Als die Nebelhornbahn enstand - Vom Werden der ältesten Allgäuer Bergbahn

von Eugen Thomma am 01.12.2005

„Vordere Seealpe, Nebelhorn (2251 Meter), Hinterseealpe, Seealp-See, Gleit- und Oytal zurück, 11 Std., 9 Mark”, so war in der Oberstdorfer Bergführerordnung vom 20. Juni 1876 zu lesen. Das Nebelhorn mit seiner wunderbaren Fernsicht war immer schon ein begehrtes Ziel in den Allgäuer Alpen. Der Aufstieg zu diesem bevorzugten Gipfel führte an den beiden Sennhütten der Vorderen Seealpe, dem „Hof” und der „Gaißalp” (nicht zu verwechseln mit der Gaisalp oberhalb Reichenbach) vorbei. Diese Hütten und dabei besonders die „Gaißalp” - heute etwa 100 Meter südlich des Edmund-Probst- Hauses auf rund 1.900 Höhenmeter - stellte den einzigen Schutz der Touristen bei einem evtl. Wettersturz dar. Doch waren die Hütten nur zur Weidezeit bewohnt und offen.

Die Sektion Allgäu-Immenstadt des DuÖAV entschloß sich daher, im Jahre 1888 im Nebelhorngebiet ein Unterkunftshaus zu errichten. Nach dem Rohbau 1889 konnte das Haus samt Nebengebäude mit Maultierstall 1890 fertiggestellt werden. Das Baumaterial war, soweit möglich, von Tragtieren zur Baustelle transportiert worden. Auch die spätere Belieferung mit Lebensmitteln, Getränken u. a. erfolgte bis 1928 „per Muli”. Die genügsamen, gelegentlich aber störrischen Vierbeiner trugen aber nicht nur Bier- und Weinfäßchen zum Nebelhornhaus, sondern auch faule Touristen. Man mietete sich in Oberstdorf so einen Esel und ritt damit hinauf bis zum Unterkunftshaus. Bei einfacher Bewirtung konnten sich dann beide von den Strapazen erholen.

Wie die heutige Entwicklung begann

Gerade recht zur Saison 1995/96 hat die Nebelhornbahn ihr modernes Marktrestaurant auf fast 2.000 Metern Höhe eröffnet. Monatelang war oben am Berg abgebrochen und neu gebaut worden. Alle Materiallieferungen und Entsorgungstransporte erfolgten mit der Seilbahn, einem Verkehrsmittel, das man vor 100 Jahren im Allgäu meist nur vom Hörensagen kannte.

Seit 1909 stand am Hirschgund im Rohrmoostal zwar schon eine Holzseilbahn, aber eine Personenseilbahn gab es nicht. Der Oberstdorfer Konditormeister Gustav Stempfle, der neben seinem Betrieb am Marktplatz auch die Gaststätte »Wilhelmshöhe« oberhalb des Freibergsees betrieb, machte sich über so eine „Luftseilbahn“ zur »Wilhelmshöhe« Gedanken. Er richtete am 14. Juni 1907 an die Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig eine Anfrage über Möglichkeiten eines Seilbahnbaues und dessen Finanzierung.

Die Antwort an den „Königlich Bayerischen Hoflieferanten Gustav Stempfle’' kam aber nicht aus Leipzig, sondern am 19. Juni 1907 von der Maschinenfabrik Esslingen: „Die Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig-Gohlis über mittelte uns Ihre an sie gerichtete Anfrage vom 14 ds. zur Erledigung. Wir übersenden Ihnen daher anliegend einen Prospekt, aus dem Sie zu ersehen belieben, daß wir die Erbauung von Seilbahnen für Personenbeförderung als Spezialität betreiben, wobei wir allerdings gleich anfügen müssen, dass wir uns nur mit der Lieferung des Oberhauses, der Betriebsmittel und der maschinellen Einrichtungen sowie mit der Montierung dieser Teile befassen, nicht aber mit der Erstellung des Unterbaues, der Stationen und sonstigen Gebäulichkeiten. Auch können wir uns an derartigen Bahnanlagen finanziell nicht beteiligen. ...”

