Oberstdorf vor 100 Jahren

1912

Januar

• Im 1905 erbauten Hotel »Wittelsbacher Hof« beginnt erstmals der Winterbetrieb, der zeitweise nur aus acht bis zehn Gästen besteht.

• 9. 1. Herrliches Winterwetter hat sich eingestellt, aber immerhin noch etwas wenig Schnee für den Verkehr mit schweren Lastschlitten, für leichtes Schlittenfuhrwerk aber tadellos.

• 22. 1. Zahlreiche Gäste besuchen Oberstdorf. Der größte Teil benützt die herrliche Schlittenbahn, um einen Ausflug nach Birgsau oder Einödsbach zu machen. Von den Einheimischen ist die Losung „nach der Waldesruh”, wo das Kaffeekränzchen stattfindet. Der Andrang ist gewaltig, sämtliche Räume sind überfüllt.

Februar k.E.

März

• 12. 3. Der Prinzregent Luitpold wird 91 Jahre. Es wird ein Komitee gebildet, um sich zügig dran zu machen ein Prinzregent-Luitpold-Denkmal zu errichten.

• Am Höllrücken auf Schrattenwang lässt der aus Dietmannsried stammende Wilhelm Liebherr das Jahr über ein Gasthaus entstehen und nennt es »Berghotel Schönblick«.

April

• Am Weißer Sonntag gehen 21 Mädchen und 24 Knaben zur Ersten hl. Kommunion.

• Am 15. April sinkt, nach der Kollision mit einem Eisberg, der englische Luxusdampfer „Titanic”. Die Jungfernfahrt des als unsinkbar geltenen Schiffes endet mit dem Tod von 1.513 Menschen.

Mai

• Bei der Generarlversammlung des „Verein für ambulante Krankenpflege”, am 19. Mai, kandidieren Bürgermeister Ludwig Fischer (2. Vorsitzender) und Gemeindesekretär Johann Anton Schmidt (Kassier) nicht mehr. Ihnen folgen der neue Bürgermeister Fritz Gschwender und der Pfarrmesner Leo Kennerknecht auf den Posten.

• Neben der freiwilligen Feuerwehr gibt es in Oberstdorf auch noch die „Pflichtfeuerwehr”, der alle männlichen Einwohner von 18 bis 60 Jahren angehören. Für das Nichterscheinen bei den Übungen werden Straflisten geführt. Gegen zwei Säumige, die mehrmals ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, wird ein Strafbefehl bei der Staatsanwaltschaft beantragt. Wegen eines Formfehlers seitens der Gemeinde gehen die „Übeltäter” straflos aus.

• Im »Hotel Sonne« findet ein Führertag für alle Sektionen des Alpenvereins statt. Neue Beschlüsse werden gefasst und über den Schutz der Alpenplanzen wird neu verhandelt. Für die Schutztätigkeit kommen hauptsächlich die Gebiete Gerstruben, Traufbachtal und Bacherloch mit den angrenzenden Gebieten in Betracht. Hier sollen Enzianwurzeln nur gegen Erlaubnisschein gegraben werden. Jedes unbefugte Ausreißen kommt zur Anzeige. Ferner sollen die Führer vor jeder Tour die Namen der Touristen im Führerbuch eintragen, die Gipfelbücher nachsehen und Beschädigungen melden. Bei der Neuwahl des Führerobmanns wird Herr Volderauer einstimmig wiedergewählt.

• An den Pfingsttagen wird Oberstdorf von 420 Personen besucht. In der Fremdenliste werden Gäste aus Wien, Rumänien, Chicago Illinois, Ungarn und mehrere Familien aus Rußland ausgewiesen.

Juni

• Der Neubau der »Hotel-Pension Rosenkranz«, die der „fürstliche Diener” Valentin Rosenkranz an der südlichen Schrofengasse erstellen lässt, schreitet tüchtig voran.

• Die V. Olympischen Spiele der Neuzeit werden am 29. 6. in Stockholm eröffnet. 2.541 Sportler aus 28 Ländern kämpfen um Medaillen in 16 Sportarten und fünf Kunstwettbewerben.

