Von der Volksmusik in Oberstdorf

von Anton Köcheler am 01.06.2002

Die Grundlage der Musik ist der Gesang, denn die Singstimme ist das von der Natur dem Menschen gegebene, immer schon vorhandene „gebrauchsfertige Instrument”. Alle anderen Blas-, Zupf- oder Streichinstrumente mußten erst im Laufe vieler Jahrhunderte erfunden werden. Sie erscheinen uns nicht unbedingt notwendig, auch wenn wir es als sehr schön und das Leben bereichernd finden, daß man auf Instrumenten spielt. Ohne Gesang aber kann man sich die Menschen gar nicht vorstellen, das Singen ist ihnen ein Bedürfnis. Für all das, was die Musik auszudrücken berufen und befähigt ist, bleibt der Gesang der unmittelbarste Ausdruck. Allerdings vermögen wir nicht endgültig zu klären, warum der Mensch singen will und muß und somit auch nicht den eigentlichen Ursprung der Musik deuten. Es bleibt uns nichts übrig als zu sagen: Musik gehört zu dem, was den Menschen zum Menschen macht.

Aus der Musikgeschichte wissen wir, daß die Vokalmusik bis ins 17. Jahrhundert hinein der Instrumentalmusik weit voraus war. Sie hatte ihre künstlerische Ausbildung bis zu einem hohen Grad bereits erfahren, als die Instrumentalmusik, aus der Vokalmusik hervorgegangen, erst selbständig zu werden begann.

Wenn man über die alpenländische Volksmusik spricht, dann muß man sich dabei immer vor Augen halten, daß deren Entwicklung nicht anders verlaufen ist und der Anteil der Musikinstrumente doch relativ jüngeren Datums. Heute wissen wir selbstverständlich nichts anderes mehr, als daß Vokal- und Instrumentalmusik gleichwertig nebeneinander stehen, sich verbinden und gegenseitig beeinflussen, und es hat lange gedauert bis sie zur der Vollendung kam, wie sie uns nun dargeboten wird. In dem Beitrag „Das Lied ohne Worte - Geschichte der Jodler in Oberstdorf” (Heft 38/Juni 2001) wurde aufgezeigt, wie sich der Jodler und viele Volksliedle von der Steiermark und Tirol her über die ganzen Alpen entwickelt haben. Ergänzend dazu muß aber festgehalten werden, daß auch in der Schweiz eine frühe Jodlerbewegung stattfand, die ebenso auf die Oberstdorfer Volksmusik Einfluß hatte.

Ferdinand Fürchtegott Huber (1791 - 1863), ein Musiklehrer aus Hochwil (Bern), gilt in der Schweiz als der Vater des Volks- und Jodlergesangs. Er hat bereits ab 1817 urwüchsige Volksmusik und Jodler gesammelt und aufgezeichnet. Deshalb trugen zur Entwicklung des Oberallgäuer Volksgesangs neben den steirisch-tirolerischen Liederbüchlein auch Schweizer Gesangsbüchle, in Mundart verfaßt, bei. Vielfach wurden daraus Jodler und Liedle entlehnt, in ein allgemein verständliches Allgäuerisch umgeschrieben und so auch vorgetragen.

Volksmusik - Heft 40

Oberstdorfer Jodlertrio um 1895 -1910,
von links: Boddars Done (Huber), Aliselars Fronz (Kappeler), Zimmermändles Michl (Huber).

Fidel Berktold hat für seine Jodlergruppe sowie für seine Nichten, das „Köcheler-Kleis-Quartett”, solches Liedgut verwendet. Der „Liederkranz Oberstdorf”, gegründet 1868, sang ebenfalls zu jener Zeit Lieder aus der Sammlung von F. F. Huber, z. B. „Lüeged vu Bearg und Tal” oder „Allad kürzer weared Däg” und andere mehr. Letzteres Liedle wurde gerne im Herbst und zur Viehscheidzeit herum gesungen.

Volksmusik - Heft 40

„ Köcheler-Kleis-Quartett”
(alle Nichten von Fidel Berktold).

Von links: Kleis Senzl (verh. Tauscher), Köcheler Hanne (verh. Schugg), Köcheler Maria, Köcheler Berta; mit im Bild „ Senze Marie”, geb. Hindelang, verh. Dünßer.

