Von der Eisenverhüttung und -bearbeitung über die Kohlenbrenner zum Pflanz- und Tännelesgarten am Ried und Riedwald

von Anton Köcheler am 01.06.1999

Sebastian Münster berichtet in seiner »Beschreibung der ganzen Welt« von 1628 auch über das Allgäu. Darin wird betont: „Es hat auch viel Viehs / Küh und Ross, es zeucht sonderlich gar schöne junge Fülle, es hat Winterkorn / Gersten / und viel Tannwäld / Pech . . .” Es war für einen „Weltbeschreiber” damaliger Zeit kaum wichtig, was es für Wälder im Allgäu waren, er hatte dies kaum selbst bereist, und es dürfte ihm auch nicht bekannt gewesen sein, daß man zu der Zeit, anfangs des 17. Jahrhunderts, durchwegs Mischwälder im Allgäu hatte und diese stark gelichtet wurden durch die Kohlenbrennerei zur Eisenschmelzung bzw. Verhüttung.

Das Klima des Mittelalters dürfte etwas wärmer gewesen sein, denn es gab in alten Chroniken noch nicht soviel Berichte über Lawinenunglücke und Schneeschäden wie im 18. und 19. Jahrhundert. Das Korn reifte auch in den höchsten Lagen, wie in Gerstruben und Einödsbach. So wußte auch Karl Stiehler im vorigen Jahrhundert noch zu berichten, daß er in Einödsbach den Hanf zur Seilerei selbst gesehen habe, und dieser sei zweimal mannshoch gewesen.

Schon im Mittelalter tauchten auch im obersten Allgäu einige Holzhändler auf, die Holz und Holzkohle aufkauften - Holzkohle, die sie für die Schmiede brauchten, denen sie die Erzeugnisse abnahmen und dafür Holzkohle besorgten. Ja, es gab schon viele Händler, die sogar die Schmieden aufkauften und für alle Vermarktung sorgten. Diese Händler hatten auch die verbrieften Rechte der jeweiligen Herrschaften links und rechts der Iller bzw. auf der Breitach für die Erlaubnis zum Holzrühren und auch -flößen bis zu den Verladestationen. Bemerkenswert dabei, daß in allen Genehmigungen der Vermerk stand, daß jegliche Beschädigung der Flußufer unverzüglich zu beheben sei!

Man muß bedenken, daß die Bevölkerung in den oberen Tälern des Allgäus, die nicht an Salz- und Handelsstraßen lagen, durch die Jahrhunderte bettelarm waren. Die Armut der Bevölkerung war bedingt durch Kriegslasten und -folgen, überhöhte Abgaben, Viehseuchen, Mißernten, ja es gab regelrechte Hungersnöte. In allen Chroniken wird immer wieder durch die Jahrhunderte von diesen Nöten berichtet. Die gute alte Zeit hat es nie gegeben. So mußten auch alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um im Überlebenskampf einige Kreuzer oder gar Gulden zu verdienen.

Eisenverhüttung brachte manchem etwas Wohlstand

Im 12. und 13. Jahrhundert hatte man am Grünten und in Hindelang bereits Eisenerz gefunden und abgebaut. 1471 haben die Grafen von Montfort die Bergwerksregularien erworben und in Oberdorf an der Ostrach eine Eisenschmelze errichtet, auch in Burgberg und in Sonthofen standen solche Verhüttungsbetriebe.

Mit der Ausbeutung der Erzgruben im Oberallgäu hing auch die Entstehung der vielen Hammerschmieden und Naglerbetriebe zusammen. Es mehrten sich die Stätten der Eisenverarbeitung, und so wissen wir, daß in Hindelang mehr als zehn Hammerschmieden, in Burgberg und Sonthofen ebenfalls eine ganze Reihe von solchen Betrieben stand, und auch in Oberstdorf weiß man von drei Hammerschmieden mit teils unterschiedlicher Geräteherstellung.

