Ein Weidestreit der Oberstdorfer im Jahre 1651

von Leo Huber am 01.12.2009

Beinahe wäre es 1651 in Oberstdorf zur Aufteilung der Allmende gekommen, da sich der untere Markt durch den oberen Markt bei der Weidenutzung übervorteilt sah, oder, wie es in der Klage vor dem Landammann heißt: „... sy haltend sich nit nachbierlich ...”, weshalb „...sy wellen Feldt und Holtz taillen.” Folge davon wäre gewesen, dass die Oberstdorfer Allmende künftig in zwei Rechtlergemeinden aufgeteilt worden wäre.

Am 10. März 1651 erschienen die Ausschüsse des unteren Marktes als Klagende und des oberen Marktes als Beklagte vor dem Landammann auf dessen Amtsitz zu Fluhenstein bei Sonthofen. In der eingereichten Klageschrift ging es dabei um die Übervorteilung der unteren Gemeinde wegen „ezens und frezens halber”.

Vordergründig war es der Streit um die gemeine Ochsenweide im Herbst jeden Jahres. Die Oberen erklärten, dass sie dafür zwei Tage vor dem Sonthofer Mangenmarkt (14. 9.) ihre Stiere, Ochsen und Jährlinge über das „Dimmelsmoos nach Braitenbergen und die Schwend ober deren” treiben. Das sei schon vor dem Krieg so gewesen.

Die Rosse der unteren Gemeinde wurden wie immer erst am 1. Sonthofer Markttag (14. 9.) dazugeschlagen. (Anm.: Es waren meist 5 - 6 Tage mit einem Umschlag von 3.000 bis 6.000 Stück Vieh.) Deshalb, so die Unteren, sei schon zuvor alles durch das Kuhvieh der Oberen „abgefrözt” und ihre Rosse nur noch leere Böden haben. Die untere Ochsennachweide war, so erklärten sie, „der Karatsbichl und die unteren Halden, die Schlecht und die Laita und der Faulenbach”. So sei es schon vor dem großen Krieg gewesen.

Hierzu ist anzumerken, dass es nach dem Dreißigjährigen Krieg fast keine Ochsen und Stiere mehr gab. Der Bedarf an Fleisch und vor allem an Leder für Zuggeschirre, Schuhe und Riemen in großen Mengen für die Soldaten und die Kriegsmaschinerie war ab etwa 1647 fast auf Null gesunken. Der Bestand an Rindvieh und Pferde hatte sich damals auch durch Raub und Diebstahl auf ein Minimum reduziert. Auf den oben genannten Fluren hatte die Ortsgemeinde also auch 1651 noch ein Weiderecht statt einer Omahdnutzung der Wiesenbesitzer. Dieses Recht kam noch aus der uralten Allmende, welcher die Wiesenflächen entstammten.

Der Hintergrund der Klage des unteren Marktes

Liest man die Prozessakten von 1651 mehrmals, so spürt man, dass es der unteren Gemeinde nur vordergründig um die Übervorteilung in der Ochsen und Rossweide ging. Im Grunde wollten sie nämlich das „Feldt und Holtz taillen”. Das wäre die Zerschlagung einer der größten Allmendebesitzung des oberen Allgäus gewesen.

Weiestreit - Heft 55

Ortsplan Oberstdorf von 1819

Sie, die Unteren, klagten, sie würden oft oder sogar meistens von den Oberen übervorteilt. Auch meinten sie, dass die oberen Güter höher zu bewerten seien als die unteren. Das läge auch an der Übervorteilung in den Gemeindebesitzungen. Anspruch auf Nutzung hatte jeder Oberstdorfer Bauer nach der Größe des Viehbestandes.

Die Unteren klagten weiterhin, dass die derzeit leerstehenden Güter doch nun kein Hofstattrecht an der Allmende mehr hätten. Demnach waren diese Häuser, welche infolge von Pest und Krieg derzeit leerstehen, wohl dem oberen Dorf zuzurechnen. Zu beachten ist dabei, dass 1650 im oberen Markt etwa 125 Anwesen bestanden, im unteren Markt waren es nicht einmal 90 Gütle. Die 1634 von den Schweden verbrannten Gütle standen zudem 1651 auch nicht in der genannten Zahl wieder zur Verfügung. 50 dieser verbrannten Hofstätten befanden sich im Bereich von Zollstraße und Walserstraße / Hauptstraße.

