Bemerkung der Redaktion: Im Hinblick auf die Bedeutung und die große Zahl seiner Mitglieder (ca. 2.200) wird anläßlich seines 110jährigen Jubiläums außer der Reihe der Turn- und Sportverein (TSV) Oberstdorf vorgestellt.
Historisch-politische Dimension des Turnens und des Sports
Was heute so verständlich klingt, Turnen, Sport, Turnhalle, Sportplatz usw., mußte zunächst einmal erfunden werden. Als 1811 „Turnvater Jahn” das Turnen auf der Hasenheide bei Berlin einführte, waren bis dahin nur die Leibesexerzitien der Aristokraten (Reiten, Fechten, Tanzen) gefragt. Das vaterländisch-jahnsche Turnen in der Öffentlichkeit wurde zu einer entscheidenden Antriebskraft für die Turn- und Sportbewegung. Als nach den Befreiungskriegen die Turnbewegung nachdrücklich gegen die eingeschränkten Freiheitsrechte auftrat, wurden die Turnvereine 1820 in den meisten deutschen Staaten durch die „Turnsperre” verboten.
Trotz aller polizeistaatlichen Maßnahmen konnte in den folgenden Jahrzehnten die freiheitliche Idee der Turner nicht unterdrückt werden.
Als die Turner in der Revolution von 1848/49 mit auf die Barrikaden gingen und der Versuch, eine freiheitliche Verfassung zu schaffen, scheiterte, mußten viele Turner nach Amerika und in die Schweiz emigrieren. Da die nationale Einigung unter der Führung Preußens erwartet wurde, kam es zu einer Belebung der Turnbewegung. Im oberen Allgäu entstanden dabei die Turnvereine in Immenstadt, Oberstaufen, Blaichach und Sonthofen.
Die Gründerzeit des TSV (1887 - 1889)
Im Sommer des Jahres 1887 lernten sich in Oberstdorf zwei begeisterte „Jünger Jahns” kennen. Es waren dies der ältere Turner Theodor Ruehs und der 19jährige Robert Reh. Ihnen schlossen sich folgende Herren an: Josef Steiner, Josef Huber, Claudius Hochfeichter, Joseph Thannheimer (genannt Doff), Albert Gschwender, Otto Reh, außerdem einige Handwerksgesellen wie Magnus Thannheimer (genannt Mang) und Adolf Füßler. Geturnt wurde in der Tenne von Michael Hochfeichter.
Im Herbst 1888 fand im Gasthaus »Zum Löwen« die Gründungsversammlung statt. Dies muß im September oder anfangs Oktober gewesen sein, da im Protokoll des Feuerwehrvereins vom 18. Oktober 1888 der neugegründete Turnverein erwähnt wird. Erster Vorstand wurde der damalige Betriebsleiter der Lokalbahn, Friedrich Schiennert. (Ein Foto der Gründungsmitglieder war 1935 noch im Besitz des Vereins und ist leider verlorengegangen.)
1888/89 konnte erstmals im Winter im Sitzungssaal der Marktgemeinde geturnt werden. 1889 wurde Dr. Ulrich Reh Vorstand. Der Verein hatte 12 aktive und 32 passive Mitglieder. Der Monatsbeitrag betrug 20 Pfennig.
Der TSV wächst (1890 - 1918)
1890 nahm der TSV bereits die Jugendarbeit auf. 14 „Zöglinge” kamen in die Turnstunde. Daß beim Turnverein nicht nur geturnt, sondern auch deutsches Liedgut gepflegt wurde, zeigt der Kauf von 12 Liederbüchern im Jahr 1891. Auch die „Kneipabende” wurden anscheinend gut besucht, da 1893 ein Turnertrinkhom um 40 Mark angeschafft wurde. (Dieses Turnertrinkhorn war in Fremdbesitz gekommen, wurde von den Kirchsträßlem aufgekauft und dem TSV zur 100- Jahr-Feier dankenswerterweise zurückgegeben.)
1896 war Fahnenweihe! An Sammelspenden gingen ein: Fabrik 18 Mark, Obermarkt 224 Mark, Untermarkt 152 Mark und von Ludwig Witsch 100 Mark. 1897 wurde unter den Vereinsmitgliedern erstmals der Wunsch nach einer Turnhalle laut. Ab Sommer 1899 turnte man im Dachboden des 1889 neu erbauten Spritzenhauses. Im Winter konnten die Turner ihren Sport im Hotel »Sonne« (Saalmiete 1 Mark), später im »Trettachhotel« (Nebelhornbahnhotel) und im »Bahnhofshotel« betreiben.