H. H. königl. Geistl. Rat Pfarrer Alois Heinle, Gründungsvorstand 1909,
gab mit Bürgermeister Ludwig Fischer
den Anstoß zur Gründung des Vereins.
Im Gegensatz zu Gedenktagen, wo man sich meist an schmerzvolle Ereignisse erinnert, sind Jubiläen Freudentage. Man begeht jubelnd ein Fest zu Ehren von z. B. einem Menschen, einer Gemeinde, eines Betriebes, eines Vereins. Man beglückwünscht den Jubilar, die Jubilarin – und man blickt mit Freude und Stolz auf das Werk der verflossenen Jahre zurück. Wir blicken zurück auf 100 Jahre „Verein für Ambulante Krankenpflege in Oberstdorf e. V.“, auf 100 Jahre Pflege der Kranken, Armen und Alten, auf 100 Jahre segensreiches Wirken in unserer Heimatgemeinde.
Die Vorgeschichte dieses Vereins hängt mit dem Werden des Armen-, Alten- und Krankenhauses eng zusammen („Unser Oberstdorf“, Heft 36, Seite 1109) und reicht zurück bis in die Mitte des 19. Jahrunderts.
Ein Jubel war es, als mit Beginn des neuen Jahrhunderts diese Anstalt fertigestellt war. Aber schon mit den ersten stationären Patienten fiel ein Wermutstropfen in den Jubel und die Freude, die Kostenfrage. Schnell tauchte die Frage auf: „Wer kann sich den Aufenthalt im Krankenhaus leisten?“ Wohl gab es bereits die gesetzliche Krankenversicherung für Lohnempfänger, aber in der landwirtschaftlich geprägten Struktur Oberstdorfs war nur ein geringer Teil der Bevölkerung krankenversichert.
Die Versorgung der Erkrankten und Alten im Schoße der Familie wie bisher geschehen, war daher die Alternative zum Spital. Auch alte Einzelpersonen konnten mit tätiger Hilfe sich länger in ihren „eigenen vier Wänden“ behaupten und wurden nicht zu „Pfründnern“. Die ansässigen Ärzte behandelten ihre Patienten wohl im Hausbesuch, aber es mangelte an fachlicher Umsorgung. Der Ruf nach einer ambulanten Krankenpflege wurde immer lauter.
Pfarrer Alois Heinle und Bürgermeister Ludwig Fischer erkundigen sich mit einem Schreiben am 5. 12. 1908 beim Superior der Barmherzigen Schwestern in München. Die Auskunft ist nicht ganz ungünstig und so geht man in Oberstdorf ans Werk. Marktsekretär Johann Anton Schmidt schildert das Geschehen wie folgt:
„Am Feste Christi Himmelfahrt 1909, dem 20. Tage im Monat Mai, wo uns die Natur mit ihrem frischen Grün und Blumenschmuck so reichliche Gaben spendet, sollte in Oberstdorf ein Werk aufgebaut werden, das als eines der edelsten der christlichen Nächstenliebe gilt, ein Werk das für unsere leidenden Mitmenschen das größte Geschenk, nämlich geschulte Pflege und damit Hilfe und Linderung im schweren Leiden bringen soll.
Der Aufruf des Pfarrvorstandes, Hochwüdigen Herrn k. Geistl. Rats Heinle, in Oberstdorf zur Gründung dieses Werkes, hat in allen Schichten der hiesigen Bürger- und Einwohnerschaft freudigen Widerhall gefunden. Der Besuch der Versammlung im Gasthaus zum Hirschen an obigem Tag war ein so zahlreicher, daß sofort der Verein für Ambulante Krankenpflege in Oberstdorf gegründet, die Satzung desselben bestimmt, die Vorstandschaft des Vereins gewählt und von dieser auch gleich nähere Bestimmungen zur Erreichung des Vereinszweckes, das ist die Heranziehung von zwei Ordensschwestern aus dem Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in München, getroffen werden konnten.”