„Idee nicht zu den Akten”

Die Finanzen dürften es auch gewesen sein, daß danach der Drang zu einer Personenseilbahn in Oberstdorf etwas gedämpft war. Stempfle hat aber seine Idee nicht „zu den Akten gelegt”, denn am 1. Februar 1912 antworten ihm die Siemens-Schuckert-Werke, Berlin, auf sein Schreiben mit dem Betreff: „Elektrische Bahn auf das Nebelhorn”. Jetzt lief neben dem Freibergsee-Plan auch das Projekt Nebelhorn. Stempfle scheint bei seinen Anfragen mehrgleisig gefahren zu sein, denn es melden sich mehrere Firmen. Die Bergmann-Elektrizitäts-Unternehmungen, Berlin, schicken ihm gleichzeitig einen Fragebogen, den am 12. Februar 1912 Bürgermeister Fritz Gschwender beantwortet. Es hatte sich in Oberstdorf bereits ein „Consortium” gebildet, das sich fortan mit der Bergbahnfrage befaßte.

Diesem Gremium gehörten an: Bürgermeister Fritz Gschwender, Oberforstverwalter Wolfgang Hohenadl, Hofrat Dr. Ulrich Reh, Brauereibesitzer Karl Richter, Konditormeister Gustav Stempfle und Max Stockbauer, Geschäftsführer des Verkehrs- und Kurvereins. Es scheint allerdings, daß man sich in Oberstdorf von der Idee der Seilbahn entfernt und dem Projekt einer Zahnradbahn zugewandt hat. In dem Antwortschreiben ist bereits von Tunnel- und Brückenbauten am Weg zum Nebelhorn die Rede.

Auch die Localbahn-Aktiengesellschaft München, die ja 1888 die Eisenbahnlinie Sonthofen - Oberstdorf gebaut hatte, meldete sich und bedauert, daß sie „wegen anderweiter Inanspruchnahme der Ausführung einer Bahn nach dem Nebelhornhaus nicht nähertreten” kann. Mit den Anfragen wurde anscheinend bei der Industrie eine Lawine losgetreten. Eine ganze Reihe von Firmen bieten ihre Dienste an. Brown, Boveri & Cie. legt am 11. Juni 1912 einen ganzen Referenzen-Katalog vor: Jungfrau-Bahn (1898), Gornergrat-Bahn (1898), Vesuv-Bahn (1903), Bernina-Bahn (1908), Wengeralp-Bahn (1909) und noch viele klingende Namen sind darin enthalten.

Die Münchner Maschinenfabrik Stiegler geht bereits ins Detail und unterbreitet einen sechsseitigen „Erläuterungsbericht über die Trasse einer Bergbahn von Oberstdorf zum Nebelhornhaus”. Darin heißt es: „... Die Lokomotiven bekommen je eine Ausrüstung von 2 mal 120 PS. Jede Lokomotive bekäme als Anhängung höchstens 2 Personenwagen. Diese Personenwagen sind in eleganter Ausführung und fassen je 50 Personen, so daß der ganze Zug 100 Personen faßt. Da eine Steigung von 20 % vorhanden ist und mit Zahnstangenbetrieb die Bahn versehen sein muß, kommen ca. 5.000 m Zahnstangen zur Anwendung. Die Oberleitung des Stromes wird in solider Ausführung hergestellt. Um die ganze Strecke, welche ca. 5.400 m lang ist, zu durchfahren, brauchen die Lokomotiven 48 min. Es können somit alle 48 min. 100 Personen hinauf befördert werden ...”

