Erinnerungen an den Wilderer "Bums" vom Birgsautal (Teil 1)

von Anton Köcheler am 01.12.1996

Die Familie Dösinger, in alten Urkunden oft mit Desinger geschrieben, war ein altes Oberstdorfer Geschlecht. Der erste Eintrag in den Kirchenbüchern besagt, daß eine Barbara Dösinger am 9. Mai 1653 verstorben ist. Ab diesem Datum konnte das Geschlecht der Dösinger lückenlos verfolgt werden bis hin zu unserem Anton Dösinger, dem Wilderer und Letzten seines Geschlechts.

Der Großvater von Anton besaß in Oberstdorf, im unteren Markt, das Haus Nr. 290b, ein Halbhaus, das er an „Abbelona” Brutscher verkaufte. Nach dem Hausnamen hieß es nicht nur ,,bei Abbelonan”, sondern auch „bei Glasars Jachume”. Gleichzeitig erwarb er das Haus Nr. 300, das direkt östlich des heutigen Möbelhauses Wasle stand, dies im Jahre 1789.

Das Haus Nr. 300 wurde um das Jahr 1875 abgebrochen und nicht mehr erstellt, und das Gemeinderecht kaufte „Nazle Ludwig”, Kaufmann von hier.

Der Vater von Anton, Joachim Dösinger, verkaufte das Haus Nr. 300 im Jahre 1835 und erwarb dafür das Haus Nr. 332 in der Birgsau von Josef Kappeler. Joachim starb an einem Schlaganfall am 11. August 1839, als Anton 10 Jahre alt war. Aus der Ehe gingen zwei Buben hervor, vor Anton der Sohn Joachim, geboren am 28. Januar 1828, der sich nach Kierwang verheiratete und kinderlos sehr jung starb.

Sohn Anton, geboren am 29. April 1829, übernahm später das Gütle in Birgsau, verkaufte es im Jahre 1852 an Thaddä Schratt, der es um 1860 an Ulrich Math („Jockar”) weiterverkaufte. Dafür erwarb Anton ein schäbiges „Huimadle”, ca. 80 Meter südwestlich seines ehemaligen Besitzes. Dieses kleine Anwesen hatte die Hs.-Nr. 332 1/2 und war, nach den Unterlagen, im Jahre 1821 in Gundsbach abgebrochen und in der Birgsau wiedererstellt worden. Dieses Haus wurde um die Jahrhundertwende 1900 abgebrochen und nicht mehr aufgebaut.

Sein Nachbar nach Süden war der weit über Birgsau hinaus bekannte „Jock” bzw. Joachim Hindelang, genannt „Drüdeslar”, eine geachtete, aber auch geheimnisumwitterte Person. Man sagte ihm nach, daß er mehr könne als andere Leute, auch Mensch und Tier mit Sympathiemitteln behandelte, aber sein größerer Verdienst war, daß er als ein nichtmatrikulierter Lehrer eingestellt war und die Schüler in Birgsau, Mummen und Kornau im Rechnen unterrichtete, ausgesucht auf Grund seiner enormen Rechenkünste. Diese zwei, der Dösinger und der Drüdeslar, ergänzten sich durch viele gemeinsame Interessen und wurden engbefreundete Nachbarn.

Der Anton schlug sich so recht und schlecht mit seiner kleinen Landwirtschaft, mit Holzen und Tagwerken durchs Leben. Vor allem als Träger und Säumer auf Alpen und bei Lastentransporten über den Schrofenpaß war er ein gefragter Mann, war er doch durch seine unvergleichliche Kraft weithin bekannt geworden.

Wilderer - Heft 29

So schreibt eine Birgsauer Chronik wörtlich:

„1856 galt als der stärkste Mann in Birgsau der Anton Dösinger, welcher im Stande war, eine Last von drei Zentnern
z. B. von Schwand nach Birgsau zu tragen.”

Man kann dies erst richtig ermessen, wenn man weiß, daß Schwand und Birgsau doch eine dreiviertel Stunde auseinander liegen.

