Nach den Plänen von Geheimrat Thiedemann wurde die Christuskirche gebaut. Dieses Bild wurde auch als Postkarte verkauft, um den Kirchenbaufonds aufzubessern
Wie die Bevölkerung im ganzen Oberallgäu waren Oberstdorfs Einwohner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch rein katholisch. Beim Bau der Eisenbahn, der „Ludwigs-Süd-Nord-Bahn”, von Lindau nach Hof, trat ab 1848 im Allgäu eine Veränderung dadurch ein, daß unter den vielen zugezogenen Eisenbahnarbeitern rund 400 evangelischen Glaubens waren. Eine Reihe dieser Männer wurde seßhaft, sie suchten in Immenstadt einen Raum für ihre Gottesdienste. Die kgl. bayerische Staatsregierung prüfte die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung, und die umliegenden Gemeinden, so auch Oberstdorf, hatten im Jahr 1859 die Zahl ihrer protestantischen Einwohner zu berichten. Leider ist das Antwortschreiben von Oberstdorf nicht erhalten.
Im „obersten Dorf” wuchsen, als die Eisenbahn 1853 bis Immenstadt und 1876 bis Sonthofen fuhr, die Gästezahlen ständig. Das Angebot an entsprechenden Wohnungen hielt insbesondere nach dem Brand von 1865 mit, als „modernere Häuser” entstanden. Viele der „Sommerfrischler” waren protestantisch und wollten auch während der „Vakanz” auf den sonntäglichen Gottesdienst nicht verzichten und es gab entsprechende Initiativen. In einem Schreiben des kgl. Bezirksamtes an Oberstdorfs Bürgermeister Franz Paul Brack heißt es: „... Seine Majestät der König haben zu genehmigen geruht, dass in Oberstdorf protest. Gottesdienste abgehalten werden dürfen. ...” Darauf hat am 15. August 1876 Vikar Christian Walter aus Immenstadt im Oberstdorfer Rathaussaal den ersten allgemeinen evangelischen Gottesdienst abgehalten.
Vermutlich haben vorher schon im »Haus Färbe« Gottesdienste stattgefunden, als 1875 Oberhofprediger Ernst von Dryander aus Berlin dort wohnte. So auch durch Pastor Starck aus Riga, der den Sommer 1884 in der »Färbe« verbrachte und dort zehn Gottesdienste abhielt.
Ein Hauch von Ökumene spielte hier schon mit, als im „Dreikaiserjahr” 1888 für die evangelischen Majestäten Wilhelm I. und 99 Tage später für seinen Sohn Friedrich Wilhelm in den katholischen Kirchen Bayerns Trauergottesdienste stattfanden.
1899 gründeten im Gasthof zum Löwen 35 Personen aus der zwischenzeitlich 70 Mitglieder zählenden evangelischen Gemeinde den „Kirchenbauverein Oberstdorf e. V”. Großzügige Spenden von Gästen, Gelder von protestantischen Kirchen und Vereinen aus dem ganzen Land und eigene Aktivitäten erlaubten dem Verein schon 1900 den Ankauf eines 40 Dezimal großen Grundstückes zwischen dem neuerbauten Hotel Luitpold und der Sommervilla des Fürsten Fugger. Vier Damen waren besonders rührig, und auf ihre Initiative hin fanden jährlich in der Hochsaison im Hof des Hotel Luitpold Basare statt, deren Erlöse einen Großteil des Grundstückspreises abdeckten.
Als die Planung eines Münchner Architekten verworfen wurde, konnte 1904 ein alter Gast Oberstdorfs, Geheimrat Friedrich von Thiedemann aus Potsdam als Planer für das Gotteshaus gewonnen werden. Sein Entwurf fand uneingeschränktes Gefallen, und so wurde der Bauauftrag an den Unternehmer Franz Xaver Ammann aus Sonthofen vergeben. Am 23. August 1905 wurde der Grundstein gelegt und nach rund 11 Monaten Bauzeit die Christuskirche am 17. Juli 1906 feierlich eingeweiht. Tags zuvor waren noch die Glocken in den Turm gezogen worden.
