Vorfrühling am Moorweiher
Aquarell von Hans Gischel, Oberstdorf
Betrachtung beim Spaziergang durch die vier Jahreszeiten
Zweifellos gilt der Moorweiher mit seiner Umgebung - ein Kleinod, eine Gabe der Schöpfung - als eines der schönsten Gebiete inmitten unserer herrlichen Oberstdorfer Bergwelt. Wegen seiner unmittelbaren Nähe, am südöstlichen Ortsrand gelegen, bietet sich ein beliebtes Wanderziel für Gäste und Einheimische an, besonders aber auch für ältere und behinderte Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, große Touren zu unternehmen.
Im Zusammenhang mit dem Bau des ersten Moorschwimmbades im Jahre 1883 und dem Anlegen des Verbindungskanals wurde der damals kleinere See aufgestaut und erhielt dadurch seine heutige Ausdehnung. Dabei entstand auch die Weganlage am Westufer. Je nach Wasserstand beträgt die größte Tiefe 2,50 bis 3 m, denn bei der Schneeschmelze oder nach starken Regenfällen steigt der Wasserspiegel; bisweilen tritt der Weiher über die Ufer. So fanden Oberstdorfer Hirten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, von einer Alpfahrt heimkehrend, unterhalb von Loretto, bei »Buachebeargs Stadl«, einen Aal mitten auf dem Felde. Es ist dies kein Fischerlatein, wie seinerzeit die Legende vom »grätenlosen Karpfen«. Der Fisch kam durch das zum Bach angeschwollene Bächlein, welches den Ausfluß des Sees nach Westen bildet, heruntergeschwommen.
Vermutlich ist das heutige Feuchtgebiet im Osten - eine typische Biotopenlandschaft - durch die Verlandung eines ursprünglich größeren Gewässers und Bildung eines Flachmoors entstanden; auch die Schilfgürtel lassen diesen Schluß zu. Dieses kleine, noch junge Moos, »im Stockach« genannt, verdient Interesse. Jedenfalls ist ein Spaziergang in dieser Gegend durch alle vier Jahreszeiten hindurch sehr empfehlenswert. Jede Zeit hat ihre besonderen Reize, immer gibt es Neues zu erleben.
An Wanderwegen um den Moorweiher besteht kein Mangel. Man gelangt dorthin von der Mühlenbrücke, östlich des Ortes, entweder durch den Wald hoch über der Trettach am »Rauhen« vorbei oder über den Rücken der Hoffmannsruh. Ein weiterer Weg führt vom Wallfahrtsort Sankt Loretto über den Krappberg.
Wenn der Frühling die Herrschaft über die Natur angetreten hat und die Schmelzwasser des Winters gewichen sind, dann sprießt und grünt es im Moor, wo es kurz zuvor noch braun und öde war. Im Röhricht, das sich längs des Bächleins, vom Süden kommend, entlangzieht, findet man den Fieberklee, ein Enziangewächs. Im Moos sind auch seltenere Pflanzen wie die Gränke (Andromeda poly folia), auch Rosmarinheide genannt, sowie die Moosbeere (Vaccinium oxycoccus) zu entdecken; im Walde wächst die Schuppenwurz, eine Schmarotzerpflanze. Auch im Wasser und in den Tümpeln regt sich neues Leben; massenweise tummeln sich Kaulquappen
Östlich des Gebietes führt ein »Kleiner Naturlehrpfad« vorbei, den die Kurverwaltung, in Zusammenarbeit mit dem Forstamt Sonthofen, im Jahres 1972 anlegen ließ. Dem Spaziergänger, der an sonnigen Maitagen diesen Weg nach Süden, in Richtung Christlessee, durch den wunderbaren Mischwald fortsetzt, bietet sich ein wahrer Genuß, wenn beim Ruf des Kuckucks das frische Buchenlaub von hellem Licht durchflutet wird. Bei soviel Schönheit denkt man unwillkürlich an die Arie aus dem Oratorium »Die Jahreszeiten« von Joseph Haydn: „Oh wie lieblich ist der Anblick der Gefilde jetzt.”
Frühling am Moorweiher - Hochwinter in den tiefverschneiten Bergen - ein prachtvoller Anblick!