Man unterschied zwischen Hammerschmied, Waffenschmied, Pfannenschmied, Sensenschmied, Messerschmied, Hufschmied, Kleineisenschmied, Nagelschmied und Feilenhauer. Machten die einen Betriebe Spaten, Schaufeln, Pickel, Hauen, Äxte und Sabin, Beile und Küchengeräte, alles für Holzer und Bauhandwerk, so fertigten andere Waffen und Wehrgeräte. Von den Hammerschmieden in Hindelang wissen wir auch, daß diese Zehntausende von Spießen, Piken und Hellebarden und sonstiges Kriegsmaterial herstellten. Die Allgäuer Qualität war berühmt geworden, und die größten Aufkäufer waren die Österreicher.

Eisenverhüttung - Heft 34

Die Nagelschmiede des Thaddäus Steiner um 1865 - damals Haus Nr. 117A (heute Haus Schattenberg, Nebelhornstraße 23, Steiner - Sterzl).

All die vielen großen und kleinen Nagelschmieden aufzuzählen wäre zuviel, doch wir wissen, daß 1900 in Hindelang noch über 100 Nagler tätig waren. In Oberstdorf gab es ursprünglich an die 10, in Rieden waren es 24, und nach einer alten Chronik gab es in Sonthofen 4 Naglerbetriebe mit über 260 angestellten Naglern. Ja, die waren oft weit verstreut, sogar im Ochsental überm Jägersberg befand sich ein Nagler.

Die Nagler stellten Tausende von Kappen-, Flügel- und Toggenburgernägel her. Auf alten Rechnungen standen auch Schiffsnägel, Mauerhaken und Bergwerksgeräte.

Viele kleine Betriebe gingen im Laufe der Jahre in den Besitz von Eisenhändlern über, die, wie schon erwähnt, das Rohmaterial und die Kohle lieferten. Viele dieser Betriebe waren verschuldet und sind so in die Abhängigkeit der Händler geraten.

Dann kam auch noch das Aus für die Hammerschmiede und Nagler, weil die Modernisierung ein billigeres Industrieeisen auf den Markt brachte bzw. die von ihnen produzierten Gerätschaften aus größeren Betrieben billig auf den Markt kamen. Die verbliebenen Nagler, die sich bis in die Neuzeit halten konnten, erlagen in diesem Jahrhundert den Gummi- und „Luckleinsohlen”, und heute kann man schon von einer „Turnschuhgeneration” sprechen, die keine Schuhnägel mehr benötigt.

Bis auf ein paar wenige Schellen- und Hobbyschmieden sind fast alle derartigen Betriebe verschwunden. Auch die Erzgewinnung wurde wegen Unrentabilität eingestellt.

Holzkohle - Grundmaterial zur Eisenbearbeitung

Unentbehrlicher Brennstoff beim Schmelzen und Schmieden des Eisens war seit der Frühzeit und dem Mittelalter die Holzkohle, hergestellt in Gruben und Meilern. In den Gruben wurden Reisig, Kleinholz und Wurzelholz so lange im offenen Brand gehalten, bis alles in Glut stand. Dann wurde durch Aufwerfen und Abdecken mit Rasenstücken und lehmigem Erdreich der weitere Abbrand verhindert. Die großen Kohlenmeiler waren mit Buchenscheitern und auch anderem Laubholz als kegelförmige Holzstöße bis zu drei Meter hoch. Sie wurden mit Fichten- und Tannenreisig abgedeckt, und darauf kam eine festgeschlagene lehmige Erdschicht. In der Mitte war ein geschlossener Schacht, durch den der Meiler angezündet wurde.

Die Verbrennungsluft zog durch einen aus Holzstangen rostartig gelegten Unterbau ein, und der Rauch konnte durch das am oberen Rand kaminartig offengelassene Loch ins Freie. Die Kunst des Köhlers lag darin, das Feuer so zu lenken, daß das Holz nur entgaste und leicht verkohlte, aber nicht zu Asche verbrannte.

Ein Meiler lieferte je nach Größe und 14- bis 18tägiger Brenndauer an die fünf bis acht Tonnen Holzkohle. (Eine Tonne war ca. 40 hl.)

Der Holzverbrauch war gewaltig. Die Holzkohle wurde indirekt zum Vernichter der damaligen Forste, welche überwiegend aus Mischwäldern bestanden. Gerade die Wälder um Oberstdorf waren meist Mischwald, bestanden also aus Buche, Esche, Ahorn und Rüster. Eichen gabe es wenig im Bergwald, obwohl man in einer alten Rechnung von Hindelang lesen kann, daß zu den Spießen auch die Eichenschäfte mitgeliefert wurden. Diese wurden aber aus dem böhmischen und fränkischen Gebiet bezogen.

