Vor über vierhundert Jahren, nämlich anfangs des Jahres 1571, hat eine nicht genannte Amtsperson aus der Pflege Rettenberg die Zeilen niedergeschrieben, die wir uns näher ansehen wollen. Das Original dieses „Memorials”, wie es der Schreiber selbst bezeichnete, liegt - von der Heimatforschung m. W. bisher nicht beachtet - im Stadtarchiv Augsburg beim Bestand des Historischen Vereins für Schwaben unter der Nummer H 180. Es bietet Notizen von Einnahmen und anderen Vorgängen aus den Pfarreien Untermaiselstein, Rettenberg, Sonthofen, Hindelang, Altstädten, Schöllang („Burger Pfarr”) und Oberstdorf unter der Überschrift:
Memorial bei Einnam der 70. Jharsteur . . . Mayselstainer Pfarr, den 15. tag Jenner ao. h. 71.
Unter die Termine des 16., 18., 22. und 25. Januar sind die weiteren Aufzeichnungen gestellt. Wir greifen hier nur die Einträge heraus, die sich auf die heutige Gemeinde Oberstdorf beziehen und dazu noch eine kurze, ältere Notiz von 1569. Andere Textstellen, die hier nicht abgedruckt sind, benützen wir gelegentlich zur Erläuterung und Ergänzung. Der Text ist, wie sich das bei einem Notizbuch leicht verstehen läßt, nicht gerade schön leserlich geschrieben und enthält teilweise starke Abkürzungen. Nicht alles konnte daher mit letzter Sicherheit entziffert werden.
Wir geben also zunächst den Text in der oben bezeichneten Auswahl und fügen zur leichteren Orientierung eine im Original nicht vorhandene Numerierung der Einträge hinzu.
Oberßdorff, den 22. Jenner
(1) Item dem Bachen 34 lb. 17 Sch. von wegen der Friemeß erlegen
und damit bezalen. Zalt Ulrichen am Steurtag.
(2) Hans Graf und Hans Wiesstner sollen ihre Verschreibung uffrichten.
(3) Item 6 1/2 gldn. Jacob Köberlin widerteuffer; Conrat Hindenlangs
Chinder schuldig, begern betzalung.
(4) Item 6 Cr. Barbien Ößin Causa dei geben.
(5) Item 1 lb. d. versehen Zinß jerlichen zwenig de Ao 66, 67, 68,
und 69 von Montfort jedes Jhars 5 Sch.
(6) Item 1 lb. h. Causa dei Peuli Tigein fir ain fiertel gersten uß dem
widenstaddel Causa dei geben.
(7) Tagdienst und hennengelt 1 fl. 22 Cr.
(8) Item Jeörg Mair ze Schellang ist Berchtolden im Bad bei 20 gldn.
schuldig, begert bezalung; solts am herbst bezalt haben.
(9) Item 14 gldn. Michel Seeloßen zue Cornach glichen; zalen uff Mayen.
Hat Ulrich Capeier Eingenomen. Mer 3 batzen trinkhgelt von baiden Roßen zalt.
(10) Item 5 gldn. Schitzen gelt Grichtsaman zalt.
Burger Pfarr
(11) Die in Burger Pfarr begern inen ihre Mairhoflechen ze leichen.
(12) Hansen Seeloß töchtern haben 18 Sch. 11h. zinst, will Thoma Seuter
es sy nit mer als 10 Sch. 11 h.
(13) Anna Rüchin tochter begert ain schreiben an Ristten.
(14) Item 1 gldn. 50 Cr. 2 h. zerung dem Laider in der Aw abgeraith;
hat maister Michel und seine zugebnen in der Aw waßers halben verzert.
(15) Mer 1 gldn. 12 Cr. Zehrung hatt Lehmaister und seine zugeordnete
verzört.
(16) Item 1 gldn. Hansen Cromern Mairn Cnecht ze Schellang glihen
und Jeörgen Mairn zalt.
(17) Jeörg Kreer hauptmann blibt mir über die 2 fiertel zigeren
1 fl. 25 Cr. 5 h.
