In den letzten 10 Jahren bekam in Zusammenhang mit der Klimaerwärmung auch der Schnee im Oberallgäu einen ganz anderen Stellenwert: vom lästigen Übel zum heißersehnten Rohstoff. Mit der nachfolgenden Auswertung der seit über 100 Jahren vorliegenden täglichen Schneehöhen in Oberstdorf wird die oftmals gefühlsmäßige Diskussion über die Winter von heute und früher auf eine objektive Basis gestellt.
1. Einführung
Am 1. Februar 1886 wurde in der Marktgemeinde Oberstdorf - auf Initiative des »Verschönerungsvereins« - mit regelmäßigen meteorologischen Beobachtungen begonnen, die mit nur einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1945 bis heute fortgesetzt wurden! Über die Temperatur-, Niederschlags- sowie Sonnenscheinverhältnisse in den letzten hundert Jahren wurde in dieser Schriftenreihe bereits berichtet.
Zu dem Meßprogramm gehört seit Anbeginn auch die Schneehöhe, die jeweils am Morgen (bis 1899 etwa um 8.00 Uhr, später um 7.00 Uhr Ortszeit) bestimmt wurde. Diese wird - gemäß unveränderter Vorschrift - auf einem möglichst freien, von Bäumen und Häusern unbeeinflußten ebenen Wiesenstück mit einem Lineal oder fest montierten Schneepegel gemessen.
Obwohl diese Meßmethode im Prinzip sehr simpel ist, bestehen doch große Fehlermöglichkeiten. Mit der nur einen Messung jeweils am Morgen bleiben etwaige große Änderungen während des Tages (durch Tauwetter oder starken Schneefall) unberücksichtigt. Und selbst kleine Änderungen des Meßplatzes bewirken oftmals große Wechsel: So zeigen die Parallelmessungen im Winter 1936/37 zwischen dem alten Standort beim Schulhaus und dem Stationsstandort in der Wannackerstraße - obwohl nur wenige hundert Meter voneinander entfernt - Unterschiede von teilweise mehr als 10 cm! Auch der letzte Wechsel von der im Ort gelegenen Wannackerstraße zum neuen, außerhalb des Ortes gelegenen Standort der automatischen Station im Jahre 1994 dürfte spürbar sein. Die Messungen sind dadurch nur bedingt vergleichbar.
Dagegen ist der Einfluß des Windes auf die Schneehöhen im Oberstdorfer Talbecken gering. In der Höhe (etwa auf dem Fellhorn oder Nebelhorn) bereitet dagegen gerade die Windverfrachtung das größte Problem bei der Schneehöhenmessung: Die Kreten (Grate) sind oft schneefrei, in Mulden liegt der Schnee meterhoch.
Die Daten für diese Auswertung stammen bis 1909 aus den entsprechenden Jahrbüchern des Königlich Bayerischen Hydrographischen Dienstes, anschließend aus den - immer noch an der Wetterstation vorhandenen - Original-Tagebüchern.
Detaillierte klimatologische Auswertungen über die Schneeverhältnisse in den bayerischen Alpen sind eher rar. Aus dem benachbarten Österreich liegen dagegen recht umfassende Untersuchungen vor.
2. Schneedeckentage
Im langjährigen Mittel der Jahre 1961 bis 1990 liegt in Oberstdorf an 127 Tagen, also gut einem drittel Jahr eine Schneedecke mit mindestens 1 cm Mächtigkeit! Die erste Schneedecke tritt dabei schon Mitte September, die letzte Anfang Juni auf. Im Jahre 1991 bildete sich sogar am 17. Juni am Vormittag eine vorübergehend 3 cm dicke Schneedecke. Somit sind nur die beiden Hochsommer-Monate Juli und August bis jetzt schneefrei geblieben!
In den letzten 110 Jahren lag die Zahl der Tage mit Schneebedeckung in Oberstdorf meist zwischen 100 und 150 (siehe Abb. 1). Ein statistisch gesicherter Trend läßt sich aus diesem Verlauf nicht ablesen! Doch die immer wieder auftretenden schneearmen, meist durch milde Westwindlagen gekennzeichneten Winter (etwa auch in den 20er Jahren) treten in den letzten Jahrzehnten immer prägnanter auf. Allerdings führt das Jahr 1972 mit nur 58 Tagen Schneebedeckung noch vor dem extrem warmen Jahr 1990! Andererseits wurden Jahre mit langanhaltender Schneedecke erstaunlicherweise nicht in der „guten, alten Zeit” beobachtet, sondern auch erst vor einigen Jahren: Im Kalenderjahr 1980 lag an 177 Tagen Schnee!