Es gab auch eine große Zahl kleinster Holzkohlenhersteller, die mit Gruben vor dem Haus ihr Zubrot suchten: Kleinhäusler, bei denen die Frauen auf den Grubenbrand aufpassen mußten, um Mißerfolge zu vermeiden.

So war der heimische Wald eine wesentliche Grundlage der damaligen Wirtschaft. Holz war der lebenswichtige Rohstoff, auf den eine ganze Industrie zurückgreifen konnte. Nebenbei war Holz sehr wichtig als Brennmaterial, aber damit wurde nie sparsam umgegangen. Berufszweige wie Zimmerer, Schreiner und Wagner brauchten ebenfalls eine Menge des heimischen Holzes, wurde doch fast alles aus Holz gebaut.

Der große Holzverbrauch führte zu Kahlschlägen und nahm drastische Formen an. Es fuhren doch täglich die Rößler mit Wagen und Schlitten nach Sonthofen, Burgberg und Hindelang. Den Wäldern in anderen Gegenden erging es nicht anders.

Die Holzkohle der Kleinbrenner wurde nach Zuber bemessen. Bei Leicht- und Abfallholz verkohlt war ein 1 Zuber 21 Imi, 1 Imi grechnet zu 18,37 Ltr. (dies um 1800 bis 1820 notiert). Ein Rechnungsbeleg aus dem Jahre 1854 besagt, daß der Zuber Schwärtling-Kohle frei Hindelang um 1 fl. 8 kr. und ein Zuber ordinärer Holzkohle mit 58 kr. bezahlt wurde.

Die immer größer werdende Nachfrage nach Holzkohle betraf auch unsere Gegend, und so wissen wir, daß es bei uns an die zwei Dutzend Kohlenbrenner bzw. Meilerstätten gegeben hat, natürlich nicht alle gleichzeitig, denn mancher Köhler ist wegen der kostenträchtigen Holzbringung dem Holz „nachgezogen”. Viele Brandstellen sind heute gar nicht mehr bekannt, da sie von kurzer Dauer waren. Bei der alteinheimischen Bevölkerung sind jedoch noch viele Namen in Erinnerung, woraus beständige Flurnamen geworden sind mit einem festen Bezug zur Flur oder der Lage der Brandstätte.

So sind viele Namen noch geläufig wie:

- „Kohlarruine”, eine ehemalige Brandstätte auf dem Buckel, östlich der Rubingeroy;
- eine Kohlstatt am Ochsenhof;
- eine Kohlstatt am Mösle, südlich vom Eschbach;
- „bim Kohlbrennar”, ein Flurname beim früheren Sägewerk Gschwender;
- eine Kohlstatt im Oytal vor der Gleitriese und ein Kohlgehrle oberhalb des Riegelangers im hinteren Oytal;
- ein „Kohlplätzle” am Fußweg vom Freibergsee zum Bergkristall;
- ein „Kohlplatz” am Weg nach Warmatsgund hinter Gmuindlestobel
- am „Kohlweag”, am alten Warmatsgundweg gelegen;
- eine „Kohlstatt” in Myresseberg, 200 m oberhalb der Finkenhütte.

Eisenverhüttung - Heft 34

Das „Kohlplätzle” vor der Jahrhundertwende.

V.L.: Das Armenhäusle (mit Nagelschmiede),
um 1903 abgebrochen; Ignaz Vogler, Nagelschmied,
Haus Nr. 116 (heute Albert Vogler, Nebelhornstraße 45); „Markushaus”, Markus Rietzler, Haus Nr. 8
(heute Kathi Witsch, Nebelhornstraße 47);
der „Schmitteschtadl”
(heute Gemeindewerke).

Verschiedene solcher Stellen sind bereits der Vergessenheit anheimgefallen, doch ein ganz bekannter Name im Ort ist das „Kohlplätzle” westlich vom E- Werk. Diese Bezeichnung stammt vermutlich nicht von einem Kohlenbrenner, sondern an der Stelle wurde die vorrätige Holzkohle gelagert für die Oberstdorfer Schmieden oder auch für den Weitertransport nach auswärts.