(18) Item 20 gldn. Hansen Voglern, Martins son von Oberßdorff uff
1 lb. d. zinß dem tigew zalt.
Suech die beden verzaichnus in meinen schulden außtzug
(19) Item 6 Cr. für 2 haymenhöfisch henen
(20) Item 10 gldn. Jeörgen Kreem hauptman ze Rubin glichen; zalen Osteren
(21) Item 10 gldn. dem Pfarer ufem Burkh glichen; zalen Osteren
aid ich soll das Haslach hewen.
Wer ist der Verfasser dieses „Memorials” gewesen? Wer hat sich diese Aufzeichnungen gemacht?
Nun, ein wichtiger Hinweis, hier nicht wiedergegeben, liegt unter den Einträgen zu Sonthofen vor, wo es einmal heißt „mein nachpaur Jeörg Hueber ufm Walten”. Dies kann nach den örtlichen Verhältnissen nur von Fluhenstein aus gesagt werden und auf Fluhenstein saß der Landammann, zweithöchster Beamter nach dem adeligen Pfleger, der damals seinen Amtssitz auf der ehemals heimenhofischen Burg Burgberg hatte. Landammann war zu dieser Zeit (von 1565- 1581) Christoph Straub. Er entstammte einer ursprünglich in Oberstdorf seßhaften Familie, die erstmals mit Hans Straub den Landammann von 1482 - 1497 stellte und vom Bischof die eine Hälfte des Oberstdorfer Maierhofes zu Lehen bekam.
Aus der Familie Straub ging geradezu eine Dynastie von Landammännem hervor: Jörg Straub (1512 - 1521), Alexander Straub (1532-1549) und dann eben unser Christoph Straub, später noch Alexander Straub II (1598 - 1608) und drei weitere Straub. Diese Bestimmung des Verfassers als Landammann wird allerdings erst in überzeugender Weise bestätigt, wenn wir uns die Aufgaben anschauen, die nach dem Wortlaut der Notizen ihr Schreiber wahrgenommen hat.
Beginnen wir zwar nicht mit dem ersten, aber dem einfachsten: Der Schreiber des „Memorial” kassiert das Tagdienst- und Hennengeld (7) (in Oberstdorf 1 Gulden, 22 Kreuzer, in der Pfarrei Schöllang, wie später nachgetragen, 35 Kreuzer, 7 Haller). Dies waren Steuern, welche die Untertanen des Landesfürsten, in unserem Falle des Bischofs von Augsburg, offiziell „Unser lieben Frauen Altarleute” genannt, zahlen mußten und die ein äußerliches Zeichen der Leibeigenschaft darstellten. Besonders die Fasnachtshenne hatte symbolhafte Eigenschaft für die Anerkennung dieses Standes. Das Tagdienstgeld war eine Ablösung des Frondientes (d. h. Herrendienstes), der nur noch von wenigen Untertanen in natura gefordert wurde. Unsere Notizen nennen unter Sonthofen zwei Imberger, die diesen Dienst auf Fluhenstein ableisten sollten.
An die verschiedene Herkunft des eigentlich erst seit 1564 einigermaßen einheitlichen Herrschaftsgebietes erinnert der Eintrag: 6 Kreuzer für 2 haymenhöfische Hennen (19), offenbar von Untertanen abgeliefert, die bis vor kurzem (vermutlich bis 1567, dem Jahr des letzten Heimenhofer-Verkaufes) noch heimenhofische Eigenleute gewesen waren. An zwei weitere solche frühere Herrschaftsträger verweist ein in Sonthofen kassierter „Schafhauser Zinß” und das ebendort eingehobene „Montfortisch tagdienst gelt”.
Der Steuertermin, der hier wahrgenommen wird, liegt sehr spät. Ursprünglich wurden seit der Neuordnung von 1526 drei Steuertage im Jahr abgehalten; ihre Zahl wurde aber bald auf zwei reduziert, weil die Leute zu den ersten beiden Terminen kaum zahlungswillig waren und - in schlechten Jahren wohl aus Not - so lange wie möglich abwarten wollten, wohl auch aus spätem Verkauf von Teilen der Ernte noch Bargeld gewinnen mußten.
