Frauen in historischer Tracht mit Bienenkörben zur Abwehr der Schweden.
Im Jahr 1995 feierte Oberstdorf das 500jährige Jubiläum seiner Markterhebung. In einer ganzen Reihe von historischen Veranstaltungen wurde die Geschichte und historische Entwicklung Oberstdorfs aufgezeigt.
Hunderte von Oberstdorfer Bürgerinnen und Bürgern und fast alle Vereine Oberstdorfs wirkten dabei tatkräftig mit. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber übernahm die Schirmherrschaft für das Jubiläum. Der Marktgemeinderat stellte die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Ein Organisationskomitee mit Persönlichkeiten aus Gemeindeverwaltung, Gemeinderat und Heimatmuseum erarbeitete ein umfangreiches Festprogramm. Dies wurde in einer 80seitigen Festschrift den Bürgern und Gästen Oberstdorfs vorgestellt.
Das Jubiläumsjahr wurde am 18. März 1995 durch den 1. Bürgermeister Eduard Geyer mit einem Festabend eröffnet. Dr. Kurt Eberhard hielt dabei einen hervorragenden Festvortrag über die Geschehnisse der Markterhebung im Jahr 1495. Er erläuterte, daß der damalige Landesherr, der Fürstbischof von Augsburg, Friedrich Graf von Zollern, einen Antrag an König Maximilian stellte, ihm für „ein Dorff im Algew gelegen, Obersdorff genannt”, ein Hochgericht und das Marktrecht zu verleihen. König Maximilian kam dieser Bitte nach. Die Markterhebungsurkunde wurde am 6. Februar 1495 in Breda in den Niederlanden ausgefertigt.
Dr. Eberhard berichtete weiter über die Entwicklung der Märkte in Oberstdorf, die regelmäßigen Wochenmärkte und die bis zu vier Jahrmärkte. Ein Überblick über die gehandelten Waren und die Marktbesucher erinnerte an die wirtschaftliche Entwicklung Oberstdorfs. Dieser eindrucksvolle Vortrag liegt auch in gedruckter Form vor und kann beim Verschönerungsverein bezogen werden.
Eine Sonderausstellung im Heimatmuseum Oberstdorf zeigte die Markterhebungsurkunde und Bilder von König Maximilian und Fürstbischof Friedrich. Historische Kleidung, mittelalterliche Handwerkszeuge und altes Geld gaben einen Einblick in die Lebensumstände im alten Oberstdorf um 1495. Alte mittelalterliche Burgen des Oberallgäus wurden im Modell gezeigt. Sie waren maßstabsgetreu von Otto Simbeck angefertigt worden.
Eine einmalige Veranstaltung war am 7. Mai 1995 das Treffen mit den Tannbergern und Lechtalern „Rum und numm ibers Birg”. Es war eine Art großes Familientreffen mit den Nachbarn jenseits der Berge, veranstaltet vom Oberstdorfer Mundartchor unter Leitung von Marie Luise Althaus.
Ungewöhnlich interessant waren die Vorträge von Museumspfleger Eugen Thomma mit seinen Bildern vom alten Oberstdorf. Eine Ausstellung „Alt Oberstdorf” im Kurhausfoyer, gestaltet von der Raiffeisenbank, ergänzte seine Vorträge. Auch der lange vergriffene Bildband „Alt Oberstdorf” wurde im Jubiläumsjahr vom Verschönerungsverein neu aufgelegt.
Ein neu geschaffener historischer Rundgang wird auch nach dem Jubiläumsjahr mit seinen Informationstafeln über alte Gebäude und Vorgänge unserer Ortsgeschichte informieren.
Renaissancekonzerte des »Oberstdorfer Musiksommers« in der Pfarrkirche und im Kurpark bereicherten unser Programm.
Der Besuch von Bischof Viktor Josef Dammertz, dem Nachfolger unseres früheren Landesherrn, war am 23. Juli 1995 mit einem Festgottesdienst ein weiterer Höhepunkt dieses Sommers.
Der Ortsteil Reichenbach feierte im Jubiläumsjahr mit einem gelungenen „Kappelfest” das 500jährige Jubiläum des Strigel-Altars in der Reichenbacher Kapelle.
Das Sommerfest der Oberstdorfer Musikkapelle, im historischen „Häs”, und das historische Schulfest unseres Gymnasiums sorgten für Unterhaltung im Kurpark.
Der Verein der Gartenfreunde ersetzte die morsche, alte Linde bei den Lorettokapellen durch einen schönen, neuen Baum.
Auch alle Oberstdorfer Schulen haben das 500jährige Jubiläum der Markterhebung als Thema aufgegriffen und für den Unterricht verwendet. Das Gymnasium zeigte während der Kulturtage im Kurhaus eine hervorragend zusammengestellte Dokumentation der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Oberstdorfs in den letzten 500 Jahren. Die Hauptschüler stellten zum Schulabschluß in einer originellen Bühnenschau die Entwicklung des Schulwesens in Oberstdorf dar.