Bis zum Jahresende zählte der Ver- ein schon 177 Mitglieder.
Die Vorarbeit zu dieser Vereinsgründung war mustergültig und im § 3 der Satzung steckt deren Kern: „... Pflege wird ohne Unterschied des Standes, des Vermögens und der Confession gewährt, mit Ausnahme von ledigen Personen, welchen infolge ihrer Mitgliedschaft bei einer auf reichsgesetzlicher Grundlage bestehenden Krankenversicherungskassen Anspruch auf unentgeltliche Verpflegung im hiesigen Krankenhaus zusteht.” Hier hat man sicher auf die vielen Dienstboten in Gewerbe, Gastronomie und Landwirtschaft geschaut und man will anscheinend auch dem Krankenhaus keine Konkurrenz aufbauen.
Am 1. August 1909 nehmen zwei ausgebildete Pflegeschwestern in Oberstdorf den ambulanten Dienst auf. Die „guten Geister der Kranken” sind so mit Arbeit überhäuft, dass die Gemeinde in den beiden folgenden Jahren um die Entsendung von je einer weiteren Schwester beim Mutterhaus nachsucht. Die Pflegerinnen wohnen und leben bei ihren Mitschwestern im Krankenhaus, müssen aber als Bezahlung für Unterkunft und Verpflegung dort Arbeit verrichten. Sie sind also einer doppelten Belastung ausgesetzt.
Im dritten Kriegsjahr 1916 ziehen sich schwere Gewitterwolken über dem Verein und dem Markt Oberstdorf zusammen. Der Orden ruft seine Schwestern aus dem Oberstdorfer Krankenhaus und der ambulanten Pflege zurück. Die Ordensleitung stellt sich schützend vor seine Schwestern, denn diese sind einem Arbeitsdruck ausgesetzt, dass um ihre Gesundheit gefürchtet wird. Zu den üblichen Arbeiten im Krankenhaus und der offenen Pflege waren im Krankenhaus bis zu 50 kranke und verwundete Soldaten hinzugekommen, ohne dass das Hilfspersonal verstärkt worden wäre. Mit verstärktem Hilfspersonal und einem neuen Vertrag zwischen Mutterhaus, Gemeinde und Verein, der den überarbeiteten Schwestern auch einen Urlaub sichert, ist der Friede wieder hergestellt.
Die Inflation von 1923 plündert auch den Sparstrumpf des Vereins, der nun 350 Mitglieder zählt. Wenn wir bisher auch keine Personalien notiert haben, so scheint mir hier doch eine Ausnahme angebracht: Schwester M. Amalaria kommt 1929 nach Oberstdorf, wo sie 44 Jahre segensreich wirken wird. Vom Kühberg bis Kornau und vom Steinach bis in die Hochtäler führt der Fußmarsch der Schwestern zu den Kranken. Selbst in den kritischen 30er und 40er Jahren gehören die Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul, die mit wehenden Flügelhauben zu den Patienten eilen, zum Straßenbild von Oberstdorf. Erst als 1951 im Pfarrgarten das »Johannisheim« entsteht und die Schwestern dort eine selbstständige Bleibe finden, können sie sich ausschließlich ihrer eigentlichen Aufgabe, der ambulanten Krankenpflege, hingeben. Ein großherziges Vermächtnis versetzt die Kirchenstiftung 1956 in die Lage, im Haslach ein Haus zu erbauen, das den Namen »Vinzenheim« erhält und fortan das Heim der Schwestern ist.
Nicht rosig sieht es aus um den Fortbestand der Station Oberstdorf, als 1973 die 75 bzw. 74 Jahre alten Schwestern Amalaria und Perseveranda, die über Jahrzehnte hier wirkten, in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Eine Schwester aus Sonthofen und eine Schwester der Diakonie leisten Aushilfsdienste, bis der Orden im April 1974 die junge Schwester Felana hierher beordert. Welchen Glücksgriff Oberstdorf damals getan hat, ist seit vielen Jahren bekannt.
