li.: Pfarrer Alois Heinle
re.: Bürgermeister Ludwig Fischer
(„Fronze Ludwig”)
(Nach Unterlagen und Aufzeichnungen von Sr. M. Felana Stichlmair, zusammengestellt von Seppl Schedler)
Anno 1901, also vor fast 100 Jahren, wurde in Oberstdorf das Kranken- und Pfründnerhaus in der Trettachstraße errichtet.
Die Leitung wurde den Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul, mit dem Mutterhaus in München, übertragen. Damit war nach jahrzehntelangen Bemühungen ein wichtiger Schritt in der Gesundheitspflege getan, denn nun konnten Kranke am Ort stationär behandelt werden.
Man muß aber annehmen, daß sich bei den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen viele die aufwendigere Behandlung im Krankenhaus nicht leisten konnten. Sie wollten auch bei ernstlicheren Erkrankungen möglichst zu Hause ärztlich betreut und auch gepflegt werden. Es fehlte deshalb noch an einer ambulanten Krankenpflege. Eine fachgerechte Versorgung von Kranken in der Familie, aber auch von Einzelpersonen, war trotzdem notwendig und auch gefragt.
Das können wir einem Schreiben des damaligen Bürgermeisters Ludwig Fischer an den Superior der Barmherzigen Schwestern in München entnehmen. Er fragt am 5.12.1908 dort an, ob es möglich sei, auch für eine ambulante Pflege Barmherzige Schwestern zu bekommen. Wenn ja, mögen die Bedingungen mitgeteilt werden.
Und unverzüglich ging es auch an die Gründung eines Vereins. Der damalige Schriftführer und Kassier, Marktsekretär Johann Anton Schmidt, schildert das in seinem Jahresbericht so:
„Am Feste Christi Himmelfahrt 1909, dem 20. Tage im Monat Mai, wo uns die Natur mit ihrem frischen Grün und Blütenschmuck so reichliche Gaben spendet, sollte in Oberstdorf ein Werk aufgebaut werden, das als eines der edelsten der christlichen Nächstenliebe gilt, ein Werk, das für unsere leidenden Mitmenschen das größte Geschenk, nämlich eine geschulte Pflege und damit Hilfe und Linderung im schweren Leiden bringen soll.
Der Aufruf des Pfarrvorstandes Hochwürden Herrn K. Geistl. Rats Heinle in Oberstdorf zur Gründung dieses Werkes hat in allen Schichten der hiesigen Bürger- und Einwohnerschaft freudigen Widerhall gefunden. Der Besuch der Versammlung im Gasthaus zum Hirschen an obigem Tag war ein solch zahlreicher, daß sofort der Verein für Ambulante Krankenpflege in Oberstdorf gegründet, die Satzung desselben bestimmt, die Vorstandschaft des Vereins gewählt und von dieser auch gleich nähere Bestimmungen zur Erreichung des Vereinszweckes, das ist die Heranziehung von zwei Ordensschwestern aus dem Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in München, getroffen werden konnten.”
Weiter heißt es dann in diesem Bericht:
„Wegen Schwesternmangels hatte es zuerst den Anschein, als sollte der Verein seine aktive Tätigkeit erst am Jahresschlüsse 1909 aufnehmen können. Auf Grund mündlicher, eindringlicher Vorstellungen hat jedoch der Ordensuperior ... sich bestimmen lassen, am 1. 8. 1909 die beiden nachgesuchten Pflegeschwestern zu entsenden.”
„Um einem dringenden Bedürfnis zu entsprechen”, wurde schon in der Generalversammlung 1910 beschlossen, eine 3. Schwester zu berufen und ein Jahr später bereits um eine 4. Schwester nachgesucht.
Es waren heuer 90 Jahre, in denen der Verein ohne großes Aufheben und Aufsehen die notwendigen Voraussetzungen für eine ambulante Krankenpflege in Oberstdorf und für das caritative Wirken der Barmherzigen Schwestern und ihrer Helfer geschaffen hat.
Pfarrherren, Bürgermeister, Krankenhausärzte und viele andere angesehene Bürger stellten sich als Vorstandsmitglieder zur Verfügung. Bis zur Gründung des »Evangelischen Diakonievereins« am 24. 11. 1964 gehörte auch immer eine Vertreterin der Evangelischen Kirche mit zur Vorstandschaft.