Oberstdorfs Gendarmerie-Kommandant Josef Heibl schrieb stolz in sein Tagebuch: „Meine Margret hat den Schlüssel auf einem Samtkissen getragen!” Es war des Oberkommisärs Töchterlein, das den Schlüssel des neuen Gotteshauses vom Architekten an die Kirchengemeinde übergab.
Das Kirchlein war mit seinen 220 Sitzplätzen bei dem Festakt hoffnungslos überfüllt, und man hegte schon die Angst, zu klein gebaut zu haben. Für die kleine Gemeinde war der finanzielle Aufwand aber riesig, doch es waren großherzige Stifter aufgetreten. So schenkte z. B. Reichsrat Freiherr von Cramer-Klett dem Gotteshaus den Altar, und ein alter Oberstdorfer Gast, Isidor Bernhardi, steuerte eine Glocke bei, die dann auch seinen Namen trug.
Freude herrschte, als der Weihnachtsgottesdienst 1916 erstmals bei elektrischer Beleuchtung stattfand. Doch es folgte dem bald eine traurige Stunde, als 1917 der Ablieferungsbefehl für das Geläute kam und zwei der drei Glocken im Turm zerschlagen wurden.
Das Jahr 1926 brachte eine neues Geläut und die Erkenntnis, daß die Kirche für den Andrang der Gläubigen zu klein war. Vier Jahre später wurde die Altarapsis umgestaltet und im Schiff eine dreiseitige Empore eingezogen.
Die evangelische Gemeinde Oberstdorf war personell von Immenstadt bzw. später von Sonthofen abhängig, bis 1938 ein eigener Vikar allein für den Ort zuständig wurde; ein Jahr später ist Oberstdorf exponiertes Vikariat und schließlich 1941 selbständige Pfarrei.
Der Zweite Weltkrieg schlägt in der Gemeinde nicht nur menschliche Wunden, wieder muß das Geläut „dem Vaterland geopfert” werden.
Bedingt durch die Aufnahme vieler Heimatvertriebener und den weiteren Zuzug von evangelischen Christen platzte das schmucke Kirchlein bei den sonntäglichen Gottesdiensten aus allen Nähten. Für eine Änderung des Zustandes fehlten aber die Finanzen. Erst in den 50er Jahren versetzte die hochherzige Spende einer Dame die Gemeinde in die Lage, das Kirchenschiff zu vergrößern und ein Pfarrhaus anzubauen. Als 1957 das Gotteshaus auch sein äußeres Erscheinungsbild geändert hatte und vier neue Glocken im Turm hingen, konnten sich die unermüdlichen Helfer stolz zurücklehnen. Es war wieder ein Zeichen der Ökumene, daß die neuen Glocken mit dem ebenfalls neuen Geläut der katholischen Pfarrkirche abgestimmt wurden und in unserem Tal eine harmonische Einheit bilden.
Es würde hier zu weit führen, wollte man auf die Aktivitäten in den Nachbargemeinden, die von Oberstdorf ausgingen, näher eingehen. Doch soll die Betreuung des Kleinwalsertals sowie von Fischen, Schöllang, Tiefenbach und Balderschwang nicht unerwähnt bleiben
Bemerkenswert sind, neben der seelsorgerlichen Tätigkeit, auch die vielen Aktionen der Alten- und Krankenpflege, der Jugendarbeit usw., die von der Christuskirche ins Land ausstrahlen.
Unter dem Motto „100 Jahre Christuskirche - ein Fest zum Mitfeiern” beging die evangelische Gemeinde im Juli 2006 das Jubiläum ihres Gotteshauses. In seinem Glückwunsch zum Kirchenbau 1906 hat damals der Dekan aus München folgenden Satz als Schlußpunkt gesetzt, der auch heute noch Gültigkeit hat:
„Das Haus ist gebaut, jetzt beginnt die Arbeit!”