Der Landammann nahm auch neue Untertanen in den Verband der Pflege Rettenberg auf, wie der Eintrag (2) zeigt, der besagt, daß Hans Graf und Hans Wiesstner ihre „Verschreibung uffrichten” sollten, das heißt, daß sie sich urkundlich als Untertanen des Bischofs bekennen mußten. Ihren Familiennamen nach sind beides Walser. Sie sind vermutlich Zuwanderer, die im Gericht Oberstdorf eingeheiratet haben, am ehesten in Gerstruben, wo Graf und Wiestner, allerdings zu verschiedenen Zeiten, Vorkommen. Umgekehrt stellte er Auswanderern eine Bescheinigung ihrer ehelichen Geburt aus, das sog. Mannrecht; er „freite” sie. In jenem Januar 1571 trat dieser Fall in Oberstdorf oder Schöllang zwar nicht ein, wohl aber beispielsweise in Rettenberg und Sulzberg. Dafür durfte der Landammann Gebühren kassieren.
Ebenso siegelte der Landammann (neben dem Pfleger oder auch mit ihm und dem Landschreiber zusammen) Verbriefungen. Einfache Kaufbriefe stellte er sogar ohne Gebühr aus. Um eine solche rechtsgültige Verbriefung wird es sich bei dem Schreiben an den Rist(en) (13) handeln, das die Tochter der Anna Rüchin angefordert hatte. Die Rist waren eine vielver-
zweigte Kemptner Bürgerfamilie, die auch im Rat vertreten, so daß sie als Darlehensgeber in Frage kommen.
Die meisten Notizen weisen eigentlich auf ein finanziell bedeutsames Amt. Dies erklärt sich dadurch, daß Christoph Straub als Landammann Verwalter der Tigenkasse war. Diese Kasse war die selbstverwaltete Kasse des Tigens, d. h. aller Stiftsleute der Pflege, in welche die Steuern flössen und aus der die öffentlichen Ausgaben bestritten wurden. Diesen Selbstverwaltungs-
vorzug, in dem wir geradezu einen Ansatz zur demokratischen Selbstbestimmung sehen können, genossen die Oberallgäuer übrigens bis zum Jahre 1608, dann wurde als Strafmaßnahme für die Rebellion von 1605/1607 die Steuerverwaltung ganz von der Herrschaft übernommen. Auffällig ist, daß der Landammann aus der Tigenkasse (vielleicht z. T. aus eigener Tasche?) eine ganze Reihe von Darlehen vergibt.
So hat Michel Seeloß von Kornau 14 Gulden geliehen (9), Hans Cromer einen einzigen (16), er war als Knecht wohl ohne Vermögen, eine Schuld daher auch nicht abgesichert. Der Rubinger Hauptmann Georg Kreer hat eine Restschuld von
1 Gulden 25 Kreuzer (17) noch zu begleichen und bereits wieder 10 Gulden geliehen (20), der Oberstdorfer Hans Vogler gar 20 Gulden (18). Bei ihm wird klar, daß das Geld aus der Tigenkasse stammt, denn er hat dorthin ja den Zins, 1 Pfund Pfennige, bezahlt. Sogar der Schöllanger Pfarrer, es muß damals Jörg Rößlin gewesen sein, nimmt 10 Gulden als Darlehen auf (21). Vielleicht war es ein besonderes Notjahr?
