100 Jahre Breitachklammverein
1. Die Erschließung der Breitachklamm
2. Ein Leben mit der Klamm und in der Klamm

von Peter Weiß und Leo Vogler am 01.06.2004

Der Breitachklammverein feiert heuer sein lOOjähriges Bestehen. Er hat, beginnend im Jahr 1904, durch seine Weitsicht, Tüchtigkeit und Tatkraft eines der großen Naturwunder unserer Alpen Millionen von Besuchern zugänglich gemacht, ln ständigem Einsatz wurde das Werk der Gründer von den Nachfolgern über all die Jahre ausgebaut und für die Zukunft erhalten. red.

1. Die Erschließung der Breitachklamm

Am 15. Mai 1904 wurde im Register des Königlich Bayerischen Amtsgerichtes in Kempten eine Genossenschaft eingetragen. Der § 1 ihrer Satzung lautete:

„Die Unterzeichneten bilden unter der Firma "Breitach-Klamm-Verein" - eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht - einen Verein zur Erschließung der Breitachklamm bzw. zum Bau eines Weges von der Starzlachbrücke am linken Ufer der Breitach bis vorläufig unter den Zwingsteg und zum Bau eines Aufstieges von hier an den Oberstdorfer Fußweg.”

44 Genossen, weitsichtige Bürger aus Tiefenbach und Oberstdorf, waren bereit, auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko, den bisher völlig unzugänglichen, wilden „Zwing” zu erschließen und für Feriengäste zugänglich zu machen. Ein damals wagemutiges Unternehmen mit ungewissem Ausgang!

Breitachklamm - Heft 44

Blick vom Zwingsteg in die Klamm um 1865.

Erbaut wurde der Steg erstmals 1632 von montfortischen Forstknechten, als die Walser ihre „Schanz” gegen die Schweden errichteten.

Initiator und unermüdlicher Motor des Unternehmens war Pfarrer Johannes Schiebel, der mit 29 Jahren 1901 in Tiefenbach seine erste Pfarrstelle erhielt. Er kümmerte sich nicht nur um das geistige Wohl seiner Pfarrkinder, er wollte auch die zum Teil ärmlichen Lebensverhältnisse in Tiefenbach verbessern. Als Benefiziat von St. Loretto hatte er in Oberstdorf gesehen, daß die zunehmende Zahl der sogenannten „Sommerfrischler” für die Einheimischen neue Verdienstmöglichkeiten brachte. Er suchte nun einen Weg, auch in Tiefenbach einen Anziehungspunkt für die Feriengäste zu schaffen.

Pfarrer Schiebel war ein großer Naturfreund, ihn reizten die Geheimnisse des Erdinneren; er war in die Schneckenlochhöhle unter dem Ifen und in die Sturmannshöhle eingestiegen. Nun war die unzugängliche, enge Klamm der Breitach eine neue Herausforderung! Schiebel untersuchte mögliche Zugänge zur Klamm, stieg zu den Naturbrücken unterhalb des Zwingsteges und ließ sich an einem Seil in den Abgrund hinab. Er fand in der Klamm ein Naturdenkmal von einmaliger Schönheit, mit Strudellöchern in den hohen Felswänden neben glattpolierten Wandstücken und riesigen Abbruchstellen. Ein Wunder der göttlichen Schöpfungskraft! Diese Klamm mußte für die Menschen erschlossen werden, nicht zuletzt zur Förderung des Fremdenverkehrs im ganzen oberen Illertal.

Breitachklamm - Heft 44

Johannes Schiebel, Pfarrer in Tiefenbach von 1901 bis 1908.

Der junge Pfarrer fand in Tiefenbach in Bürgermeister Bruno Schratt, Josef Vogler, Franz Vogler, Fridolin Steiner und anderen weitsichtige Bürger, die seine Idee unterstützten. Sie gründeten zur Ausführung und Finanzierung des Projektes am 9. März 1902 den »Verschönerungsverein Obertiefenbach« und wählten Pfarrer Schiebel zum Vorsitzenden. Dabei wurde zum ersten Mal öffentlich über die Erschließung des Zwing, der „größten Natur Schönheit in der Nähe" gesprochen. Anschließend wurden intensive Verhandlungen mit den 22 an die Klamm angrenzenden Grundbesitzern geführt und schon am 6. April 1902 konnte ein „Protokoll über Rechtsabtretung zum Zwecke eines Wegebaus in die Breitachklamm” unterzeichnet werden.