Am Ende des Gründungsjahres zählte der Verein 177 Mitglieder. Die Einnahmen bestanden aus Mitgliedsbeiträgen und Pflegegeldern, aus Spenden einzelner Personen und des Verschönerungsvereins sowie aus der Zuwendung von Finderlöhnen. Dazu kamen auch noch Einnahmen aus Konzerten zugunsten des Vereins, die in der ersten Zeit jährlich veranstaltet wurden.
Das Ziel war eine kostenlose Pflege der Mitglieder. Heute hat der Verein um die 600 Mitglieder. Die entstehenden Kosten werden weitgehend durch die sozialen oder privaten Kranken- bzw. Pflegeversicherungen gedeckt.
Die Seele des Vereins für Ambulante Krankenpflege waren seit jeher - und sind es auch heute noch - die Barmherzigen Schwestern vom HL Vinzenz von Paul, die nimmermüde in Oberstdorf ihren Dienst tun, sich um Kranke und Alte kümmern, sie betreuen und versorgen. Mit ihren weißen Flügelhauben, meist zu Fuß unterwegs, gehörten sie früher mit zum Ortsbild. Heute sind sie weniger auffällig, wenn sie in ihrer einfacheren Schwesterntracht und im Auto unterwegs sind.
Natürlich hat es in der Vereinsgeschichte auch Krisen gegeben. So wurde 1916, nach einer Visitation durch den Orden, der Vertrag mit dem Krankenhaus und zwangsläufig auch der mit dem Verein für Ambulante Krankenpflege gekündigt und die Schwestern heimberufen.
Die Mißstände, die Anlaß dazu gaben, waren eine Folge des Krieges. Neben den Pfründnern und Kranken mußten noch 40 bis 50 kranke Soldaten versorgt werden. Die 4 Schwestern und 2 Mägde waren damit überfordert.
Das gemeinsame Bemühen des Krankenhausarztes Dr. Otto Reh, der Gemeindeverwaltung und vieler Privatpersonen, besonders aber des neuen Pfarrers Johann Baptist Witzigmann war erfolgreich. Die Schwestern bekamen Erholungsurlaub, blieben aber „Gott sei Dank” in Oberstdorf. Es gab einen neuen Vertrag. Der Superior des Mutterhauses schließt das Kapitel mit dem Satz ab:
„Ich gebe der angenehmen Hoffnung und der freudigen Erwartung Ausdruck, daß hiermit für die Anstaltspflege und Ambulanz eine Periode ständigen, friedlichen, segens- und erfolgreichen Zusammenwirkens begründet und gewährleistet ist.”
Und so muß es auch über viele Jahre hinweg gewesen sein.
Die in der ambulanten Pflege tätigen Schwestern wohnten damals immer noch bei ihren Mitschwestern im Krankenhaus und waren dort auch zur Mithilfe verpflichtet. Erst 1952, als das »Johannisheim« gebaut wurde, bekamen sie eine eigene Wohngelegenheit und konnten sich nun ausschließlich der ambulanten Pflege widmen. Aber schon wenige Jahre später wurde für sie dann im neuen »Vinzenzheim« auf einem kirchlichen Grundstück im Haslach eine eigene Wohnung gebaut. Ein großherziges Vermächtnis von Frau Josefa Pflüger, einer Tochter des früheren Pfarrmesners Joseph Übelhör, hatte dies möglich gemacht. 1956 konnten sie dort einziehen, und noch heute ist dies die Station der Ambulanten Kranken- und Altenpflege.
Vor 4 Jahren konnte der Verein das ganze »Vinzenzheim« von der Pfarrkirchenstiftung erwerben, so daß nun dort auf Dauer, neben der Wohnung für die Schwestern, auch ausreichend Platz für die ständig zunehmende und unvermeidbare Verwaltung mit ihrem Papierkram vorhanden ist und auch die verschiedenen Pflegegeräte und -apparate untergebracht werden können.
Neue Sorgen gab es dann wieder, als 1973 die beiden Schwestern Amalaria und Perseveranda in den wohlverdienten Ruhestand gingen.
Die Station war verwaist. Es war nicht sicher, ob der Orden, dem es an Nachwuchs fehlte, noch einmal eine Schwester abstellen könnte. Doch das Mutterhaus hatte ein Einsehen. Im April 1974 traf Schwester Felana ein und übernahm die Station. Sie war nun zwar allein, dafür aber motorisiert und konnte dadurch manches ausgleichen.