Es kam mit der Abholzung so weit, daß man vor Schutzwaldungen kaum noch haltmachte, und es bedurfte eines obrigkeitlichen Erlasses zur Einschränkung der Köhlerei. Der letzte Wald war in Gefahr, obwohl er sich durch Wildanflug und Aufforstungen immer wieder erholte, doch erfolgte das für den Bedarf wesentlich zu langsam.

Ein Erlaß aus dem Jahre 1794 besagte, daß in allen „Oberen Pfarreien” nur noch angewiesenes Holz verkohlt werden durfte und eine Übertretung mit 1 fl. 30 kr. Strafe belegt werde. So wurde nur noch für die örtlichen Schmieden Holzkohle gebrannt und ein kleiner Rest für die Zainschmiede in Sonthofen geliefert. In einer gesonderten Holzordnung lesen wir, daß jeder Schmied in Oberstdorf für die Zukunft jährlich nicht mehr als 14 Klafter Holz zur Verkohlung erhalten dürfe.

Als Folge der Abholzung des Schutzwaldes am Fellgehrenwald wird von einem Lawinenunglück berichtet: „Im Jahre 1854 befand sich am 24. Dezember ein Kohlenbrenner mit zwei Knechten in einer Holzerhütte auf der Gutenalpe (hinter dem Oytal). Nachts zehn Uhr, als die drei Männer im Schlafe lagen, brach am Himmelhorn eine Lawine aus, erreichte die Hütte und schob sie von ihrem Platze weg, wobei zwei der Insassen umkamen, während der dritte wunderbarerweise am Leben blieb”, so berichtet die Schöllanger Chronik.

Interessant ist noch das Eisenwerk im Faltenbach von Freiherr Franz von Hornstein, der das Eisenerz vom „Kreberloch” an der Breitach verarbeitete. Dazu wird berichtet, daß dieses von harter und spritziger Art, aber für zarte Schmiedearbeiten ungeeignet sei. Diese Eisenhütte bestand von 1760 bis 1803.

Landschreiber Luger weiß zu berichten, „daß die Eisenwerke in Sonthofen, Hindelang wie auch in Oberstdorf bestehen, aber diese seien öfters durch Holzmangel behindert. Diese Eisenwerke verschlingen unheimlich viel Holz, so z.B. das Sonthofer Werk jährlich an die 2.000 Klafter Fichtenholz.”

1834 wurde der Holzeinschlag im Oberstdorfer Raum dem Forstamt Immenstadt zur Überwachung der Anweisungen und Auflagen übertragen. Nach 1858 gingen die Eisenverhüttungen ganz zurück, und die Zainschmieden in Sonthofen und Hindelang stellten ihren Betrieb ein, so daß nur noch ein Eisenbearbeitungsbetrieb, das Bayer. Hüttenwerk Sonthofen (BHS), bestand. Auch von Oberstdorf wurden keine Holzkohle und kein Holz mehr nach auswärts geliefert, ja, die Holzverordnungen schränkten die Verkohlung von Holz restlos ein.

Der Pflanzgarten am Riedanger und die Tännelesgärten
 im Riedwald an der Renkfahrt und an der Gschwendlucke

Es war seit Jahrhunderten bekannt, daß wir für die abgeholzten Wälder einen sehr starken Wildanflug hatten. Hoftannen, Saumbuchen und Ahorn wurden so gut wie nie abgeholzt, und man hatte überall reichlich Jungwald zu verzeichnen. Doch an Orten, an denen der Wildanflug nicht ausreichte, dort hatten die Waldeigner und Bauern der Ortsgemeinde selbst nachgepflanzt. Die Jungpflanzen von Laubholz wurden in einem eigens dafür angelegten Pflanzgarten mitten im Riedanger gezogen. Der Pflanzgarten war dem jeweiligen Holzwart unterstellt, der wiederum mit den Viertelsmeistern zusammenarbeitete. Privathölzer bedurften keiner gesonderten Anordnung, jeder sah selbst darauf, daß sein Wald in bestem Zustand war, war er doch auch das Kapital des Besitzers.