Alles schien in Ordnung zu sein. - Aber wie bei jedem Vorhaben gab es bald auch in Tiefenbach Gegner des Projektes. An den Stammtischen in der »Alpenrose« und der »Badwirtschaft« wurden Gerüchte geschürt, daß der Klammwegebau unmöglich sei und das Geld hinausgeworfen würde. Den Verfechtern der Klammidee wurde prophezeit: „Die Klammrar bringet de Grind schu ning in des Loh, aber numma rüs. ” Zur Wiederherstellung des dörflichen Friedens in Tiefenbach entschieden Pfarrer Schiebel und Bürgermeister Schratt, das Klammprojekt zunächst ruhen zu lassen. Schiebel schrieb in sein Tagebuch:

„Solche Gemütskrankheiten brauchen ihre Zeit zur Heilung.”

Der neue »Verschönerungsverein Obertiefenbach« aber beschloß einstimmig, an Stelle des Klammweges einen Weg auf die Sulzburg, oberhalb der Tiefenbacher Kirche, zu bauen. Das war einfacher und nicht umstritten.

Doch 1904 wurde in Tiefenbach die Idee der Klammerschließung wieder aufgegriffen und Möglichkeiten zur Finanzierung des Wegebaus gesucht. Ein Antrag der Gemeinde Tiefenbach, selbst den Weg durch die Klamm zu bauen, wurde vom Königlichen Bezirksamt abgelehnt mit der Begründung:

Das Risiko dieses Unternehmens ist zu groß! Auch der Alpenverein, Sektion Allgäu-Immenstadt, lehnte eine Unterstützung ab, da er „im Tal keine Wege baue”. Pfarrer Schiebel fragte sogar bei den Königlich Bayerischen Pionieren in München an, ob ein Wegebau durch die Breitachklamm als „kriegsmäßige Übung für Pioniere” möglich sei. Doch die Pioniere waren anderweitig beschäftigt und wollten lediglich einen Offizier zur Beobachtung des „gefährlichen Unternehmens” entsenden.

Breitachklamm - Heft 44

Die obere Klamm, wie sie die Erschließer 1904/05 vorfanden.

Damals schon versperrte ein Damm den ungehinderten Durchfluß der Breitach, etwa an der gleichen Stelle wie nach den Felsstürzen von 1950 und 1995

Der Tiefenbacher Pfarrer entschloß sich schließlich, die Erschließung der Breitachklamm selbst in die Hand zu nehmen und zu diesem Zweck einen Verein zu gründen, den Breitachklammverein, dessen Jubiläum wir heuer feiern. Der Vorsitzende des Oberstdorfer Verschönerungsvereins, Hofrat Dr. Ulrich Reh, sagte dafür seine Hilfe zu. Auch andere Oberstdorfer Bürger wie Andreas Hofmann, Karl Richter, Wolfgang Hohenadl und Georg Mayer waren bereit, die Erschließung der Breitachklamm zu unterstützen und weitere Freunde für die Sache zu gewinnen. So konnte am 5. April 1904 im Gastof »Alpenrose« in Tiefenbach der »Breitachklammverein, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung« gegründet werden. Pfarrer Schiebel wurde zum Vorsitzenden des neuen Vereins gewählt.

Von den 44 Gründungsmitgliedern kamen 15 aus Tiefenbach, 25 aus Oberstdorf, 4 aus anderen Orten. Dieser Mitgliederstand erhöhte sich 1905 auf 72 Mitglieder. Sie waren bereit, zur Finanzierung des Wegebaus Geschäftsanteile zu jeweils 500,- Goldmark zu zeichnen. Die Tiefenbacher Mitglieder gingen mit gutem Beispiel voran: Bürgermeister Bruno Schratt, Landwirt Franz Vogler, Holzhändler Michael Huber und Posthalter Martin Müller zeichneten 3 und 4 Anteile zu 1.500,- und 2.000,- Goldmark. Das war damals viel Geld!