Jedenfalls ist sich der Pfarrer nicht sicher, ob er an Ostern zahlen kann und setzt sicherheitshalber ein Sachpfand: Er will dem Landammann das Haslach, wohl eine zum Pfarrhof gehörige Wiese, zum Heuen überlassen. Dies sieht fast nach einem Privatdarlehen aus, ähnlich wie der Hauptmann (etwa Bürgermeister) von Rubi, der anscheinend mit einer Sachleistung, nämlich 2 Viertel Zigeren, wohl eine ganz einfache Käsesorte, einen Teil seines früheren Darlehens getilgt hat (17). Wir dürfen in dieser Tigenkasse so etwas wie das größte Geldinstitut der damaligen Pflege Rettenberg sehen, deren Mittel bei weitem die aller anderen Darlehensgeber überschritten. Während wir bei den Pfarrkirchen als den wichtigsten örtlichen Darlehensgebern bestenfalls mit Geldmengen von einigen Hundert Gulden rechnen können, wissen wir, daß 1608 (als der Fürstbischof sie übernahm) die Tigentruhe Schuldbriefe über einen Gesamtwert von 12.000 Gulden enthielt! Die Verwaltung dieser Beträge lief im wesentlichen durch die Hand des Landammanns.
In manchen Fällen war es sicher aussichtslos, von einem Bedürftigen die Verzinsung (und Rückzahlung) eines Darlehens zu erwarten. In solchen Lagen mußte die Armenpflege einspringen; die ebenfalls dem Landammann unterstand. In Oberstdorf zahlte er der Barbla Öß(in) 6 Kreuzer aus, „Causa dei” (4), d. h. um Gottes willen (und gleichzeitig: umsonst). Ähnlich erhält Pauli Tigein 1 Pfund Haller zum Getreidekauf aus dem Widenstadel (6), also aus den Vorräten des bischöflichen Amtshofes, in dem der Zehnte gesammelt war. Unter Altstädten wird bei dem hilfsbedürftigen Caspar Steckhlin ausdrücklich hinzugefügt: „leidt mit weib und Chindern großen hunger und noth.” Solche Notlagen mögen auch dazu geführt haben, daß Schuldner versuchten, um das Zinszahlen, vielleicht stillschweigend, herumzukommen oder doch weniger zu zahlen, wie dies offenbar bei dem namentlich nicht genannten Schuldner der Fall war, der über die vier Jahre 1566 - 1569 nichtgezahlt hatte (5).
Der Landammann sollte hier offensichtlich eintreiben und anscheinend auch für jedes Jahr eine Art Verzugsgebühr von 5 Schilling erheben. In anderen Fällen kann man vermuten, daß er Beschwerden, oder waren es gar eine Art von Zivilklagen, entgegennahm, die private Geldgeber gegen ihre säumigen Schuldner vorbrachten. So sieht es etwa bei Jörg Mair von Schöllang aus (8), bei dem anscheinend der Geldgeber Berchtold die Zahlung von 20 Gulden Schulden angemahnt hat.
Eine besondere Bewandtnis scheint es unter Oberstdorf mit dem Posten (3) von 6 1/2 Gulden zu haben. Sie stehen mit einem Wiedertäufer in Zusammenhang. Diese Art des reformatorischen Bekenntnisses wurde in Deutschland so gut wie nirgends geduldet und stand auch nicht unter dem Schutz des Augsburger Religionsfriedens von 1555. Seine Anhänger wurden unbarmherzig verfolgt und anfangs oft mit dem Tode bestraft. Später scheint man sich, wenigstens bei den Ausgewanderten, in der Pflege Rettenberg mit Einzug des Vermögens begnügt zu haben, das dem Spital in Sonthofen zufiel. Solchen, die zur katholischen Kirche zurückkehrten, enstanden dabei hohe Kosten, so daß es kein Wunder ist, wenn sie Schulden machen mußten.
