Fund eines mittelsteinzeitlichen Steingerätes bei Kornau

von Toni Köcheler jun. am 01.12.1991

Bei einer Wanderung fand ich an der Bushaltestelle »Kornau« ein mittelsteinzeitliches Steingerät (Artefakt). Es lag auf der aus Kies und Erde bestehenden Aufschüttung im Randbereich der Bushaltebucht. Die Fundstelle ist sicherlich nicht identisch mit dem „Verlustort”, vielmehr dürfte es sich um ein verlagertes Fundstück handeln, das im Zuge der erforderlichen Erdbewegungen zur Errichtung der Haltestelle eben dorthin gelangte. Wenn auch die ehemalige, originale Fundstelle und somit der vorgeschichtliche Lagerplatz nicht mehr bestimmt werden kann, so ist doch ein zeitweiliger Aufenthalt steinzeitlicher Jäger und Sammler auf den sonnenorientierten Hangterrassen um Kornau gut vorstellbar.

Steinzeitfund - Heft 19

Fundstelle - obere Einfahrt nach Kornau


Zur Datierung

Ein Aufenthalt des vorgeschichtlichen Menschen im Alpenraum ist vor dem Ende der letzten Eiszeit (ca. 10.000 v. Chr.) und noch Jahrhunderte danach unwahrscheinlich, da selbst in der nachfolgenden Warmzeit die Alpen noch stark vergletschert waren. Erst mit dem Rückzug der Gletscher auf höhere Gebirgsregionen und mit dem allmählichen Vordringen der Vegetation und Tierwelt dürften nun auch häufiger mittelsteinzeitliche Jäger in die Alpentäler vorgestoßen sein. Auf Grund dieser klimatischen Bedingungen sind steinzeitliche Siedlungsplätze wohl frühestens ins mittlere Mesolithikum (8.000 - 6.000 v.Chr.) einzuordnen.

Für unsere Region - Oberstdorf und Umgebung - konnte Graf Vojkffy in den 30er Jahren eine Reihe mittelsteinzeitlicher Lagerplätze nachweisen. Seine Ausgrabungen am »Faulenbach« und »in der Wanne« und vielen anderen Fundplätzen erbrachten viele charakteristische Funde, die er in die späte Mittelsteinzeit datiert (ca. 6.000 - 5.000 v. Chr.). Das nachfolgend beschriebene Fundstück gehört, mit einiger Vorsicht, auch in diesen Zeitraum.

Die Lebensweise der mittelsteinzeitlichen Jägernomaden

Die Menschen der mittleren Steinzeit lebten noch - wie schon ihre Vorfahren in der Altsteinzeit - überwiegend von der Jagd und vom Sammeln von Früchten und Beeren. Sie waren Jägernomaden, die, vergleichbar den nordamerikanischen Indianern - auf den Spuren des Wildes umherzogen. Ihre mobilen und transportablen Behausungen bestanden aus einem Holzgerüst (Holzstangen), das mit Fellen und Tierhäuten bespannt war. Die Lager (Sommerlager, Winterlager) errichteten sie vorzugsweise auf höhergelegenen Fluß- oder Hangterrassen, auf Kuppen und vorspringenden Geländeerhebungen in der Nähe von Quellen und kleinen Bächen. Die Talgründe waren unwirtlich, sumpfig, mit dichtem Gestrüpp bewachsen und von Bachschleifen und Altwässer durchzogen. Darüber hinaus machten häufige Überschwemmungen einen Aufenthalt im Tal zu einer riskanten Angelegenheit. Neben solchen Freilandstationen wurden natürlich auch Felsüberhänge (Abris) und Höhlen vorübergehend aufgesucht und bewohnt.

Bei der Wahl des Lagerplatzes spielten strategische und klimatische Bedingungen eine gewisse Rolle. Plätze mit guter Übersicht über das Gelände und mit langer Sonneneinstrahlung wurden bevorzugt aufgesucht. Hier stellten sie auch die Steingeräte zur Verarbeitung der Jagdbeute und für bestimmte Jagdwaffen her. Dies geschah meist an einem bestimmten Platz vor der Behausung, dem sogenannten Schlagplatz. Dort fanden sich dann auch große Ansammlungen von Steinwerkzeugen, Abschlägen und Rohmaterialien. Steingeräte bilden somit den einzig sicheren Nachweis einer steinzeitlichen Besiedelung, da sich Wohnformen und Gegenstände aus organischem Material nicht erhalten haben.

