Fidel Berktold um 1885/90
Zum 100jährigen Jubiläum des Gebirgstrachten- und Heimatschutzvereins Oberstdorf
Das Jodeln dürfte so alt sein wie die Menschheit - eine kühne Behauptung, aber sie basiert auf wissenschaftlicher Erforschung der Gesangs- und Musikformen.
Neben den Jodlergebieten der europäischen Alpenländer kennt man die verschiedensten Jodelgesänge der Pygmäen, der Bantustämme in Afrika, der Südseevölker und der Himalayabewohner. Die Urvölker der Salomoneninseln sowie die Kameltreiber in Südarabien, die Abessinier und südamerikanischen Indianer, die Karpathen- und Kaukasusbewohner, sie jodelten seit Urzeiten. Man sieht daran, die Behauptung, das Jodeln sei ein Kind unserer Alpen, wäre sehr einseitig.
Selbstverständlich sind die Österreicher, Schweizer, Bayern und somit auch die Allgäuer diejenigen, die den Jodelgesang pflegten und verfeinerten. Wie lange sich der Jodler, „das Lied ohne Worte”, nachweisen läßt, ist mit Jahreszahlen nicht zu belegen. Die Alpen sind das Rückzugsgebiet alten Brauchtums. Überreste von Kulthandlungen, -tänzen und Jodelgesang haben sich dort erhalten.
Man findet in der Literatur um 1800 in den Alpen des öfteren Hinweise auf den Jodler oder „Johlar”. So erhalten die Aufzeichnungen von Erzherzog Johann, gesammelt um 1820 als Jodleralbum, große Bedeutung. Der Steirer Dr. Josef Pommer gab 1890 ein Jodler-Singbuch heraus mit 68 der bekanntesten Liedle und „Juchezer”. 1902 umfaßte sein Standardwerk bereits 444 Beiträge, darin auch die bei uns viel gesungenen Liedle wie z. B. „Schön grau ist der Morgen”, Bin a lebfrischer Wildschütz”, „Lüeged von Berg und Tal”, „A Waldbüe bin ih”, „Von der Kappleralm”, um nur einige zu nennen.
Bei uns im Oberallgäu wie auch in Oberbayern wurden nach wie vor das Steirer und Tiroler Liedgut genutzt, man hinkte hier gewaltig hinterher. Gab es zu wenig Textdichter oder gefielen die Importliedle so gut - wer weiß? Die Zillertaler Gesangsgruppen zogen bereits 1790 durch die Lande und kamen bis nach Paris, England und Amerika, verdienten dort mit den Tiroler Liedle ihren Lebensunterhalt. Auch zu uns wurden viele Liedle und Jodler von den Grenzgängern gebracht, die auf Arbeitssuche ins Schwäbische kamen. So weiß man, daß der bekannte „Michlbüebar-Johlar” ein steirischer Jodler ist.
Erst um 1880 wurden bei uns die Namen der Jodlergruppen festgehalten. Fidel Berktold, langjähriger Leiter der Plattler- und Volkstanzgruppe, war auch maßgeblich an der Gründung des Trachtenvereins beteiligt. Seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem Prinzregenten Luitpold war es zu verdanken, daß diese Volkstanz- und Plattlergruppe 1888 und 1891 zu einem Huldigungsfest nach München eingeladen war und dort mit bester Kritik bestand. So hatte Fidel Berktold um 1880 eine Jodlergruppe, die Brüder Martin und Hannes Jochum vom Rauchen (Michlsbüebar), Karl Fischer (Fronze Karle) und Dominikus Jäger. Mit dieser Gruppe sang er bis 1906. Die Brüder Jochum sangen auch allein im zweistimmigen Satz. Dazu schrieb der Chronist F A. Schratt: „. . . eine Freude ist es für die Oberstdorfer, wenn am Morgen die Michlsbüebar auf dem Wege ins Dorf mit ihren glasklaren Stimmen die vorderen Halden herunter jodelten”.
Um die Jahrhundertwende kam ein neues Jodler-Trio zur Geltung mit Anton Huber (Boddar), Franz Kappeler (Aliselar) und Michl Huber (Zimmermändlar), die auch für den Trachtenverein eine bedeutende Rolle gespielt haben. Am Anfang des neuen Jahrhunderts traten zwei „Fehle-Gruppen” an die Öffentlichkeit. Einmal die „Hengges-Fehla”, vier Schwestern, die von ihrem Bruder, dem späteren Oberlehrer Otto Hengge geschult wurden.
Diese Gruppe sang bis in die 30er Jahre. Sie haben auch die ersten Oberstdorfer Mundartlieder gesungen, u .a. ,,D’ lieb Huimat”, „Wenn ih mea Geald höt”, „Dr schöh Büe”, „Ündrem Apflbomm”, „Gemsle schieße”. Die andere Fehle-Gruppe war die Gesangsgruppe Köcheler/Kleis, drei Schwestern und eine Cousine, die Nichten des Fidel Berktold, der die Fehla auch soweit brachte, daß sie öffentlich auftraten.
Nach dem 1. Weltkrieg kam ein neues Trio, die „Drei-Bund-Jodler”, ein bestens eingesungenes Trio mit Seppl Joas, Otto Wittwer (Edlmaas Otto) und Anton Jäger (Adlerwirt). Den Namen hatten sie einem politischen Vorbild entnommen. Diese Gruppe tat sich dann mit dem Zitherklub zusammen, der mit Hans Kaiserswerth einen Zithervirtuosen mit einer sauberen Jodlerstimme besaß. Aus einer bierseligen Runde heraus, bei der ein Gast drei Humpen Bier spendierte, nannte sich die neue Formation „Der 3-Liter-Verein”. Probelokal war die Privatstube vom Adlerwirt. Doch der Name hatte nur wenige Jahre Bestand.