Die Grundschule hat uns gezeigt, wie auch bei 6- bis 10jährigen Kindern Geschichtsunterricht lebendig gemacht werden kann. Da wurden der spätere Kaiser Maximilian und der Fürstbischof gemalt, Bettücher für mittelalterliche Kleidung mit Naturfarben eingefärbt, alte Heilkräuter gesucht und Dinkelbrot gebacken. Der Schulhof wurde zum Markt, selbstgebastelte Jubiläumssachen wurden temperamentvoll von den Kindern angeboten, die Geschichte Oberstdorfs auf der Bühne dargestellt.
Wesentlich zum Erfolg des historischen Jahres hat die Bereitschaft vieler Oberstdorfer beigetragen, sich mittelalterliche Kleidung, ein historisches „Häs”, zu nähen und während der Jubiläums Veranstaltungen zu tragen. Dafür hat Marie Luise Alt- haus als Kostümberaterin des Jubiläums eine ganz besondere Anerkennung verdient. Sie hat alte Bilder und Stiche zusammengetragen, welche die Kleidung vor 500 Jahren zeigen. Mit Oberstdorfer Schneiderinnen und Schneidern hat sie die passenden Stoffe gesucht, Schnitte angeferigt und ein „Musterhäs” vorgestellt. Der Erfolg hat alle Erwartungen übertroffen.
Ein Höhepunkt des vergangenen Sommers war am 13. August 1995 der große Festzug mit dem Motto ,,1.000 Jahre Ortsgeschichte, vom Wilden Mändle zum Fremdenverkehr . Eugen Thomma und Anton Köcheler haben mit viel Mühe und großem persönlichen Einsatz einen Festzug mit 50 Gruppen und 1.200 Mitwirkenden organisiert, der in seiner Art in Oberstdorf einmalig war. Fast alle Oberstdorfer Vereine wirkten bei diesem Festzug mit und zeigten mit hervorragend gestalteten Gruppen Epochen unserer Ortsgeschichte.
Die besten mittelalterlichen Gruppen von Mindelheim, Memmingen und Immenstadt kamen nach Oberstdorf. Bürgermeister und Gemeinderäte im alten ,,Häs”, 5 Musikkapellen und alle greifbaren Pferdegespanne waren dabei. Viele liebevoll gestaltete kleine Familiengruppen in mittelalterlicher Kleidung gaben dem Festzug eine besondere Note. Bei einem so schönen Festzug hatte sogar Petrus ein Einsehen und ließ den großen Regen erst am Ende des Umzuges beginnen.
Oberstdorfs traditionelles Dorffest wurde im Jubiläumsjahr zu einem zweitägigen historischen Marktfest. Mit großem Arbeitsaufwand wurde vom TSV und vom Männergesangverein Oberstdorf der Marktplatz zur mittelalterlichen Dorfkulisse gemacht. Leider litt das Marktfest unter schlechter Witterung. Ein vorsorglich aufgestelltes Zelt am Rathaus wurde zum gesuchten Unterstand.
Ein weiterer Höhepunkt des Jubiläumsjahres war das mehrfach im Kurpark aufgeführte Festspiel ,,Voar 500 Johr”. Die Walser Autorin Irmin Schwendiger gab mit diesem Stück einen Einblick in die nicht einfachen Lebensbedingungen in
Oberstdorf zur Zeit der Markterhebung.
Martin Hehl übertrug das Stück in Oberstdorfer Dialekt. Anfängliche Schwierigkeiten, dieses Festspiel auch tatsächlich zur Aufführung zu bringen, konnten überwunden werden. Martin Hehl erklärte sich bereit, die Hauptrolle zu spielen, den schlitzohrigen Nachtwächter Joss, der die Markterhebung auf seine Weise kommentierte. Um Martin Hehl fand sich eine neue Oberstdorfer Theatergruppe zusammen, und mit Eugen Wutz wurde ein guter Regisseur gewonnen. Marktbaumeister Udo Lottes gestaltete mit Hilfe von Oberstdorfer Baufirmen, Bauhof und Gemeindegärtnerei den Kurpark zur historischen Dorfkulisse um. Tom Nicki bewältigte die technischen Probleme der Beleuchtung und der Akustik auf der großen Freilichtbühne.
Das Ergebnis waren vier hervorragende Aufführungen vor rund 7.000 begeisterten Zuschauern. Sie haben gezeigt, daß in Oberstdorf auch heute noch Theater gespielt werden kann und die alte Theatertradition nicht tot ist.
Die Kulturgemeinde Oberstdorf sorgte im Herbst für einen schönen Abschluß des Jubiläumsjahres mit einem Salzburger Renaissance-Ensemble. Gemeinsam mit den Landwirten organisierte sie einen Bauernmarkt in der Oybelehalle.
Ein gemeinsamer, harmonischer Abend im Kurhaus beschloß im Dezember 1995 das Jubiläumsjahr. Ein Jahr ging zu Ende, in dem Oberstdorfer Bürgerinnen und Bürger, Oberstdorfer Vereine und Firmen die Geschichte lebendig werden ließen. Ein Jahr, das zeigte, in welch hohem Maß Tradition und Geschichtsbewußtsein in Oberstdorf verwurzelt sind. Der Wunsch des Nachtwächters Joss vor 500 Jahren gilt auch heute noch unverändert:
"Doarflidd, healfed allad zämed,
dind idd gegsranond -
geabed ’s Hearz und ’s ledschde Hämed
fir isa Doarf und ’s näche Lond!