Baum am Bodensee - 1947
„Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.” Paul Klee, einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts hat seine Empfindungen so formuliert, als er nach Kairouan kam. Das Licht, die Farben, die Landschaft Tunesiens waren es, die seinem Schaffen neue Impulse gaben.
Für Hermann A. Raddatz war der Weg ins Allgäu sicher viel mühsamer. Als ihm bei Kriegsende die Flucht aus der Gefangenschaft gelang, mußte er den Weg zu Fuß durch die damalige Tschechoslowakei und Österreich bis nach Oberstdorf machen, bis er schließlich, seelisch und körperlich erschöpft, bei seiner Familie ankam, die seit 1939 in Bolsterlang lebte. Aber es sollte ein Neuanfang werden.
Raddatz hatte in der Zeit vor dem Krieg in erster Linie als Bildhauer gearbeitet; er war mit Preisen und Auszeichnungen geehrt worden und hatte bedeutende Aufträge im öffentlichen Raum erhalten, u. a. das „Denkmal für die Gefallenen von Langemarck” in Zwickau und ein Chopin-Denkmal in Dresden. Beide wurden 1943 von den Nazis zerstört. Er galt als „entarteter” Künstler. Sein Atelier mit all seinen Arbeiten verlor er beim Bombenangriff auf Dresden.
Während seines Studiums in Breslau und Dresden, das der Bildhauerei und der Malerei galt, war Raddatz auch Schüler von Otto Müller, einem der wichtigsten Mitglieder der Künstlervereinigung „Die Brücke”, die zur Durchsetzung des Expressionismus in Deutschland entscheidend beigetragen hat. Der Einfluß seines Lehrers hat das Schaffen von Raddatz nicht nur beeinflußt, sondern mitgeprägt. Die Ausdruckskraft seiner Farbgebung und die Pinselführung sehen wir besonders in den Bildern seiner Oberstdorfer Zeit.
Als Raddatz 1946 nach Oberstdorf übersiedeln konnte - er bekam das Atelier des von den braunen Machthabern geförderten Malers Hermann O. Hoyer - war an Bildhauerei nicht zu denken, denn es gab kein Material. So wandte er sich wieder der Malerei zu, die er nie ganz aufgegeben hatte. Sein Sensorium für Komposition, sein intensives Farbempfinden, der künstlerische Neuanfang ließen Bilder von großer Dichte entstehen. Neben den vorzüglichen Landschaftsbildern schuf Raddatz eine Reihe von Werken mit religiösen Themen („Gethsemane”, „In memoriam”). Gleichzeitig beschäftigten ihn immer wieder die Leiden der Vergangenheit, die er in bedrückend beeindruckender Weise - teilweise in großen Formaten - zu bewältigen suchte („Hunger”, „Den Toten 1939 - 1945”); Bilder, die auch heute noch nicht an Bedeutung verloren haben.