Fälschung aus Not?

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.12.2003

Im Staatsarchiv Augsburg liegt unter der Signatur HA NA Akten 6987 der Auszug aus einem Verhörsprotokoll vom 14. Dezember 1789.

Diesem zufolge verklagen Franz Schratt und Franz Blattner als (allerdings nicht beglaubigte) Vertreter der Gemeinde Spielmannsau den damaligen Inhaber der Hierenalpe, Bakus Wiedemann von Reichenbach, ihre Rechte zu verletzen, indem er gegen den Gaißtrieb von Spielmannsau über Hirnalp und den Krummen Stein bis zum Warmatsrucken ständig protestiere und ihre Rechte an Holz und Gaißfratzung in diesem Raum vollständig bestreite. Zum Beweis ihrer Rechte legen sie eine Kopie eines Vertrages von 1693 vor, nach dem ein damaliger Spielmannsauer namens Georg Frankenhauser dem Oberstdorfer Gerichtsammann Hans Lienhart einen Gaißtrieb verkauft haben soll: Von dem Medeler Weeg durch daß Dobel auff und ab biß an den Ersten Fahl mit minnstem schaden, und von Hieren alb hinein ob Scheüßer Wenden biß an den gradt an Warmats Ruggen, was herwertz haldet und hinauf biß an den Gradt an Medelen...
Alle Einwendungen des Hierenalp-Besitzers Bakus Wiedemann werden von den Spielmannsauern zurückgewiesen.

Weder das Zeugnis des vormaligen Besitzers Michel Vogler (1774 als solcher nachweisbar), noch das Zeugnis eines ehemaligen Gaißhirten der Spielmannsau, Ulrich Schratt (Vater des klagenden Franz Schratt), noch die Ergebnisse eines (nicht überlieferten?) Zeugenverhörs von 1560, noch einen Vergleich der Streitparteien von 1774 lassen sie gelten. Die Urkunde von 1693 ist ihr entscheidender Trumpf, auch für ihre Weigerung, die Bestimmungen des Vergleichs von 1774 zu vollziehen. In diesem Vergleich war nämlich eine Vermarkung zwischen Spielmannsau und Hierenalp in der Westflanke vom Hinterling Eck ab vorgesehen. Außerdem sollten beide Streitparteien je zwei Heilige Messen lesen lassen als Sühne für die einander angetanen Ungerechtigkeiten.

Der Trumpf, den die Spielmannsauer jetzt aus der Tasche zogen, war, wie erwähnt, die Kopie eines Vertrages von 1693, die angeblich jetzt urplötzlich aufgetaucht war, dem Gericht präsentiert und von diesem kopiert wurde. Der für die Spielmannsauer wichtigste Satz in dieser Kopie lautet: Weiter nimbt der Jerg Franckhauser daß Holz auß und die Gaiß-Rechten nach alten brieff und Sigel. Daraus leiteten sie ein Recht auf Holzschlag und Gaißtrieb in Hierenalp ab, wobei sie sich sozusagen großzügig zeigten und auf das Holz in Hierenalp verzichten wollten. Das Gericht scheint ihnen sogar geglaubt zu haben. Jedenfalls wies es die Streitparteien an, sich betreffs des Gaiß- und Schaftriebes an die Kopie von 1693 zu halten, wegen des Holzes an das Vergleichsabkommen vom 16. Mai 1774.

Dabei dünkt es den modernen Leser klar, daß es sich bei der angeblichen Urkundenkopie um eine Fälschung gehandelt haben wird.

Zunächst fragt man sich, welches Interesse der Inhaber von Hierenalp, es war der damalige Oberstdorfer Gerichtsammann Hans Lienhart, im Jahre 1693 daran gehabt haben könnte, sich einen kompliziert und riskant verlaufenden Gaißtrieb aus dem Gelände von Spielmannsau über seine eigene Alpe und auf den Krummen Stein gegen den Warmatsruggen zu erkaufen. Hatte er überhaupt solche Tiere auf seiner Alpe? Warum ging er damit nicht über den normalen Auftriebsweg nach Hierenalp?

