Ein Grabstein läßt aufhorchen: Sonthofer Pfarrer und Dekan im Schwedenkriege aus Altoberstdorfer Geschlecht

von Werner Grundmann am 01.11.1983

Der Tübinger Dichter Ludwig Uhland schrieb 1812: „Heilig achten wir die Geister / Aber Namen sind nur Dunst!” Sie vergehen mit ihren Generationen wie Schall und Rauch, es sei denn, daß eine Tat, eine Schrift oder ein Denkmal das Gedächtnis an einen längst Verstorbenen wach erhielten.

Gar mancher Oberstdorfer mag schon einen Blick auf den Grabstein neben dem alten Eingang am Heimathaus Sonthofen geworfen haben, vielleicht hat er auch aus der lateinischen Schrift den Namen Johannes Speckhle herausgelesen und das Todesjahr MDCLV entziffert, aber nicht geahnt, daß der Stein Zeugnis ablegt von einem bedeutenden geistlichen Herrn aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der von Oberstdorf stammte und viel Schweres erlebte.

Grabstein - Heft 4

Grabstein des Pfarrers und Dekans
Johannes Speckle in Sonthofen
(gest. 1655)

Was berichtet uns die noch fast lückenlos erhaltene Inschrift der Grabtafel? Bei Auflösung der Abkürzungen und Ergänzung der nicht mehr lesbaren Worte ergibt sich folgender Text:

MORTIS HONOS EST SCIRE
MORI VITAEQUE BEATAE
EXITUS EST TESTIS
QUI SINE LABE FUIT CALIX INEBRIANS
IDUS FEB MDCLV
EXPIRAVIT ADM
R(EVEREN)DUS CLARISSUS
D(OMINUS): IOANNES SPECKHLE
A(UDITOR) A(RTIUM) L(I)B(ERALIUM)
ET PHL(OSOPH) IAE MAG
CELEBRIS CAPIT CAM
PIDON DECANUS PAS
TORALEM CU PAM
IN S(0)NTH0VEN XXXVI
A(NNO)S MEMORABILI
KNSTANTIA ?) MINISTRANS
(REQ)UIESCAT
N (DEI) PACE

Übersetzung:

Ehre des Todes ist, sterben zu
wissen und eines gesegneten
Lebens Ausgang ist Zeuge,
wie ohne Sturz vorüberging der
taumelnmachende Kelch
An den Iden des Februar 1655
gab den Geist auf der durchaus
hochehrwürdige Herr
Johannes Speckhle,
Hörer der 7 freien Künste
und Magister der Philosphie,
des berühmten Kapitels Kempten
Dekan, dessen Hirtenpfarrei
in Sonthofen 36 Jahre
lang mit denkwürdiger
Standfestigkeit verwaltend.

Das U ist bei der lateinischen Inschrift als V geschrieben, die Endung us oft als Kürzel, das der Ziffer 9 ähnelt. Zerstört ist im oberen Teil der Grabplatte das Priestersymbol des Kelches, beseitet von Palmzweigen, und unten die Schlußvignette, wohl drei Rosen. Die gut verfaßte Inschrift dürfte im Stift Kempten entworfen worden sein. Dort ist wohl auch der Bildhauer zu suchen, denn im Dreißigjährigen Kriege waren gehobene Handwerker im weiten Lande kaum mehr vorhanden. In Frage kommt der Bildhauer Georg Schmelz aus Dietmannsried, dem das Kemptener Stift ein Häuschen eingeräumt hatte und in dessen Werkstatt die Grabtafel entstanden sein könnte. Er wird in fürststiftlichen Hofratsprotokollen zwischen 1644 und 1659 mehrmals genannt und schuf auch Epitaphe, z. B. das für Abt Willibald Schenk von Kastel.

Das Todesdatum Pfarrer Speckles ist mit den „Iden des Februars” (13. Februar) angegeben, fiel jedoch nach Auskunft des Diözesanarchivs in Augsburg schon auf den 7. Februar 1655. Aus der Geschichte von Sonthofen (Hipper-Kolb 1978 S. 228) ist zu erfahren, daß Johann Speckle aus Oberstdorf stammte, in Freiburg i. Br. studierte, seit 1602 Spitalbenefiziat und 1618 - 1654 Pfarrer in Sonthofen war, zuletzt auch Dekan, dann resignierte und im Jahre darauf fast 80 Jahre alt starb. Genaueres enthält der Augsburger Generalschematismus: Priesterweihe 1602, von 1602 bis 1604 Frühmesser und Spitalkaplan, 1617 als Pfarrer von Sonthofen investiert (Nachfolger 1654 Pfarrer Christoph Kreuzerer), seit 1642 Dekan des Landkapitels Kempten, also Nachfolger von Dekan Johannes Frey/Oberstdorf (+ 5. 12. 1641) und wohl 1655 als Dekan abgelöst von dem Oberstdorfer Pfarrer Georg Mayr (+ 29. 3. 1681).

