenschaftler, Schriftsteller und andere Persönlichkeiten geworden sind, die sich um das Erbe Eichendorffs und der deutschen Romantik verdient gemacht haben.
Hommage an die Geisteswelt Schlesiens
Aus der Liebe zu seiner schlesischen Heimat und dem reichen Schatz ihrer Literatur ist im Lauf der Jahre eine eindrucksvolle Sammlung von 47 Bronze-Reliefs schlesischer Dichter und Philosophen entstanden, von Martin Opitz bis zu Heinz Piontek, von Christian Wolff bis Edith Stein, freie Nachschöpfungen anhand meist nur unzureichender Bildvorlagen. Die Sammlung wurde vom Haus des Deutschen Ostens in München erworben und in mehreren Ausstellungen mit Begleittexten von Dr. Detlef Haberland (die auch in Form einer von den Stiftungen »Haus Oberschlesien« und »Kulturwerk Schlesien« herausgegebenen bebilderten Broschüre vorliegen) der Öffentlichkeit vorgestellt; ihre endgültige Bleibe hat die schlesische »Dichter-Galerie« in Lubowitz, dem oberschlesischen Geburtsort Joseph von Eichendorffs, in dem dort entstandenen Kultur- und Begegnungszentrum der deutschen Minderheit gefunden.
Eine große Büste Joseph von Eichendorffs, die den krönenden Abschluss dieses den schlesischen Dichtern gewidmeten Werkteils bildet, steht nunmehr – in Bronze gegossen auf hohem Sandsteinsockel – vor dem »Deutschen Eichendorff-Museum« in Wangen im Allgäu, jener Stadt, in der sich Schriftsteller und Künstler mit innerem Bezug zum ehemaligen deutschen Osten zum »Wangener Kreis« zusammengeschlossen haben und regelmäßig treffen; bei diesen »Wangener Gesprächen« wird auch der renommierte Eichendorff- Literaturpreis verliehen.
Späte Arbeiten für Oberstdorf
Mittlerweile zählt die Marktgemeinde Oberstdorf Walter Kalot, den einst „Zugereisten”, zu seinen „berühmten Köpfen”, und im Heimatmuseum des Ortes ist er durch einige seiner Arbeiten präsent. Posthum hat sich auch einer seiner letzten Wünsche erfüllt, und die große Bronzeplastik »Iller-Ursprung« – drei die Quellflüsse der Iller symbolisierende Schwimmerinnen – ist dort aufgestellt worden, wo die Iller aus dem Zusammenfluss der Breitach, Stillach und Trettach unweit von Oberstdorf hervorgeht.
Dem 86-Jährigen war es schließlich noch vergönnt, eine überlebensgroße Christusfigur für die evangelische Christuskirche in Oberstdorf zu vollenden. Im Gestus mittelalterlicher Kirchenstifter hält der an der Außenwand der Kirche angebrachte Christus seine Christuskirche im Arm; ungewöhnlich daran Material und Ausführung: blanker Edelstahl und eine an frühromanisch-strenge Bildnisse erinnernde Darstellung. Und schmunzelnd stellt man fest: Die Plastik trägt einen (seinen?) Schnurrbart als „Signatur”.
Am Ende des Jahres 1996 hat Walter Kalot die Augen für immer geschlossen und ist auf dem Oberstdorfer Waldfriedhof beerdigt worden. Seinen Grabstein schmückt ein von sich selbst geschaffenes markantes Bronze-Relief. Die Würdigung von Walter Kalot wäre aber unvollständig, würde an dieser Stelle nicht auch der Teilhaberin seiner Erfolge, der verständnisvollen, anregenden, liebenswerten Frau Elisabeth Kalot gedacht. Sie konnte im September 2009 in bewundernswerter geistiger Frische ihren 100. Geburtstag in Berlin begehen.
Der unübersehbar große und vielfältige Schatz von Kalots malerischem und graphischem Werk – von seiner Witwe und von seinem Enkel gehütet – wartet indessen noch darauf, gehoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.
