D`Lindelache

von Eugen Thomma am 01.11.1983

Am 31. Oktober 1822 setzte der „Königlich baierische Landrichter Blasius Schaflitzl” seinen Namen unter eine Verkaufsurkunde. Der Weißgerbermeister Johannes Bach von Oberstdorf kaufte um 500 fl. von dem Ökonomen Johann Blattner von Oberstdorf „10 Viertelsaat Feld vor der Kirche Kat. No. 1697”. Zusammen mit dem sich bereits im Bachschen Besitz befindlichen Feld (14 Viertelsaat) war dies ein erheblicher Teil des Lindenackers, des heutigen Kurparks. Gerade dieser Lindenacker sollte gut drei Jahrzehnte später dem Sohn des Johann Bach, Joseph Anton Bach, großen Verdruß bereiten.

Im Jahre 1855, der Fremdenverkehr regte sich langsam in Oberstdorf, kam die Gemeindeverwaltung nach einem kräftigen Anstoß durch Landrichter Thalhauser zu dem Schluß, die heutige Oststraße, die damals noch „Vordere obere Gasse” hieß, auszubessem. Der Name Gasse war für den links und rechts von Gartenzäunen eingeengten Schlammpfad schon sehr hochtrabend. Die Anwohner befürworteten deshalb auch die Maßnahme - mit einer Ausnahme.

Die besagt Gasse hat von Ost nach West ein leichtes Gefalle. Alles Oberflächenwasser nimmt heute die Kanalisation auf und führt es mit anderen Beimengungen der Kläranlage zu. Früher rann das köstliche Naß, vermischt mit Straßenschlamm und Mist, in Richtung Ortsmitte. Beim Anwesen Nr. 94 (heute Hans Dünßer) wurde dieser Brühe Einhalt geboten. Ein Graben, quer über die Fahrbahn, lenkte den ganzen Saft in die „Lindelache”, eine nicht allzu tiefe Grube, die zwischen dem heutigen Kurfilmtheater und dem Anwesen Geißler lag. Die festen Bestandteile des Einlaufes setzten sich in dem Becken ab und die Flüssigkeiten rannen in den Bachschen Lindenacker.

Auf unsere derzeitige Rechtsauffassung umgemünzt, müßte sich die Gemeinde heute auf Prozeßandrohungen wegen Umweltverschmutzung, Besitzstörung, Geschäftsschädigung, Schadenersatz und was weiß ich sonst noch alles gefaßt machen, nicht so 1855.

Meister Bach beschwerte sich in einem vier Kanzleiseiten füllenden Brief bei der Gemeinde über den Straßenbau und die damit verbundene Entfernung der Lindenlache. In seinem Schreiben führte er an, daß durch die Düngung des Ackers mit den Ausflüssen der Lache dieser so ertragreich und deshalb in die 30. Bonitätsklasse eingestuft sei. Bach bittet, die Lache, „welche seyd unerdenklichen Zeiten ist”, zu belassen und schreibt weiter: „Also Nehme ich Zuflucht und Hilfe bey der gemeinde Verwaltung und Hofe sie werde mir kein so großen Schaden thun, oder thun laßen, und mir keine Straße Machen, in der obigen gaße. Ich will die gaße auf meine Kosten Fahr bar her richten und Rein halten, und vor dem Thimote Brutscher die Lache aus Pflästern laßen. Dan ich habe in der gaße schon Viele Tagwerck gethan. Das wird mir die gemeinde Verwaltung verhilflich seyn das man die Brünnen in beßere Ordnung Nimbt und nicht Einen Jeden Bauern steine und Schutt von Keller und Lache Kasten graben in die gaße thun laße" (Die Zitate sind Originalbriefen entnommen!)

Der Bittsteller versäumte es auch nicht, die Gemeindeväter mit Seelenmassagen von seinen Argumenten zu überzeugen und redet ihnen ins Gewissen: „. . . und was haben ihr alle davon wenn ich so großen Schaden Leiden muß. Dan sie bleiben nicht immer an der gemeinde Verwaltung, hernach können sie doch Denken ietz bin ich Froh das ich den Bach nicht helfen Schädigen habe...” Alles Schreiben half nichts, die Gemeinde baute die Gasse aus. Jetzt schrieb Bach - dessen Lache als gesundheitsschädlich bezeichnet worden war - an das kgl. Landgericht nach Sonthofen. In dem Brief heißt es u. a.: „Was die Lache enthält ist Regenwaßer das in der obern Gaße in der Straßenrinne sich sammelt, was an Dung, Letten und Sand auf der Straße liegt, wegschwemmt und alles miteinander in die Lache führt. Dort fallt der Sand und Stein zuerst auf den Boden. Der Dung und der Letten schwimmt im Waßer und fließen miteinander, wenn es voll ist, bei jedem Regen gleich wieder zum Ausfluß hinaus in den Aker. Darum rühr ich auch fleißig das Waßer daß es sich vermengt und alsgemach den Aker düngt.

Was nicht selber hinausfließt, da grab ich jeden Herbst aus und führ es als Dung auf den Aker. Zuletzt komm ich auf den Sand, der auf den Weg geworfen wird und ihn trocken und gut erhält..Weiter steht in dem Schreiben: „Ich verursach der Gemeinde keinen Schaden wenn ich das Regenwasser sammt Unrath aus der Gaße schwemme, ja es ist deßwegen ein Nutzen, weil man es sonst in den Dorfbach leiten muß, aus welchem man Vieh tränkt, auch wenn die Brunnen trüb gehen, daraus hie und da gekocht und getrunken wird.”

