Streit um den Bau der Spielmannsauer Brücke in der Mitte des vorigen Jahrhunderts

von Eugen Thomma am 01.12.1996

,,Zu den besonderen Pflichten eines jeden Gemeinde-Vorstehers im bayerischen Staate gehört nach dem Gemeinde = Edikt die Aufsicht auf öffentliche Reinlichkeit in den Orten, dann auf Erhaltung der Wege, Stege, Brücken, Brunnen und Waßerleitungen überhaupt, und solle jeder Gemeinde = Vorsteher im Jahre mindestens 2 mal, nämlich im Frühjahre und Herbste eine deßfallsige genaue Untersuchung vornehmen, und mit Zuziehung des Gemeinde=Pflegers die Vorgefundenen Mängel und Gebrechen immer sogleich beseitigen, und namentlich die Stege, Brücken und Straßen in gut baulichen Zustand wieder hersteilen laßen, geschehe es in der Gemeindefrohn oder durch gedungene Werkverständige.

So beginnt ein »Cirkular« (Rundschreiben), das der königliche Landrichter Thalhauser von Sonthofen an „seine” Gemeindevorsteher (Bürgermeister) am 1. Oktober 1844 auslaufen ließ. Im Schlußsatz der landrichterlichen Anordnung heißt es da:

„Anbey wird angeordnet, daß alle Stege, und Brücken, größere wie kleinere, mit sichernden Geländern umgeben, und die Fahrläden genagelt werden müßen, welche Sicherheit bey den wenigsten Stegen und Brücken im Landgerichts-Bezirk bisher wahrgenommen wurde. Die Vorsteher werden für den Vollzug dieser Anordnung Verantwortlich gemacht.”

Daß die Gemeinde Oberstdorf auch zu jenen Gebietskörperschaften zählte, bei denen die geforderte Sicherheit an den Stegen und Brücken „nicht wahrgenommen” werden konnte, ist selbstredend, denn es gehörten alle Gemeinden dazu. Es herrschte damals noch die nicht ganz falsche Ansicht, daß jeder etwas auf sich selbst achten und nicht nur Forderungen stellen solle. Die Forderungen waren in jener Zeit aber noch sehr bescheiden, denn wer forderte, wurde meist beim Vollzug zur Zahlung herangezogen, und - wer bezahlt schon gerne.

Ja, die Kosten, sie waren bei allen Maßnahmen der Streitpunkt. Seit Jahren forderten die Bewohner der Spielmannsau, daß der Weg dorthin hergerichtet und (in der Truppersoy) eine Brücke über die Trettach gebaut werde. In Oberstdorf stand man jedoch auf dem Standpunkt, daß jene, die Brücke und Weg benötigen, beides auch bezahlen sollen, so wie es seit Menschengedenken gehandhabt wurde.

Durch die bayerischen Gemeindeedikte der Jahre 1808, 1818 und 1834 war die Rechtslage entscheidend verändert worden. Spielmannsau, das Jahrhunderte eine eigene Gemeinde gewesen war und nur kirchlich zur Pfarrei Oberstdorf gehörte, war nun Teil der politischen Gemeinde Oberstdorf geworden. Also müsse die Gemeinde Oberstdorf die Verkehrswege bauen und unterhalten; so die Spielmannsauer Meinung. Spielmannsau, eine eigene Ortsgemeinde mit unverteilter Gemeindeflur (Körperschaftsbesitz), wolle nur die Vorteile der Zugehörigkeit zur politischen Gemeinde Oberstdorf ausnützen, aber sich den Kosten entziehen, meinte die Kontraseite in Oberstdorf.

Als nun Gemeindevorsteher Ignaz Gschwender von Oberstdorf dem Gemeindemeister Michael Berchtold von Spielmannsau am 4. August 1843 den Auftrag gab, umgehend eine Brücke über die Trettach herzustellen oder innerhalb von acht Tagen dem königlichen Landgericht die Hinderungsgründe anzuzeigen, kam der »Fall« ins Rollen.

Gemeindemeister Berchtold und das Spielmannsauer „Gemeindeglied" Aloys Höfler führten am 14. August persönlich Klage vor dem Landrichter und übergaben einen „Aufsatz” mit ihrer Darstellung der Sachlage. Es heißt darin:

daß „die Bewohner von Spielmannsau sich nicht verpflichtet finden den fraglichen Weg und resp. die Brücke über die Trettach auf ihre Rechnung alleinig herzustellen sosehr dieselben wünschen müßen, daß nicht nur ein Steg [Anm.: wie bisher nur vorhanden gewesen], sondern eine dauerhafte Brücke über dieses wilde Waßer hergestellt werde, weil in Sonderheit bey Hochwaßer alle Kommunikation mit Oberstdorf gesperrt ist, oder nur auf einem großen Umweg dahin gelangt werden könne.

Es ist der sehnlichste Wunsch der Bewohner von Spielmannsau, daß diese Brücke sobald als möglich hergestellt werde, und dieselben wollen recht gerne zur Bestreitung der Baukosten insonderheit durch Arbeit nach ihren Kräften beytragen.”