Als 1977 der Ordensrat wegen Peronalmangel die „Krankenhaus-Schwestern” von hier zurückruft, gelingt es, im Zusammenwirken von Gemeinde, Kirche und Verein, die ambulante Schwester hier zu erhalten. Ein große Erleichterung für die überlastete Pflegerin wird der VW-Käfer, der ihr den Weg zu den Patienten verkürzt.
Im kleinen Rahmen wird das 70-jährige Bestehen des Vereins gefeiert, der nun 424 Mitglieder aufzuweisen hat; im Jahre 1987 sind es bereits über 600. Mit der Mitgliederzahl steigt auch das tägliche Arbeitsaufkommen und übersteigt die Leistungsfähigkeit der Pflegekräfte.
Der Hilferuf an das Mutterhaus der Schwestern wird erhört und, trotz größten Nachwuchssorgen, 1991 eine junge Schwester nach Oberstdorf geschickt. Mit Schwester M. Katharina zieht Oberstdorf, wie wir heute nach 18 Jahren sagen können, erneut einen Haupttreffer.
Der Verein erweitert sein Angebot, ein Hilfsdienst wird eingerichtet, der Alte und Alleinstehende im täglichen Leben unterstützt.
Der Verein kann mit großzügiger Hilfe das Vinzenzheim erwerben, so dass nun die ambulante Krankenpflege allein für ihre Zwecke ein eigenes Domizil hat.
1994 gründen zehn ausgebildete Hospizhelferinnen die Christophorusgruppe, die Patienten in der letzten Lebensphase begleiten und deren Angehörige betreuen.
Immer schwieriger wird der Papierkrieg, die Pflegeversicherung und deren laufende Änderungen machen die Arbeit nicht leichter. Wie in fast allen Bereichen des Lebens zieht auch in der ambulanten Krankenpflege Oberstdorf der Computer ein, die Arbeit beim Patienten jedoch bleibt manuell.
2008 – das Jahr vor dem runden „Geburtstag” des Vereins – verlangt den Pflegekräften und Helferinnen Höchstleistungen ab. Es sind 9.890 Grundpflegen und 6.837 Behandlungspflegen zu leisten.
Pflegeschwester sein heißt nicht nur pflegen und betreuen. Es heißt auch Beistand leisten in den schwierigsten Phasen des Lebens. Unsere Schwestern bilden sich laufend fort, um den hohen Anforderungen des Alltags gerecht zu werden.
Wir haben vorstehend nur ein paar nackte Zahlen gelesen. Wir erahnen aber nur, wieviel Arbeit, Einsatz, Opfer und christliche Nächstenliebe aufgebracht wird. Die Bevölkerung Oberstdorfs steht in tiefster Schuld bei den Schwestern, Helferinnen und Helfern. Ein Dank gilt auch dem Verein und seinen Aktiven. Mögen sich immer wieder Menschen finden, die diesem Ideal dienen und den Alten und Kranken helfen ihr schweres Los zu tragen.
Die Vorstandschaft im Jubiläumsjahr 2009:
(v. li.) Msgr. Peter Guggenberger (2. Vorsitzender),
Gustl Metz (Beisitzer),
Hans Kuhn (Beisitzer),
Andrea Veith (Schriftführerin),
Hansjörg Lingg (Kassier),
Dr. Bernhard Ricken (1. Vorsitzender),
Ernst Thannheimer (Beisitzer)
vorne: Sr. M. Felana, Sr. M. Katharina (PDL).
Den Schlusssatz, den die Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul unter ihr Grußwort setzte, möchte ich auch hier als Schluss übernehmen:
„Zum 100-jährigen Jubiläum gratuliere ich sehr herzlich und danke allen für ihren aufopferungsvollen Dienst mit einem herzlichen Vergelt’s Gott. Durch ihren unermüdlichen Einsatz sind sie eine wichtige Stütze des sozialcaritativen Lebens in Oberstdorf und ein Aushängeschild gelebter Nächstenliebe.“