Es blieb zu klären, wer waren die Oberstdorfer Eltern des Pfarrers Johann Speckle (Speckhle, Specklin) und wo war er zwischen 1604 und 1617 tätig, bevor er die Pfarrstelle in Sonthofen erhielt? Eine Anfrage beim bayerisch-schwäbischen Staatsarchiv Neuburg a. D. hatte Erfolg. Aus einem Übergabebrief der Witwe seines Vaters Hans Speckhlin aus Oberstdorf vom 2. Februar 1611 (Akt Augsburger Pflegeämter 815, fol. 368) geht hervor, daß Anna Speckhlin geh. Zweng (Zwengin) „demnach sie ein alt betagtes Weib, die sich mit ihrer Handarbeit nit mehr hinbringen kann”, mit Vorwissen Conradt Schrautolfs, Gerichtsammanns, und Hansen Brutschers, ihrer Beistände, im Beisein Herrn Ulrich Rößlins, Dechants und Pfarrers zu Oberstdorf und Hansen Speckhlins, Pfarrer zu Braitenwang und Conradt Speckhlins „beeder Ihrer Söhne” ihrem Sohn Michael Speckhlin und allen seinen Erben alle liegende und fahrende „Hab und Güeten”, desgleichen „allen Haußrath geschiff unnd geschirr” übergibt, unter der Bedingung, daß er seine Mutter ihr Leben lang mit essen und trinken, gesund und krank nach aller ihrer Notdurft erhalte und wahre. Jedoch solle sie den Wein, Weißbrot und Kleidung selbst bezahlen. Michael solle seinen zwei Brüdern Hans und Konrad für ihre Auslösung 439 Gulden bezahlen. Die Mutter behält sich selbst 400 Gulden vor, deren Rest nach ihrem Tode ihren Kindern zu gleichen Teilen als Erbe zukommen solle.

Am gleichen Tage stellte Michael Speckhlin zu Oberstdorf einen entsprechenden Schuldbrief aus und verspricht auf Lichtmeß (2. Februar) 1612 139 Gulden und dann jährlich auf Lichtmeß 100 Gulden bis zur Abzahlung der 439 fl. samt jedesmal 10 fl. „Interesse” (Zinsen) zu zahlen. Nach Bezahlung ist die Abschrift im Briefprotokoll gestrichen und der Vermerk „ist zalt” darunter gesetzt.

So wissen wir nun, daß Johannes Speckle (Speckhlin) vor Sonthofen in Breitenwang Pfarrer war und kurz vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1617) erst die Pfarrstelle in Sonthofen antrat (als Nachfolger des Pfarrers Christian Dummler, der 1617 starb)7). Im Jahre 1620 ließ Pfarrer Speckle den Pfarrhoffür über 800 Gulden durch Zimmermeister Heinrich Seelos neu erbauen (KDM. Sth. S. 840) und im gleichen Jahr einen Hochaltar in der Pfarrkirche erstellen, zu dessen Errichtung die Spitalpfründerin Magdalena Nuschler 220 Gulden stiftete. Leider ist der von einem Weilheimer Bildhauer (Hans Dengler oder Bartholomäus Steinle?) für 290 fl. gelieferte Frühbarockaltar nicht mehr vorhanden.

Rühmlich soll sich Pfarrer Speckle während des Schwedenkrieges verhalten haben. Größte Sorgen machte ihm die Ausbreitung der Pest 1628 und in den Jahren 1632 - 35 und besonders die Ausplünderung des Sonthofer Pfarrhofs am 20. September 1632 durch die Schweden. Da der Pfarrer das Versteck des Kirchensilbers nicht verriet, banden ihn die aufgebrachten Räuber auf ein Pferd und entführten ihn bis nach Immenstadt, wo sie den zu Tode erschöpften auf die Straße warfen (G. Sth. S. 154). In der Allgäuer Chronik von Dr. Dr. Weitnauer (Text II, S. 210) wird diese Entführung nach der Erpressung einer großen Geldsumme und Herausgabe des versteckten Kirchensilbers zum 20. September 1633 - also ein Jahr später - berichtet, desgl. von J. Stadelmann („Vorderburg und die Herrschaft Rettenberg”, Kempten1948 S. 341). Diese inzwischen wegen des vorherigen Abzugs der Schweden aus dem Allgäu als unzutreffend zurückgewiesene Darstellung (G. Sth. S. 155) bezieht sich offensichtlich auf einen Fehler der benutzten Quelle: Alexander Gerstbachers (1824 - 1882) früher im Stadtarchiv Kempten befindlichen Manuskripts über die Geschichte der Herrschaft Rettenberg (S. 858).

