Detailaufnahme aus der
Oberstdorfer Palmeselgruppe
Johann Nepomuk Stützte, von 1845 - 49 Pfarrer in Oberstdorf, vor allem bekannt geworden durch seine ausführliche Pfarrbeschreibung mit dem originellen Titel „Die katholische Pfarrei Oberstdorf im königl. Landgerichte Sonthofen oder die Schweiz im Kleinen”, Kempten 1848, erwähnt ausdrücklich bei der Beschreibung der Pfarrkirche den lebensgroßen Palmesel: „Auch die Palmprozession am Palmsonntage wird ergreifender durch ein sehr schön geschnitztes und gefaßtes Christusbild, auf einer Eselin sitzend, das von palmzweigtragenden Knaben unter Chorgesang in die Kirche begleitet wird.”
Auch der 1853 in Kornau geborene Karl Reiser, ein bedeutender Heimatforscher und Geologe, würdigt denselben samt Fotografie im zweiten Band seines grundlegenden Werkes „Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus”, Kempten 1894, unter dem Abschnitt Kalenderfeste - Palmsonntag:
„Bei der Prozession, die am Palmsonntag zur Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem um und in die Kirche stattfindet, ward ehedem an vielen Orten ein sog. Palmesel mitgezogen oder mitgetragen. Er war gewöhnlich in Lebensgröße aus Holz geschnitzt, stand auf einem Brett oder Gestell mit Rädern, trug das Bildnis des reitenden Heilands und verfehlte nie, das Interesse und die Schaulust besonders der Jugend auf sich zu lenken.
In Oberstdorf wurde dieser Palmesel schon am Vorabend des Palmsonntags von einer Anzahl Buben von der ehemaligen ,Hexenkapelle’ bis in das ,Vorzeichen’ der Pfarrkirche gezogen. Sich hierbei beteiligen zu dürfen, galt für jeden Buben als große Gunst, die nur den in der Schule fleißigen und braven gewährt wurde. Jeder der beteiligten Buben bekam dann bei Baschle’s Beck unentgeltlich eine ,Bretzge’. Dieser Palmesel ist noch vorhanden, und eine Notiz in einer alten handschriftlichen Chronik’ lautet: ,1729 hat Franz Schmottel den jetzigen Balmesel gemacht. Kostet 50 fl.’ ”
Laut Schöllanger Chronik wurde das höchst bemerkenswerte Bildwerk 1729 von dem am 1. November 1705 in Oberstdorf geborenen und später in Weilheim tätigen Bildhauer und Altarbauer Franz Xaver Schmädel für 50 Gulden geschnitzt und durch den Rettenberger Maler Hyacinth Bösinger gefaßt. Leider beeinträchtigt eine neuzeitliche Fassung das von Johann Baptist Straub beeinflußte Frühwerk Schmädels, dessen Hauptwerke in Dießen, Rottenbuch, Garmisch, Andechs, Oberammergau, Polling, Weilheim und Umgebung zu finden sind.
Die zwei Meter hohe, auf einem Grassockel stehende Gruppe verkündet eindrucksvoll den königlichen Anspruch, den der in seine Stadt Jerusalem und in den Tempel einziehende Messias verkörpert. Gleichwohl sehen wir einen sanftmütigen König, der den Völkern den Frieden bringt (Sach 9,9 f) und der sich selbst als gütig und selbstlos bezeichnet hatte (Mt 11,29); die dritte Seligpreisung in Mt 5,5 schwingt bei dieser Qualifizierung des Königs ebenfalls mit: „Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.” Segnend, den Blick auf Zukunft gerichtet, reitet der auf einer schönen Eselin sitzende Christus dem huldigenden Volk entgegen.
Es ist als großes Glück und Geschenk zu werten, daß das spätbarocke, seit 1903 in der Josefskapelle aufbewahrte Kleinod von Bränden und allgemeinem Palmeselsterben in der Aufklärungszeit und Säkularisation verschont blieb. Die „Haustiere Gottes” wurden zerhackt, gevierteilt, verbrannt und ertränkt, und nur wenige überlebten die Massaker weltlicher wie kirchlicher Obrigkeit. Im Laufe der Zeit verwandelte sich der geistliche Brauch auch immer mehr in ein Volks- und Kindervergnügen, das zu Ausschweifungen führte, wie eine Beschreibung der Prozession von 1805 in Landshut bezeugt: Die Bräuers- und Wirtsleute gingen dem „Palmesel-Convoi” mit Kannen voll Bier entgegen, die Bäckersfrauen hängten Christus die „schmackhaftesten Eyerkränze” um.
Dennoch hat die beim gläubigen Volk jahrhundertelang beliebte Palmeseltradition, die nach der Überlieferung bereits durch den hl. Bischof Ulrich feierlichst in seiner Bischofsstadt Augsburg durchgeführt wurde, in einigen bayerischen Dörfern und Städten alle Stürme der Zeit und Verbote überlebt und erfreut sich neuerdings wieder großer Beliebtheit.
Daß den Oberstdorfern ihr wertvolles Holztier Gottes erhalten und in Gebrauch geblieben ist, verdanken sie wohl einen gesunden Eigensinn und dem Respekt gegenüber den Vorfahren. Möge der Palmesel sie noch lange begleiten!