Oberstdorf vor 100 Jahren

1907

Januar

• Am 15. 1. hat der VV [Verschönerungsverein] seine Hauptversammlung. Vors. Karl Richter begrüßt die Anwesenden und weist auf ein normales Jahr 1906 hin und stellt fest, daß bei der heutigen Konkurrenz der Verein alles aufbieten müsse, um mit anderen VV mitzuhalten. Daher wird auf die Wichtigkeit der Lokalbahn Immenstadt – Oberstdorf hingewiesen und deren große Bedeutung und daß im vergangenen Jahr 15000 Prospekte verteilt oder versandt wurden. Dr. Reh wird als Gründer und langjähriger Vorstand des VV zum Ehrenmitglied ernannt.

• Der heurige Winter läßt seine Herrschaft ordentlich fühlen. Scharfe Kälte, heftiges Schneetreiben. Die Lokalbahn bleibt vor Oberstdorf mehrfach stecken.

Februar

• Drei Serien Postkarten, das Lawinenunglück in Mittelberg darstellend, sind erschienen. Dieselben stammen vom Hofphotographen Heimhuber.

• Die Rodelbahn am Höllrücken ist ausgezeichnet.

• Auf der Straße nach Birgsau überfällt ein Hirsch ein Fuhrwerk. Der Fuhrmann muß um Hilfe rufen. Später greift der selbe Hirsch den Jagdaufseher Seraphin Berktold an vor seinem Haus. Der Jagdaufseher jagt ihm eine Kugel in den Leib.

• Die Breitachklamm weist z. Zt. Eisbildungen von wunderbarer Pracht auf. Ein Besuch ist empfehlenswert.

• Der extreme Schneefall hinterläßt viel Schaden, speziell an den Dächern vieler Häuser.

• Für eine zu besetzende Stelle des Schriftführers beim VV melden sich über 100 Bewerber, darunter auch Pensionisten und Offiziere.

• 24. 2. Seit Tagen schneit es ununterbrochen. Stellenweise liegt der Neuschnee 80 cm hoch.

• Zugunsten einer Kinderbewahrungsanstalt findet im Hotel Trettach ein Kindertheater statt, „Prinz Tannenzapfen” und „Weihnachten im Zauberwald”, wirklich gut einstudierte Stücke.

März

• Wieder starker Schneefall.

• Mit dem Schulhausneubau wird es Ernst. Die Arbeiten werden vergeben. Im Schulhaus wird die Kinderbewahranstalt untergebracht werden.

• Prinz[regent] Luitpold hat auch in den Plan der Schwebebahn, die von Rohrmoos nach Oberstdorf projektiert ist, Einsicht genommen, auch Herr Minister Pfaft hat sich sehr für das Projekt interessiert.

• Im Oytal liegt der Schnee bereits 3 m tief. Das Dach der Wirtschaft muß abgeschaufelt werden, da der 2 m 50 hohe Schnee die Fensterrahmen verbogen hat.

• Durch einsetzendes Tauwetter gehen zahlreiche Lawinen ab. Die Stillach wird zwischen Birgsau und Einödsbach regelrecht gestaut, es bildet sich ein See. Der neue Weg nach Einödsbach ist zerstört, die Bewohner von Dietersberg müssen die Häuser verlassen.

April

• Das schöne Osterwetter lockt viele Skifahrer in unsere Berge.

• Der Raiffeisenverein erwirbt ein Grundstück in der Nähe des Bahnhofes. Auf demselben wird ein Lagerhaus errichtet.

• Der weltbekannte Höhenkurort [Oberstdorf] macht zur Zeit gewaltige Anstrengungen, seine öffentlichen Einrichtungen zu verbessern. Die Trinkwasserleitung soll mit erheblichem Aufwand in eine moderne Hochdruckleitung umgebaut werden. Ferner hat die weitsichtige Gemeindeverwaltung eine moderne Kanalisationsanlage in Aussicht genommen.

• Der Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in München und Oberbayern tagt im Hirschen. Nach der Begrüßung der Bürgerschaft werden Vorträge gehalten. Besonderes Augenmerk wird auf die Unterkunft + Verpflegung, Verkehr, Reklame und Wasserleitung gerichtet. Für den Blumenschmuck werden vom VV 100 Mark ausgeworfen, um diejenigen Hausbesitzer, die den schönsten Blumenschmuck haben, mit Preisen zu belohnen. Was den Baustil anbelangt ist kein Kasernenstil erwünscht, sonder ländlicher Stil. Angeregt wird auch ein Leichenhaus, das in einem Kurort nicht fehlen sollte.