In heutiger Währung sind das immerhin 15.000,- bis 20.000,- EURO.

Doch die Eintragung des neuen Vereins im Genossenschaftsregister verzögerte sich. Das Königlich Bayerische Amtsgericht in Kempten machte seinem Namen Ehre und prüfte erst einmal, ob Pfarrer Schiebel als Vereins Vorstand eine „physische” oder eine „juristische” Person sei und wollte weiter wissen, ob im Breitachklammverein auch Frauen stimmberechtigt seien, da das Vereinsstatut nur von „Genossen” spricht. Schiebel gab geduldig alle gewünschten Auskünfte und Unterzeichnete seinen Brief „als Kgl. Bayerischen Amtsgerichtes Kempten gehorsamster Diener”. - Dann war es endlich soweit, am 15. Mai 1904 wurde der neue Verein eingetragen.

Der Breitachklammverein hatte inzwischen die Bauvorbereitungen energisch vorangetrieben. Der Bau einer Wirtschaft wurde beschlossen. Die notarielle Sicherung der Wegerechte und die Verbriefung der Grundstücke erfolgte. Die behördlichen Genehmigungen wurden eingeholt. Die Bauleitung für den Wegebau wurde an das Ingenieurbüro Franz Xaver Ammann in Sonthofen vergeben. Ammann stieg mit Schiebel an mehreren Stellen in die Klamm ein und erstellte einen vorläufigen Wegeplan. Doch es gab ein neues Problem! Keine einzige Allgäuer Baufirma war bereit, gemäß dieser Planung einen verbindlichen Kostenvoransschlag für den Wegebau durch die Klamm zu machen. Das Risiko war ihnen bei den zu erwartenden technischen Schwierigkeiten zu groß.

Aber Pfarrer Schiebel gab nicht auf. Er setzte sich mit dem Südtiroler Bauunternehmer Johann Lucian aus Primiero am Rollepaß in Verbindung, der im Allgäu schon Wildbachverbauungen durchgeführt hatte. Lucian kam nach Oberstdorf, erhielt die Planung von Ingenieur Ammann und gab am 22. Mai 1904 ein verbindliches Angebot ab. Er war bereit, den Weg durch die Klamm zum Festpreis von 16.302- Goldmark zu bauen, „ohne Geländer”, die später der Schlosser Fritz aus Oberstdorf lieferte. Ein siebenseitiger Vertrag, bei dem Johann Lucian alle Risiken übernahm, wurde ausgearbeitet und am 25. Juli 1904 von ihm unterzeichnet. Noch am gleichen Tag wurde mit den Bauarbeiten begonnen.

Beim Wegebau in der Klamm wurde Lucian von seinem Neffen Giovanni Lucian unterstützt, der als k. u. k. Kaiserjäger eine Mineurausbildung (Sprengmeisterausbildung) erhalten hatte. Er wurde mit einem weiteren Südtiroler vom Zwingsteg aus am Seil über 50 Meter in den bisher unzugänglichen inneren Zwing hinabgelassen. Frei am Seil hängend machten sie die ersten Bohrarbeiten in der senkrechten Felswand und brachten eine Sprengladung an. Dann zündeten sie eine Zündschnur mit 10 Minuten Brenndauer und ließen sich vor der Explosion so schnell wie möglich nach oben ziehen. Nach der Sprengung wurden sie wieder hinabgelassen, und das wurde so oft wiederholt, bis in der Felswand eine Höhlung ausgebrochen war.

Nun konnten von ihnen, zuerst kniend, dann stehend, weitere Bohrarbeiten durchgeführt werden. Den heutigen Sicherheitsvorschriften bei Sprengarbeiten hat diese Arbeitsmethode sicher nicht entsprochen, aber sie war erfolgreich! Während der ganzen 11-monatigen Bauzeit geschah kein Unfall.