Eisenverhüttung - Heft 34

Bereits um 1800, wahrscheinlich wesentlich früher, dürfte es gewesen sein, daß man am Riedanger den Pflanzgarten umbrach und bewirtschaftete. Dort wurden Sämlinge aller heimischen Baumsorten gezogen, alle Altersstufen bis 10 Jahre stellten den Vorrat. Dazu rief der Viertelsmeister die Frauen und Kinder zu Frondiensten auf, schickte diese auf die Sandbänke in den Bachläufen, und daselbst gab es genug Sämlinge, die leicht herauszuziehen und dann, in Körben gesammelt, noch am gleichen Tag im Pflanzgarten abzuliefern waren. Eine dazu bestellte Person kümmerte sich um die Setzlinge, die dann sofort neu gesetzt wurden. Auch auf Waldböden und Riesen konnten die Sämlinge bei Regenwetter leicht herausgezogen werden, und man hatte wenig Mühe, einen Korb voll zu sammeln.

Was bei diesen Umpflanzaktionen streng beachtet wurde, waren die Tage mit den guten Tierkreiszeichen; darauf wurde besonders Wert gelegt. Holzwart Kaspar Braxmair, der die Zuchtgärten selbst noch kannte, meinte, daß es dürre oder absterbende Setzlinge in den Gärten gar nicht gab, das habe der „ibrgende Mong” verhindert.

Im sogenannten Riedwald wurden gleichzeitig zwei Tännelesgärten angelegt, um die heimische Rot- und Weißtanne schnell zu ziehen. So war eine Brachfläche für die Setzlinge an der Gschwendfahrt angelegt worden, an die 80 Meter lang und ca. 20 Meter breit. Der zweite Tännelesgärten befand sich an der Renkfahrt, etwa in der selben Größe wie der erstgenannte. In beiden Tännelesgärten wurden Tausende von Fichten und Tannen herangezogen und bereits nach vier bis fünf Jahren wieder ausgesetzt in die waldfreien Lagen, bei denen der Wildanflug zu gering war. Da das Ried, auch der Riedwald, ein „Steinach”, also ein Kiesauswurfgebiet, immer wieder überschwemmt war, wurde die Stillach des öfteren verbaut, und in die Tänneles- und Pflanzgärten wurden viel Humus und Mist eingebracht, was ein schnelles Wachstum förderte.

Durch diese Aufzucht und Aussetzung füllten sich die Rot- und Weißtannenwälder schnell wieder auf. Einen Schäl- oder Verbißschaden gab es kaum, denn aufgrund der Übertragung der Jagdhoheit auf die Grundbesitzer von 1803 bis 1848 wurde der Wildbestand sowieso sehr niedrig gehalten; von ca. 1760 bis 1854 gab es überhaupt kein Hirschwild im Oberallgäu, und der Rehwildbestand wurde sehr kurz gehalten, von wem auch immer.

Das Rotwild kommt zurück ins Oberallgäu

1850 wurde links der Iller von einer Reihe von Adeligen die »Allgäuer Jagdgesellschaft« gegründet, und auch Prinz Luitpold begann im Allgäu „Fuß zu fassen” durch Anpachtungen von Jagdbögen und Aufkauf mehrerer Alpen. Er suchte eine ergiebige Großjagdfläche.

Die Jagdgesellschaft begann ab 1850 Rotwild einzusetzen, zuerst im Gunzesrieder Tal, dann auch im Rohrmoostal, und auch Prinz Luitpold setzte aus dem Forstenrieder Park im Retterschwangtal Rotwild ein, aber auch Ungarhirsche, deren Blut man bis heute bei starken Vererbern zu erkennen glaubt.

Als der erste Hirsch von Ignaz Schratt vom Traufberg bei Hinderlingsegg geschossen wurde, hat man diesen nicht als Hirsch erkannt, sondern als Untier bezeichnet. Dies geschah im Jahre 18561.

Das Rotwild hatte sich sehr schnell und stark vermehrt, und wegen der vielen „Wildeler” hatte man meist ortsfremde Jäger eingesetzt und damit einen hohen Wildbestand herangezüchtet. Bemerkenswert ist, daß in den Jahren 1850 bis 1920 in keiner Chronik oder Beschreibung irgend etwas von einem Verbiß- oder Schälschaden notiert wurde. Vielleicht wollte man gegen den Prinzregenten nichts Ungutes aussagen oder gar aufnotieren. Doch die Bauern schimpften darüber oft, daß gerade im Frühjahr und auch im Herbst das Wild einfach zuviel Flurschaden machte und das von ihnen so dringend benötigte Gras wegfraß.