Eine Denkpause tritt ein

Zu diesem Projekt fanden Ortsbesichtigungen statt. Ein großes Problem scheint die Grundstücksfrage gewesen zu sein. Von der geplanten Talstation am Faltenbach bis hinauf zum Nebelhornhaus wären Dutzende von Grundstücken zu überfahren und mit Kunstbauten zu verändern gewesen. So viele Grundeigner unter einen Hut zu bringen, war fast ausgeschlossen. Eine Denkpause trat ein.

Die Seilbahn-Idee wurde wieder aktuell.

Nebelhornbahn - Heft 47

Begehung der projektierten Bahntrasse in der Planungsphase durch (von links) Revierjäger Alois Schraudolf, Fotograf Eugen Heimhuber, 3. - 6. Person unbekannt, Dr. Jahn (?), Bergführer Leonhard Braxmair, Oberforstverwalter Wolfgang Hohenadl, Kinobesitzer und Skilehrer Toni Merz, Bergführer Sepp Müller, 12. Person unbekannt, Franz Schöll, Architekt Hans Gschwender.

Nebelhornbahn - Heft 47

Vermessungsarbeiten 1928 beim Edmund-Probst-Haus; vorn rechts (liegend) Bergführer Sepp Müller, genannt „Lixar”.

Im Jahre 1913 beginnen die Kontakte zum Ingenieur-Büro Fühles & Schulze in München, das im Januar 1914 einen technischen Bericht vorlegt. Dieser Bericht war dann Teil des Antrages auf „Projektierungs-Konzession” an das Ministerium für Verkehrsangelegenheiten.

Es ging jetzt konkret um die Planungsgenehmigung für eine Seilschwebebahn. Daß die Herren Fühles & Schulte nicht nur ihr technisches Handwerk verstanden, bezeugt ein Brief an Oberstdorfs Bürgermeister Fritz Gschwender, in dem es u. a. heißt: „... Wir überreichen zunächst das Gesuch für die Vorkonzession mit allen Beilagen persönlich Herrn Ministerialrat Dr. von Grassmann vom Ministerium für Verkehrsangelegenheiten. Obwohl wir diesem Herrn schon bekannt sind, wird uns bei dieser Gelegenheit ein ihm nahestehender Herr noch begleiten. Erst dann werden wir und zwar durch Vermittlung des Ministers Exzellenz von Soden eine Audienz bei Sr. Majestät dem König nachsuchen. Auf diese Weise wird vermieden, daß sich das Ministerium vor den Kopf gestoßen fühlt....”

Die Antragsteller hatten Erfolg. Am 17. Juni 1914 wurde die Konzession erteilt. Elf Tage nach diesem Datum fielen die Schüsse von Sarajewo. Am 2. August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. An einen Seilbahnbau war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken.

Die Konzession hatte eine Gültigkeitsdauer von nur einem Jahr. Auf Antrag verfügte das Ministerium am 6. Juni 1915: „Die Bewilligung zu den Vorarbeiten für eine Drahtseilschwebebahn von Oberstdorf auf das Nebelhorn, erteilt mit Entschließung vom 17. Juni 1914 an den Bürgermeister von Oberstdorf Fritz Gschwender in Oberstdorf und die Ingenieure Fühles & Schulze, für eine Schwebebahn nach der Freiberghöhe bei Oberstdorf, erteilt mit Entschließung 26. Juni 1914 an die Fa. Fühles & Schulze werden hiermit auf die Dauer eines Jahres vom künftigen Friedensschluss an verlängert.”

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Bürgermeister Ludwig Hochfeichter, Vorsitzender des Nebelhornbahnvereins und großer Förderer des Projekts.