Schon nach wenigen Tagen konnte Johann Lucian Pfarrer Schiebel und die Mitglieder des Bauausschusses in die bisher unzugängliche innere Klamm führen. Zum Teil im Wasser über Steine steigend, über provisorische Leitern kletternd und auf Brettern kriechend, erreichten sie die ausgesprengten Stellen unter dem Zwingsteg. Dort legten sie den endgültigen Wegverlauf fest. Im Herbst 1904 und im ganzen Winter 1905 wurde intensiv in der Klamm gearbeitet. Tätig waren 20 Mann: 10 Mineure, 5 Taglöhner, 2 Maurer, 2 Schlosser und 1 Schmied. Lucian und seine Männer leisteten unter oft schwierigsten Bedingungen hervorragende Arbeit. Nach 230 reinen Arbeitstagen war im Mai 1905 der Klammweg fertig, 1.780 Meter lang. Davon waren 1.021 Meter mit 7.000 Sprengschüssen in den Fels gesprengt worden.

Breitachklamm - Heft 44

Johann Lucian, Bauunternehmer aus Primiero/Südtirol

Mit dem Bau der Kassenhäuschen am Eingang und am oberen Ende der Klamm und der Herrichtung der Zufahrtsstraße betrugen die Gesamtkosten 26.626,- Mark. Der Kostenvoranschlag war insgesamt eingehalten worden.

Da am 1. Juni 1905 auch die Gaststätte am Eingang zur Klamm fertiggestellt war, konnte am 5. Juni 1905 bei herrlichem Frühsommerwetter die feierliche Eröffnung der Breitachklamm stattfinden. Gäste aus dem gesamten Allgäu kamen und bewunderten die großartige technische Leistung dieses Wegebaus. Der Breitachklammverein hatte auf eigenes Risiko, mit eigenen Mitteln, mit Idealismus und Tatkraft die schönste Klamm der Alpen erschlossen!

Pfarrer Schiebel schrieb bescheiden in sein Tagebuch: „Das große Werk ist vollbracht. Die geheimen Felskammern des wilden Zwing sind aufgebrochen und erschlossen. Mit Gottes Hilfe ging die sehr gefährliche Arbeit ohne jeden Unfall ab.”

Breitachklamm - Heft 44

Das obere Kassenhäuschen von 1905.

Der oberhalb sichtbare weiter führende Weg zur Walserschanz wurde bald nach der Eröffnung der Klamm auf Initiative des Rietzler Pfarrers Ländle von den Walsern gebaut.

Der Besuch der Breitachklamm übertraf alle Erwartungen! Schon im ersten Jahr wanderten über 25.000 Besucher durch die Klamm. Das waren doppelt so viele Personen, als in Oberstdorf überhaupt Gäste (nämlich 12.900) gemeldet waren. Die Klammbesucher kamen aus dem ganzen Allgäu. Man nahm lange Anreisen in Kauf; die Fahrt mit der Eisenbahn von Kempten nach Oberstdorf, mit Umsteigen in Immenstadt und Sonthofen, dauerte damals fast drei Stunden. Hinzu kam der Fußmarsch hinüber nach Tiefenbach zur Klamm.

Eine regelmäßige Verkehrsanbindung gab es noch nicht. Nur „betuchte” Klammbesucher konnten es sich leisten, von den Oberstdorfer „Lohn-Rösslern” mit der Kutsche nach Tiefenbach gefahren zu werden. Es wurde notwendig, eine neue Stellwagenlinie vom Oberstdorfer Marktplatz zur Breitachklamm einzurichten.

Ein Festtag für die ganze Gemeinde Tiefenbach war es, als am 26. Mai 1909 der Kronprinz Ludwig von Bayern, der spätere König Ludwig III., die Breitachklamm besuchte. Die Chronik berichtet, daß der Kronprinz nach einer Wanderung durch die Klamm vom Breitachklammverein mit einer „gut garnierten” kalten Platte gestärkt wurde. Beim adligen Gefolge war der Verein sparsamer, sie erhielten einen „Käs-Semmel” in einer Papierserviette.

