Standorte der Bergstationen:
bei Trassenführung aus den Stillachtal in der Bockkarscharte (links),
bei Trassenführung aus den Trettachtal in der Scharte zwischen Mädelegabel und Kratzer (rechts).
Beim Sichten des Nachlaßes meines Schwiegervaters, Hermann Schedler, kam unter anderem ein Plan für eine „Mädelegabelbahn“ eines gewissen Hans Kaiser aus dem Jahr 1956 zum Vorschein. Ich erinnere mich, daß mein Schwiegervater, der immer voller Pläne steckte was den Skilauf und den damit verbundenen Fremdenverkehr betraf, des öfteren von dieser Zukunftsvision gesprochen hatte.
Wie aus einem Brief von Hans Kaiser hervorgeht, war diese Bahn auch tatsächlich das Produkt einer nächtlichen Unterhaltung am »Karatsbichl« bei einem Gläschen Wein.
Mit eingeweiht in diese großartige Idee wurde auch der Freundeskreis mit Lise Schedler, Gastwirt des Edmund-Probst-Hauses und Skilehrer, Alfons Huber, Zimmermeister, Männi Rief, Hotelier zum Löwen und Dr. Förg von der Allgäuer Treuhandgesellschaft, Immenstadt.
Aber lassen wir Hans Kaiser selbst zu Wort kommen, wenn er in seiner Einführung schreibt:
Die Mädelegabelbahn
Ein Projekt zur Erschließung eines großen hochalpinen Skigebiets, ein Weg zur weiteren Hebung des Allgäuer Fremdenverkehrs.
Der Gedanke, eine Seilbahn in das Gebiet der Mädelegabel zu bauen, ist schon seit Jahrzehnten existent. Mit dem Problem habe ich mich zuerst Ende der Zwanzigerjahre befasst, als ich noch als leidenschaftlicher Kletterer die „ Trettach“ umschwärmte und als begeisterter Skiläufer die Hänge vom Öfnerkar bis hinüber zum Rappenseekopf unsicher machte, so oft es mir die kärglichen Ferien und die noch viel seltener günstigen Witterungs- und Schneeverhältnisse möglich machten. Damals schon sprach vieles für ein solches Projekt, manches auch dagegen. Alles in allem genommen schien es mir aber, als wenn die Zeit dafür noch nicht reif sei.
Nun aber meine ich, daß es soweit ist.
So stelle ich also das Ergebnis meiner Überlegungen zur Diskussion, stelle mich selbst in den Dienst dieser Aufgabe und bitte jeden, der durch diese Problemstellung angesprochen wird, das Vorhaben zu unterstützen und weitere Freunde dafür zu werben.
Bochum, im August 1956
Hans Kaiser
Für die Kabinenseilbahn, mit einer Förderleistung von ca. 100 Personen in der Stunde, bringt Kaiser sechs Vorschläge für eine Streckenführung, drei davon für die Spielmannsau. Diese vom Trettachtal ausgehenden Trassen liegen einheitlich etwa 1,5 km südlich des Gasthauses beim sog. „Brunnen“ und enden an verschiedenen Punkten im Bereich der „Schwarzen Milz“. Die Talpunkte aller sechs Vorschläge liegen in etwa auf 1.100 m, die Bergpunkte erfordern die Überwindung von etwa 1.200 bis 1.500 Höhenmetern.
In seiner Studie gibt der Ingenieur jedoch den drei Birgsauer Trassen den Vorzug:
1. Die mögliche Streckenführung sieht eine Talstation in unmittelbarer Nähe der Buchrainer Alpe vor mit der Bergstation in der Scharte zwischen Hochfrottspitze und Bockkarkopf. Die Linie stützt sich zuerst auf den rechts von Einödsbach ansteigenden Rücken des Habaum, überbrückt das Bacherloch mit einem Stützenabstand von 1,2 km, den Laubschrofen und den Klettplatz bei Pkt. 2095 und überschneidet sodann den Grat, der von der Hochfrottspitze zum Waltenbergerhaus abfällt in etwa in 2.400 m.
2. Eine zweite Streckenführung sieht die Talstation im Talgrund der Stillach im Bereich des Finkenbergs vor. Hier gibt es eine Zwischenstation oberhalb des Waltenbergerhauses und die Bergstation ebenfalls in der Bockkarscharte. Der Ingenieur vermerkt dazu, daß hier mit einem kleinen Tunnel nachgeholfen werden könne.
3. Die dritte Variante, mit der Talstation im Stillachtalgrund, benützt ausschließlich die linke Flanke des Bacherloches, fährt also links oberhalb Einödsbach am Einödberg entlang über Hölltobel und Katzentobel zum Laubschrofen und steigt dann hinter den Bergen der Guten Hoffnung auf zur Höhe der Scharte. In dieser Trassenführung sieht Kaiser eine überlegene Möglichkeit, weil die Stützenverteilung gleichmäßig erfolgen kann. Eine Gefährdung durch Lawinen müsste durch Verbauungen verhindert werden.