In einer anderen Erzählung wird berichtet, daß beim Heuzug vom „Seabentschar”, als man schon auf der Heimfahrt war, in der hinteren Roßfelle plötzlich die „Schneascholde” (Schneewall am Weg) abbrach und fünf Burden in den Stillachtobel stürzten. Zuerst war man ratlos, doch dann meinte der „Bums”, wie man Anton nannte, daß man die nicht drunten liegen lassen könne, und packte eine Schneeschaufel, bahnte sich von Süden her in die Stillachschlucht einen Weg vor und kam bis zu den Burden (Heuballen mit ca. 2,5 bis 3 Ztr.). Dort befahl er den anderen Heuziehern, daß sie ihm einen Stapf treten sollten, und er bringe die Burden nach oben. Dann nahm er die erste Bürde auf den Buckel und trug dann Bürde für Bürde aus dem Tobel, eine Wegstrecke jedesmal von mehr als einen halben Kilometer. Als man alles wieder auf dem Weg hatte und zu Tal fahren konnte, meinte der Bums in seiner bescheidenen Art: „So, fir jede Bürde krieg i huid zobed a extra Moß Bier.”

In einer anderen Geschichte wird berichtet, daß er einmal eine „verfallene” Kalbl aus dem Körbertobel herausgetragen und die so lebend gerettet habe (Kalbel = eineinhalb- bis zweijähriges Rind).

Auch im fortgeschrittenen Alter, er war 49 Jahre, man schrieb das Jahr 1878, war der Bums dabei, als man mit einem Mehlfuhrwerk und dem Vieh in die Alpen zog und dabei ein Tannberger sein Fuhrwerk bei der Roßfelle in den Tobel umwarf. So richtig sagen konnte es keiner, wie ’s passiert war. Der Bums soll dann die Säcke, die noch ganz waren, und auch das verfallene Roß verviertelt heraufgetragen haben.

Leute, die ihn noch gekannt hatten, meinten, daß der Dösinger immer lustig und gemütlich und auch nie in Raufhändel verwickelt war, denn jeder wußte, daß man ihm besser aus dem Weg gehe, als daß man in diese „Bratzen” hineinlaufe.

Im Volksmund kannte man ihn nur als den „Bums”; so fragten viele, die ihn zu Diensten brauchten, eben meist nach dem Bums. Mit seinem derben Mutterwitz und seinen spöttischen Sprüchen traf er originelle Feststellungen und hatte sich auch seinen Spitznamen „Bums” folgendermaßen eingehandelt: Jedes Frühjahr half er beim Alpaufzug zur Einödsbergalpe, und dabei scheute er sich nicht, die schwersten und sperrigsten Sachen mit hinaufzutragen. Es war die Alpfahrt 1855, und der Dösinger stieg mit den Hirtsleuten und dem Alpmeister sowie einigen Tagwerkern zur Alp hinauf. Anton hatte einen mächtigen Trag auf seinem „Reaf” (Traggestell). Oben drauf hatte man ihm noch den Rührkübel (Butterfaß) mitsamt dem Gestell gepackt, das er mit der Hand überm Kopf festhielt. Man war schon fast oben, als der Alpmeister mit dem Anton einen recht lustigen „Dischkurs" hatte und alle herzhaft lachen mußten, und da kam es, wie es kommen mußte, der Anton machte einen kleinen Stolperer oder Ruck, während er gerade eine deftige Antwort geben wollte.

Wilderer - Heft 29

Anton Dösinger (Desinger) von Birgsau, vulgo "Bums"
geb. 29. April 1829, gest. 12 Januar 1905 .

Foto: Wilhelm Hagspiel, Oberstdorf, 1900

Doch dies war zuviel, der Rührkübel mit dem Gestell rutschte vom voll beladenen ,,Reaf”, und schon kollerte er den steilen Hang hinunter. Ein Abfangen oder Aufhalten war nicht mehr möglich, und so schauten alle dem Geschehen zu.

Allen hat es die Stimme verschlagen ob dieses Mißgeschicks, ja sie standen stumm da und schauten etwas verlegen hinterher. Der Dösinger war der einzige, der lauthals lachte und sich auf die Schenkel schlug, wie er sah, welche riesigen Sprünge sein Butterfaß machen konnte. Dann murmelte er etwas von einem „Teufelsfaß”, und dann schlug der Rührkübel auf einen kurz vor dem Wald herausstehenden Findling auf, und es gab einen gewaltigen Schepperer, und der Kübel flog, in seine Bestandteile aufgelöst (Dauben und Brettle), wie Gummifedern in alle Richtungen auseinander. Der Dösinger quittierte den tragischen Abschluß des Rührkübels mit dem klassischen Fluch: ,, . . . bums, bigodd, iez ischa vrschnelld.”