Der Breitachklammverein blieb in seiner 100-jährigen Geschichte nicht von Rückschlägen verschont. Schon nach einem Jahr, 1906, wurde nach einem Wolkenbruch durch Hochwasser ein Teil des neuen Weges zerstört. Einige der in den Fels gesprengten Wegstrecken wurden nun hängend in Eisenbeton neu angelegt, um dem Wasser weniger Widerstand zu bieten. Schwere Hochwasserschäden und fehlendes Baumaterial führten 1945 zur Schließung der Klamm. Sie konnte erst 1949 wieder eröffnet werden.

Auch nach dem riesigen Felsturz in der Klamm am 24. September 1995 und den großen Zerstörungen durch die Flutwelle am 23. März 1996 wurde von den Mitarbeitern des Breitachklammvereins unter härtesten Bedingungen in nur zwei Monaten der Weg durch die Klamm wieder begehbar und sicher gemacht. So konnten in den vergangenen 100 Jahren fast 20 Millionen Besucher durch die Breitachklamm wandern.

Der Initiator und Gründer des Breitachklammvereins wurde 1908 nach Vorderburg versetzt und später Pfarrer in Schöllang. Mit der Breitachklamm blieb er sein Leben lang eng verbunden. An seinem 90. Geburtstag ging er noch einmal durch die Klamm und erzählte von der Baugeschichte. Das Ehrenbürgerrecht des Marktes Oberstdorf krönte an diesem Tag sein Lebenswerk: die Erschließung der schönsten Klamm Mitteleuropas.

Zwei Jahre später, im Februar 1963, fand Pfarrer Johannes Schiebel auf dem Burgfriedhof von Schöllang seine letzte Ruhestätte. Er hatte ein Wunderwerk der göttlichen Schöpfung für seine Mitmenschen zugänglich gemacht.

Viel an Idealismus, Arbeitseinsatz und auch Finanzmittel mußten dafür aufgewendet werden, um die Begehbarkeit alljährlich im Frühjahr wieder herzustellen und die Sicherheit in der Klamm zu verbessern. Alle Kraft und allen Einsatz verlangten auch die immer wieder auftretenden Naturgewalten, seien es Flutwellen nach Unwettern oder Felsstürze erheblichen Ausmaßes. Dafür verantwortlich waren als Technische Leiter Fridolin Steiner (1904 -1921), „Adlerwirt” Anton Jäger (1922 -1966), Hugo Rietzler sen. (1966 -1987), Leo Vogler (1987 -1999) und Max Huber (seit 1999).

Leo Vogler (Mittwänden) hat über die Arbeiten und Vorkommnisse schriftliche Aufzeichnungen gemacht, die nachfolgend auszugsweise und bearbeitet zu lesen sind.

red.

2. Ein Leben mit der Klamm und in der Klamm

Schon als Schulkinder waren meine Schwester Annemarie und mein Freund Mathias Eberle viel in der Breitachklamm. Mein Vater war damals in der winterlichen Klamm mit Schneeschaufeln und dann mit Frühjahrsarbeiten beschäftigt. Wenn wir ihm das Essen brachten, hatten wir oft eine Unterhaltung mit den Angestellten. Vorarbeiter Josef Martin hatte immer einen Raben namens Jakob dabei, der uns beim Füttern in die Finger zwickte. Sein Kollege Ludwig Keller, der überwiegend im oberen Kassenhäuschen war, hatte zahme Eichhörnchen und Mäuse, die sogar aus der Hand fraßen. Schon damals unternahmen wir, natürlich heimlich, Klettereien an den Felsen in der Klamm.

Dann kamen die Kriegsjahre. Die Klamm war ab 1945 geschlossen, nachdem die Weganlagen durch ein Hochwasser zum Teil zerstört waren. Als 1948, ein Jahr vor der Wiedereröffnung 1949, mit den Instandsetzungsarbeiten begonnen wurde, war ich dann als 19jähriger dabei. Zur damaligen Zeit, bis in die 50er Jahre, war das Arbeiten noch mühsam und schwer.