Mitte der 20er Jahre wurde aus dem ehemaligen „3-Liter-Verein” eine „wäche” Jodlergruppe, die auch viel nach auswärts unterwegs war. Dabei war auch Franz Kaufmann, langjähriger Hüttenwirt am Rappensee. Er war bekannt dafür, daß er seine Gäste von der „Egg” mit einem Jodler begrüßte oder verabschiedete.
Ebenfalls Mitte der 20er Jahre kamen die Geschwister Schedler ins Rampenlicht und wurden in kürzester Zeit über die Grenzen Oberstdorfs hinaus bekannt. Sieben der Geschwister sangen im Kirchenchor, und auf Anregung ihres Vaters sang dann das Schedler-Quartett auf vielen Bühnen um und in Oberstdorf.
Zusammen mit dem bekannten Zitherspieler Gustl Spiwak machten sie „Kärntnerabende” und sangen zu vielen Anlässen. Die Gruppe formierte sich dann zu einem Trio mit Hermann, Liese und Agathe. Einer der Höhepunkte des Schedler-Trios war sicherlich das oberbayerische Preissingen 1930 in München, wo sie den 1. Preis erringen konnten.
In den 30er Jahren zogen sich die Schedlersänger etwas zurück und man hörte meistens nur noch Liese und Hermann am Karatsbichl jodeln. Ihren wohl letzten öffentlichen Auftritt hatte das Schedler-Trio beim 1. Allgäuer Liedertag 1947 in Immenstadt.
Anfang der 30er Jahre formierten sich verschiedene Jodlergruppen, einmal die Zither- und Jodlergruppe des Trachtenvereins und eine Gruppe mit den Brüdern Heinrich und Hans Tauscher.
Es kam die NS-Zeit und des öfteren wurden die Jodlergruppen, wie auch die anderen Brauchtumsgruppen des Trachtenvereins zu Auftritten verpflichtet, je nach Festlichkeit und NS-Willkür.
Es gab in den 20er und 30er Jahren oft zwei, zeitweise sogar drei Jodlergruppen, die bestens zusammen harmonierten und sich auch gegenseitig austauschten. Sofort nach dem Krieg fanden sich wieder einige zu einer Jodlergruppe zusammen und mußten für die Besatzung auftreten. Obwohl eine Zusammenkunft von mehr als zwei Deutschen verboten war, zeigte sich die Besatzungsmacht, sowohl Franzosen wie Amerikaner, bei den Brauchtumsgruppen immer etwas großzügiger, ja sie forderten sogar das Auftreten zu ihren Festanlässen und oft wöchentlichen Zusammenkünften.
Beim großen Waldfest des Trachtenvereins nach dem Krieg, 1949 an der Hoffmannsruhe, fanden sich wieder die Vorkriegsjodler, die noch übrig geblieben waren, zusammen. Zwischenzeitlich waren noch dabei: Max Schraudolf (Jäger), Franz und Georg Titscher (von Gruben), Anton Vogler und Seppl Schleich. Dann vergrößerte sich die Gruppe durch die Verjüngung mit Franz Boxler, Hugo Fischer, Joachim Jörg u. v. a.m. Inzwischen wuchs die Jodlergruppe zu einem stattlichen Klangkörper als Doppelquartett, oft über 16 Mann stark, heran. Diese Formation der Jodlergruppe hält sich nun seit Jahren. Selbstverständlich gehen die Alten ab, die Jungen rücken nach.
Seit der Gründung des Allgäuer Liedertages 1947, der jährlich an verschiedenen Orten abgehalten wird, war die Jodlergruppe Oberstdorf als einzige Gruppe bei allen 53 Veranstaltungen dabei. Die Jodlergruppe, als eine der besten im Oberallgäu, hat sich voll auf das Mundartlied eingesungen und wenn auch manchmal etwas vom Schweizertum mit hereinweht, so ist dies eine gute Ergänzung des Allgäuer Jodlergesangs.
1951, zum 50. Gründungsjubiläum des Trachtenvereins, haben Max Schraudolf und Toni Brutscher eine 15köpfige Kinder-Jodlergruppe herangebildet, die sich einige Jahre bestens ins große Programm des Gebirgstrachtenvereins eingebunden hat. 1959 entstand die heute noch singende Gruppe der „Schedlerfehle”, alles Schwestern oder Cousinen der ehemaligen Geschwister Schedler.
Mitte der 60er Jahre entstanden weitere Kindergruppen wie die „Boxler-Büebe” oder die „Högerle-Kinder”. Leider sind alle diese Jugendjodler inzwischen herangewachsen.
Neben der Oberstdorfer Jodlergruppe gibt es seit einigen Jahren eine gemischte Trachten-Jodlergruppe, die sich auf der Bühne und bei Liedertagen bestens bewährt hat. Beim Bruderverein, dem GTEV Almrausch, besteht seit Jahren das Jodler-Duo Oswald Breitenberger und Herbert Schmid, die ebenfalls auf vielen Bühnen bekannt sind.
In der mehr als 120jährigen Geschichte der Jodlergruppen hat sich der Gesang doch merklich verändert. Es gab einen gravierenden Wandel vom Tiroler/Steirer Liedgut zum heutigen Mundartlied. Begonnen hat es eigentlich schon in den 20er Jahren mit dem Heimatdichter Otto Hengge. Mit dem Allgäuer Lieder- und Jodlertag kam 1947 der vollständige Durchbruch zum Dialektlied. Einige Heimatdichter und Komponisten bewirkten, daß das importierte Liedgut ausgedient hatte. Allen ein Vergelt's Gott für die Rückkehr zur „Müeddrschproch”.