Nach den Schrecksekunden kam die ganze Heiterkeit wieder wie zuvor, und man redete den ganzen Tag nur von der trockenen Feststellung des Anton Dösinger, der sich mit seinem Ausruf seinen Spitznamen eingehandelt hatte. Von diesem Tag an nannte man ihn den „Bums”, ein Spitzname, den er selbst mit Lachen zur Kenntnis nahm und an den er sich auch gewöhnte.

Doch der Bums wurde wegen einer anderen Eigenschaft zur legendären Berühmtheit, nämlich seiner Wilderei. Kaum den Kinderschuhen entwachsen, durfte er mit seinem Nachbarn, dem Drüdeslar, bei dessen nächtlichen Ausflügen mitgehen zum Kräuter- und Moossammeln, Kräuter die man nur in gewissen Vollmondnächten, bei unter- oder übergehendem Mondstand und bestimmten Tierkreiszeichen pflücken oder graben durfte. Ja, der „Drüdes” wußte unheimlich viel, und bei der Rückkehr gegen Morgengrauen hin kam es schon mal vor, daß Drüdes einen „Abschrauber” aus dem Rucksack zog und eine Rehgeiß wilderte, und weil er meinte, daß man die nicht so allein und verlassen herumstehen lassen könne, ja sie könnte auch durch den Luchs oder einen Wolf umkommen (obwohl es diese längst nicht mehr gab). In „Miresse Bearg”, oberhalb des heutigen Finkebergs, wurde die ausgeweidete Geiß in den Schopf gehängt und anderntags dann ganz einfach geholt und dem „Wirtlar” in der Birgsau gebracht.

Der damalige Wirt von der Birgsau, ein Johann Georg Lacher, aus Waltenhofen gebürtig (1835 - 1860), und auch dessen Nachfolger Andreas Roos (1860 - 1871), ein Unterfranke aus Esselbach, trieben ein gutes Geschäft mit geschwärzten (geschmuggelten) Waren. Auch Urban Jochum, der von 1871 bis 1899 die Bewirtung innehatte, machte sich den Handelsweg zum Schrofenpaß nach Süden zunutze, und so verkehrten Händler aus allen Bereichen in der Birgsau. Hier war der Treffpunkt für Viehhändler, Bauern und Schmuggler aus dem Lechtal, dem Tannberg und dem hinteren Bregenzerwald.

Im Herbst kamen die großen Viehtriebe auf die Märkte nach Oberstdorf und Sonthofen, gingen übers „Birg” herüber und hinüber, und dabei wurde auch viel „lichtempfindliche” heiße Ware bewegt, darunter auch Wildbret in roher und geräucherter Form.

An diesem Geschäft beteiligte sich auch der Bums mit seiner gewilderten Ware, und eines Tages hat ihm der Drüdeslar, bei seinen Beziehungen, einen pfundigen „Abschriüfar” (Stutzen) besorgt, der ihn sein ganzes Leben begleiten sollte.

Mit Raffinesse wilderte er meist an Orten, an denen ihn keiner vermutete, ja, meist in einem anderen Tal, und das Wildbret über Bergpässe heimzutragen machte ihm keine Beschwerden. Die alte bei ihm wohnende Hauserin versorgte die Kuh und die paar Geißen, Schafe und auch Katzen, von denen mehrere halbverwilderte Exemplare ums Haus schlichen. So konnte es Vorkommen, daß er öfters zwei bis drei Tage außer Haus war und niemand wußte, wo er sich gerade herumtrieb. Ja manchmal war er eine Woche weg, und auf die Frage an die wortkarge Hauserin bekam man die genuschelte Antwort: „Wo wed a schu sing, bu nam Leachdlar bum Hoibe.”

Wildbretabnehmer kannte er auch genug, von Lech über den Tannberg bis ins Walsertal. So wurde erzählt, daß auch der alte Kronenwirt von Mittelberg bei seinem Nebengewerbe, dem Viehhandel, mit dem Gaiwägele oder im Winter mit dem Bockschlitten regelmäßig ins Birgsauer Tal gefahren und meist auch beim Bums eingekehrt sei, bevor er zum „Wirtler” hinter fuhr. Ausgerechnet zum kleinsten Bäuerle im Tal kam der Viehhändler verdächtig oft.

Fortsetzung folgt

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