Walter Kalot – Bildhauer und Zeichner
von W. Gunther le Maire
Neben seinem Schwerpunkt, der Skulptur, setzte Kalot als Zeichner und Grafiker alle linienorientierten graphischen Techniken ein, die Radierung, Kohle, Tusche, den Pastellstift, den Buntstift, den Bleistift und mit größter Selbstverständlichkeit wurde auch der Kugelschreiber sein Zeicheninstrument. Der Kugelschreiber begrenzt natürlich die mit ihm machbaren Gestaltungen. Er hat keine Tiefe und schließt die Fläche total aus. Kalot setzte Linie neben Linie und erreichte so eine Art Flächenwirkung, allerdings ohne die mit Bleistift, Kohle oder Radierung mögliche Schwärze, ohne die Tiefe, die der Gegensatz Dunkel-Hell schafft. Manchmal ersetzte Kalot dieses Kugelschreibermanko, indem er einfach mit schwarzer Farbe operierte. In seinen Motiven griff er gern zu Zeitkritischem – „Der Tanz um den Vulkan” oder „Geld, Geld, Geld” seien hier genannt. Interessant ist, dass seine gezeichneten Figuren durchgängig kleine Köpfe und lange Hälse haben, was sich in seinen Skulpturen in dieser Weise nicht wieder findet.
Bei Kalot treffen zwei Grundeinstellungen der Kunst zusammen: die einen Künstler sagen, ein Kunstwerk dürfe nichts bezwecken, solle keine Aussage machen, sondern lebe allein von den dieser Kunstgattung eigenen Instrumentarien. Also: Lyrik solle keine Weisheiten beinhalten, sondern aus dem Wortklang, aus der Wortbedeutungskombination leben, Musik müsse Klänge anschlagen, die den Hörer berühren, müsse aber keineswegs „Programmmusik” sein. Ein Bild solle nichts aussagen, sondern lebe allein von Farbe, Linie und Pinselduktus. „L’art pour l’art”, sagt Konrad Lorenz, sei ein Naturgesetz und nicht eine These. Vögel zwitscherten in der Regel nicht zweckorientiert, sondern aus der Lust an der Freude, und wenn ihr Gesang der Balz oder der Warnung diene, leide darunter die Qualität der Musik sehr. Der spielende Mensch sei der eigentliche Mensch und der Künstler als homo ludens sei in dieser seiner Art dem Wissenschaftler sehr ähnlich.
Bei den Skulpturen, und auch bei seinen Kleinplastiken finden sich bei Kalot keinerlei Ansätze, die Anderes als die Optimierung der Form erkennen lassen. Und es sind sehr überzeugende Arbeiten, auch die kleinen Affen und Bären, Kühe, Menschen. Der große Bewegungsbrunnen in Kempten ist auch ein Beispiel, dass ein Kunstwerk keine „Aussage” benötigt, sondern formal stimmig sein muss – so wie die Musik beim Betrachter Saiten anklingen lassen kann, die ihn bezaubern oder in Bann nehmen.
In der Zeichnung hingegen nimmt Kalot meist Themen auf – von christlichen Motiven über surreale bis zu zeitkritischen. Da illustriert er mit Figuren, Geräten, Maschinen und Gebäuden, was er als gravierende Mängel der Gesellschaft sieht und er wandert mit dem Bleistift oder dem Kugelschreiber in Traumwelten, in skurrile, in Alpträume, in Wunschträume. Die Symbolik bewältigt er, auch in komplizierten Darstellungen, und seine Metaphern sind leicht verständlich.
Beide Arten des künstlerischen Ausdrucks, die allein sich auf die Kunstmittel stützende und die erzählende, sind ja wohl möglich. Bei Kalot stehen sie in ungewöhnlicher Weise direkt nebeneinander. Kalots öffentliche Wirkung beruht auf seinen bildhauerischen Arbeiten, aber seine grafischen und zeichnerischen Arbeiten entfalten einen eigenen Reiz. Vielleicht wird diese Seite von Kalot bekannter und relevanter, wenn es gelingt, sein Atelier mit dem Skulpturengarten an der Alpgaustraße Besuchern allgemein zugänglich zu machen. Zu wünschen wäre es, um Kalots bis zu seinem Lebensende nicht versiegende schöpferische Kraft als für jeden erstrebenswerte Lebensqualität darzustellen.