Wer erlaubte ihm das Gebiet oberhalb des Krummen Steins zu nutzen, das traditionsgemäß den Spielmannsauern als Gaißweide zustand? Umgekehrt hatten natürlich die Spielmannsauer größtes Interesse an einem solchen Trieb, um nicht den weiten Umweg nach Süden bis zum Anfang des Warmatsruggens machen zu müssen und dabei vielleicht noch mit der Alpe Mädele in Konflikt zu kommen. Zudem konnten sie beim Durchtrieb durch Hierenalp ihre Gaißen dort mehr oder weniger uneingesehen fressen lassen, ohne daß dies im Unterteil der Alpe groß auffiel. Sie mußten also ein Interesse an einem solchen Trieb haben.

Weiter ist auffällig, daß statt dem bloßen Durchtrieb eigentlich auch ein Weidegelände verkauft wurde: nach dem Endpunkt Warmats Ruggen heißt es nämlich... was herwertz haldet und hinauf biß an den gradt an Medelin... Das ist die Westflanke des Fürschießers, soweit sie für Rinder unbegehbar ist, nicht aber für Gaißen und Schafe. Für Hierenalp, das damals als Melkalpe bewirtschaftet wurde, war das Gelände nicht nutzbar, wäre es auch für Jungrinder und Kälber nicht gewesen. Sinnvoll wäre es für Lienhart gewesen, dieses Gebiet den Spielmannsauern zu überlassen, sich selbst aber das Holz im Bereich der Hierenalp vorzubehalten. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, mit welchem Recht sich die Spielmannsauer als Rechtsnachfolger des Hans Lienhart bezeichnen konnten.

Formal fällt an der „Urkunde" auf, daß der Verkäufer von sich zunächst in der ersten Person spricht: Ich Jerg Franckhauser ... bekhenn mit dieser Coppey... (warum nicht... mit dieser Urkunde...?). Er wechselt ohne erkennbaren Grund in die 3. Person... weiter nimbt der Jerg Franckhauser daß Holz auß und die Gaiß-Rechten... Das ist völlig ungewöhnlich und höchst verdächtig. In der Schlußwendung heißt es schließlich: Dessen seynd Zeugen, der Erbahre M. Hanß Haneberg, balbierer. Weshalb ist von einer Mehrzahl der Zeugen die Rede, wenn nur einer folgt, von Spielmannsauer Seite aber überhaupt keiner benannt wurde? Das alles ist sehr seltsam und sieht sehr nach Fälschung aus, am ehesten nach einer bloßen Umdrehung von Verkäufer und Käufer. Außerdem wird in einem Anhang an die Urkunde noch festgestellt... daß Original ist von Herrn Hans Linhardten seeligen von Oberstorff seyn aigner Handt durch auß und auß sambt Zeugen und Unterschriften. Diese Feststellung mit der Versicherung der Authentizität ist wiederum höchst ungewöhnlich, ja hochverdächtig, und die Häufung der Versicherung durchauß und auß... läßt wohl auf das schlechte Gewissen des Versichernden schließen.

Fassen wir zusammen: Wo kam nach jahrzehntelangem Streit und Zwischenvereinbarungen plötzlich diese sonderbare Kopie her? Sie war vorher niemandem bekannt gewesen. Wo ist die zweite Kopie des Vertrages geblieben, auf die im Anhang extra hingewiesen wird? Wie soll man die groteske Verteilung der Interessen bei dem Urkunden-Aussteller und Empfänger deuten? Warum wechselt in der Urkunde plötzlich die Person des Ausstellers von der 1. in die 3. Person?

Das alles läßt sich am besten verstehen, wenn man annimmt, es habe in der Tat eine alte Urkunde gegeben, die im Wortlaut übernommen wurde, jedoch mit Austausch der Namen: Der Verkäufer wird zum Käufer gemacht und umgekehrt der Spielmannsauer Käufer zum Verkäufer aufgewertet. Damit, so überlegten sich die Spielmannsauer, konnten sie nicht nur ihre bisherigen Interessen wahren, sondern ihre Position verbessern und zudem noch als die großzügig Nachgebenden dastehen. Für sie war es eine Lebensnotwendigkeit, zahlreiche Gaißen zu halten und für diese eine Weide zu finden, wozu die alte, urkundlich gesicherte, nämlich der Rainen von Gibel gegen den Sperrbach hinab, nicht mehr genügte.

