Das Domizil der Dillinger Franziskanerrinen in der Försterstraße.
Die Dillinger Franziskanerinnen sind aus den Erinnerungen aller (katholischer) Einwohner meiner Altersstufe nicht wegzudenken. Mein erstes persönliches Kennenlernen war der Besuch des Kindergartens, mit dem ich 1957 aus der heutigen Musikschule in den neu erbauten Kindergarten St. Martin umzog. Die Leiterin war damals Schwester Dominika, die sich warmherzig um ihre Zöglinge kümmerte. Als ich später in die Schule kam, begegnete ich den Schwestern nur noch peripher. Beeindruckend für uns Buben war stets die imaginäre Linie, die den Süd- vom Osthof, d.h. die Mädchen von den Buben trennte.
Falls sich wirklich jemand auf fremdes Territorium wagte, war Schwester Bonifatia stets zur Stelle und verwies den Delinquenten eindrucksvoll und manchmal auch tatkräftig des Platzes. Für den weiblichen Teil meiner Altersstufe sind die Erinnerungen natürlich bedeutend intensiver und teilweise auch ein wenig zwiespältiger, denn sie hatten nicht nur Klosterfrauen als Klassenlehrerinnen, sondern auch als Handarbeitslehrerin- nen, und ihre Erziehungsmethoden unterschieden sich damals nicht wesent- lich von denen der männlichen Kollegen.
Wie kam es, dass ausgerechnet Dillinger Franziskanerinnen im Jahre 1907 den Schulunterricht an der katholischen Mädchenschule in Oberstdorf übernahmen?
Der Geistliche Rat und Pfarrer Alois Heinle, neben dem Bürgermeister der einflussreichste und mächtigste Bürger des Marktes, verfocht um die Jahr- hundertwende die zum damaligen Zeitpunkt fortschrittliche Meinung, daß die Geschlechter getrennt unterrichtet werden sollten. Doch woher sollten die Lehrerinnen kommen? Ich nehme an, daß Alois Heinle, wie viele seiner Kollegen, sein Priesterseminar auch in Dillingen absolvierte. Da kam er natürlich unter die Fittiche der Dillinger Franziskanerinnen, die dort eine zentrale Rolle bei der Erziehung der angehenden Geistlichen spielten. Alois Heinle suchte den Kontakt zu ihnen und hatte bald ihre Zustimmung, in Oberstdorf eine „Zweigstelle“ aufzumachen.
Die Franziskanerinnen gibt es in Dillingen seit 1241 und natürlich leben sie nach den Regeln des Hl. Franz von Assisi. Die zentralen Eckpfeiler ihres Ordens sind Keuschheit, Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen, Armut und Gehorsam.
1906 wurde ein Vertrag mit der Generaloberin M. Innocentia Mussack ausgehandelt, in dem bestimmt wurde, daß sie die drei Lehrerinnen für die Mädchenschule, eine Kindergärtnerin und eine Kraft für die Reinigung des Gebäudes bereitstellen sollten. Dafür erhielt das Mutterhaus die zustehende Besoldung (im Jahre 1910 waren das 1.100 Euro pro Jahr) und die Schwestern das Wohnrecht im neuen Schulgebäude. Im Herbst des Jahres 1907 zogen sie in das neu gebaute Schulhaus ein. Im Westflügel des 1. Stockes befanden sich die Hauskapelle, 8 Zellen, 1 Gast- und Kandidatenzimmer, Refektorium, Küche und Sprechzimmer. Bei der Einweihung am 1. Januar 1908 setzte sich der Konvent aus sieben Schwestern zusammen.
Im Laufe der Zeit wurde die Zahl der Handarbeitslehrerinnen erhöht, was zu Raummangel führte. Die Kindergärtnerin mußte ihr Zimmer in einem Verschlag im Kindergarten nehmen. In der Notzeit zu Beginn der 30er Jahre hatten die Schwestern nicht nur unter starken Gehaltskürzungen zu leiden, ein Problem ergab sich durch die schlechte Zahlungsmoral der Kindergarteneltern.