Der Höhepunkt des Jahres rückt heran - der Sommer. Im nördlichen Bereich geht es zwar an heißen Tagen laut zu. Viele Menschen erfreuen sich des Badebetriebes. Im Jahre 1930 wurde das neue Moorschwimmbad erbaut. Im alten, vom Jahre 1883, gab es noch eine eigene Damen- und Herrenabteilung, die durch eine Trennwand geteilt war. Das aus dem Moorweiher stammende Wasser gilt als warmes Gewässer; je nach Bedarf kann auch Trettachwasser hochgepumpt werden.
Kehren wir von diesem Abstecher in die Beschaulichkeit der Natur zurück. Am Schilfrand blüht der stattliche, leuchtend rote Blutweiderich (Lythrum salicaria) und der goldgelbe Gilbweiderich (Ly simachia vulgaris). Am Ostufer findet man einen Teppich von Weißen Seerosen, eine Pflanze, die es früher in unseren Regionen nicht gab. Auf Initiative des Fischerei Vereins wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Ein Heer von Libellen aller Farben schwirrt durch die Luft ein Summen, ein Brummen.
Nach einem Gewitter oder nach Sonnenuntergang, wenn das Geschrei der Menschenmenge verhallt ist, die sengende Hitze des vergangenen Tages nachgelassen hat und ein kühler Abendhauch über das Moor weht, herrscht hier eine wundervolle Stimmung. Der würzige Duft der Minzen, das Säuseln der Wellen, das Quaken der Frösche, vermischt mit dem Zirpen der Grillen darüber das Rauschen des nahen Waldes, rufen ein großartiges Naturerlebnis hervor. Man könnte ins Meditieren kommen.
Sommer am Moorweiher - Hochstimmung in der Natur!
Wenn die Tage kürzer werden, ziehen Schwärme von Stockenten, dazwischen Bleßhühner, über den Weiher. Wegen der Marder wurden Brutkästen im See aufgestellt. Die Ufer beleben Wasseramseln, aber auch seltene Wasservögel wie der Gänsesäger und das Grünfüßige Teichhuhn sind gelegentlich im Durchzug zu sehen. Weniger erfreut sind die Fischer über das Auftreten des stolzen Graureihers, denn der Weiher ist reich an Fischen; Karpfen durchfurchen das Wasser, aber auch Hecht, Aal und Schleie sind vorhanden. In früheren Jahren wurde um diese Zeit der Weiher abgelassen und ausgefischt.
Die Vegetation ist rarer geworden, Besenheide (Calluna vulgaris) herrscht vor. Deutlich sind jetzt der Rund- und Langblättrige Sonnentau (Drosera), zwei fleischfressende Pflanzen, zu erkennen. Die Polster der niedrigen Sporenpflanzen leuchten in dunklem Rot, vermischt mit den Silberflächen des Isländischen Mooses.
Latschenkiefern und Schwarzerlen geben dieser Landschaft ein besonderes Gepräge. Einen reizvollen Eindruck vermittelt uns ein Verweilen am Westufer. Dunkle Schatten liegen über der Gegend. Die mit dichtem Adlerfarn besäten Weideflächen »In den Eggen«, die schon entlaubte Allee auf der Hoffmannsruh, das Wasser, dahinter das goldene Domdach des gefärbten Waldes (Rotbuchen, Ahornbäume) und das flammende Rot einzelner Kirschbäume, darüber der dunkle Schattenberg und im hintersten Oytal die Wildengruppe, vom Glanz der untergehenden Sonne beleuchtet, ergeben ein grandioses Naturschauspiel alles in allem eine Herbstsinfonie.
Herbst am Moorweiher - letztes Leuchten, ehe sich das Jahr zu Ende neigt!
Nun hält der Winter Einzug; der kürzeste Tag ist angebrochen. Ein glanzvoller Sternenhimmel wölbt sich nun über uns. Majestätisch steht im Südosten der Orion, im Westen leuchtet die sinkende Wega, im Osten die Riesensonne des Aldebaran mit dem Sternhaufen der Hyaden; die Kapella im Sternbild des Fuhrmann steigt im Südosten empor. Göttliche Allmacht herrscht über dem Weltall - Ordnung in der Natur. Durch das Dunkel der frühen Nacht ertönen Glockenklänge aus einer fernen Waldkapelle und verkünden: Weihnachtsfriede auf Erden! Man wird durchdrungen von einem Gefühl der Ruhe und Freude und dem Wunsch, Friede möge allen Völkern beschieden sein.
Die Sonne hat nun ihren Tiefststand überschritten, sie steigt, der Jahreslauf beginnt von neuem.