Das Projekt liegt auf Eis

Bedingt durch Krieg, Notzeit und Geldentwertung lag das Bergbahnprojekt über Jahre auf Eis, vergessen war es aber nicht. Hinter den Kulissen liefen in Oberstdorf Aktivitäten, um in besseren Zeiten die Arbeiten sofort weiterführen zu können. Insbesondere Bürgermeister Ludwig Hochfeichter trieb den Bergbahngedanken voran. Zum 8. Februar 1925 berief er eine Versammlung in das Hotel »Zur Sonne« ein, wo der Nebelhornbahnverein aus der Taufe gehoben wurde. Von den Anwesenden bekundeten 138 Personen mit ihrer Unterschrift ihr Interesse an einer Bahn auf Oberstdorfs Hausberg. Die Wahlen ergaben:

1. Vorstand:2. Bürgermeister Ludwig Hochfeichter
2. Vorstand:1. Bürgermeister Magnus Haas
3. Vorstand:Fabrikdirektor Dr. Walter Jahn
4. Vorstand:Ortspfleger Ludwig Brutscher
Schriftführer:Gemeindeinspektor Georg Bisle
Kassier:Kaufmann Fritz Müller (Eisenhandlung)
Beisitzer:Kinobesitzer Anton Merz sen.
Arzt Dr. Clemens Bösl
Gemeinderat Josef Renn
Bauunternehmer Max Brutscher
Gemeinderat Josef Anton Thannheimer
Hotelier Eduard Rief
Kurdirektor Hermann Schallhammer
Schriftleiter Hugo Stobitzer
Oberforstverwalter Wolfgang Hohenadl sen.

Der Nebelhornbahnverein sah seine Aufgabe nun darin, die Vorarbeiten und Grundlagen zu schaffen, bis die zu gründende Nebelhornbahn Aktiengesellschaft verwirklicht sein wird. Es folgten nun unzählige Gespräche, Sitzungen und Verhandlungen mit der Ortsgemeinde, der Marktgemeinde, dem Bezirksamt (Landratsamt), den Grundeigentümern und vielen anderen Interessenvertretern.

Projekte, die für Aufsehen sorgten

Bis eine konkrete Planung vorlag, sorgten verschiedene Projekte für mehr oder weniger Aufsehen. Die spektakulärste Variante war sicher der Vorschlag von Dr. Jahn, der in Kürze zusammengefaßt folgendes vorsah:

Die Talstation der Nebelhornbahn sollte zwischen Mühlenbrücke und Haldenhäusle zu stehen kommen. Von dort sollte die Trasse über den Kühberg zur Seealpe führen. Eine erste Zwischenstation wäre beim Anlauf der Schattenbergschanze geplant. Ja, die Station sollte so ausgelegt werden, daß sie gleichzeitig den Anlaufturm der Schanzenanlage darstellt.

Die für internationale Großveranstaltungen erbaute Sprunganlage stellt einen so markanten Anziehungspunkt für Gäste dar, daß die Attraktivität der Bergbahn dadurch erhöht wird. Das Wander- und Wintersportgebiet der Seealpe soll durch eine zweite Zwischenstation erschlossen werden. Weiter wird eine großzügige Rodelbahn, deren Anfang die Station Seealpe und deren Endpunkt die Talstation an der Mühlenbrücke sein soll, besprochen. Es sollte ein Dorado für Liebhaber des Schlittensportes werden. Die Rodeltrasse sollte vom Stützel in einer weit nach Norden ausholenden Schleife durch die Wiesen am Breitenberg geführt werden. Mit rund vier Kilometern Länge wird die Strecke beschrieben, die in ihrem unteren Teil östlich an der Schießstatt vorbei durch den noch unverbauten Faltenbach zur Mühlenbrücke führen soll.