Der im Memorial genannte Jacob Köberlin könnte zu der vor 1567 nach Mähren ausgewanderten Wiedertäuferfamilie Köberlin gehören, deren zurückgebliebene Mitglieder 1567 die größten Schwierigkeiten mit dem Rückkauf ihres Erbteils am eingezogenen Gut vom Spital Sonthofen hatten. Dem Wortlaut des Textes nach zu schließen, ist Landammann Straub hier nicht in seiner Eigenschaft als Spitalpfleger angerufen worden. Dies wäre durchaus möglich, denn die Güter ausgewanderter oder gar hingerichteter Wiedertäufer wurden dem Spital Sonthofen übereignet. Sie dienten damit, vielleicht zur Beschwichtigung des Gewissens der Obrigkeit, einem guten Zweck. Die neuen Inhaber oder Pächter mußten dem Spital Sonthofen einen Zins für die Nutzung entrichten. Wir haben aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß C. Hindelangs Kinder etwa ein ehemaliges Köberlingut (und jetziges Spitalgut) bewirtschafteten und daher Abgaben an das Spital leisteten. Vielmehr scheinen sie Geld an einen („bekehrten”?) Wiedertäufer geliehen zu haben.
Eindeutig ist die Lage beim ersten Eintrag unter „Burger Pfarr” (11). Das Ansuchen der Schöllanger, ihnen die Maierhof-Güter zu verleihen, mußte tatsächlich an den Landammann gerichtet werden, er war für die Ausgabe dieser Lehen zuständig und ihm stand das Lehengeld dafür zu. Dies war also auch eine wichtige Einnahmequelle für das insgesamt gut besoldete Amt, das sogar für die akademisch gebildeten Landschreiber erstrebenswert war, also gewissermaßen ein Aufstiegsamt darstellte.
Nach dem ersten Eintrag unter Oberstdorf (1), die Frühmeßstiftung betreffend, stand auch die Besoldung kirchlicher Ämter unter der Kontrolle des Landammanns. Eine klare Bedeutung des verzeichnten Vorgangs ist aber nicht zu ersehen, weil die genannten Empfänger und ihre Ämter oder Tätigkeiten nicht bekannt sind.
Als eine weitere Aufgabe des Landammanns läßt sich die Besoldung öffentlicher Aufgaben aus der Tigenkasse ersehen. So darf man in den 5 Gulden Schützengeld, die über den Gerichtsammann ausgezahlt werden (10), wohl „Verteidigungs-
ausgaben” sehen, mit denen vermutlich die Übungen der Schützen finanziert wurden. Ähnlich ist auch das Zehrgeld zu bewerten, das in zwei Posten (14,15) ausgezahlt wird, wovon der erste im Zusammenhang mit Hochwasserverbauung an der Iller stehen dürfte.
Solche Zehrgelder, wir würden von Tagegeldern oder Spesen sprechen, wurden bei öffentlichen Aufträgen aus der Tigenkasse bezahlt. Äuch Brückenreparaturen gingen auf Tigenkosten, wie ein Ausgabenposten unter Hindelang bezeugt, wo der Landammann 12 Bäume für die Reparatur oder den Neubau der Reckenberger Brücke kauft, das Stück zu 20 Kreuzer.
Bei einem Vergleich mit den von Stadelmann beschriebenen Aufgaben des Landammanns gibt es keinen Zweifel, daß hier Aufzeichnungen von Christoph Straub vorliegen, der 1565 - 1581 dieses Amt bekleidet hat. Er kassiert - fassen wir nochmals zusammen - also die Steuergelder, nimmt neue Untertanen in die Gemeinschaft des Tigens auf und entläßt daraus die Auswanderer. Er vergibt als eine Art Sparkassendirektor aus der Tigenkasse (vielleicht auch aus der eigenen) Darlehen, besoldet aus ihr öffentliche Aufträge oder Dienste und zahlt Spesen aus. Auch die Armenpflege und die finanzielle Überwachung kirchlicher Stiftungen unterstehen ihm.
Er siegelt amtliche Briefe und bereitet vielleicht Privatklagen vor, schließlich vergibt er die bischöflichen Maierhoflehen und siegelt gewisse amtliche Verbriefungen. Eine ungewöhnlich vielseitige Tätigkeit war demnach mit diesem Amt verbunden. Wie leicht konnte da der Überblick verloren gehen! Die Aufgabe forderte jedenfalls einen Mann mit Verwaltungskönnen und Überblick, der das Vertrauen der Bevölkerung und der Obrigkeit gleichzeitig genießen sollte. Nicht umsonst war das Amt des Landammanns hochangesehen.