Schon die ältesten Berichte besagen, daß alle Gesänge mit lyraartigen Instrumenten begleitet wurden. Später begleiteten den Jodlergesang meist Zither, Gitarre oder Harmonika; diese Instrumente wurden als Stütze für den freien Gesang benötigt. Beide Musikformen machten sich im Laufe der Zeit wieder selbständig, da sie einander nicht mehr unbedingt bedurften. Doch immer wieder fanden beide Klanggruppen zueinander.

Volksmusik - Heft 40

Eine der Jodlergruppen der zwanziger und dreißiger Jahre bei einem Besuch in Friedrichshafen.

Von links: Hans Kaiserswerth (Jodler und Zitherspieler), Anton Jäger (Adlerwirts Done), Liese Hartmann (Meßmars Kättre Maa), Bürgermeister Mayr (Friedrichshafen), Karl Enzensberger (Adlerwirts Karle), Otto Wittwer (Edlmaas Otto, Schützenwirt), Franz Kaufmann (Wirt der Rappenseehütte).

In der Schweiz selbst kam in der neueren Zeit das Klavier immer näher mit dem Jodlergesang zusammen, es wurde aber vielfach von Handörgeli oder Harmonika wieder abgelöst. Festzuhalten ist, daß die großen Jodlergruppen meist ohne Begleitinstrument vortragen. Man findet in den Aufzeichnungen von Franz Alois Schratt des öfteren den Schweizer Ausdruck „albelen”, ein Wort, das im Appenzell und im Toggenburg in früheren Jahren für das Jodeln galt, sich aber bei uns nie eingebürgert hat. Karl Sendtner brachte seine Erlebnisse mit den Oberallgäuern Mitte des 19. Jahrhunderts auf seine Art zum Ausdruck, indem er schrieb: „Es weht herein vom Schweizertum, es sind ander Land und ander Leut als drüben über dem Lech.”

Volksmusik - Heft 40

Jodlergruppe und Zitherclub traten oft gemeinsam auf.

Im Bild beide Gruppen auf der Jakobekirbe 1933 in Gerstruben.

Von links, im Fenster: Maria Ammann (verh. Thannheimer, Bedienung), Alois Schwendinger (Zitherclub);

hintere Reihe: Frau Mayer (Frau des Berufsjägers Georg Mayer), Ludwig Kaiserswerth (Sohn des Hans Kaiserswerth), Hans Kaiserswerth (Zitherspieler und Jodler), Hans Binz (Zitherclub), David Jäger (Minekusse David, Jodler), Ludwiga Huber (Hengges Ludwiga, Wirtin, ehern. Jodlerin), Anton Huber (Boddars Done, Wirt, ehem. Jodler), Anton Berktold (Gerstrubar Zitherclub), Anton Jäger (Adlerwirt, Jodler);

vordere Reihe: Josef Übelhör (Schmieds Josef, Jodler), Alois Jäger (Adlerwirts Liese, Harmoniespieler), Otto Wittwer (Schützenwirt, Jodler und Gitarrist), Hans Übelhör (Wolfgangars Hans, Jodler).

Man sieht, daß dem Oberallgäuer das Jodeln und der Jodlergesang schon früh wohl vertraut waren, wenn man sich auch vielfach mit importiertem Lied- und Volksgut behelfen mußte. So hatte man sich viele Jahre der Lied- und Jodlerprodukte aus Österreich und der Schweiz bedient, da es im eigenen Umfeld sichtlich zu wenig Textschreiber und Komponisten gab. Das war auch problemlos möglich, da sich Handel und Wandel seit Urzeiten von Oberstdorf aus nach Süden über die Pässe orientierte, und man brachte auch geistiges Gut mit hinüber und herüber übers Birg. Erst die Neuzeit mit ihren modernen Verkehrsmitteln hat das alte Handelssystem verändert. Dabei gab es auch manches alte einheimische Liedgut, das aber kaum aufnotiert wurde. Die wenigen Personen, die etwas festgehalten haben, sind nicht mehr, und deren Büchle sind meist mit ihnen untergegangen.

Es gab bei uns halt keinen „Kiem-Pauli” wie in Oberbayern. Dieser zog ab 1900 zu Fuß durch Oberbayern und Tirol, spielte selbst bei Festen und in Gaststätten, horchte dabei die alten Spielleute und Bauern nach deren uralten Liedle, Jodlern und Musikstückle aus und brachte die Sammlung in Buchform zur Verbreitung.