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Skizze zum Vorschlag des Dr. Jahn

Zu wenig Gäste für Oberstdorf

Die relativ geringe Gästeauslastung Oberstdorfs im Winterhalbjahr stand Pate für all diese Überlegungen. Attraktive Angebote schaffen und dem Gast etwas bieten, das war das Schlagwort. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch ein weiterer Vorschlag Dr. Jahns zu sehen:

Oberstdorf sollte an einem See liegen, der im Winter in Ortsnähe Eislauf, Eisstockschießen und Eishockeysport möglich machen soll. Für das Sommerhalbjahr sollte die Wasserfläche als Badesee und zur Kahnfahrt dienen. Und wo sollte das Ganze geschehen? Von der Mühlenbrücke zur »Villa Waldeck« (neben der Oybelehalle) sollte ein Damm aufgeschüttet und das Obere Oybele mit den Wassern der Trettach aufgestaut werden. Nachdem dieser Freizeitpark unmittelbar neben der geplanten Talstation der Nebelhornbahn liegen sollte, wäre jede der beiden Einrichtungen Nutznießer der anderen. Soweit die Vorschläge Dr. Jahns.

Gegner und Befürworter einigen sich

Die Oybele-Planung scheiterte schon an der Grundstücksfrage, denn die Landwirtschaft benötigte die Flächen für ihre Zwecke. Auch das Argument der zusätzlichen Wasserkraftnutzung half darüber nicht hinweg. Durch die ganze Baugeschichte der Nebelhornbahn ziehen sich wie ein roter Faden die Kontrapunkte von Landwirtschaft und Fremdenverkehr. Die zwanziger Jahre waren der Zeitabschnitt, in der der Fremdenverkehr in Oberstdorf die Landwirtschaft als Haupterwerbsquelle ablöste; da gab es Reibungspunkte vielfältigster Art. Es war ja nicht so, daß der Bau einer Bergbahn von allen Zeitgenossen begrüßt worden wäre. Da sperrte sich zunächst der Alpenverein gegen die „Zubetonierung” der Landschaft. Allerdings scherten die jüngeren skifahrenden Mitglieder bald aus dieser Front aus, und man versuchte sich zu arrangieren.

Das waren beileibe nicht die schwersten Geschütze, die gegen das Bauvorhaben aufgefahren wurden. Es kamen noch härtere Brocken. Der Kreisausschuß von Schwaben und Neuburg (Bezirkstag) hat im Herbst 1925 die Kreisregierung (heute Bezirksregierung) angegangen, daß diese in München gegen das Nebelhornbahnprojekt Stellung bezieht. Die Regierung intervenierte tatsächlich beim Ministerium, doch blieb dieser Vorstoß für die Nebelhornbahn ohne Folgen. Das Bayerische Handelsministerium verlautbarte, daß bei diesem Vorhaben die Bedürfnisfrage eine tragende Rolle spielen werde. Es werde wohl unter dem Gesichtspunkt des Erhaltes der Naturschönheiten entschieden werden, aber von besonderer Wichtigkeit sei auch der Wille der Bevölkerung.

Die Stimmung in der Bevölkerung wurde erst richtig aufgehetzt, als nach dem Einspruch der Kreisregierung noch ein anonymer Artikel im »Allgäuer Anzeigeblatt« erschien, der einiges an Polemik enthielt. Natürlich erschienen Gegenartikel und keine Seite geizte mit Schlagworten. „Böses Blut” gab es aber dann, als bekannt wurde, daß der Einspruch im Kreisausschuß von Kemptens Oberbürgermeister Dr. Merkt eingebracht worden war und dieser auch der Verfasser des Zeitungsartikels war. Jetzt wurde die Sache auch noch politisch, denn - so die Gegenseite - anstatt der Allgäuer Dr. Merkt die Belange Oberstdorfs in Augsburg vertrete, arbeite er dagegen. War man sich in Oberstdorf über den Bergbahnbau oder zumindest den Weg dorthin selbst auch nicht einig, so reagierte man sauer auf jede Einmischung von auswärts. Aber die Zeit heilte und wie so viele Attacken, verlief auch diese im Sande.