Kahlhiebe und Raubbau an den Oberstdorfer Wäldern

Die Wiesen am Höllenberg und am Breitenberg waren fast völlig waldfrei, aber an den Fluren, wo man den Wald wollte, war alles wieder gut bestockt. Doch dann kam das Jahr 1865, als am 5. auf 6. Mai nach langer Trockenheit die größte Brandkatastrophe, die es in Oberstdorf je gab, über das Dorf hereinbrach: Hier wütete ein Feuer, so daß in vier bis fünf Stunden von den 308 Häusern 146 abgebrannt waren. Eine unheimliche Not und Armut kam über die Bevölkerung, weil alles so schnell gegangen war, daß nicht einmal die persönliche Habe hatte gerettet werden können.

Doch man baute mit geliehenem Geld innerhalb von drei Jahren den ganzen Ort wieder auf. Bis auf einige wenige Steinhäuser wurde alles wieder aus Holz errichtet, was natürlich große Mengen davon erforderte. So ist zu lesen, daß ganze Holzmarken restlos umgesägt werden mußten. Die oberhalb vom Breitenberg stehenden Waldungen und die am oberen Höllenberg bis Hochleite mußten alle für den Aufbau herhalten. Der gut bestockte Riedwald wurde restlos abgeholzt, ja, man benötigte eine Menge Holz, die kaum geschätzt werden kann. Alle Hausstöcke und Stallungen wurden mit Kantholz aufgeschlossen, die Scheunen und Dächer alle aus Holz gefertigt. Da der Wald in unseren Gemarkungen nicht ausreichte, bezog man noch viel Holz von auswärts.

Die ganzen abgetriebenen Holzflächen wurden wieder aufgeforstet, und dank der eigenen Pflanz- und Tännelesgärten ging dies in wenigen Jahren mit Erfolg vor sich. Viele Wälder mit heute überaltertem Bestand stammen aus dieser Zeit der Neuanpflanzung und Nachpflanzungen. Daher stammen auch noch die vielen Weißtannen in manchen Gebieten, die natürlich damals keinen Verbiß kannten.

Der Wildanflug und die am Ried selbst aus heimischen Sämlingen gezogenen Pflanzen zeigen das rauhere Daas und die rauhere Rinde. Dem ging das Wild damals so gut wie aus dem Weg, solange es andere Äsungsmöglichkeiten gab. Der obere Riedwald wurde dann auf einen Gemeindebeschluß im Jahre 1867 ebenfalls angepflanzt und ist ohne Verbiß- und Schälschäden aufgekommen. Er war vordem Viehweide mit wenig Humusauflage, ein ehemaliges Kiesauswurfgebiet bei Hochwasser.

Ein ganz großer Eingriff in den Waldbestand ergab sich Mitte des vorigen Jahrhunderts, als am 1. August 1851 ein furchtbares Schlagwetter über Oberstdorf hereinbrach. Der Faltenbach stieg so hoch, daß er die Trettach aus ihrem Bachbett hinauswarf und die Hammerschmiede, die am Platz des heutigen E-Werks stand, völlig mitriß und mit einem unheimlichen Kiesauswurf den ganzen hinteren Esch bis zur Rubingeroy überschüttete. Es gab fast keine Brücken mehr, und es mußten neue Holzwehre an den Rußufern erstellt werden. Hunderte von Kubik Holz hatte es umgerissen, und noch mehr Holz benötigte man für all die neuen Brücken und Wehre.

Ein noch schlimmeres Hochwasser gab es vom 14. bis 16. Juni 1910. Dreitägige Wolkenbrüche brachten im gesamten bayerischen Raum gewaltige Schäden. Rund um Oberstdorf war keine Brücke stehengeblieben, bis auf die 20 Meter hohe Zwingbrücke am Haseltopf-Dietersberg. Uferverbauungen wurden weggeschwemmt, als ob sie nicht dagewesen wären. Alles war überschwemmt, und die Eisenbahnlinie war unterspült, die Geleise vom Bahnhof bis zur Breitach völlig in der Luft. Wieder mußten Hunderte von Kubik Holz zum Brückenbau und zu Uferbefestigungen herhalten. In einer Chronik ist zu lesen, daß sich kein alter Mann auf solche Unwetter besinnen könne.