Aber schon wenige Jahre später, 1977, trat das ein, was schon lange befürchtet wurde und schon anderenorts geschehen war. Das Mutterhaus kündigte den Vertrag mit dem Krankenhaus und auch mit dem Verein, weil es die Schwestern für die eigenen Einrichtungen benötigte. Man entschloß sich zu einem Bittgang nach München. Pfarrer Wilhelm Krumbacher, Bürgermeister Eduard Geyer und Rosmarie Dünßer wurden im Mutterhaus vorstellig, um wenigstens noch die Schwestern für die ambulante Pflege behalten zu können.
Wieder mit Erfolg, Schwester Felana blieb, und Schwester Melitona kam sogar noch mit dazu. Seitdem sind nun ständig zwei Barmherzige Schwestern in der ambulanten Krankenpflege tätig. Schwester Felana leitet seit 25 Jahren die Station. Nachfolgerin von Schwester Melitona war 1981 Schwester Acosta, die sicher manche auch noch als Operationsschwester des Krankenhauses kennen. Sie wurde im November 1991 von Schwester Katharina abgelöst.
Obwohl es heute neben der Evangelischen Diakonie auch noch andere Pflegedienste gibt, fehlt es nicht an Arbeit. Zahlen können zwar nicht ausdrücken, was im Pflegedienst alles geleistet wird, sie lassen aber erkennen, wie sich die Ambulanz in all den Jahren verändert und entwickelt hat. In den ersten 20 Jahren wurden durchschnittlich 57 Patienten betreut; heute ist die Zahl auf ca. 90 angestiegen. Während früher die Tages- und Halbtagesdienste und vor allem die Nachtwachen überwogen, sind es heute jährlich 10 - 12.000 Pflege- und Behandlungsbesuche, das sind über 200 Fälle je Woche. Die Ordensschwestern werden deshalb schon seit langem von Helfern, besonders in der Grundpflege und in der hauswirtschaftlichen Versorgung, unterstützt, damit Engpässe, vor allem in der Urlaubszeit, überbrückt werden können. 1995 ist mit der Einführung der Pflegeversicherung auch die Altenpflege eine Aufgabe der ambulanten Pflegedienste geworden. Für die Station wurde deshalb inzwischen eine weitere examinierte Krankenschwester angestellt.
Und das sind kurzgefaßt die Dienste und Leistungen, welche die ambulante Station heute anbietet:
Kranken- und Altenpflege
Die ausgebildeten Krankenschwestern und Pflegekräfte kommen auf persönliche oder ärztliche Aufforderung ins Haus, damit
* Kranke und Pflegebedürftige in ihrer eigenen Wohnung oder bei ihren Angehörigen bleiben können;
* Familienangehörige bei der Pflege unterstützt und beraten werden können.
Dazu gehören:
Grundpflege
z. B. betten, lagern, waschen, Gesamtkörperpflege,
Beobachtung der Kranken.
Behandlungspflege
Durchführung der vom Arzt verordneten Maßnahmen wie Verbände, Injektionen, Katheterisierung, Wickel, Bäder, Einläufe.
Verleih von Pflegehilfsmitteln
z. B. Nachtstühle, Krankenheber, Krankenbetten u. a.
Beratung
Umfassende Beratung in allen Fragen, die die Pflege und die Pflegeversicherung betreffen.
Krankenpflegekurse
in häuslicher Pflege.
Seit einigen Jahren haben sich zwei weitere caritative Gruppen dem Verein angeschlossen:
Ein Hilfsdienst, der Alte und Kranke durch freiwillige Helfer betreut und im Haushalt unterstützt, sowie
ein Christophorusdienst der sich Schwerkranken und Sterbenden zuwendet und sie begleitet.
Den Barmherzigen Schwestern, ihrer Ordensleitung und allen ihren stillen Helfern gebührt besonderer Dank für die Hilfe und Unterstützung, die sie in all den Jahren den Kranken und Alten in christlicher Nächstenliebe haben angedeihen lassen, und allen, die über nun fast 90 Jahre mitgeholfen haben, den Zweck und die Ziele des Vereins für Ambulante Kranken- und Altenpflege in die Tat umzusetzen, ein herzliches „Vergelts Gott”.
Am Rande noch zwei Aussprüche einer „dankbaren” Patientin am Dietersberg, als sie und ihre vielen Katzen wieder einmal von der Schwester versorgt wurden: „Ja kut se denn schu wiedr die Beatnoggl - hosch de z’ Oberschtdorf kui Arbat mea?”
Oder bei der dringend notwendig gewordenen Körperpflege: „Fir was soll ietzt des Wäsche güet sing?”
Auch das gehört dazu!