Die Wogen schlagen noch einmal hoch

Oberstdorfs Gemeinderechtsinhaber, auf deren Grund die Talstation und die Stützen im unteren Streckenabschnitt zu stehen kommen sollten, waren auch nicht alle hellauf begeistert. Schließlich mußten auch die Trassen für die Hauptbahn und für die Materialbahn durch Ortsgemeindewald geschlagen werden. Einige Bahngegner gingen nun mit Unterschriftslisten von Haus zu Haus und erzwangen letztlich mit 140 Unterschriften eine Versammlung der Rechtsinhaber. Am 6. Februar 1927 gingen dann bei der Zusammenkunft in der »Bahnhofs-Restauration« die Wogen ziemlich hoch. Die zugelassenen Vertreter des Nebelhornbahn Vereins waren an dem Nachmittag nicht zu beneiden! Zur Beruhigung der Gemüter wurde die Versammlung wegen der nahenden Stallzeit geschlossen und die notwendige Abstimmung auf Sonntag, den 13. Februar 1927 (im Rathaus) verschoben. Bis dahin hatte sich der Sturm etwas gelegt, und die Interessengruppen hatten Zeit zur „Wahlpropaganda”. Von 355 Berechtigten gaben dann 281 ihre Stimme ab. Bei einer Enthaltung stimmten 215 für und 65 gegen die Grundabtretung an die Nebelhornbahn. Damit war von der rechtlichen Seite die größte Hürde für die Bahn genommen. Es sei hier noch vermerkt, daß ein erheblicher Teil der Nein-Sager ihre Stimmen deshalb verweigerten, weil sie eine Steigerung des Autoverkehrs insbesondere in der Oststraße (die Nebelhornstraße war damals noch nicht gebaut) befürchteten. Was für den Bau der Bahn gesprochen hat, war neben der Steigerung der Attraktivität des Ortes auch die Verminderung der Arbeitslosenzahlen.

Die Aktiengesellschaft wird gegründet

Mit einem Aktienkapital von 600.000,- Reichsmark wurde am 19. Oktober 1927 in München die Nebelhornbahn Aktiengesellschaft gegründet. Im Dezember 1927 konnte die junge AG aus dem Besitz des ehemaligen bayerischen Königshauses 978 Hektar des Seealptales erwerben. Damit kam die gesamte obere Sektion der Bahn auf eigenem Grund zu stehen. Im März 1928 konnte das Hotel »Trettach«, das spätere »Nebelhornbahn-Hotel«, erworben werden. Mit einem geringen Grundzukauf von der Ortsgemeinde und der Marktgemeinde konnte nun auch die Talstation auf eigenen Grund gestellt werden. Die zwischenzeitliche Planung der Talstation südlich des Schützenhauses am Faltenbach war damit auch überholt. Allerdings wurde die Seilbahnstrecke länger, und im Faltenbach mußte an Stelle der zuerst geplanten Talstation Stütze Nr. 1 erstellt werden. Im Nachhinein besehen bewirkte diese Umplanung, daß die Nebelhornbahn-Talstation heute „mitten im Dorf” liegt.

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Das einstige »Trettachhotel«, später »Nebelhornbahn-Hotel«, wie es von der Nebelhornbahn Aktiengesellschaft auf gekauft wurde.

Nachdem die Grundstücksangelegenheiten geregelt waren, konnten die konkreten Bauanträge gestellt werden. Das Bezirksamt Sonthofen hat am 17. Februar 1928 die Konzession für den Bau der Hilfsbahn erteilt. Noch im gleichen Monat begannen die Arbeiten an dieser Anlage. Eine ganze Reihe von Oberstdorfern fand beim Hilfsbahnbau Beschäftigung. Die Talstation entstand am Faltenbach im heutigen Auslauf der Schattenbergschanze. Das untere Teilstück der Hilfsbahn bis zur Seealpe konnte bereits im Mai den Betrieb aufnehmen, während die obere Sektion im Juli 1928 fertiggestellt war. Sofort nach Erteilung der Baugenehmigung für die Hauptbahn (26. Juni 1928) begannen die Bauarbeiten an den acht Stützen (Fundamente) sowie an der Tal-, Mittel- und Bergstation. Im Januar 1929 standen die Hochbauten und waren die Fundamente gegossen; nun begann die Montage der Eisenkonstruktionen. Begünstigt durch den schneearmen Winter konnten die Arbeiten im Februar 1930 abgeschlossen werden. Wie die Montage, so wurde auch der Seilzug in Etappen vorgenommen, so daß dieser auch im Februar 1930 beendet war. Nach Fertigstellung der technischen Einrichtungen konnte die Bahn erstmals am 1. April 1930 in Betrieb gesetzt werden. Die Überprüfung der gesamten Anlage durch die Deutsche Reichsbahn dauerte über einen Monat. Am 10. Mai 1930 war die Nebelhornbahn betriebsbereit.