Bereits um 1890 war der Pflanzgarten eingeebnet und wieder der Viehweide zugeschlagen worden, und die beiden Tännelesgärten hatte man verliegen lassen und nicht mehr weiter gepflegt, so daß der Rest der Tännele, die noch dagewesen waren, zu einem dichten Unterholz ausgeartet waren.

Bei dem großen Hochwasser Anno 1910 trat die Stillach schon an der Zimmeroybrücke über die Ufer und überschwemmte und vermurte das ganze Riedwaldgebiet. Das Dickicht bei den Tännelsgärten wurde aus dem kargen Humusboden ausgerissen und weggeschwemmt, und alles war mit Kies und Schwemmletten überdeckt.

Doch die Zeit heilt alle Wunden, und die Natur regeneriert sich oft selbst besser, als dies der Mensch kann: Nach einigen Jahren sah man nichts mehr von den Schäden, alles war wieder mit Jungwald aus Wildanflug bedeckt, und man hat schon wieder Hunderte von Heinzenstängele rausgeschlagen und Pfahlholz gemacht.

Eisenverhüttung - Heft 34

Für Brückenbauten, Damm- und Uferbefestigungen mußten 1910 große Mengen an Holz geschlagen werden. Im Bild der unterspülte Eisenbahndamm im „Hinteren Esch ”

Erst in den dreißiger Jahren hörte man erstmals von einem Wildverbiß, der sich aber auf angekaufte Kulturpflanzen beschränkte, die vom Förster Greiner besorgt und von seinen Leuten ausgepflanzt worden waren.

In meiner Jugendzeit besaßen wir einige unfruchtbare, schäbige Wiesenteile, die man dann bepflanzte. Wir Buben mußten im Schlappoldbach Sämlinge holen, und diese wurden dann im Almoos oberhalb des Rodelwegs eingepflanzt. Trotz mehrerer Rehfamilien, die sich dort aufhielten, gab es keinen einzigen Verbiß. Das Daas war rauh und die Rinde härter als bei den gekauften Kulturpflanzen. Nach einigen Jahren mußten wir die Tännele abschneiden und „wüst” machen, denn der kleine Schachen war direkt am Weg, und die „Christbaumstehler” hatten dies bald bemerkt.

Der Wald ist in der heutigen Zeit bei uns nicht so schlecht, wie vielfach geschrieben wird, denn der Wildflug ist heute noch enorm. Man sieht es bei den Skiabfahrten am Höllwies, die müssen jedes Jahr ausgeholzt werden.

Vergleiche mit alten Bildern oder Karten von früher zeigen, daß man wenig Wald hatte, und heute sind die meisten vormals kahlen Flächen voll bewaldet. Die Wiesen wachsen zu, die Scheunen verfallen, Hunderte von Kubik Holz verfaulen wegen der kostenträchtigen Bringung, und auch der Bedarf ist nicht mehr gegeben.

Einige Stürme, so wie »Wiebke«, reißen noch Lücken in den Wald, und der darauf folgende Käferbefall macht ihm zu schaffen; ansonsten ist unser Wald noch nicht so schlecht, wie man oft redet.

Quellennachweis:
Geschichte des Marktes Oberstdorf, Bd. 3, Oberstdorf 1976.
Thaddäus Steiner, Flurnamen Bayerns, Heft 6, Teil II, München 1973.
»Unser Oberstdorf«, Heft 6, November 1984, und Sonderheft, März 1995, von Dr. Kurt Eberhard. Ulrich Scholl, Aus der Geschichte des Ostrachtales, 1986.
Sebastian Münster, Beschreibung der ganzen Welt, 1628.
Bericht und Aussagen von Seppl Joas.
Mündliche Berichte von Anton Berktold und Hans Köcheler sen.
Richard Hipper und Aegidius Kolb, Sonthofen im Wandel der Geschichte, Sonthofen 1978.

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