Sprenglöcher mußten noch von Hand gebohrt werden, Kies, Sand, Eisen und Zement wurden mit zwei aneinander gehängten Zweiradkarren, von August Dörnachs Pferd gezogen, durch den Tunnel bis vor den „Grünen Gumpen” transportiert. Von dort wurde das Material in Einmanntragen - „Vögel” genannt - weiter an den Einsatzort gebracht. Findige Arbeiter haben später Fahrradrahmen mit einem Rad unter die Tragen montiert, was eine große Entlastung war.

Breitachklamm - Heft 44

Materialtransport mit "Eigenkonstruktion"
(Zeichnung: Christine Huber)

Breitachklamm - Heft 44

Weiter ging es dann mit Einmanntragen - sog. „Vögel” - bis an die Baustelle.

Ich half auch bei den Fels-Abräumarbeiten, wobei wir die Felswände von losem Gestein, Bäumen und sonstigem Gehölz zu säubern hatten. Das war eine schwierige und gefährliche Arbeit, da uns dafür nur eine primitive Ausrüstung zur Verfügung stand. Die Sicherungsseile waren aus Hanf und bei entsprechendem Wetter gefroren und steif. Sicherungshaken und Karabiner waren kaum vorhanden. Da waren Kameradschaft und gute Zusammenarbeit bei den Beteiligten - den Angestellten des Vereins und einheimischen Landwirten - sehr wichtig, wenn man z.B. an steilen Wänden, im Seil hängend, dürre Tannen mit dem „Fuchsschwanz” entfernen mußte. Eine Mithilfe der Bergwacht gab es damals noch nicht. Da kam es nach einem schweren und aufregenden Arbeitstag schon mal vor, daß ich nachts davon träumte und schweißgebadet, an die Bettkante geklammert, erwachte.

Breitachklamm - Heft 44

Vor allem für die Sicherheit der Klammbesucher ist der „Felsputzer” im Einsatz

Doch die Arbeitsbedingungen und die Ausrüstung wurden im Laufe der Jahre immer besser. Es gab nun Nylonseile, Sitz- und Brustgurte und Abseilachter. Ab 1960 wurden dann die Oberstdorfer Bergwachtmänner hinzugezogen, die mit ihrer guten Ausbildung und der entsprechenden Ausrüstung auch die extremsten Stellen erreichen konnten.

Angeschafft wurden auch Einachsholder, Raupenfahrzeuge, Schneeschleudern, Stromaggregate, Betonmaschinen, Meißelhammer und Bohrmaschinen. So konnte der Klammweg im Laufe der Jahre verbreitert und in gutem Zustand gehalten werden.

Im Jahr 1987 - nach „Lehrjahren” unter Anton Jäger und Hugo Rietzler sen. hatte ich die technische Leitung übernommen - wurden von der Aufsichtsbehörde umfangreiche Sicherungsmaßnahmen verlangt. In Zusammenarbeit mit Ing. Walter Vogt (Grainau), dem Geologen Dr. Ulrich (München) und der Firma STRABAG (München) wurden 95 Felsanker (ca. 1 1/2 - 2 m lange Schrauben) zur Sicherung der Felsplatten gesetzt, Schutzdächer und Gitter sowie Spione und Meßmarken angebracht, die zur Überwachung von Felsspalten dienen. Die lange Brücke am oberen Ende der Klamm wurde neu gebaut. Doch trotz all dieser Bemühungen und Maßnahmen bleibt die Klamm ein sich laufend veränderndes Naturwunder, bei dem ein Restrisiko an Gefahr immer bleiben wird.

Seit die Breitachklamm zugänglich gemacht wurde, galt es für die Verantwortlichen des Vereins immer wieder mit den Auswirkungen der Naturgewalt fertig zu werden. Immer wieder kam es zu Hochwasserkatastrophen, so in den Jahren 1906,1910,1918,1920,1926,1944 und 1945. Glimpflich verlief ein Felssturz 1950, bei dem in der oberen Klamm ein Stausee entstand, der aber nach einiger Zeit wieder verschwand.