Natürlich ist während der Bauzeit und danach nicht alles so glatt abgelaufen wie man sich das wünschte. Wo soviel Geld auf dem Spiel stand, mußte es unweigerlich zu Reibereien zwischen Geldgebern, Firmen, Grundeignern und Zulieferern kommen. Aber dies und die damaligen finanziellen Probleme der Nebelhornbahn AG liegen außerhalb dieser Betrachtungen.

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Beim erstellen der Hilfsbahn mußte jedes Bauholz mit Muskelkraft zur Baustelle geschafft werden

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Auf der Felskanzel des Weißkopfes entsteht eine Hilfsbahn-Stütze

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Nach harter Arbeit eine Brotzeit von links: Karl Niederacher, Willi Menz, Josef Seeweg, Wilhelm Wolkan, Adolf Thannheimer, Anton Waibel, Max Rohrmoser,

Nebelhornbahn - Heft 47

Die Talstation der Hilfsbahn im Bereich des heutigen Schattenberg-Skistadions

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Mit Hilfe des Montagemastes werden die zweigeteilten Portalstützen aufgerichtet.

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Die Bergstation entsteht; rechts das Edmund-Probst-Haus

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Eine Sensation für jung und alt war der Transport der viele Tonnen schweren Seile durch die engen Ortsstraßen

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Bereit zum Transport zur oberen Teilstrecke die Wagen 3 und 4

Nebelhornbahn - Heft 47-14

Die Wagen 3 und 4 der oberen Teilstrecke passieren die Hilfsbahnstütze am Kleinen Gund. Die Nebelhornbahn ist in Betrieb

Episoden am Rande

Aus der Bauzeit seien aber doch einige Episoden am Rande erwähnt.

Es waren Arbeitskräfte von verschiedenen Firmen und aus allen Landen an der Baustelle tätig. Auf der Seealpe entstand ein ganzes „Lager”. Die Leute arbeiteten über die Woche hart, auch der Sonntag war (mit behördlicher Erlaubnis) Arbeitstag. Es durfte laut der Genehmigung des Marktes Oberstdorf nur die Wochenarbeitszeit von 60 Stunden nicht überschritten werden. In der kurzen Freizeit bot die Seealpe für die Männer auch keine entsprechende Zerstreuung. Kartenspiel und Alkohol förderten den „Lagerkoller”. Es herrschte zeitweise so „dicke Luft”, daß auf der Seealpe ein eigener Polizeiposten eingerichtet wurde. Letztendlich löste man das Problem dadurch, daß 16 Stänkerer auf einen Schlag entlassen wurden.

Die Technik des Bergbahnbaues, mit all ihren Nebenwirkungen, war in Oberstdorf und im gesamten Allgäu ein Novum. Spezielle Anfragen bei der Gemeinde Oberstdorf und beim Bezirksamt Sonthofen lösten daher auch dort Ratlosigkeit aus. Da fragten z. B. besorgte Hausbesitzer beim Markt Oberstdorf an, welche Art von Versicherung evtl. Schäden abdeckt, die beim Transport der riesigen Seiltrommeln durch den Ort Oberstdorf entstehen können. Oder ob der gewaltige Auflagedruck auf der Fahrbahn darunterliegende Wasserleitungen und Abflußrohre beschädigen kann. Erfahrungswerte lagen nicht vor, die Behörden erteilten nur ausweichend Auskünfte.

