Geschichte und Geschichten - was alte Häuser in Oberstdorf erzählen könnten: Italien im Allgäu - Villa Jauss in der Fuggerstraße

von Elfriede Rurhberg am 01.06.2001

Wir kennen sie alle, jene Häuser in unserem Ort, in der Umgebung, die schon lange stehen oder jene, die es nicht mehr gibt und die trotzdem im Bewußtsein der Älteren noch präsent sind, weil sie in ihrer Zeit eine zentrale Funktion hatten. Menschen wohnten darin, die das Leben in unserem Dorf geprägt, gestaltet oder auch nur die Neugier geweckt haben.

Wir möchten mit diesem Heft eine Reihe beginnen, die fortgesetzt werden soll und die uns berichtet über die Lebensweise der Menschen vergangener Tage.

Italien im Allgäu

Villa Jauss in der Fuggerstraße

Wenn man den Großen Brockhaus zum Stichwort „Villa” befragt, erfährt man, daß damit im römischen Altertum ein herrschaftliches Wohnhaus gemeint war, das zur Kaiserzeit oft mit reicher Innenausstattung versehen war, mit kleinerer oder größerer, oft parkartiger Gartenanlage und dazugehörigen Ländereien. Sie diente dem Besitzer meist als Erholungsort. In der Zeit der Renaissance, vom 14. bis 16. Jahrhundert, in der eine Erneuerung auf geistigem und künstlerischem Gebiet erfolgte, wurden in Italien zahlreiche Villen gebaut, die bis heute den Stil des repräsentativen Landhauses verkörpern.

Der Erbauer der Villa Jauss, Melchior Jauss, liebte diesen Stil. Immer im Frühjahr fuhr er zur Erholung nach Bozen. Von dort brachte er wohl die Idee mit, sich in Oberstdorf ein Haus in dieser Bauweise errichten zu lassen. Man schrieb das Jahr 1895, und Melchior Jauss war der Besitzer der Sonnenbrauerei, des Gasthauses »Sonne« - aus dem später das Hotel »Sonne« wurde - und des dazugehörigen landwirtschaftlichen Betriebes. Er war kein gebürtiger Oberstdorfer, aber er genoß den Respekt und die Hochachtung der Einheimischen.

Melchior Jauss, am 4. September 1858 in Seeg geboren, hatte das Handwerk der Bierbrauerei erlernt und 1881, kaum 23jährig, in Oberstdorf den gesamten Besitz der Sonnenbrauerei gekauft. Sein fachmännischer Wissen und sein kaufmännisches Geschick müssen wohl so erfolgreich gewesen sein, daß er 1896 mit nur 38 Jahren den Betrieb an die Familie Richter verkaufte und von Stund an nur noch Privatier war.

Um diese Zeit war Oberstdorf ein Dorf, das sich vom Ortskern aus in östlicher und westlicher Richtung erstreckte. Der fast unbebaute Süden begann hinter der Bebauung an der Weststraße, entlang der heutigen Sonnenstraße, über den Kurplatz zur Oststraße, wobei sich in diesem Teil die Bebauung noch etwas in südlicher Richtung fortsetzte.

Nur ganz wenige Häuser standen in dem gesamten Gebiet vom Gasthof »Adler« bis zum Renksteg. Auf dem hier abgebildeten General-Baulinienplan ist die Situation deutlich erkennbar. Allerdings stammt der Plan aus dem Jahr 1910. Wie mir Architekt Sepp Noichl erläuterte, ist hier die damals geplante Wegeführung durch den gesamten Wiesenbereich im Süden verzeichnet.

Häuser - Heft 38

Der Hansensche General-Baulinienplan von 1910.

Um diese Zeit gab es in Oberstdorf bereits einen aufkommenden Tourismusbetrieb, der eine willkommene Einnahmequelle versprach. So wollte man im Süden ein weit verzweigtes Wegesystem anlegen mit reicher Baumbepflanzung, um den Kurgästen eine Möglichkeit zu bequemen und schattigen Spaziergängen zu bieten. Zu dieser Zeit wanderten die Gäste weniger, sie liebten es zu „flanieren”. Durch den Krieg 1914 - 18 ist dieser Plan nicht mehr realisiert worden.

Melchior Jauss mußte sich mit dem Verkauf des Brauereibesitzes, wo er auch wohnte, ein neues Domizil schaffen. Er kaufte am 18. März 1896 im südlichen Areal ein Grundstück von 6.800 qm entlang der Fuggerstraße. Die Oberstdorfer sagten damals, wie seine Tochter Thea Joas erzählt: „Der Jauss baut fast bis an den Freibergsee!” Doch nun konnte er seinen Traum von der italienischen Villa verwirklichen. Ob er sich dazu einen Architekten aus Italien kommen ließ, ist nicht bekannt.

Möglich wäre es gewesen. Der Bau wurde als reines Holzhaus errichtet - ein frühes Beispiel ökologischer Bauweise. Vielleicht ist das der Grund, warum fälschlicherweise immer wieder gesagt wurde, die Villa sei nur ein Sommerhaus. Die Außenfassade wurde verschindelt, unter der Dachkonstruktion brachte man reiche Verzierungen an, im ersten Stock einen kleinen Balkon und im Parterre eine verglaste Veranda. Besonderes Gewicht wurde auf die Innenausstattung gelegt. Alle Zimmer erhielten eine Holztäfelung mit verzierten Holzdecken.