Weiter bemerkt Hans Kaiser zu seinem Projekt:
In den Schweizer, Tiroler und italienischen Alpen scheut man sich schon seit Jahren nicht, solche bisher nur einem kleinen Kreis auserwählter Touristen zugänglichen Gebiete einer breiteren, sportlich und alpin weniger begabten, gleichwohl aber stark ineressierten Gästeschicht zugänglich zu machen. Mit gutem Erfolg: Es liegt nun einmal im Zuge der heutigen Zeit, daß der Gast nicht mehr ausschließlich, wie noch vor 40 oder 25 Jahren, jährlich für zwei oder mehr Wochen seinen Urlaubsort aufsucht, um sich hier geruhsam und zufrieden mit den traditionellen Einrichtungen des gewohnten Kurbetriebes zu erholen. Viele reisen heute um des Reisens willen, sie wollen „etwas sehen”. Sie wollen, um es einmal krass auszudrücken, Sensationen, von welchen sie erzählen können. ... Sie ziehen vor allem den unsteten Teil des Publikums an, und dieser ist es, der auf lange Sicht betrachtet, die stärkste Werbung ausübt. ... Nachdem sich erwiesen hat, daß sich an einem Platz wie Oberstdorf mit seinen 10.000 Betten neben der Nebelhornbahn und der Seilbahn nach Schrattenwang noch kleinere Aufzüge gut tragen: Ist es da noch eine Frage, ob sich eine Seilbahn mit den Aspekten, wie sie die des vorliegenden Projektes bietet, rentieren wird? Wohl kaum! ...
Ob, um einmal von den Größenordnungen zu sprechen, 2 oder 4 Millionen in den Betriebsanlagen investiert werden sollen, danach richtet sich schließlich die auszulegende Transportleistung, die Trassenführung, die Größe und Güte der technischen Anlage, die Bahnlänge und Betriebssicherheit, und alle diese und noch weitere Faktoren bestimmen dann für ein oder zwei Jahrzehnte die Höhe der Frequentierung und damit die Rentabilität ... durch Steigerung der Kabinengröße und der Fahrgeschwindigkeit, der in den Beispielen angenommenen Richtwerte auf das 5- bis 7-fache erhöhen, wodurch natürlich die Anlagekosten ebenfalls erhöht werden, das technische Optimum aber nicht immer auch das wirtschaftliche in sich einschließt.
Mit dem Bau der Mädelegabelbahn sollte ein wunderbares Skigebiet südlich des Allgäuer Hauptkammes erschlossen werden, das bislang selten vor Ende März und dann nur von geübten Skitouristen aufgesucht werden kann. Das Gelände zwischen Biberkopf und Großem Krottenkopf könnte sich in vielerlei Hinsicht mit anderen hochalpienen Skigebieten messen. Zudem wäre mit dem kleinen Schwarzemilzgletscher - aus damaliger Sicht - ein Sommerskigebiet zur Verfügung gestanden. Da aber weder die Nordseite des Allgäuer Hauptkammes noch die Lechtaler Südseite eine Talabfahrt bieten, ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zugspitzplatt unübersehbar. Im heutigen Zeitalter der Europäischen Union, mit ihren grenzüberschreitenden Projekten, wäre dies durchaus auch für die Tiroler Nachbarn nicht ganz uninteressant gewesen.
Hier ging es aber um die Belebung des Allgäuer Fremdenverkehrs! Der Zubringer für die Mädelegabelbahn nämlich sollte ein Talbähnle sein, welches vom Bahnhof, entlang der Stillach, an die Talstation führen sollte. Ob damit eine Autostraße verhindert worden wäre, ist zu bezweifeln. Immerhin hätte sich die Verkehrssituation von Skiflugschanze und Fellhornbahn wohl ganz anders gestaltet.
Nun, die Realisierung dieses kühnen Projekts scheiterte an den schwierigen Grundstücksverhandlungen, insbesondere aber an der Finanzierung.
So ist also eine Vision geblieben, was sich unschwer als Traumskigebiet hätte entwickeln können, und so sind die herrlichen Hänge südlich des Allgäuer Hauptkammes auch in Zukunft nur dem einsamen Tourengänger als überwältigende Erlebniswelt zugänglich.
Zu Hans Kaiser:
Hans Kaiser wurde am 8. November 1911 als Sohn des Bäckermeisters Franz Xaver Kaiser und seiner Ehefrau Kreszentia, geb. Zettler, in Oberstdorf geboren. Seine Eltern betrieben die bekannte Bäckerei Kaiser in der Oststraße 12.
Im Jahr 1935 schloß Kaiser sein Studium als Ingenieur für Maschinen- und Flugzeugbau ab und bekam eine Anstellung beim Flugzeughersteller Messerschmitt in Augsburg. Nach dem Krieg wollte er sich selbständig machen und lebte eine zeitlang in Bochum. Anfang der 60er Jahre zog es ihn wieder zu Messerschmitt, wo er u. a. die Flugzeugausstellung im Deutschen Museum in München konzipierte. Gleichzeitig betreute er das Archiv seiner Firma und erstellte eine „Messerschmitt-Biographie.“ Hans Kaiser starb am 7. November 1992 in München.