Grabstein - Heft 4

Schuldbrief des Michael Spekhlin
zu Oberstdorf vom 2. Febr. 1611

Das Geschlecht der Speck(h)le (Speckhlin, Späcklin und ähnlich) in Oberstdorf läßt sich nach alten Urkunden bis in das frühe 15. Jahrhundert nachweisen. Im Feuerstättenverzeichnis von 1427 (Tiroler Landesarchiv) sind unter „Oberstorff/Hanß Spekchlins weib und ire Kind: Eis, Anna, Hennsl, Peter, Oßwalt, Greth” aufgezeichnet. 1448 sind nach einer Kemptener Urkunde Eis Speklin und Hainz Speklin, ehemals heimenhofische Leute, nach Kempten ausgewandert (Mitteilung Dr. Thaddäus Steiner nach Reichsstadt-Kemptener Urkunde). 1510 ist ein Oswald Späcklin und 1516 ein Hans Späcklin in Oberstdorf genannt.

In einem Zinsbrief der Oberstdorfer Pfarrkirche vom 3. März 1533 werden ein Jörg Speckli und ein Conrat Zwenng (Verwandter der Mutter Pfarrer Johann Speckles?) als Heiligenpfleger der St. Johannes-Pfarrkirche genannt, denen Stoffel Zwenng einen Fallzins verkauft, der auf 5 Viertel Saat Ackers genannt der „Gießenpruckher im ottenror” gelegt ist und an Conrat Stöckhli und Oswalt Speckhli grenzt. Auch 1541 wird in einem Zinsbrief „Oswalt Spöckhli” als Angrenzer an eine Wiesmahd „in gerueben” (Gruben) erwähnt (Oberstdorfer Pfarrarchiv).

In den Allgäuer Mannschafts- und Bewaffnungslisten des 16. Jahrhunderts (A H. B. 15. Bd.) werden 1550 Hoiß Speckli, Jörg Speckli und Lenz Speckhlin unter Oberstdorf genannt, sowie nochmals Jerg Speckhlin 1556 in einer Urkunde des Pfarrarchivs O. Der Vater des Pfarrers Johann Speckle findet in der Literatur über jene Zeit nur einmal Erwähnung und zwar im Musterregister Anno 1613 zusammen mit seinem Sohn: „Conradt, Hanß Speckles sohn” (A H. B. 15. Bd. S. 55). Wie wir aus dem Übergabebrief seiner Witwe Anna von 1611 wissen, war er damals schon tot. Was aus seinem Sohn und Erben Michael Speckle während des Schwedenkrieges geworden ist, entzieht sich unsrer Kenntnis. Seine Auslösungsschulden an seine Brüder Hans und Konrad hat er wahrscheinlich fristgemäß bis 1615 abgezahlt, wie die Notiz „ist zalt” besagt.

Weitere Nachrichten über die Familie Speckle in Oberstdorf sind nicht bekannt, dagegen Mitglieder des Namens in Kempten. 1616 - 1633 ist ein Kupferschmied Matheus Speckhle in Kempten nachweisbar, 1669 ein Goldschmied Linhart Speckhle und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts steigt Goldarbeiter Johann Lucaß Specklin zum Mitglied des Kemptener Stadtrats auf und wird 1744/45 sogar Stadtammann (Bürgermeister). Erfühlte ein Wappen: Geviertet, am 1. Platz in Blau ein wachsender Geharnischter mit Schwert, am 2. Platze ein weißer Linksschrägbalken, darin drei rote Rosen (vgl. A G. F. 1962 S. 318, Wappen 1363). Ob diese und viele andre Kemptener Speckle (siehe A H. B. 35. Bd. Kemptener Bürger aus sechs Jahrhunderten von Dr. Dr. A Weitnauer) Nachkommen des im 15. Jahrhundert ausgewanderten Heinz Specklin waren oder von später nach Kempten übersiedelten Oberstdorfem abstammen, bleibt jedoch ungeklärt.

Abkürzungen:

A Chr. = Algäuer Chronik von A Weitnauer, Kempten.
A. G. F. = Algäuer Geschichtsfreund, Zeitschrift Kempten
A. H. B. = Algäuer Heimatbücher, Kempten
Bd. = Band
f = folgende Seite
fl. = Gulden
G. Sth. = Sonthofen im Wandel der Geschichte von R. Hipper und Ae. R. Kolb, Kempten
KDM = SthDie Kunstdenkmäler des Landkreises Sonthofen (M. Petzet),
München
O. = Oberstdorf
P.A. = Pfarrarchiv
S. = Seite
St. A. N. = Staatsarchiv Neuburg a. d. Donau

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