Oberlehrer Otto Hengge hatte seinen Schwestern, den „Hengge-Fehla”, um die Jahrhundertwende schon Oberallgäuer Mundartliedle eingeübt, doch zu jener Zeit waren die Steirer-, Tiroler- und Schweizerliedle so eingeprägt, daß anderes oder Eigengewächs gar nicht so gefragt waren. So richtig bekannt wurden die Henggeliedle erst Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre, als der Oberstdorfer Lehrer mit den neugebildeten Jodlergruppen und dem Männergesangverein enger zusammenarbeitete. Hier tauchen die Mundartliedle wieder auf, wie z. B. ,,D' lieb Huimat”, „Wenn e mea Geald hedd”, „Dr schii Büe”, „Ündrem Apflbom” und „Gemsle schieße”. Lange hat man sich also zurückgehalten, in der Allgäuer Mundart zu reimen und dieses zu vertonen.

Selbst hatte ich noch manches alte Liedle gehört von den Jodlern Kaiserswerth Hans, Adlerwirts Done, Wittwers Otto oder gar von Gigars Wilhelme, aber auch von Übelhör Josef, Boxler Franz, Fischer Hugo u.v.a. Es waren oft Spott- und Trutzliedle mit oftmals Tiroler, Schweizer oder oberbayerischen Mundartteilen. Speziell in feuchtfröhlicher Runde kamen sie zum Vorschein, diese alten Weisen. Zwischendurch auch honorige „Sühliedle”, die, für heutige Zeit fast jede Schärfe verloren, aber viel zur Aufheiterung beigetragen haben.

Gute und stimmkräftige Jodlergruppen und Gesangsformationen wurden durch die unseligen Kriege zerstört und aufgelöst, der besten Stimmen beraubt. Doch es gab immer wieder neue Gruppen.

Seit 1901 gibt es den Trachten- und Heimatschutzverein, und fast alle Gruppen sind in diesem Verein aktiv gewesen. So lesen wir im »Allgäuer Anzeigeblatt« der zwanziger und dreißiger Jahre, daß an den Heimatabenden des Vereins alle drei Jodlergruppen mitwirkten. Leider wurde dabei kein Gruppenname erwähnt und das Protokollbuch sagt hierzu soviel wie nichts aus. Doch sicher ist, daß Jodler und Zitherspieler in dieser Zeit bei mehreren Zusammensetzungen immer wieder mitsangen und spielten, wie z. B. Kaiserswerth Hans, Wittwer Otto, Adlerwirts Done usw. Es fällt auf, daß jede Jodler- und Gesangsgruppe vor 1900 einen Zitherspieler dabei hatte, seien es August Grassl, der Panoramawirt, oder Gerstrubars Adolf gewesen.

Volksmusik - Heft 40

Jodlergruppe 1933 bei einem Ständchen
zum Almrausch-Gaufest vor dem
Kriegerdenkmal (von 1870/71).

Von links: Hans Kaiserswerth, unbekannter Jodler, Anton Jäger (Adlerwirt), Anton Buhl, Hans Tauscher, Josef Übelhör, Seppl Joas, Heinrich Tauscher.

Dies blieb durch die Jahre so, und man findet in den zwanziger und dreißiger Jahren die bekannten „Geschwister Schedler”, die mit dem gebürtigen Kärntner Zithervirtuosen Gustl Spiwak eigene „Kärntnerabende” veranstalteten.

In den Aufzeichnungen des Franz Alois Schratt findet man den Eintrag, daß fast in jedem Haus in Oberstdorf eine Zither hing, die auch viel in Gebrauch war, und auch Schweizer Melodien wurden gesungen. Leider macht er hierzu sonst keine Ausführungen.

In den früheren Jahren wurde der Jodlergesang von den sog. gehobenen bzw. adligen Schichten vielfach belächelt, ja sogar abgelehnt, weil dieser aus dem einfachen Volke stammte. Es dauerte geraume Zeit, bis dieser Gesang auch hoffähig wurde, nicht zuletzt Dank des bayerischen Königshauses und des österreichischen Kaiserhauses, welche nicht nur mit der Tracht, sondern auch beim Gesang mehr Volksnähe demonstrierten. Auch die Kirche früherer Jahre hatte diese Art der Volksmusik bzw. des Volksgesangs strikt abgelehnt, und erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Jodlergesang bis in den Chorraum Vordringen. Heute kennen wir ganz bekannte Jodlermessen, die aus der Liturgie nicht mehr wegzudenken sind. Wer hat in der Kirche nicht schon bei feierlich vorgetragenen Jodlern eine Gänsehaut bekommen und sich direkt in den Bann dieser Andacht miteinbezogen gefühlt.

Volksmusik - Heft 40

Oberstdorfer Jodlergruppe 1960 -1980.