Die unteren Vertreter versprachen sich sehr viel von solch einer Aufteilung. Es wurde ja nicht nach der Anzahl der Häuser aufgeteilt, sondern vielmehr nach dem Viehbestand, den jeder Bauer vorzuweisen hatte. Es wäre also durchaus möglich gewesen, dass die 90 Höfe des unteren Marktes ebensoviel Allmendegrund erhalten hätten wie die 125 Höfe im oberen Markt (siehe Teilung in Rubi, Kornau etc.). Die Aufteilung der Allmende geschah nach dem Schlüssel: 1 x pro Anwesen, 1 x pro Viehbestand und 1 x pro eigenem Grundbesitz. Daraus ergab sich eine rechnerische Fläche, welche jedem Bauern dann zugeteilt wurde.

Die besseren Argumente des oberen Marktes
Dessen Verteter begannen mit einer rethorisch wohl durchdachten Rede: „... wohl gnediger Junker und edelvester Herr Landammann ..., dass die unter Gemeinde zue Oberstdorf so eine Klag gegen uns führt, das kommt uns schwer für von wegen unserer alten Gerechtigkeit die mier genossen und gebraucht haben, von unseren uralten Eltern her gefrezt und geezt haben wie schon von 50 und 60 ja bis 70 Jahren her bis dato. Nie hat man es anderst gehört oder gehalten wie jetzt. Alle Jahre haben wir 2 Mann aus dem unteren und 2 Mann aus dem oberen Dorf vom Dorfgericht eingesetzt, um die jährliche Hirtenregierung zu haben, dass einem geschech wie dem anderen.”

Nun wurden nacheinander eine Reihe von Zeugen, d. h. alte und sehr angehende Oberstdorfer Männer, vorgeladen. Mit der Einleitung „allso bekenn ich” sagten aus:

Xander Schwegerlin (Anm.: Alexander Schwegerlin, der Großvater von Martin Schwegerlin, dem „Schwedemarte”), wohnhaft in der unteren Gemeinde, sagt, „dass ich schon vor 60 Jahren der Gemeind gehalten [gehütet] habe, also kann ich schon auf 70 Jahre zurückdenken und wissen. Auch damals schon hat die Gemeind Oberstdorf so geezt und gefrözt wie heute ohne Änderung.”

Weidestreit - Heft 55

Hans Zweng, der alte Gerichtsammann von Oberstdorf (Anm.: unterer Markt), sagt, „dass er schon vor 50 Jahren die gemeine Herde gehalten habe über 17 Jahre lang. Man hat’s auch damals nicht anderst gemacht wie heute ohne Änderung.”

Michael Vogler sagt, „ich hab vor 50 Jahren die Gemain Herd gehalten und nie anderst geezt, genossen und braucht bis dato und niemand darwider geredet.”

Cristian Hueber sagt, „er habe vor 60 Jahren die Gemeinde gehalten und man habe damals nie anderst gefrezt wie es uns unsere Vorfahren schon damals hinterlassen haben.”

Hans Renn (Anm.: vom unteren Markt), auch ein Hirt, sagt aus, „dass schon sein Ehne [Großvater] vor 63 Jahren mit seinem Vater gehalten habe und er jetzt mit seinem Vater schon 25 Jahre lang die obere und die untere Herde und dabei nie anderst geezt und gefrezt wie von alter her gewohnt.”

Jeder dieser Zeugen erreichte ein für damalige Zeit hohes Alter:

Xander Schwegerlingeb. ca. 1563† 1657, 94 Jahre alt
Hans Zwenggeb. ca. 1572† 1658, 85 1/2 Jahre alt
Michael Voglergeb. ca. 1576† 1655, 79 Jahre alt
Cristian Huebergeb. ca. 1578† 1653, 75 Jahre alt
Hans Renngeb. ca. 1600† 1679, 79 Jahre alt

(Die genauen Geburtsdaten sind nicht bekannt, da zu dieser Zeit noch keine Kirchenbücher geführt wurden.)

Nun wurden die Argumente von beiden Seiten vorgebracht. Die Oberen meinten, aufgrund der Aussagen der alten Zeugen habe man es in Oberstdorf immer schon so gehalten und wenn die Unteren meinen, sie „seyen nit nachbüerlich”, müsse man erwidern, dass man es nur so gehalten, wie es ihnen ihre Eltern und Vorfahrenden hinterlassen haben.