Betrachten wir zum Schluß noch einen Eintrag, der mit Oberstdorf und Schöllang räumlich nichts zu tun hat, sondern unter Rettenberg steht, der uns aber dennoch interessante Einblicke in die damaligen Verhältnisse vermittelt. Christoph Straub, der Landammann, hat sich unter dem Datum des 18. November 1569 u. a. notiert:
Diese Anstellungsnotiz ist in zweifacher Beziehung hochinteressant: Hätten wir eine genaue Übersicht über die Einkünfte des Landammanns, so könnten wir damit einen Einkommensvergleich mit Magd und Knecht des herrschaftlichen Bauhofes anstellen, die also 5 bzw. 13 Gulden bei freier Unterkunft und Grundverpflegung erhielten und bei guter Führung um einen Gulden aufbessern konnten. Zwar hat der Landammann nach Stadelmann auch nur 29 Gulden bar, doch dazu kam der Wert des Fruchtzehnten von Oberstdorf und Mittelberg, zusammen fast 13 Gulden, und weiter konnte er für gesiegelte „Briefe” Gebühren kassieren, was wohl auch eine ganz schöne Summer ergab. (Ergänzt wurde dies durch die Todfallabgaben.) Als Lebensgrundlage stand ihm ein stattlicher Hof, zu Fluhenstein gehörig, zur Verfügung, dazu kamen noch eine Reihe von Naturaleinnahmen (z. B. 10 Alpkäse, Fische aus der Osterach, Trettach und Freibergsee, 2 Säcke Vogthaber und Stoff für zwei Anzüge der Dienstkleidung). Dies zeigt wohl deutlich, daß er finanziell und gesellschaftlich turmhoch über dem Dienstpersonal stand, sicher auch gegenüber dem grundbesitzenden Bauern einen gewaltigen Vorsprung besaß.
Sehr schön läßt unser Text die Grundnahrungsmittel der Zeit vor gut 400 Jahren erkennen: Es waren dies offensichtlich eine Art Mischbrot aus Roggen, Gerste und Hafer sowie Korn, d. h. die Weizenart Fesen (oder Dinkel). Dazu kam nochmals Hafer in Musform. Dieses Habermus in verschiedenen Zubereitungsarten, z. B. als „Brennts Mües” oder „Schwarzmües” ist der älteren Generation sicher noch gut bekannt. Weil wir weite Transporte für Grundnahrungsmittel damals ausschließen können, dürfen wir daraus den Schluß ziehen, daß um 1570 Roggen, Gerste, Hafer und etwas Fesen (Dinkel) die Hauptgetreidearten des Oberen Allgäus gewesen sind.
Mit diesem Auszug aus dem dienstlichen Notizbuch eines Landammanns konnten wir einen ziemlich genauen Einblick in die Tätigkeit eines damaligen hohen Beamten gewinnen, aber auch eine ganze Reihe von Familiennamen aus dem Raum Oberstdorf - Schöllang vor gut 400 Jahren kennenlernen. Sogar ein freilich nur knapper Einblick in die finanzielle Lage und auch die Ernährung der damaligen Menschen war uns möglich. Unser Lebenstandard muß uns geradezu unvorstellbar hoch erscheinen, wenn wir ihn an den damaligen Allgäuern messen.
Der Verfasser benutzt folgende Abkürzungen für die Geldbezeichnungen:
Cr. = Creuzer/Kreuzer (zu 4 Pfennigen oder 8 Hallern)
d. = Denar; bedeutet Pfennig (zu 2 Hallern)
fl. = Florin; bedeutet Gulden gldn. = Gulden (zu 60 Kreuzer)
h. = Haller, Heller (ein halber Pfennig)
lb. = Liber, Libri; bedeutet Pfund(e) und umfaßt 20 Schillinge, also 240 Pfennige bzw. 480 Haller
Sch. = Schilling (hat 12 Pfennige bzw. Haller)