Nicht umsonst war der Landrichter ein ausgebildeter Jurist. Er reichte den »Schwarzen Peter« an den Gemeindevorsteher Gschwender mit einer Reihe von Anweisungen zurück. So hatte Gschwender sofort eine Sitzung des Gemeindeausschusses (heute Gemeinderat) einzuberufen. Der Gemeindemeister von Spielmannsau und zwei weitere „Abgeordnete von Spielmannsau” waren hinzuzuladen und der

„Baugegenstand zur Berathung und Beschlußfassung zu bringen, und zwar derart, daß die Sache auf gütlichem Weg beygelegt, die Kostenvorschläge zur Herstellung einer soliden Brücke sofort angefertigt, und dann dem Landgerichte dieser Gemeindebeschluß resp. Vergleich zur Curatel=Genehmigung vorgelegt werde . . .

Hiebey erhält Vorsteher zugleich den weiteren Auftrag diejenigen welche zur Unterhaltung des Fahrweges von Oberstdorf nach Spielmannsau verpflichtet seyen, mit Strenge zur Ausbesserung dieses äußerst schadhaften Weges anzuhalten, und im Falle Ungehorsams dem kgl. Landgerichte anzuzeigen ...”

Hier begab sich nun der Landrichter selbst auf rechtlich wackeligen Boden: War die Gemeinde Oberstdorf zur Herstellung der Brücke im Zuge des Verbindungsweges in die Pflicht zu nehmen und nicht die Grundanlieger, so konnten diese auch nicht bau- und sicherungspflichtig für den Weg sein. Aber, so genau nahm man ’s damals mit Rechtspflichten noch nicht!

Wie zu erwarten, blieb die anberaumte Versammlung erfolglos. Oberstdorf hielt sich zurück, und die Spielmannsauer forderten, daß alle Hinterlieger, wie z. B. die Traufberger und auch die Alp- und Waldbesitzer zur Zahlung herangezogen werden. Diese wiederum versicherten, daß sie keine Brücke brauchten.

Der Streit zog sich nun schon Jahre hin. Vorsteher Gschwender weilte nicht mehr unter den Lebenden. Sein Nachfolger, der Melber Alois Rietzler (seit 1845), drängte sich in der Sache auch nicht nach vorne. Im Sommer 1848 war der Brückenbau über das Hin- und Hergerede noch nicht hinausgekommen. Jetzt findet sich in den Akten ein „Verruf-Zettel”, wonach am 6. August 1848 folgende öffentliche Bekanntmachung erfolgte:

„Unterhalt des Steges bey Spillmansau betreffend.
Auf eine Vorstellung der Gemeinde Spillmansau, an das kgl. Landgericht Sonthofen, im betreff, daß gesagte Gemeinde aus mehreren Gründen die bisherige verbündlichkeit, den Steg zu unterhalten Ablehne, und insbesondere deßwegen, weil im Spillmansauthale und Traufbergerthale sehr viele Sennalpen, und sonstige Privat und gemeinde Gründe seien, welche zu ihrer Benützungsart den Trettach Steeg oder Brücke eben so gut brauchen als die Spillmansauer selbst.

Auf diese Vorstellung wurde daß kgl. Landgericht veranlaßt den Auftrag zu ertheilen, daß die hiesige Gemeinde = Verwaltung sämtliche Betheilligte von Spillmansau und Traufberg, des Mädeles Alpe, Hieren Alpe, u. Kruttesalpe zusammen zu ruffen, um eine gütliche Beilegung der Sache zu versuchen, daß gefragten Trettachsteg oder Brügge Gemeinschaftlich gemacht werde.

Im Falle daß eine solche gütliche Übereinkunft nicht zu stände kommen sollte, so würde daß kgl. Landgericht eine Commißion unter Beyziehung des kgl. Bauinspektors zur Augenscheinsvornahme nach Spillmansau abordnen, gleichzeitig diesen Streitgegenstand weiters verhandeln, und zur Entscheidung aussetzen laßen.

Dieser Vergleichs = Versuch wird daher heute Mittags nach 12 Uhr dahier auf dem Rathause vorgenommen, wobey sämtliche Besitzer der Spillmansau und Traufberger Thale zu erscheinen haben.

gez. Rietzler Vorsteher

Nach damaliger Gepflogenheit erfolgten solche Verrüfe sonntags nach dem Hauptgottesdienst auf dem Marktplatz. Dabei verschaffte sich der Gemeindediener zuvor von einem Rathausfenster aus mit der ,,Gemeindeschelle” Gehör, um dann seinen Auftrag zu verlesen.

