Beim 60jährigen Gründungsfest
(im Vordergrund von links):
Alois Koch, Pfarrer Johannes Schiebel und Erhard Bibl
Im Jahre 1898 trat der junge Priester Johannes Schiebel die Stelle als Benefiziat in St. Maria Loretto an. Bald erkannte er Not und Elend der wandernden Handwerksburschen als Folge der Industrialisierung. Vertraut mit den Ideen des Sozialreformers Adolf Kolping (1813 - 1856), machte er sich schon bald ans Werk. Nach dem Kolping-Grundsatz: „Schön reden tut’s nicht, die Tat ziert den Mann”, gründete er zusammen mit 35 jungen Burschen am 16. April 1900 den katholischen Gesellenverein Oberstdorf. Mit den Vereins- Devisen Religion und Tugend, Arbeitsamkeit und Fleiß, Eintracht und Liebe, Frohsinn und Scherz sollten die Handwerksgesellen fürs Leben gerüstet werden. Ihnen wollte man eine geistige, aber auch irdische Heimat bieten.
Als Vereinslokal für ihre sonntäglichen Treffen bot sich der Gasthof »Adler« an. Monatsbeitrag damals 20 Pfennig (eine Halbe Bier kostete 10 Pfennig). Mit diesen Mitgliedsbeiträgen und den Erlösen aus Theaterveranstaltungen finanzierten sie die Übernachtungskosten der wandernden Gesellen. Schon am 27. Mai 1901 feierten sie das Fest der Fahnenweihe.
Mitten in dieser Aufbauphase hatte der Verein seine ersten Prüfungen zu bestehen: 1. Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, 2. Weltkrieg. Nach einem gelungenen Stiftungsfest anläßlich des 30jährigen Bestehens wurde der Gesellenverein 1933 in Kolpingfamilie umbenannt. Aber schon 1934 untersagten die Nationalsozialisten die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Von 1938 bis 1948 fehlen jegliche Einträge in den Protokollbüchern. Letzte Aktion: Am 11. September 1938 errichten die Mitglieder ein Kreuz auf dem Hohen Licht, vielleicht in weiser Voraussicht, daß viele ihrer Mitglieder nicht mehr aus dem Kriege zurückkehren sollten.
Die Gedanken Vater Kolpings waren stärker und haben über diese Jahre hinweg getragen. Am 6. Juni 1948 fand eine Generalversammlung statt, und die ersten Aktivitäten wurden beschlossen. Als Vereinsmotoren erwiesen sich der damalige Präses Georg Zehter und der ehemalige Senior Ludwig Dentler. Langsam normalisierte sich das Vereinsleben, und die Mitgliederzahlen stiegen. In den monatlichen Versammlungen versuchte die Vorstandschaft dem Bildungsauftrag Vater Kolpings gerecht zu werden, nämlich die Mitglieder zu tüchtigen Christen, Meistern, Bürgern und Familienvätern zu erziehen.
Natürlich durfte auch das gesellige Leben nicht zu kurz kommen. Theaterspiele wurden wieder einstudiert, sportliche Aktivitäten entwickelt und die ersten Freundschaftsbesuche organisiert. 1950 feierten wir das goldene Vereinsjubiläum und 1960 zusammen mit dem Gründungspräses 60 Jahre Vereinsgeschichte.
Einen besonderen Stellenwert nahm immer wieder der Wunsch der Mitglieder nach einem eigenen Heim ein; 1961 geschah dieses Wunder. Theodor Huber vererbte, durch Vermittlung des Präses Klemens Schwandner, der Kolpingfamilie einen Teil seines Besitzes, das Haus in der Nebelhornstraße 11. Nach einer langwierigen Entscheidungsphase und vielen Verhandlungen konnten wir durch Tausch unser neues Heim in der Oberen Bahnhofstraße planen, bauen und im September 1976 anläßlich unserer 75-Jahr-Feier auch beziehen. Die Freude war riesig, inzwischen gab es auch Jungkolpinggruppen, Mädchen waren Mitglieder geworden, kurzum das Vereinsleben blühte.
Neben der Jugend- und Erwachsenenarbeit legten wir bald einen neuen Schwerpunkt, die Familienkreise wurden gegründet. Die Kolpingfamilie hatte sich wieder als feste Größe in der kirchlichen Gemeinde und im öffentlichen Leben etabliert.
Je mehr sich aber in unserer Gesellschaft ein gewisses Wohlstandsdenken und ein damit verbundener Egoismus breit machten, fühlten wir vor allem die Verantwortung für andere, und so vor allem für die Dritte Welt. Wir förderten und es entstanden Entwicklungsprojekte in Israel, Albanien, Ungarn, Tschechien, Afrika sowie Südamerika, und heute steht unser Hausprojekt in Indien im Vordergrund. Trotzdem haben wir uns auch immer wieder den Sorgen und Interessen unserer Mitglieder sowie den Problemen vor Ort zu stellen.
Mögen sich auch die Zeiten geändert haben und nicht mehr die wandernden Handwerksburschen die große Rolle spielen - die Idee Vater Kolpings, den jungen Menschen zu stützen, aufs Leben vorzubereiten, Schwachen Hilfe zu leisten und eine lebenslange Gemeinschaft zu bilden, bleibt. Die Treue zu diesem Geist, aus dem wir stammen, und der Wille, die Zukunft zu gestalten, sind Aufgaben aller Kolpingmitglieder und werden uns, bei einem gewissen Auf und Ab, wie in jeder Vereinsgeschichte, so auch ins nächste Jahrtausend mit Gottes Segen begleiten.