So fragte der Markt Oberstdorf schließlich in Bregenz, Garmisch und an anderen Orten an, die bereits eine Seilbahn gebaut hatten. Schließlich gab man sich mit der vorgelegten Versicherungspolice zufrieden. So einfach wäre der Weg gewesen, aber man befand sich überall auf Neuland.

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Station der Hilfsbahn sowie das Material- und Arbeiterlager auf der Seealpe

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Lagerleben auf der Hinterseealpe

von links: Vorarbeiter Adolf Thannheimer, Josef Seeweg, Willi Menz, Sepp Müller; Anton Waibel, Max Rohrmoser.

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Um einer Reihe von Gerüchten entgegen zu wirken, veröffentlichte der Nebelhornbahnverein diese „ allgemeine Aufklärung

Schnee vom Nebelhorn

Im Februar 1930 transportierte die Hilfsbahn nicht nur Material zum Berg hinauf, sondern nahm auf der Talfahrt Schnee vom Nebelhorn mit herunter. Die »Deutschen Jubiläums-Skimeisterschaften« (25 Jahre Deutscher Skiverband) in Oberstdorf litten unter akutem Schneemangel. Mit dem Nebelhorn- Schnee konnte die Schattenbergschanze präpariert werden, und die Veranstaltung war gerettet.

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Schnee von der Seealpe für die »Deutschen Skimeisterschaften, Februar 1930.

Während der gesamten Bauzeit haben sich, trotz oft widrigster Umstände, keine größeren Unfälle ereignet. Die Bauleitung für die Hilfsbahn oblag Ingenieur Josef Hiebaum. Sein Vorarbeiter vor Ort war der Oberstdorfer Zimmermeister Adolf Thannheimer. Als Bauleiter der Hauptbahn hatte die Firma Fühles & Schulze den Ingenieur Alfons Linkenheil eingesetzt. Die Nebelhornbahn AG hat nach Fertigstellung der Anlage diesen hervorragenden Fachmann, der die Bahn ja von Grund auf kannte, als Direktor angestellt, der er bis zum Jahre 1945 blieb.

Der Tag der Einweihung

Ein großes Fest für Oberstdorf war der 10. Juni 1930, der Tag der Einweihung der Nebelhornbahn. An der Spitze der Ehrengäste stand der Apostolische Nuntius Vasallo di Torregrossa, der die neue Anlage segnete. Bayerns Ministerpräsident Dr. Heinrich Held führte die schier endlose Namensliste der weltlichen Ehrengäste an. Oberstdorf hatte für diesen Tag sein „Sonntagsgewand” angezogen. Fahnen und Bekränzungen zierten den ganzen Ort. Am Vorabend brannten Bergfeuer auf den umliegenden Gipfeln. Zumindest für diesen Tag waren die Mühen und Probleme der „Geburt” der Nebelhornbahn vergessen.

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Ein Festtag für Oberstdorf: Am 10. Juni 1930 weihte der päpstliche Nuntius die fertiggestellte Nebelhornbahn ein

Nebelhornbahn - Heft 47

In den 30er Jahren warb die Nebelhornbahn mit künstlerisch gestalteten Plakaten um Fahrgäste auf den Oberstdorfer Hausberg z. B. ...

...der Enzian mit den Tautropfen

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...und der Blick durch den Skistockteller

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Die Talstation im Einweihungsschmuck. Im Hintergrund ist die Trasse der Hilfsbahn (links) sichtbar.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

Der Verein

Unser gemeinnütziger Verein unterstützt und fördert den Erhalt und Pflege von Landschaft, Umwelt, Geschichte, Mundart und Brauchtum in Oberstdorf. Mehr

Unser Oberstdorf

Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

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