Angesichts des am 11. Oktober 1996 stattfindenden 120. Geburtstages der Dichterin Gertrud von le Fort und zugleich des 25. Jahrestages ihres Todes im November wurde auch ich auf das Jahr angesprochen, in dem ich für sie arbeitete und mit ihr reiste.
Vierzig Jahre liegt diese Zeit nun zurück, und viel Leben und Erleben hat die Erinnerung an sie ein wenig erdrückt. Dennoch, unvergeßlich die Atmosphäre des Biedermeierzimmers im Landhaus »Fischer«, durch die Goldtöne der Birkenmöbel stets sonnig erscheinend. Bernsteinäugig der fette Kater, der auf leisen Sohlen einherschlich, geliebt und verwöhnt von seiner Herrin. Zart und zerbrechlich wirkend, saß sie dort, umgeben von Blumen. Meist auch eine weiße Stoffblume, die das Kleid an der linken Schulter raffte, mit der sie immer ein wenig nervös zuckte, wenn ein Thema sie bewegte. Beispielsweise, wenn sie von den Atomversuchen und ihren Auswirkungen auf die Natur und die Menschheit sprach. Während heute die Umweltverschmutzung dominiert, waren es damals diese Versuche.
Getrud von le Fort kam nicht los von diesem Thema. Es quälte und ängstigte sie. Diese Angst äußerte sich in einer nahezu kindlich-verschreckten Weise, während sie auf der anderen Seite oft geradezu stählern wirken konnte. Ihr kühler Verstand, so schien es mir, holte sie immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Vielleicht bewahrte er sie vor einer seelischen Überbelastung, mit welcher der Geist ihrer Werke sie möglicherweise erdrückt hätte. Sie konnte wundervoll trocken sein und voller Humor.
Meine erste größere Reise, auf der ich sie begleiten und betreuen mußte, führte uns nach München, wo sie anläßlich ihres 80. Geburtstages zum Ehrendoktor der Theologie ernannt werden sollte. Innerlich zitternd, daß dem mir anvertrauten zarten Wesen etwas passieren könnte, äußerlich mit unserem Gepäck allzu beladen, um sie stützen zu können, stiegen wir in Immenstadt um. Gertrud von le Fort erklomm behende den Zug, blickte sich empört zu mir um und meinte: „Gräßlich, diese hohen Stufen. Ich weiß gar nicht, wie Alte und Gebrechliche das schaffen sollen.” Meine Panik zerrann und erwachte erst wieder, als Getrud von le Fort nach der Laudatio in der Universität das Podium bestieg, um zu danken. Würde sie das durchstehen? Was tun, wenn nicht? Sie hielt nicht nur durch, sie sprach ganz hervorragend. Sicher und frei. Typisch für ihre innere Unabhängigkeit war es dann auch, daß sie es nicht versäumte, ihrem Lehrer Professor Ernst Troeltsch zu danken, den sie während ihres evangelischen Theologiestudiums verehrt hatte und dem sie, wie sie stets betonte, unendlich viel verdankte.
Für Gertrud von le Fort war ihre Konversion kein »Übertritt« in die katholische Kirche gewesen, sondern ein »Eintritt«. „Für mich”, so schreibt sie in ihren autobiographischen Skizzen, „bedeutete dieser Schritt vor allem eine Überwindung der tragischen Trennung innnerhalb des Christentums, an der ich von frühauf gelitten hatte. Ich vollzog für meine Person die Vereinigung.” Die Entwicklung scheint ihr hier nur langsam zu folgen.
Auszug aus einem längeren Artikel zum 100. Geburtstag der Dichterin aus einer Broschüre, die beim Ehrenwirth- Verlag herausgegeben wurde und »Dichtung ist eine Form der Liebe« betitelt war.
Die Werke von Gertrud von le Fort (1876 — 1971) in Einzelausgaben:
1924 Hymnen an die Kirche
1928 Das Schweißtuch der Veronika
1930 Der Papst aus dem Ghetto
1931 Hymnen an Deutschland
1934 Die ewige Frau
1938 Die magdeburgische Hochzeit
1938 Die Opferflamme
1940 Die Abberufung der Jungfrau von Barby
1943 Das Gericht des Meeres
1946 Der Kranz der Engel
1947 Unser Weg durch die Nacht
1947 Die Consolata
1949 Gedichte
1950 Die Tochter Farinatas
1950 Plus ultra
1951 Aufzeichnungen und Erinnerungen
1953 Gelöschte Kerzen
1954 Am Tor des Himmles
1955 Die Brautgabe
1957 Der Turm der Beständigkeit
1959 Die letzte Begegnung
1961 Das fremde Kind
1962 Aphorismen
1964 Die Tochter Jephtas
1965 Hälfte des Lebens
1967 Das Schweigen
1968 Der Dom
1968 Woran ich glaube
1970 Gedichte
1975 Unsere liebe Frau vom Carneval
(aus dem Nachlaß)