Die Steingeräte der Mesolithiker

Zum Geräteinventar der mittelsteinzeitlichen Jäger gehören verschiedene Werkzeugformen, die aus einem sehr harten, glasigen Gestein bestehen. Es handelt sich um kieselsäurehaltige Mineralien, wie zum Beispiel Feuerstein, Hornstein und Radiolarit. Das Ausgangsmaterial für die Werkzeugherstellung sind Klingen, die man mit Hilfe eines Meißels aus Knochen oder Horn von der halbierten Feuersteinknolle abschlug (Abb. 1). Die so erhaltenen Abschläge weisen bisweilen derart scharfe Kanten auf, daß man sie unbearbeitet als Schneidewerkzeug benutzen konnte. Andere wurden durch gezielte Bearbeitung (Retusche) in die ihrem Zweck gemäße Form gebracht.

Ganz typisch für die Mittelsteinzeit sind kleine, 1 - 2 cm lange, dreieckige bzw. trapezförmige Mikrolithen (Abb. 1), die als Harpuneneinsätze Verwendung fanden (Abb. 2).

Steinzeitfund - Heft 19

Daneben gab es Klingen mit schräger Endretusche oder längsseitiger Retusche, die, in Holz geschäftet, als Messer dienten (Abb.3). Kleine Kratzer mit halbrunder Endretusche (»Kratzerkappe«) wurden zum Schaben von Fellen und Glätten von Holz gebraucht (Abb. 4). Zum Durchbohren von Leder (Kleidungsherstellung) und Schmuckperlen, Tierzähnen und dergleichen wurden auch kleine Stichel und Bohrer verwendet (Abb. 5).

Steinzeitfund - Heft 19

Die Beschreibung des Fundstückes

Das kleine Steingerät ist nur 2,5 cm lang, 1,7 cm breit und 0,3 cm dick. Es besteht aus einem leicht durchscheinenden, harten und glasartigen Gestein. Die Farbe wechselt von einem trüben Hellbraun zu einem hellen Rosagrau. Aussehen und Transparenz erinnern an achatähnliche Mineralien, die bei uns selten sind. Die meisten Steinwerkzeuge des Allgäuer Raumes sind aus braunem oder grünem Radiolarit gefertigt, der in Schottern der Breitach recht häufig vorkommt.

Die Form des Gerätes ist typisch für einen mittelsteinzeitlichen Kratzer. Mit Ausnahme der rechten Seite ist das Werkzeug allseitig bearbeitet (retuschiert). Hierbei wurden die Arbeitskanten „versteilt”, damit sie beim Gebrauch nicht so leicht ausbrechen. Der obere Bereich ist gerundet und zu einer charakteristischen »Kratzerkappe« ausgebildet. Die Basis ist nach links abgeschrägt, so daß die linke, untere Ecke eine Spitze bildet. Möglicherweise handelt es sich hier um die Kombination zweier Werkzeugformen - nämlich Kratzer und Stichel -, also um ein Mehrzweckwerkzeug (Abb. 6).

Steinzeitfund - Heft 19

Die Bedeutung des Fundes

Der Fund eines Steingerätes aus der Mittelsteinzeit stellt sicherlich keine archäologische Sensation dar, aber er ist auch nicht ganz unbedeutend. In anderen, tiefer gelegenen Regionen unseres Landes, wo durch Getreideanbau der Boden regelmäßig gepflügt und aufgerissen wird, sind solche Funde recht häufig. Für das Allgäu, mit überwiegender Grünlandwirtschaft, sind steinzeitliche Funde dagegen recht selten und treten nur bei bestimmten Gelegenheiten an die Oberfläche, wie zum Beispiel Straßenbau, Hausbau und Kanalbau.

Seit den 30er Jahren haben in Oberstdorf und Umgebung keine archäologischen Untersuchungen mehr stattgefunden. Für solche Vorhaben müßte auch seitens der archäologischen Forschung oder einfach der Heimatforschung ein solides Interesse bestehen. Gezielte Grabungen, wie sie einst Graf Vojkffy durchführte, sind finanziell sehr aufwendig und verlangen Ausdauer und Begeisterung. Leider ist das umfangreiche Fundmaterial seiner Forschung nach München gebracht worden, wo es in den Wirren des Krieges verschwand. Die wenigen Stücke im Heimatmuseum Oberstdorf vermitteln nur eine schwache Vorstellung von der Variationsbreite steinzeitlicher Gerätekultur.

So stellt dieser Neufund eine Bereicherung der wenigen Museumsstücke dar und ist gleichzeitig ein weiteres wichtiges Zeugnis der Anwesenheit vorgeschichtlicher Jäger und Sammler in unserer Heimat.

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