Mai

• Das Oytalhaus wird ab dem 18. Mai wieder geöffnet. Der Gleitweg darf auf weiteres nicht begangen werden.

• In Oberstdorf treffen der Baurat Kübler und Dr. Rehrauch mit 33 Studierenden ein, um die Wildbachverbauung des Illergebietes zu besichtigen.

Juni

• Es werden zwischen 200 – 300 Kühe vom Lechtal über den Schrofenpaß nach Birgsau getrieben. Der Schnee liegt teilweise noch so hoch, daß zwei Tunnel gegraben werden müssen.

• Am Sonntag, den 7. 6., gibt die neugegründete Schuhplattler- und Sängergesellschaft „Trettachtaler” seine erste Abendunterhaltung, welche ziemlich gut besucht wird.

• Trotz des anhaltend schlechten Wetters haben unsere anwesenden Kurgäste immer Zerstreuung durch den Besuch des Theaters.

• Das Tegernseer Bauerntheater spielt „Almrausch und Edelweiß”.

• Der Schulhausneubau geht mit Riesenschritten vorwärts; es ist wirklich ein stattlicher Bau zur Zierde unserer Gemeinde.

• Der Fremdenverkehr hebt sich von Tag zu Tag, ein Beweis dafür, daß unser liebes Allgäu, vor allem unser Kurort, die Nachbartäler und unsere lieben Berge einladend und anziehend sind.

• Mit Befriedigung darf der Turnverein auf das Volksfest in der Hofmannsruhe blicken. Turner aus dem ganzen Oberallgäu nehmen teil. Scheibenstechen, Pyramiden, Schnitterreigen werden tadellos vorgeführt; Geräteturnen, Steinstoßen mit anschließender Preisverleihung. Zahlreiche Besucher sind begeistert, ein prächtiges, unvergessliches Fest.

Juli

• Fremdenliste bis Ende Juli: 7399 Personen, 2001 Personen mehr gegenüber dem Vorjahr.

August

• Eine lobenswerte Einrichtung des hiesigen VV ist die Einführung der beliebten Promenadekonzerte, welche lebhaft besucht werden.

September

• Gut abgelaufen ist der Unfall, der sich zwischen einem Auto und einem Fuhrwerk ereignete. Das Pferd scheute, warf das Fuhrwerk um, der Kutscher bleibt aber unversehrt. Die beiden Parteien einigen sich.

• Dank der guten Witterung schreiten die Arbeiten am Elektrizitätswerk Hirschgund für die Schwebebahn rüstig voran.

November

• Herr Oberjäger Speiser erlegt an der Höfats einen prächtigen Steinadler. Waidmannsheil!

Dezember

• Das Gut Rennenblock des Herrn Jäger geht durch Kauf in den Besitz des Freiherrn Heyl zu Herrnsheim über, der desgleichen mehrere Wiesen und Waldungen verschiedener Eigentümer zukauft. Es heißt, Baron Heyl will sich in der Nähe des Christlessee eine Villa bauen lassen.

• Am 15. 12. verkehrt zum ersten Mal der Wintersportzug Kempten – Oberstdorf.

• Bei der jährlichen Viehzählung ergibt sich folgendes Resultat: 76 Pferde, 2 Maulesel, 1 909 Stück Rindvieh, 21 Schafe, 164 Schweine, 108 Ziegen, 13 Gänse, 27 Enten, 1631 Hühner, 3 Truthühner, 27 Kaninchen, 149 Bienenstöcke. Der Viehbestand ist nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen, durch die ganz bedeutende Zunahme des Fremdenverkehrs zurückgegangen. Der Stand an Rindvieh und Schweinen beweist, daß Viehzucht und Fremdenverkehr ganz gut nebeneinander bestehen können.

• Mehrere Mitglieder einer hiesigen angesehenen Familie vermacht der Gemeinde eine Schenkung von 12000 Mark zur Errichtung einer Fortbildungsschule. Ehre den edlen Spendern.

• Dieser Tage werden die Schulschwestern hier eintreffen. Das neue Schulhaus wird am 1. Januar eröffnet.

• Am Söllereck über den Höllrücken ist das Skigelände vom Skiclub Oberstdorf ausgesteckt worden. Für fremde Skifahrer eine bedeutende Annehmlichkeit.

Alle Texte wurden aus dem »Allgäuer Anzeigeblatt« von 1907 im Wortlaut übernommen. Im Spätherbst waren die Informationen über Oberstdorf auf einmal wie abgebrochen, darum im Oktober keine Angaben.