Bereits 1839 hatte es wegen der Lache einen Streit gegeben und Bach war damals auferlegt worden, diese zur Sicherheit der Kinder einzuzäunen. Eine vom Inhalt der Lache ausgehende Gesundheitsschädigung wurde verneint. Joseph Anton Bach meint nun: „... und weiß nicht, wie die Lache jetzt anno 1856 der Gesundheit gefährlich und abschaffbar sein soll, weil sie es Anno 1839 nicht gewesen ist. . .”

Der Landrichter und die Gemeinde erkannten die Bachschen Beweismittel nicht als stichhaltig an. Bach wiederum war von den Argumenten der Behörden auch nicht überzeugt und wehrte sich, indem er einen Jagdaufenthalt des Prinzen Luitpold in Oberstdorf nutzte und ein Gesuch „An Ihro Königliche Hochheit Brinz Luibold” schrieb. Der Brieftext beginnt: „Mit zitterter Hand, und Schwermuths Volen gedanken Ergreife ich die Feder um ein Bittschreiben an ihnen zu machen.” Weiter ist zu lesen: „. . . ietz Will der Landvisikus Dokter Karrer in Sonthofen diesen Wasser Kasten wegsprechen und vernichten. . . Wer vergüttet mir den Schaden.”

Wie der Originalbrief mit erbrochenem Siegel, das die Initialen JAB trägt, wieder in Besitz des Absenders gelangte, konnte ich nicht ergründen. Ich weiß nur, daß die Bitte unerhört blieb. Aber ein „gewöhnlicher” Prinz von Bayern war noch nicht die letzte Instanz der Beschwerde wegen der Bachschen Dunggrube. Als Beweis dient mir die Abschrift eines von einem „Schriftkundigen” 1858 verfaßten und niedergeschriebenen Briefes, der genau dem damaligen Reglement des Behördenschriftverkehrs entspricht.

„Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König!
Allergnädigster König und Herr!

Im höchsten Vertrauen auf die Huld und Gnade, womit Euere Königliche Majestät allen Bedrängten zu Hülfe zu eilen und Noth und Elend zu lindern stets geruhen, wage auch ich allerunterthänigsttreugehorsamst Unterzeichneter, niedergebeugt von schwerem Kummer, weil tiefverletzt und auf ungerechte Weise beeinträchtigt in meinen Rechten, Euere Königliche Majestät um Hülfe anzuflehen.

Ich allerunterthänigsttreugehorsamst Unterzeichneter erhielt bei der Theilung des mütterlichen Vermögems ein Grundstück von drei Tagwerk, im Anschlag von 1700 fl. Die auf diesem Grundstück gemachte Heuernte trug mir jährlich eine Summe von 182 ft ein. Die jährlichen Erträgnisse beliefen sich deswegen so hoch, weil genanntes Grundstück seit urdenklichen Zeiten von dem Regenwasser, das von der fast durch den halben Markt Oberstdorf führenden Straße in eine auf diesem Grundstück sich befindende Grube geleitet u von da aus bewässert und gedüngt wurde und ich jährlich nur sechs Fuder Kuhdünger im Anschlag zu 12 fl kaufen durfte.

Durch den Bau der Straße aber, den die dasige Gemeindeverwaltung im vergangenen Frühjahr vornehmen ließ, ist besagtes Wasser meinem Grundstücke, ohne daß dadurch die Reinlichkeit der Straße gefordert wurde, ohne Noth entzogen worden u mir ein Schaden, der sich jährlich auf 80 bis 90 fl belaufen dürfte, zugegangen, indem ich nun jetzt zur Düngung besagten Grundstückes diese für mich schwere Summe aufwenden muß. Ich suchte Hülfe bei der genannten Gemeindeverwaltung und bat, entweder das Wasser nicht unnöthiger Weise abzuzapfen, da sich daßelbe leicht in die an beiden Enden der Straße sich befindlichen Rinnen ableiten und der genannten Grube zuführen ließe, oder wenn sie das Wasser abzapfen wolle, mir doch eine meinem Schaden entsprechende Entschädigung zukommen zu lassen, allein beides wurde von derselben verneint. Überdieß muß ich dieses Grundstück ebenso besteuern, Straße, Wege und Zäune unterhalten wie zuvor.

In dieser meiner Bedrängniß wage ich daher die allerunterthänigste Bitte, Euere Königliche Majestät wollen geruhen, die Sache durch Allerhöchst dero Regierung von Schwaben u Neuburg untersuchen und mir in meiner bedrängten Lage mit gewohnter Vatergeduld die notwendige Hülfe Allerhuldvollst angedeihen zu laßen.

Im Höchsten Vertrauen auf die allerhuldvollste Erhörung der allerunterthänigsten Bitte erstirbt Euerer Königlichen Majestät allerunterthänigsttreugehorsamster

Joseph Anton Bach, Weißgärber

Oberstdorf, den 10ten October 1858”

Mit dem Schreiben an den König endet aktenmäßig die Geschichte um die Lindenlache. König Max II. hat zwar 1858 Oberstdorf besucht, doch glaube ich sicher, daß er nicht wegen der Lindenlache hier war. Wie lange diese - wenn auch in verkleinerter Form - noch bestanden hat, konnte ich nicht genau erfahren, doch haben mir mehrere ältere Leute erzählt, daß sie um den Ersten Weltkrieg noch bestanden hat - die umstrittene „Lindelache”.

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