3. Schneehöhen
Seit dem Jahre 1886 liegen für Oberstdorf die täglichen Schneehöhen vor. Diese lange Meßreihe weist aber einen „Sprung” im Winter 1936/37 auf, verbunden mit dem Wechsel des Beobachtungsorts. Die folgende Auswertung beschränkt sich auf die Jahre 1951 bis 1997, ein Zeitraum, den auch die meisten Leser noch in Erinnerung haben.
Abbildung 2 zeigt für die kalte Jahreszeit (Oktober bis Mai) die mittlere sowie die maximale tägliche Schneebedeckung. Bereits im September liegt sporadisch Schnee, doch im Mittel bildet sich erst Mitte Oktober zum ersten Mal eine geschlossene Schneedecke. Die 1 -Meter-Marke wird erstmals im Dezember erreicht. Die Weihnachten sind etwa in 8 von 10 Jahren „weiß”. Besonders schneereiche Weihnachtstage gab es in den letzten 110 Jahren: 1962 (100 cm), 1923 (99 cm) und 1981 (94 cm). Der meiste Schnee liegt im Mittel in der zweiten Februarhälfte. Wintersportler können dann im Talbereich mit der größten Schneesicherheit rechnen. Mit zunehmender Höhe verschiebt sich dieses Schnee-Maximum übrigens in den April (auf 2.000 m) oder sogar auf Anfang Mai (2.500 m)!
Die größte je gemessene Schneehöhe wurde am 11. Februar 1952 mit 180 cm erreicht - an diesem Tag forderten Lawinenabgänge im Kleinwalsertal 19 Todesopfer! Aber auch im März kann ohne weiteres noch bis zu 170 cm Schnee liegen (zuletzt im Jahre 1988), und selbst im April sind mehr als 100 cm Schnee möglich. Im Mai kann sich vor allem bis zum 10. und nochmals um den 20. (Eisheilige) herum eine bis zu 10 cm dicke Schneedecke bilden!
4. Neuschneehöhen
Schneedeckentage und Schneehöhen kennzeichnen einen Winter aber nur teilweise. Vielfach sorgt nach einem kräftigen Schneefall eine nachfolgende stabile Hochdrucklage für eine unverändert geschlossene Schneedecke im kalten Talboden, während die Hangpartien und damit auch teilweise die Pisten bereits ausapern. Neuschneesummen entsprechen da wesentlich besser unserem Bild eines schneereichen oder schneearmen Winters. Auch für den Winterräumdienst sind diese Angaben von großer Bedeutung.
Verglichen mit den Nachbarländern Österreich und Schweiz fand aber die Messung des Neuschnees bei uns lange Zeit zu wenig Beachtung: Die Messungen begannen erst im Winter 1936! Dabei ist die Meßmethode ebenfalls relativ einfach: Ein circa 1 Quadratmeter großes, weiß gestrichenes Holzbrett wird auf den Boden oder auf die Schneeoberfläche ausgelegt, jeweils am Morgen der Schneezutrag gemessen und das Brett gesäubert wieder ausgelegt. Die aus den jeweils am Morgen gemessenen 24stündigen Neuschneemengen über die einzelnen Winter aufsummierten Werte zeigt Abbildung 3. Auch hier läßt sich kein statistisch signifikanter Trend ableiten. Immerhin stechen auch hier die bekannt schneearmen Winter 1989/90 sowie 1971/72 hervor, doch mit fast 700 cm Neuschnee überflügelte der Winter 1980/81 sogar die sonst als besonders schneereich in Erinnerung gebliebenen Winter der 60er Jahre!
4. Schlußbemerkungen
In Oberstdorf liegt im Schnitt an 127 Tagen im Jahr eine geschlossene Schneedecke, nur die beiden Sommermonate Juli und August sind schneefrei. Die Schneedecke kann dabei Höhen von 160 bis maximal 180 cm erreichen, und pro Winter gilt es im Mittel 435 cm Neuschnee von Fußwegen und Straßen zu entfernen. Im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung gab es in den letzten Jahren einige schneearme Winter; aber auch in den 20er und 30er Jahren zeigten sich die Hochwinter wochenlang aper.
Zugenommen hat dagegen - wie bei anderen Wetterelementen auch - die große Variabilität von Jahr zu Jahr! Wahrscheinlich tritt die von den Experten erwartete Klimaveränderung im Moment besonders dadurch in Erscheinung. Und das heißt für die kommenden Winter noch zahlreiche Überraschungen, in die eine oder auch andere Richtung . . .