Oberstdorf vor 100 Jahren

von Birgitt Schraudolf am 01.06.2007

1906

Januar

  • Die Gemeinde erwirbt das am Bahnhof gelegene Gärtnereianwesen des Ludwig Hochfeichter als Bauplatz für ein neues Schulhaus zum Preis von 36.000,– Mark.
  • Sehr große Sympathie bringt die hiesige Bevölkerung dem jungen Stenographenverein entgegen, dieses zeigt der ungewöhnlich starke Besuch der Damen und Herren. Der noch junge Verein hat nunmehr 20 Mitglieder.
  • Laut Gemeindeversammlungsbeschluß wird das von Hochfeichter erworbene Grundstück nicht mehr als Bauplatz für das Schulhaus in Betracht gezogen,da die Lagezu ungünstig ist.Verhandlungen über zwei weitere Bauplätze in der Nähe laufen. Angestrebt wird eine Knaben- und Mädchenschule.
  • Die Arbeiter der hiesigen Weberei treten in den Ausstand und fordern einen zehnstündigen Arbeitstag und eine Lohnerhöhung von 15 Prozent. Eine zehnprozentige Lohnerhöhung wird bewilligt.
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Die Allgäuer Baumwollweberei, in der die Arbeiter streikten.

  • Der Verschönerungsverein verzeichnet 1905 an Einnahmen 22.604,07 Mark. Diese Einkünfte kommen von Kurgästen sowie Moorbad, Freibergsee, Fischerei und sonstigem.
  • Anläßlich eines großen Maskenballes des Turnvereins im »Trettachhotel« wird Bürgermeister Ludwig Fischer in Anbetracht seiner großen Verdienste um die Turnsache zum Ehrenmitglied ernannt. Zur Erbauung wird das Lustspiel „Don Juan auf dem Turnfest” zum besten gegeben. – Gut Heil!
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Ludwig Fischer, 1. Bürgermeister von 1902 – 1911.

  • Im hiesigen Bahnhof wird ein von Bregenz kommender Walser verhaftet und in das königliche Amtsgericht in Sonthofen eingeliefert. Derselbe hat wegen Wilderns 15 Jahre Landesverweis erhalten.

Februar

  • Der Gesangverein Oberstdorf gibt im geräumigen Saal des Hotel »Löwen« seinen ersten so beliebten Faschingsunterhaltungsabend.
  • Die Begeisterung am Theaterstück wie am Gesang bekundet das dankbare Publikum durch stürmische Beifallsrufe.
  • Herr und Frau Nothelfer übernehmen pachtweise das Restaurant »Freibergsee«. Lange Jahre war Herr Nothelfer in ersten Häusern Küchenchef, und so steht einer guten Bewirtung mit zivilen Preisen nichts mehr im Wege.
  • Es wird der Ski-Klub Allgäu angestrebt, in dem sämtliche Interessengruppen des Allgäus vereint sind. Der Sitz desselben soll Oberstdorf sein.
  • Aus einem Artikel zitiert: „Bäuerliche Lebenskraft wird frei! Sie verlaßt die warme Winterstube und mengt sich lebensfreudig ins junge Winterleben.”

März

  • Anläßlich des 86. Geburtstages des Prinzregenten Luitpold am 12. März ziehen in der Früh um 9 Uhr sämtliche Vereine mit Fahnen und klingendem Spiel zur Kirche. Nach Beendigung des Gottesdienstes geht es zum prächtigen Sonnensaal zu einem zünftigen Frühschoppen. Im Mohrensaal findet unterdessen eine Feier für die Schulkinder statt, wobei dieselben mit Bier, Würsten und Brot bedacht werden.
  • Der freiherrlich von Heil’sche Oberjäger Max Speiser erlegt in der Nähe von Gerstruben wieder einen prächtigen Steinadler.
  • Fürst Carl von Fugger trifft zu einem längeren Aufenthalt in Oberstdorf ein.

April

  • Es sind 25 Jahre her, daß der hochwürdige Herr Geistl. Rat Heinle als Ortspfarrer dahier investiert wurde.
  • Der Bau der evangelischen Christuskirche schreitet zügig voran.
  • In der hiesigen Pfarrkirche erhalten 34 Kindern (17 Knaben und 17 Mädchen) die erste hl. Kommunion.