1937 wurden die Klosterschwestern von den Nazis kurzerhand vor die Tür gesetzt. Die wohnungs- und arbeitslosen Klosterfrauen fanden Unterschlupf in einer 3-Zimmerwohnung im »Haus Kaiserswerth«. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in Oberstdorf wurden die Schwestern Manetta Demmel und Bonifatia Weber gegen ihren Wunsch wegversetzt. Den Verbliebenen wurde durch die Partei das Leben schwer gemacht. Immer wieder bekamen sie Berufsverbote, durften u.a. keine Nähkurse oder keinen Musikunterricht erteilen. Zum Glück ergaben sich doch stets Möglichkeiten die Schikanen zu umgehen. Die Zeit war wenig erfreulich für die Klosterfrauen und so manche Nacht wurde durchgebetet.
Auf einmal eröffnete sich die Möglichkeit, ein eigenes Haus zu bauen. Fräulein Flora Gschwender stellte die Mittel zur Verfügung. Pläne wurden geschmiedet, Baupläne eingereicht – doch wieder schlug das Regime unerbittlich zu. Die eigentlich schon genehmigten Baupläne wurden nach Berlin geschickt und der Bau von Minister Hermann Göring höchstselbst verboten. Der Bauplatz mußte zurückgegeben werden.
Im Herbst 1937 konnten die Schwestern ins »Haus Johanna« im Promenadenweg umziehen, das aber mit 180 Mark im Winter und 225 Mark im Sommer beinahe unbezahlbar war. Der Oberstdorfer Konvent stand deshalb beinahe vor der Auflösung. Durch die Vermietung von zwei Doppelzimmern konnten sie ihre Filiale finanziell retten. Die fünf Schwestern besaßen deshalb nur zwei Schlafzimmer. Die Küche diente als Speisezimmer, zwei Räume dienten als Arbeits- und Musikzimmer. Im 1. Stock war das „Allerheiligste“, die Kapelle untergebracht. Durch Nähen, Dienste im Pfarrhaus, Musikunterricht und Unterricht im Kinderheim Dienersberg wurde das Allernötigste verdient. Die tatkräftige Unterstützung durch die Oberstdorfer Bevölkerung hielt die Not jedoch in Grenzen. Die Kriegsjahre brachten in dieser Beziehung, außer ein paar Abstellungen als Lazaretthilfe für die Wehrmacht, keine großen Änderungen.
Wie in der Schulchronik erwähnt, konnten die Schwestern ihre Arbeit an der Volksschule und im Kindergarten nach dem Krieg wieder aufnehmen. Da jetzt mehr Schwestern den Konvent besuchten, wurde die Wohnungsfrage wieder aktuell.
Eine Rückkehr in die Räume der Schule war ausgeschlossen, da die ehemaligen Klosterräume jetzt sogar im Wechselunterricht als Klassenzimmer vor- und nachmittags genutzt werden mußten. Wieder wurde ein Neubau angedacht, das Grundstück hätte die Königliche Hoheit Wiltrud, Herzogin von Urach gestiftet. Da die Währungsreform schon ihre Schatten voraus warf, wurde der Bau erst einmal verschoben. Doch da geschah ein kleines Wunder: Fräulein Martha Ulrich übergab dem Kloster das »Haus Tanneck«, nur ein Wohnrecht behielt sie. Schon am 21. Oktober 1947 konnte der Umzug der neun Schwestern mit sämtlichen „Mobilien und Utensilien“ in ihr neues Zuhause durchgeführt werden. In kürzester Zeit wurde das Haus mit Hilfe vieler Oberstdorfer renoviert, ein neuer Zentralofen eingebaut und im 1. Stock eine Hauskapelle mit zwei neuen Holzfiguren, dem Hl. Josef und dem Hl. Franziskus, eingerichtet. Außerdem unterhielten die Schwestern im »Haus Tanneck« über viele Jahrzehnte eine Nähschule in einem eigens eingerichteten Raum.
1977 verließ mit Schwester Biunda Schlagenhaufer die Letzte den Schuldienst. Der Kindergarten, der in der Zwischenzeit vom heutigen Musikschulgebäude in das neue Gebäude umgezogen war, ist bis heute unter der Leitung der Dillinger Franziskanerinnen. Außerdem wurde das »Haus Tanneck« durch einen Anbau erweitert und dient heute nicht nur den im dortigen Konvent lebenden Schwestern als Heimat, sondern auch ihren Ordensschwestern aus der ganzen Welt als Urlaubsdomizil.