Von links: Werner Liebherr, Otto Dünßer, Joachim Jörg, Seraphin Rietzler, Karl Janak, Max Menz, Hugo Fischer, Otto Baumgartner, Franz Boxler sen., Albert Jäger, Max Brutscher.

Volksmusik - Heft 40

Die Jugendjodlergruppe, aufgebaut von Max Schraudolf (Jäger) und Toni Brutscher in den Jahren 1950 -1955.

Von links: Peter Bauer, Hans König, Martin Dentler, Hans Menz, Max Menz, Hansjörg Gentner, Hans Kerle, Andreas Hofmann, Max Bauer, Fritz Gentner, Ignaz Wolkan, Ernst Besler, Ludwig Schraudolf Seraphin Rietzler, Georg Bauer.

Dahinter die Initiatoren Max Schraudolf und Toni Brutscher.

Heute mehren sich die frei singenden Jodlergruppen ohne Begleitinstrument, und es gibt auch Liedgut genug von heimischen Textern und Komponisten. Seit einigen Jahren hört man immer mehr Schweizer Melodien an den Heimatabenden und den Allgäuer Lieder- und Jodlertagen. Meist sind sie von gefälliger Art, die durchaus zu uns passen und gerne gehört werden. Wichtig scheint mir, daß es sich um echtes Volksgut handelt.

So ist es letztendlich egal, wo der Berglergesang oder die Alpenmelodie herstammt - dieser Gesang ist völkerverbindend. So hat man in allen Schichten bemerkt, daß der Jodler, die Volksmelodie ein Stück der alpenländischen Volksseele ist. Es ist Ausdruck von Freud und Leid, vom inneren Erleben und von der ursprünglichen Kraft und der Liebe zur Heimat.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

Der Verein

Unser gemeinnütziger Verein unterstützt und fördert den Erhalt und Pflege von Landschaft, Umwelt, Geschichte, Mundart und Brauchtum in Oberstdorf. Mehr

Unser Oberstdorf

Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

Wir verwenden Cookies
Wir und unsere Partner verwenden Cookies und vergleichbare Technologien, um unsere Webseite optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern. Dabei können personenbezogene Daten wie Browserinformationen erfasst und analysiert werden. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmen Sie der Verwendung zu. Durch Klicken auf „Einstellungen“ können Sie eine individuelle Auswahl treffen und erteilte Einwilligungen für die Zukunft widerrufen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Einstellungen  ·  Datenschutzerklärung  ·  Impressum
zurück
Cookie-Einstellungen
Cookies die für den Betrieb der Webseite unbedingt notwendig sind. weitere Details
Website
Verwendungszweck:

Unbedingt erforderliche Cookies gewährleisten Funktionen, ohne die Sie unsere Webseite nicht wie vorgesehen nutzen können. Das Cookie »TraminoCartSession« dient zur Speicherung des Warenkorbs und der Gefällt-mir Angaben auf dieser Website. Das Cookie »TraminoSession« dient zur Speicherung einer Usersitzung, falls eine vorhanden ist. Das Cookie »Consent« dient zur Speicherung Ihrer Entscheidung hinsichtlich der Verwendung der Cookies. Diese Cookies werden von Verschönerungsverein Oberstdorf auf Basis des eingestezten Redaktionssystems angeboten. Die Cookies werden bis zu 1 Jahr gespeichert.

Cookies die wir benötigen um den Aufenthalt auf unserer Seite noch besser zugestalten. weitere Details
Google Analytics
Verwendungszweck:

Cookies von Google für die Generierung statischer Daten zur Analyse des Website-Verhaltens.

Anbieter: Google LLC (Vereinigte Staaten von Amerika)

Verwendete Technologien: Cookies

verwendete Cookies: ga, _gat, gid, _ga, _gat, _gid,

Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 730 Tage gespeichert.

Datenschutzhinweise: https://policies.google.com/privacy?fg=1

Externe Videodienste
Verwendungszweck:

Cookies die benötigt werden um YouTube Videos auf der Webseite zu integrieren und vom Benutzer abgespielt werden können.
Anbieter: Google LLC
Verwendte Technologien: Cookies
Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 179 Tage gespeichert.
Datenschutzerklärung: https://policies.google.com/privacy?hl=de&gl=de

Cookies die benötigt werden um Vimeo Videos auf der Webseite zu integrieren und vom Benutzer abgespielt werden können.
Anbieter: Vimeo LLC
Verwendte Technologien: Cookies
Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 1 Jahr gespeichert.

Datenschutzerklärung: https://vimeo.com/privacy