Finanziell überlegene Oberstdorfer hatten in den zurückliegenden Jahrhunderten einen Großteil der Güter im Traufberg und die meisten Alpweiden aufgekauft, darunter auch Hierenalp, was die Spielmannsauer Lebensgrundlagen erheblich eingeengt hatte. Schon 1554 hatte man sich heftig um die Mähder Pachfal und Lindegg mit Oberstdorfern gestritten. Die ehemaligen Dauersiedler des Traufbergs hatten sich - wohl wegen der strenger gewordenen, lebensbedrohlichen Winter - in die Spielmannsau zurückgeszogen, ohne dort die nötigen Lebensgrundlagen zu finden, ja die Überschwemmungen der Trettach hatten ihre Besitzungen noch erheblich geschmälert, wie die Schilderung im Tiroler Kataster von 1774 anschaulich aufzeigt.

Nach der Pflegamtsbeschreibung des Johann Michael Lueger von 1785 drängten sich dort 14 Haushalte in 15 Häusern zusammen. Das war eine drastische Überschreitung der dortigen Lebensmöglichkeiten. So suchte man wohl verzweifelt nach einem Ausweg, wenn es denn sein mußte, vermutlich auch mit Betrug. Sollte das Gericht, als es am 18. Januar 1790 ein Urteil fällte, den Spielmannsauern nicht wirklich geglaubt haben, dann war es sicher die Einsicht, daß eine gegenteilige Entscheidung eine Existenzbedrohung dargestellt hätte.

Letztlich allerdings blieb einem Großteil der Spielmannsauer Einwohner, trotz des erstrittenen Gaißtriebes über Hierenalp, nichts anders übrig, als im Laufe des 19. Jahrhunderts das Tal zu verlassen, das nur noch für einen kleinen Teil von ihnen ein erträgliches Leben möglich machte.

Fa08lschung - Heft 43

Entnommen aus der Geologischen Karte der Allgäuer und Lechtaler Alpen

Druck: Piloty & Loehle, München (ca. 1890).

Hierenalp mit dem nicht mehr existierenden Weg aus dem Schießer über das Hinterling Eck zum Grat und weiter über den Krummen Stein zum „Warmatsruggen”. Das eingezeichnete Weglein dürfte dem Gaiß- und Schaftrieb der Spielmannsauer entsprochen haben.

ANHANG

Text der Kopie-Beilage

(zu dem Verhörsprotokoll in HA NA Akten 6987 im Staatsarchiv Augsburg)

Copey (= Abschift) a.d. ...vom 14ten Xbris 1789

Ich Jerig Franckhaußer in der Spihlmans Aw Oberstorffer Pfarr bekhen mit dieser Coppey und schein daß ich aufrecht und Redlich zue kauften geben hab dem Hannß Linhardt Gerichts=Amann zu Oberstorff Ainen Thrib mit den Schaffen und gaissen auff Heiren alb hinauff. Von dem Medeler Weeg durch daß Dobel auff und ab biß an den Ersten Fahl mit min- stem schaden, und von Hieren alb hinein ob Scheüßer Wenden biß an den gradt an War=mats Ruggen, was herwertz haldet und hinauf biß an den gradt an Medelin und für frey ledig und loß, auch für Steuer frey. Weiter nimbt der Jerg Franckhauser daß Holz auß und die gaiß=Rechten nach alten brieff und Sigel und Verspricht mir der Käuffer Hahß Linhardt Grichts Aman darfür zue bezahlen 11 fl an baren gelt. Dessen seynd Zeügen, der Ehrbare M: Hahß Haneberg balbierer. Ist beschehen den 14. Brachmonat Anno 1693 Jahr.

aß bekhen ich Hahß Linhartdaß bekhen Ich Jerg Franckhauser
Grichts Aman wie obstetwie obstet
NBDer Hahß Linhardt grichts amah hat ain hantschrift und Jerg
Franckhauser aine gleichlautend: NB Vmkört und eben dißes wär
Jerg Franckhausers die seinig: Von ernanthen grichts arhahs seeligen
aigner handt Im Original durch auß

[Außenanschrift:] Abschrift der Copey

Daß original ist von Herrn Hahß Linhardten seeligen in Oberstorf seyn aigene Handt, durch auß und auß sambt Zeugen und Unterschriften wie hierin ersuchten [?] wegen Erkauffs von Jerg Franckhauser in der Spihlmans aw De Anno 1693.

(Die Zusätze ab NB sind wohl vom Gerichtsschreiber als ergänzende Bemerkungen der Kläger festgehalten worden.)

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