Breitachklamm - Heft 44

Nach dem Felssturz 1995.

Ein schwerer Schlag für den Breitachklammverein und für mich als Technischen Leiter war ein riesiger Felsturz am 24. September 1995 frühmorgens, als sich - fast an der selben Stelle wie 1950 - 50.000 cbm Fels löste, in die obere Klamm stürzte und einen riesigen Damm hinter dem oberen Kassenhaus bildete. Hinter dieser Barriere entstand im Frühjahr 1996 durch Schmelz- und Regenwasser ein See mit ca. 350.000 cbm Inhalt. Die Weganlage der oberen Klamm war über die Hälfte unter Wasser. Am 23. März 1996, um 11.30 Uhr, brach dann der Damm und sogleich zwängten sich riesige Wassermassen durch die Schlucht und vollbrachten ein Werk der Zerstörung. Ein Drittel der gesamten Weganlage war nicht mehr vorhanden. Gott sei Dank war die Klamm in diesen Tagen wegen der Schneeschmelze geschlossen. Ich persönlich hatte riesiges Glück. Als ich kurz vor dem Ereignis zu einem Kontrollgang in die Klamm aufbrechen wollte, wurde ich durch ein längeres Gespräch mit meinem Sohn Peter aufgehalten.

1998/99 hatten wir einen sogenannten „Superwinter” mit riesigen Schneemengen, sodaß die Klamm ab Mitte Februar wegen Lawinengefahr nicht mehr begehbar war. Im Frühjahr 1999 konnte erst einen Monat später als üblich geöffnet werden. Doch es folgte bald die nächste Überraschung. Nach tagelangen Regenfällen während der Schneeschmelze gab es im gesamten Landkreis Überschwemmungen, und auch die Breitachklamm wurde wieder einmal stark in Mitleidenschaft gezogen. An der Wasserstandstafel stieg das Wasser 3 Meter über den Weg. Riesige Mengen Treibholz kamen zusammen und schoben sich durch die Klamm. Ein Teil der Weganlage sowie ca. 300 Meter Geländer wurden mitgerissen. Wegen Reparaturarbeiten mußte die Klamm für 11 Tage geschlossen werden.

Breitachklamm - Heft 44

Nach dem Unwetter ...riesige Mengen an Treibholz

Breitachklamm - Heft 44

... und zerstörte Stege.

Ein weiteres Hochwasser am 6. August 2000 wurde verursacht durch außergewöhnlich ergiebige Niederschläge. An der Wasserstandstafel stieg der Pegel auf 2,30 Meter über den Weg und dazu verstopften wiederum Unmengen Treibholz die Klamm. Das Geländer wurde von der Tafel bis zur Kanzel stark beschädigt oder ganz weggerissen und der Weg mußte an vielen Stellen wieder neu aufgekiest werden. Die Klamm blieb für drei Tage geschlossen.

Auch zu Unfällen bei den Besuchern kam es hin und wieder, meist durch Steinschlag und ohne ernstere Folgen. Tragisch verlief ein Unfall im Oktober 1987, als ein Kanufahrer, der die obere Breitach befuhr, in die Klamm gezogen wurde und ertrank.

Ein Unfall am 5. Juli 1993 verlief Gott sei Dank glimpflicher. Ein 5jähriger Bub war durch das Geländer gerutscht und 15 Meter zur Breitach gestürzt und schwer verletzt liegen geblieben. Ein zufällig anwesender finnischer Marinearzt konnte in sofort wiederbeleben, bevor er von unseren Angestellten und der Bergwacht geborgen wurde.