Ob ein lauer - „a gschlachta” - Tag ist, dichtes Schneetreiben herrscht, Nebelschwaden über das Moor streichen und die Sträucher mit Rauhreif behangen sind oder bei strenger Kälte der verschneite Wald unter einem kristallklaren Himmel im gleißenden Sonnenlicht erstrahlt, der Weiher zur Eisfläche erstarrt ist, immer liegt ein wundervoller Zauber auf der Landschaft.
Winter am Moorweiher - Friede in der Natur!
Jetzt aber ist reges Leben und Treiben; Männer und Frauen finden einen wahren Genuß am Eisschießen. In der gastfreundlichen Hütte am Nordufer sitzt man gemütlich beisammen.
Im Jahre 1950 fand eine deutsche Meisterschaft im Eisstockschießen statt. Der Moorweiher, ein Eldorado für Eisschützen, aber auch für Schlittschuhläufer, ist einer der schönsten Eisplätze weit und breit.
Die Natur ist nicht tot; sie schläft nur, um im kommenden Frühjahr wieder zu erwachen und eine neue Auferstehung zu feiern. Es ensteht ein neuer Zyklus der Jahreszeiten.
Ein Aufenthalt am Moorweiher kann selbst an trüben Tagen für viele Menschen eine Sternstunde bedeuten. Hier oben ist die Welt noch in Ordnung.
Am Schluß meiner Betrachtungen möchte ich einige Sätze zitieren aus einem Artikel des »Allgäuer Anzeigeblattes« vom 27. August 1971, mit dem Titel »Die alte Sommerfrische existiert nicht mehr«, worin unser Oberstdorfer Ehrenbürger Karl Hofmann, ein Pionier auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs, zu Wort kommt. Er verweist auf das vielseitige Wanderwegenetz, indem er sagt: „Weil ich es als eine erste Zukunftsaufgabe der Verantwortlichen für das Kurwesen des Ortes ansehe, vor allem die naheliegenden Wandermöglichkeiten im Interesse der kurenden Gäste zu erhalten und zu schützen. Deshalb berührt es mich eigenartig, als ich lesen mußte, daß man das Gebiet um den Moorweiher nicht dem Landschaftsschutz unterstellt sehen will.” Man müsse deshalb dankbar sein, daß eine übergeordnete Stelle da ist, die erklärt: „Hier habt ihr Oberstdorfer ein unbezahlbares Kleinod vor der Tür, das euch alles wert sein muß, es so zu erhalten, wie es ist. Und das wollen wir euch schützen.” Nach Ansicht Hofmanns wäre es leicht, dieses Gebiet „über Nacht zu verschachern”. Schon mehrfach sei der Griff nach dem Moorweihergebiet versucht worden. Deshalb müsse man es den Oberstdorfer Bauern hoch anrechnen, daß sie gegenüber allen lockenden Angeboten immer hart geblieben sind.
Weiter meint er: „Wenn dieses Gebiet nicht schon da wäre und man könnte es zur Bereicherung des Erholungsraumes käuflich erwerben, dann müßte man dafür ebenso die Millionen hinlegen wie für Kursaal und Hallenschwimmbad.” Hofmann warnt in diesem Zusammenhang vor ehrfurchtslosen Geschäftsleuten, denen es nur um den Profit geht und erinnert an einen Ausspruch des Schriftstellers Martin Walser: „Es würde mich nicht wundern, wenn eines Tages Horten und Konsorten den Kölner Dom kaufen würden, weil er eine so gute Geschäftslage hat.” So weit Ausschnitte aus erwähntem Artikel.
Daß die Befürchtungen von Karl Hofmann sich bis heute nicht bewahrheitet haben, verdanken wir verschiedenen Kräften, insbesondere dem Verein der ehern. Rechtler, der Ortsgemeinde Oberstdorf, dem Fischereiverein, der Kurverwaltung, dem Verschönerungsverein und den Jägern. Aber nicht nur die Verantwortlichen, sondern alle naturliebenden Menschen aus nah und fern sind dazu aufgerufen, dieses herrliche Gebiet um jeden Preis unseren Gästen und vor allem unseren Oberstdorfer Bürgern unverändert in seiner Gesamtheit zu erhalten - auch aus Dankbarkeit dem Schöpfer gegenüber, der uns mit diesem Glanzstück der Natur beschenkt hat