Häuser - Heft 38

Beim Bau 1896 stand die Villa Jauss noch allein im Vorderen Esch.

Das Treppenhaus, ebenfalls mit Holztäfelung, bekam sanft ansteigende, leicht begehbare Stufen und die Zwischentüre eine wunderschöne Jugendstilverglasung, die erfreulicherweise noch erhalten ist. Nicht mehr erhalten sind - zum großen Bedauern von Thea Joas - die beiden reich verzierten Biedermeier-Kachelöfen. Sie fielen nach dem Verkauf der Villa an die Gemeinde einem wohl wenig kunstverständigen Bautrupp zum Opfer. Sie wurden zerschlagen und in den Garten geworfen.

Ein wichtiger Teil war die parkartige Gartenanlage in italienischem Stil. Eine Wiese, der später noch ein Springbrunnen hinzugefügt wurde, schuf den freien Raum um das Haus. Im östlichen Teil war der Obst- und Gemüsegarten. Zahlreiche Obstbäume, Beeren- und Ziersträucher wurden gepflanzt und ein großes Frühbeet angelegt.

„Um die Osterzeit gab es bei uns schon frische Radieschen, Salat und Spinat”, erzählt Thea Joas. An der nördlichen Begrenzung wurde eine lange Mauer für Spalierobst errichtet. Die Spalierbirnen sollen besonders köstlich gewesen sein, so erzählt Anton Köcheler. Die Buben haben damals - sehr zum Kummer von Melchior Jauss - natürlich gerne heimlich davon genascht. Wir Mädchen trauten uns das nicht zu. Ich mußte immer entlang der Mauer zur Schule gehen, und ich erinnere mich, daß wir viele Geheimnisse hinter ihr vermuteten, uns manches ausdachten.

Sah doch die Villa beinahe wie ein kleines Schloß aus, und die schöne Tochter war so etwas wie ein Schloßfräulein. Da gab es für phantastische Geschichten keine Grenzen. So hatten wir die Illusion und die Buben die Birnen.

Und wie sah der Tag des Privatiers aus? Ganz sicher gab es keine Langeweile. Melchior Jauss pflegte jeden Tag zwei bis drei Stunden spazierenzugehen, wenn nicht größere Aktionen ins Haus standen. Er besaß Wälder, die inspiziert werden mußten. Die Alpe Schrattenwang und das gesamte umliegende Gebiet bis hinauf zum Söllereck gehörten ihm. Außerdem kaufte und verkaufte er Häuser und Grundstücke, war von 1904 bis 1929 Gründungsvorsitzender des Obst- und Bienenzuchtvereins, später Ehrenvorsitzender. Er engagierte sich für die Gründung des Breitachklammvereins. Man ging zur Jagd und - zu dieser Zeit enorm fortschrittlich - zum Schwimmen an den Freibergsee.

Die Abende unter der Woche gehörten dem Kartenspiel mit dem Pfarrer, dem Schuldirektor und dem Benefiziat.

Häuser - Heft 38

Melchior Jauss, ehem. Besitzer der Sonnenbrauerei

Das Kartenspiel war auch das Vergnügen der Damen, vor allem an den langen Wintertagen. Dazu gibt es eine nette Geschichte.

Zwischen der Fugger- und der Freibergstraße waren ja nur Wiesen, kein Weg. Damit die Damen Jäger und Fischer aus der Freibergstraße und Frau Jauss aus der Fuggerstraße leichter Zusammenkommen konnten, kauften die drei Ehemänner ein kleines Stück Wiese, um einen Weg anlegen zu können. Das war der heutige Weg hinter dem Haus Castell zwischen Fugger- und Freibergstraße. Thea Joas besaß dieses Drittel des Weges noch bis vor einigen Jahren.

Im Alter von 77 Jahren erlitt Melchior Jauss eine Darmverschlingung. Die Ärzte erklärten diesen Befund in seinem Alter für inoperabel. So starb er am 15. Mai 1935. Seine zweite Frau Theresia, die er 1915 geheiratet hatte, nachdem die erste Frau Anna gestorben war, lebte mit ihrer Tochter und deren späteren Mann, dem Fliegeroffizier Georg Joas, noch bis 1961 in der Villa, bis diese an die Gemeinde verkauft wurde.

Lange Zeit gab es Pläne der Gemeinde, die Villa abzureißen, um dort ein neues Haus für Kurzwecke zu errichten. Das konnte mit Hilfe einiger Gemeinderäte verhindert und das Haus unter Denkmalschutz gestellt werden. Inzwischen wurde der Verein „Initiative Villa Jauss” unter dem Vorsitz von Dr. Wolfgang Nettesheim gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dort ein Zentrum für Kunstausstellungen, Vortragsreihen und kleinere Aufführungen zu realisieren.

Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen wurden ausgeführt, im Dach ein Glasfenster eingebaut, sodaß der Dachbodenraum als Vortragssaal genutzt werden kann. Zur Zeit wird eine Heizung eingebaut und die vorgeschriebene Fluchttreppe errichtet.

All diese Arbeiten wurden erst möglich durch die großzügigen Spenden von Sponsoren und einem Beitrag der Gemeinde als Eigentümer des Hauses. Der Dank gilt allen, die dabei geholfen haben.

Es ist sicher im Sinne des Erbauers, daß dieses schöne Haus erhalten und den Oberstdorfern zugänglich gemacht wurde.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

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