Die Versammlung fand statt, und es wurde beschlossen, ,,daß zuerst beaugenscheint werde, ob wirklich eine Brücke dauerhaft und ohne großen Kostenaufwand angebracht werden könne”. Bei der „Beaugenscheinung” wurde festgestellt, daß vor einem Brückenbau beiderseits des Flußlaufes Wasserwuhren (Uferverbauungen) von ca. 90 bis 100 Schuh (ca. 30 Meter) erstellt werden müßten, um die Trettach in ihrem Bett einzuengen. Dies berge aber die Gefahr in sich, daß ,,die Seewiesen durch Überschwemmung ruiniert werden”.

Brücke - Heft 29

Das Anwesen Nr. 21 1/2 in der Truppersoy unweit der »Spielmannsauer Brücke«, ca. 1900.

In dem Sitzungsprotokoll vom 13. August 1848 heißt es unter Ziffer 2 weiter:

„Der große Teil sämtlicher Betheilgten erklären, daß eine Brücke nicht so nothwendig sei, wie die Unterzeichneten Spielmannsau Bewohner in der beiliegenden Vorstellung v. 17. Juli sich ausgedrückt .haben, daß von denselben eine Brücke das ganze Jahr nicht einmal befahren werde, und daß die Erzeugnisse der übrigen Betheiligten nur am Herbst oder im Winter heraus geführt werden, zu welcher Zeit man die Trettach immer trockenen Fußes passieren kann. ”

Wenn auch nicht alle darüber glücklich waren, entschied man sich mehrheitlich für den Bau eines Steges über die Trettach. Die (politische) Gemeinde Oberstdorf gab das notwendige Bauholz kostenlos, die Bewohner der Spielmannsau und die anderen Hinterlieger (Wiesen-, Wald- und Alpbesitzer) erbauten den Steg, bzw. teilten sich die Kosten dafür. Aufgeschlüsselt wurden die zu entrichtenden Beiträge nach der Höhe der Grundsteuerzahlung des einzelnen Pflichtigen.

Jetzt stand wohl dieser Steg, aber das Problem blieb weiter. Die Wasser von Schneeschmelze und von Schlagwettern hinterließen jeweils ihre Spuren an dem Bauwerk. Der Trettachsteg blieb ein Zankapfel.

Am 8. Mai 1857 ging folgende Meldung an das Landgericht Sonthofen:

„Man zeigt dem k. Landgericht hiermit an, daß sich Unterzeichneter bei seiner heutigen Patrouille überzeugte daß sich der Vizinalweg, welche von Oberstdorf nach Spielmannsau führt, in einem gänzlich ruinösen Zustande befindet, insbesondere ist die Brücke sowie der Fußsteg, welcher unweit Spielmannsau über den Trettachfluß führten ganz weggerissen, in Folge dessen die Passage an dieser Stelle auch nur bei mittlerer Wasserhöhe schon ganz gehemmt ist.

Das k. Gendarmerie = Stations = Kommando 
Roos

Brücke - Heft 29

Spielmannsau mit der noch unverbauten Trettach in Blickrichtung Norden.

In dieser Meldung taucht erstmals in den Akten eine bereits vorhandene Brücke bei Spielmannsau auf. Sie muß also zwischen 1848 und 1857 erbaut worden sein, ohne viel »Aktenstaub« aufgewirbelt zu haben. Nun aber begann das bekannte Spiel um Notwendigkeit und Kosten einer Brücke erneut; wieder Versammlungen, Abstimmungen und Kostenzuweisungen. Vorsteher Josef Anton Dünßer, er hatte Alois Rietzler 1855 als Gemeindeoberhaupt abgelöst, führte jetzt die Verhandlungen für die Gemeinde Oberstdorf. Dünßers Ausführungen in der Stellungnahme an das Landgericht dokumentieren die Abgeschiedenheit unserer Bergtäler zu jener Zeit:

„Den 20. Juli 1. J. hat der gehorsamst unterfertigte Gemeinde=Vorstand den Weg nach Spielmannsau selbst begangen, und zur angenehmen Wahrnehmung ersehen, daß dieser Weg seit 30 Jahren nie in einem so guten Zustande hergestellt war, als gegenwärtig, und auch ein Lastfuhrwerk denselben sehr leicht, ohne alle Gefahr passieren kann, zudem wird dieser Gebirgs=Weg zur Sommerzeit höchst selten befahren und nach Aussage der Spielmannsauer selbst ganze Wochen ja Monate verstreichen, bis daß Bedürfniß der Bewohner von Spielmannsau ein Fuhrwerk dorthin erfordern.”

Eine neue Brücke wurde erstellt, die aber 1862 schon wieder einer Erneuerung bedurfte. Dieses Spiel wiederholte sich so lange, bis durch die Wildwasserverbauungen des kgl. Straßen- und Flußbauamtes um die Jahrhundertwende massive Schutzbauten Ufer und Brücke sicherten. Für die Geschichtsschreibung war ein Thema wie der Trettachsteg völlig untergeordnet, selbst für die Bewohner Oberstdorfs bedeutete es eine Randerscheinung, für die zehn Familien mit insgesamt 57 Personen in der Spielmannsau gehörte es aber zu den Alltagssorgen.

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