Daß die Arbeiten in der Klamm von Gefahr begleitet sind, war uns immer bewußt. Trotz großer Vorsicht ließen sich manche Unfälle nicht vermeiden. So auch der eines Angestellten am 16. April 1999: Für den Neubau einer Brücke wurde eine Buche gefällt, der Stamm blieb an der alten Brücke hängen und ragte etwa 3 Meter darüber hinaus. Beim Absägen verfing sich das Sicherungsseil des damit Beschäftigten am Stamm, er wurde von der Brück geschleudert und hing 10 Meter darunter so unglücklich im Seil, so daß seine Atmung aussetzte. Obwohl das Seil stark beschädigt war, konnte er von seinen Kollegen hochgezogen und Erste Hilfe geleistet werden, bis Notarzt und Bergwacht eintrafen.

Das war ein kleiner Streifzug durch die Zeit, in der ich 35 Jahre als Vorstand und 12 Jahre als Technischer Leiter für die Breitachklamm und den Breitachklammverein tätig sein durfte. Ein Wunsch an meine Nachfolger ist, daß sie die Klamm weiterhin so erhalten, wie sie Gott und die Natur geschaffen haben.

Ausführliches über die Klamm, vom geologischen Werden bis in die Gegenwart, findet der interessierte Leser in dem Buch »100 Jahre Breitachklamm Tiefenbach« (76 Seiten, 90 Abbildungen), erhältlich beim Breitachklammverein e.G.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

Der Verein

Unser gemeinnütziger Verein unterstützt und fördert den Erhalt und Pflege von Landschaft, Umwelt, Geschichte, Mundart und Brauchtum in Oberstdorf. Mehr

Unser Oberstdorf

Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

Wir verwenden Cookies
Wir und unsere Partner verwenden Cookies und vergleichbare Technologien, um unsere Webseite optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern. Dabei können personenbezogene Daten wie Browserinformationen erfasst und analysiert werden. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmen Sie der Verwendung zu. Durch Klicken auf „Einstellungen“ können Sie eine individuelle Auswahl treffen und erteilte Einwilligungen für die Zukunft widerrufen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Einstellungen  ·  Datenschutzerklärung  ·  Impressum
zurück
Cookie-Einstellungen
Cookies die für den Betrieb der Webseite unbedingt notwendig sind. weitere Details
Website
Verwendungszweck:

Unbedingt erforderliche Cookies gewährleisten Funktionen, ohne die Sie unsere Webseite nicht wie vorgesehen nutzen können. Das Cookie »TraminoCartSession« dient zur Speicherung des Warenkorbs und der Gefällt-mir Angaben auf dieser Website. Das Cookie »TraminoSession« dient zur Speicherung einer Usersitzung, falls eine vorhanden ist. Das Cookie »Consent« dient zur Speicherung Ihrer Entscheidung hinsichtlich der Verwendung der Cookies. Diese Cookies werden von Verschönerungsverein Oberstdorf auf Basis des eingestezten Redaktionssystems angeboten. Die Cookies werden bis zu 1 Jahr gespeichert.

Cookies die wir benötigen um den Aufenthalt auf unserer Seite noch besser zugestalten. weitere Details
Google Analytics
Verwendungszweck:

Cookies von Google für die Generierung statischer Daten zur Analyse des Website-Verhaltens.

Anbieter: Google LLC (Vereinigte Staaten von Amerika)

Verwendete Technologien: Cookies

verwendete Cookies: ga, _gat, gid, _ga, _gat, _gid,

Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 730 Tage gespeichert.

Datenschutzhinweise: https://policies.google.com/privacy?fg=1

Externe Videodienste
Verwendungszweck:

Cookies die benötigt werden um YouTube Videos auf der Webseite zu integrieren und vom Benutzer abgespielt werden können.
Anbieter: Google LLC
Verwendte Technologien: Cookies
Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 179 Tage gespeichert.
Datenschutzerklärung: https://policies.google.com/privacy?hl=de&gl=de

Cookies die benötigt werden um Vimeo Videos auf der Webseite zu integrieren und vom Benutzer abgespielt werden können.
Anbieter: Vimeo LLC
Verwendte Technologien: Cookies
Ablaufzeit: Die Cookies werden bis zu 1 Jahr gespeichert.

Datenschutzerklärung: https://vimeo.com/privacy