Die Unteren führten nun weiter an, dass die Oberen „mer Waida haben als die unteren”, worauf die Gegenseite erwidert, dass die oberen Viehweiden aber „mer saure moosgras haben als die unteren Waida”. Sie geben aber zu, dass die Unteren die Rosse zwei Tage haben müssen, die Oberen aber nur einen Tag. Sie geben auch zu bedenken, dass die Oberstdorfer Vorfahren bestimmt aufrechte und redliche Leute waren und zu dieser Ordnung Ursache hatten. Zudem müssen die Oberen zu ihrer Herde mehrere Haufen Vieh im Herdschlag haben, die Unteren aber nicht. (Demnach war die obere Herde viel größer als die untere bzw. die Weidenutzung der oberen ließ keine zu große Herde zu.)

Die Klägerseite erwiderte nun, die Oberen „seyen ihnen zu starckh” und sie haben mehr Gewalt über die unteren Güter als umgekehrt. Daraufhin meinten die Beklagten, dass sie doch im unteren Herdschlag (öschmäßig) ebensoviel Feld haben als umgekehrt. Bisher habe doch niemand diesem alten Gebrauch widersprochen.

Nun gingen die vom oberen Markt in die Offensive. Sie erklärten, dass „biss diese Aufwigler und Schreyer ain solch Aufruer und unainigkeit under ainer Gemaindt anrichten, so dass der Vater wider den Sohn, der Sohn wider den Vater, der Bruoder wider dem anderen, dass fallt uns schwer fier, denn wir vermainen, haben doch unfreidt recht gnueg gehabt.” Damit sprachen sie die Kriegswirren und die Pestzeiten in den Jahren von 1629 bis 1647 an. Und weiter erklärten sie: „Die unteren wellen Feldt und Holtz taillen mit uns. Fir wen sie ein solche Gewalt haben oder meinen zu haben, das wissen wir nicht.”

Zum Schluss merken die Oberen noch an, dass etliche Oberstdorfer die Wahl hätten, ob sie zur oberen oder zur unteren Viehherde treiben wollen. Alle diese treiben zur unteren Herde. Dadurch könne doch die gnädige Obrigkeit erkennen, dass die Anschuldigungen der unteren Gemeinde aus lauter Zwietracht und Uneinigkeit angestiftet worden sind.

Die Grenze zwischen dem oberen und unteren Markt (siehe Ortsplan von 1819) lag damals oberhalb der Bäckengasse, heute Hauptstraße. Die Hausnummern 178 bis 191 wurden schon immer zum unteren Dorf gezogen. Also hatten diese Häuser die Wahl, ihr Vieh dem oberen oder dem unteren Hirten zu übergeben.

Der Schiedsspruch zu Fluhenstein

Über Klage und Gegenklage der beiden Ortsteile wurde wie folgt entschieden:

Beide Gemeindeteile verbleiben bei der althergebrachten Nutzung und Gerechtigkeit „mit treiben, ezen und frezen”.
Weil zu dieser Zeit (1651) keine Stiere vorhanden, sollen statt dessen die Rosse solche Weiden nutzen.
Doch wenn vor 12 Jahren (also 1639) kein Kuhvieh auf solche Weiden gegangen, soll auch fürderhin keines dorthin getrieben werden.
Falls es sich über kurze oder längere Zeit begebe, dass wiederum Stiere und Ochsen angestellt werden, soll es beim alten Herkommen bleiben.

Dem Oberstdorfer Gerichtsammann und dem ganzen Gericht zu Oberstdorf wird hiermit bei Strafe von 10 Reichstalern anbenommen, dass sie den obigen Gerichtsspruch handhaben und annehmen, „so lieb aim jedem sey, angedeuteter Straff zu vermaiden.

"10. März 1651 zue Fluechenstain"

Anmerkung des Verfassers:

Seit der Zeit dieses Gerichtsspruchs bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts vereinbarten die Oberstdorfer Gemeindsleute, dass wechselweise die oberen Gassenkühe in die Meyersoy oder Zimmeroy gingen. Die unteren Gassenkühe wanderten an diesen Tagen über das Oybele und den Plattenbichl in die Rubingeroy. Das war der Kompromiss aus dem Streit von 1651. Die Gassenkühe hat man aber nicht gefragt.

Quelle: HSTA München, Hochstift Augsburg NA 6745

Weidestreit - Heft 55

Anno 1896

Gassenkühe in der Lorettostraße
Austrieb abends um 5 Uhr.

Die Häuser:
rechts Hs.Nr. 46,
links Hs.Nr. 40,
hinten Hs.Nr. 50.

Weidestreit - Heft 55

Eintrieb am frühen Morgen;

die Tageszeit ist sichtbar am Schlagschatten der Kühe.
Blick von der Lorettostraße nach Süden. Das Öschwegele kreuzt die Lorettostraße.

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