Mai

  • Im hiesigen Bahnhofsrestaurant wird ein automatisches Piano mit elektrischem Antrieb aufgestellt und erfreut sich daselbst einer lebhaften Benützung.
  • Der Verschönerungsverein läßt neun Richtungstafeln aufstellen. Sie erweisen sich als sehr praktisch, da sie außer der Wegrichtung auch die Entfernung in Kilometern und die Höhenlage angeben. Die Tafeln sind gut sichtbar und gefällig mit weißer Schrift auf blauem Grund ausgeführt.
  • Eine neue, breitere Straße nach Einödsbach entsteht.
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Im Rohbau fertiggestellt ist die evangelische Kirche.

Juni

  • Trotz des abscheulichen Wetters besuchen an den Pfingsttagen 50 Personen das Nebenhornhaus. Als ein munteres Schneetreiben beginnt, ziehen die Touristen es doch vor wieder ins Tal zu steigen.
  • Die Breitachklamm ist ein Hauptanziehungspunkt vieler Vereine geworden, die mit Zügen gebracht werden. Das 9-Uhr-Zügle muß ordentlich pusten, um die 400 bis 500 Passagiere dem Ziel des Ausflugs näher zu bringen. Meldung: Am Sonntag besuchten 524 Personen, darunter 8 Kinder, die Breitachklamm.
  • In Einödsbach feiert der „alte Schraudolph” – Johann Baptist Schraudolph – seinen 80. Geburtstag. Der tapfere Bergführer hat 415 Mal die Mädelegabel bestiegen. Zahlreiche Gratulanten treffen ein.

Juli

  • Erstmals wird heuer wieder der „Wilde-Mändles-Tanz” im Gschlief aufgeführt. Nach der Aufführung treten die original Schuhplattler auf. Am Festplatz selbst wird ausgezeichnetes Sonnenbier zum Ausschank gelangen.
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Die „Wilde Mändle” im Gschlief.

  • Durch extrem starke Regengüsse erleidet das ganze obere Illertal schweren Schaden. Heu und Huinzen werden fortgeschwemmt, Brücken beschädigt, die Breitachklamm wird für eine Woche unpassierbar.
  • Zwei große Glocken für die evangelische Kirche werden geliefert und sofort nach Ankunft, unter der Leitung des Glockengießers Theodor Wohlfahrt aus Kempten, auf den Turm gezogen. Die große Glocke wiegt 18 Zentner, die kleine 8 Zentner.
  • Durch den andauernden Regen gehen die Temperaturen bis auf 5 Grad runter. Die Berge sind in Neuschnee gehüllt.
  • Am 17. Juli ziehen hunderte Gläubige in einem bunten, frohbewegten Festtreiben Punkt 10 Uhr vom Rathaus unter Glockengeläute zum schmucken evangelischen Kirchlein. Eine große Schar Honoratioren würdigt diesen Tag. Nach der feierlichen Einweihungsmesse folgt am Nachmittag ein Kirchenkonzert.

August

  • Die schöne Witterung lockt viele Bergfreunde auf die Gipfel. Durch das viele schlechte Wetter im Vormonat müssen diverse Höhenpfade repariert werden.
  • Altertumsfreunde, die durch Oberstdorf kommen, sollten nicht versäumen, das „Altertums-Museum” des Schreinermeisters Johann Kerle zu besuchen. Dasselbe ist reich ausgestattet mit Allgäuer Altertümern.

September

  • Der Sonderzug trifft mit dem Prinzregenten ein. Hofrat Dr. Reh und Sohn begrüßen auf leutseligste Weise seine Hoheit. Der Bahnhofsvorplatz sowie der Weg zum Jagdhaus sind dicht besetzt mit Leuten, die den Gast durch stürmische Hochrufe ehren. Der hohe Gast wirkt frisch und gesund und läßt sein hohes Alter nicht erkennen.

