Im ehemaligen Schopf des jetzt umgebauten und erneuerten Schöllanger Pfarrwohngebäudes befand sich noch etliche Jahre lang eine sargförmige Holzkiste, die für den Abtransport nach Amerika bestimmt war: per Schiff sollte die überlebensgroße Holzfigur des Erzengels Michael aus der über der Iller gelegenen Burgkirche in die „Neue Welt” verfrachtet werden, um dort als kostbare Attraktion aus dem Allgäu die Kunstinteressierten zu erfreuen. Die damalige Kirchenverwaltung konnte im letzten Augenblick diesen gewiß wohlgemeinten Coup der Geldbeschaffung verhindern und somit der Pfarrei ihren himmlischen Patron erhalten.
Und wie majestätisch, ja überirdisch dieser Engel nun zu bestimmten Zeiten im wunderbaren Hochaltar der Schöllanger Kirche steht: ein Bild von einem Engel, kraftvoll, erhaben, überlegen, hoheitsvoll, als einer der schützenden stillen Begleiter des Menschen. Es ist ihm anzusehen, daß er sich souverän gewehrt hat, über den „großen Teich” zu kommen, in ein Land, von dem die Europäer damals berichteten, es fließe darin Milch und Honig, dann Walt Disney und MacDonald's. Die Heimat mit den hohen Bergen ringsum, den üppigen Bergwiesen und reißenden Wassern in Tobeln und Bächen war ihm angeboren und von einem gütigen Gott zugeteilt, um die Menschen dort zu schützen.
„Hilf uns im Streite, zu Sieg uns leite, Sankt Michael!” singt die Gemeinde am Fest des heiligen Erzengels jedes Jahr in einem Text von Friedrich Spee aus dem Jahre 1621.
Schon seit dem fünften Jahrhundert wird Michael verehrt in der lateinischen Kirche, und noch früher in der östlichen Liturgie. Zahlreich sind die Heiligtümer, die ihm geweiht sind als Himmelsfürsten, Drachentöter und Teufelsbezwinger, nicht zuletzt aber als Seelenwäger bzw. Seelengeleiter. Deshalb gilt er als Schutzengel der Menschen und wird zum Patron der Friedhofskirchen. Nach Gregor von Tours (Libri Miracolum) übergibt Christus beim Tod seiner Mutter ihre Seele dem Erzengel; beim Weltgericht ist Michael der Hüter des Paradieses.
Der Typus des Drachentöters beginnt sich im 9./10. Jahrhundert zu entfalten. Als solcher tritt er uns in Schöllang entgegen in einer außergewöhnlichen Erscheinung, wie sie Figuren der frühen Hochgotik eigen ist. Trotz einer Neufassung von 1899 und teilweisen barocken Überarbeitung (Flügel, Kreuzstab, Kopf und Schwanz des Drachen) verkörpert die edle Gestalt immer noch die Gottvolle Zeit der Mystik, in einer Feinfühligkeit und Ruhe, die sie den bedeutendsten noch erhaltenen Altarbildwerken der Zeit um 1320 zuordnen läßt.
Bildwerke des Bodenseemeisters Heinrich von Konstanz, heute verstreut in verschiedenen europäischen Museen, tragen deutlich verwandte Züge; auch die ein wenig ältere hoheitsvolle Muttergottes auf ihrem Thron in Rauhenzell, eine weitere aus Überlingendorf oder die um zwanzig oder dreißig Jahre jüngere Mutter Anna mit Maria in der Oberstdorfer Pfarrkirche sind wesensgleich. Vor allem aber sind es die beiden Christus-Johannes-Gruppen aus der Bodenseegegend (Dominikanerinnenkloster St. Katharinental, heute Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen und Inzigkofen bei Sigmaringen, heute staatliche Museen Berlin), die sich mit dem Schöllanger Michael vergleichen lassen.
Da die Bischofsstadt Konstanz zur damaligen Zeit eine bedeutende geistige Metropole auch in künstlerischer Hinsicht darstellte, die Kirchen und Klöster bis in den Alpenraum hinein belieferte, und die Iller vermutlich schon seit dem siebten Jahrhundert die Grenze zwischen den beiden Bistümern Augsburg und Konstanz bildete, ist eine Verbindung in das obere Illertal zur Schöllanger Kirchengemeinde gut denkbar.
Die kostbare Michaelsstatue befand sich bis 1804 in der vom Friedhof umgebenen Kirche „uffem Burgk” und wurde zusammen mit der vom Augsburger Bischof Marquard von Berg (1575 - 91) gestifteten großen in Kempten 1579 gegossenen Glocke, deren Klang laut Sage bis Kempten zu hören war, in die neue Pfarrkirche nach Schöllang übertragen.
Das Patrozinium zu Ehren des Erzengels Michael hat sich bis heute an beiden Kirchen erhalten und auch künstlerisch in barocken Altarbildern mit demselben Thema niedergeschlagen.
Als Repräsentant des Himmelreiches blieb Michael durch die Jahrhunderte hindurch den Schöllangern bis auf den heutigen Tag verehrungsvoll erhalten, eingedenk der letzten Strophe des Michaelsliedes:
"Beschütz mit deinem Schild und Schwert -
die Kirch, den Hirten und die Herd."