Oktober

  • Beim Abschlußkränzle im Oytalhaus werden zahlreiche Besucher aufs beste mit dem was Küche und Keller zu bieten haben verwöhnt.
  • Der Verschönerungsverein trifft sich im Gasthof »Hirsch«. Beratungen folgen über das Wintersportwesen und über den Ausbau der Wintersportplätze als Rodelbahn und Eisplatz. Grundstücke an der Stillach sollen erworben werden.
  • Eingesandt am 28. Oktober: „Nach mehrwöchigem Aufenthalt verlasse ich das schöne Oberstdorf, dankbar für die Genüsse, welche eine reizvolle Umgebung dem Naturfreunde bot, aber auch voll der Überzeugung, daß hier auf turistischem Gebiete seitens der maßgebenden Faktoren nicht mit jeder Sorgsamkeit gearbeitet wird, die wir in anderen, mit Oberstdorf in gleicher Linie stehenden Fremdenplätzen zu beobachten Gelegenheit hatten. Mit anderen Worten: Der Oberstdorfer verläßt sich zu sehr auf die Zugkraft der Natur, bringt aber im übrigen der ,Fremdenindustrie’ kein sonderliches oder bemerkenswertes Interesse entgegen.”

November

  • Das romantische Volksstück „Der Freischütz” wird unter großem organisatorischen Aufwand im Hotel »Trettach« in fünf Aufzügen vorgeführt. Äußerst zahlreich wird das Stück besucht.
  • Der Verschönerungsverein ist eifrig bestrebt, nachdem er über zwei Tagwerk Grund in nächster Höhe der Rodelbahn erworben hat, diesen Platz für die Wintersaison noch zu Eissportzwecken nutzbar zu machen. Das nötige Wasser wird dem Dorfbach entnommen. Die Sportsfreunde freuen sich.
  • Mit dem Bau des Sanatoriums am Kapf nächst Wasach scheint es ernst zu werden. Ingenieure, Baufahrzeuge und Steinbohrapparate treffen ein. Mit dem Graben nach Wasser wird begonnen.
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Die Turner und Sänger, die den „Freischütz” aufführten.

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Der Ortsteil Wasach mit Gasthof, jedoch noch ohne Sanatorium.

Dezember

  • Der früher gefaßte Beschluß, die Knaben- und Mädchenschule in zwei Schulhäusern zu verteilen, wird verworfen. Es werden sonach in dem neuen Schulhausbau beide Schulen untergebracht.
  • Von mehreren Herren wird im Gasthof zum »Hirschen« ein Skiklub gegründet unter dem Namen „Allgäuer Skiklub”, mit Sitz in Oberstdorf. Auswärtige Mitglieder werden bereitwillig aufgenommen.
  • 16. 12. Der starke Schneefall in den letzten Tagen behindert sehr. In Rohrmoos liegt fast 2 m Schnee. Der Versuch der Oberstdorfer Lokalbahn, heute früh mit dem Schneepflug nach Sonthofen durchzukommen, schlägt fehl.
  • In anerkennenswerter Weise überläßt Herr Hofinger, Besitzer des Hotel zum »Löwen«, zwei Konversationszimmer seiner Dependance den verehrten Winterkurgästen als Lesezimmer zur Benutzung. Ihm sei gedankt.
  • Der Wintersport erfreut sich dank der sehr guten Schneeverhältnisse sehr regen Zuspruchs.
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Das Skiübungsgelände Dummelsmoos.

  • Die Breitachklamm ist über die Feiertage geöffnet und erfreut sich wieder zahlreicher Besucher.
  • Am heutigen Weihnachtstag gehen die Geschäfte vormittags etwas flau. Am Nachmittag, nachdem die Fabrik geschlossen wurde und die meisten Geschäfte ruhen, gestaltet sich der Besuch des Marktes und die Kauflust etwas lebhafter. Der „Billige Jakob” macht ganz gute Geschäfte.

Quellen: »Allgäuer Anzeigblatt«, Jahrgang 1906 (die Schreibweise wurde weitgehend beibehalten); Aufzeichnungen von Eugen Thomma.

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

Der Verein

Unser gemeinnütziger Verein unterstützt und fördert den Erhalt und Pflege von Landschaft, Umwelt, Geschichte, Mundart und Brauchtum in Oberstdorf. Mehr

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Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

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