• Die Witterung für die Heuernte ist besonders günstig. Große Mengen werden eingefahren mit prima Qualität.

• Die Seiltänzergruppe „Stern - Adler - Knie” tritt auf bei regem Besuch der Bevölkerung.

• Heuer findet die erste Aufführung der „Oberstdorfer original Schuhplattler” im Café Stempfle statt.

Juli

• Die Maul- und Klauenseuche ist neu ausgebrochen auf der Untergaisbergalpe des Ökonomen Karl August Dornacher in Obertiefenbach. Über die Alpe wird die Weidesperre verhängt. Beobachtungsgebiet ist die obere Gaisbergalpe.

• Im Zuge der Verlegung gusseiserner Wasserleitungsrohre kauft die Gemeinde beim Guss- und Armaturenwerk Kaiserslautern 20 Überflurhydranten mit Metzschem Gewinde zum Preis von je 95 Mark.

• Das Miesbacher Bauerntheater erfreut sich allgemeiner Sympathie der Einheimischen und Kurgäste.

• Das Waldfest des Turnvereins muss nicht verschoben werden, da sich das Wetter wieder aufklärt.

• 22. 7. Die ganze Nacht gießt es in Strömen und heute bei Tagesanbruch sind die Berge bis auf die Seealpe und Gerstruben sowie Schlappold und Söllereck, soweit das Auge reicht, mit Neuschnee bedeckt.

• Der Schiklub Oberstdorf gibt im Hotel »Hirsch« einen musikalischen Abend.

August

• 2.8. Mittags wird bekannt, dass um 2 Uhr 11 nachmittags kgl. Hoheit Prinz Alfons hier eintrifft, was zur Folge hat, dass sich eine riesige Menschenmenge vor dem Bahnhof versammelt. Im Salonwagen trifft seine kgl. Hoheit ein, von Herr Betriebsleiter Seifert am Bahnhof begrüßt, wo der Prinz mit seinen Treibjägern sofort den Landauer des Herrn Posthalters Hilbrand besteigt und gleich nach Mittelberg weiterfährt für einige Tag zur Jagd. (Prinz Alfons entstammt dem Wittelsbacher Adelsgeschlecht und ist General der Bayer. Kavallerie).

• Nachmittags um 3 Uhr findet im »Restaurant Loretto« ein Konzert der Immenstädter Stadtkapelle statt.

• Im Vorderen Eesch, abseits der Prinzenstraße, baut der bisherige Gemeindesekretär Johann Anton Schmied das Hotel »Bergkranz«.

• Die Preisfestsetzung für Blumenschmuck wird heute veröffentlicht. 13 Besitzer erhalten je 5 Mark, 40 je 4 Mark, 85 je 2 Mark Prämie und 112 Besitzer lobende Anerkennung.

September

• Nach drei Wochen Regen ist heute ein prachtvoller Tag. Eifrig werden die Heinzen entleert und das Futter getrocknet. Fuder an Fuder wird nachmittags heimgefahren.

Oktober

• Die Platzfrage für das Prinzregenten-Denkmal ist geklärt. Frau Förster Schwarzkopf stellt kurz vor ihrem Tode einen Platz zur Verfügung. Er ist in nächster Nähe zum Jagdhaus und der Prinzenstraße.

• Die Landesversicherungsanstalt beginnt mit dem Bau einer neuen Zufahrt von der „Distriktsstraße” Langenwang – Oberstdorf nach Wasach, wo eine Lungenheilstätte entstehen soll.

• 11. 10. Auf der Sölleralpe, drei Wochen nach dem Viehscheid, wird ein Schwein im Schnee entdeckt, welches frisch und munter ist. Der Finder nimmt das Borstentier mit nach Hause, wo es einen gesunden Appetit entwickelt.

• Mit dem Straßenbau nach Wasach wird begonnen, wo die Heilanstalt errichtet wird. Es sind 40 Arbeiter dabei beschäftigt.

November

• In der Vertreterversammlung des Allgäuer Skiverbandes am 2. 11. in Immenstadt wird die Förderung des Jugendskilaufs angeregt. Oberstaufen, Immenstadt und Oberstdorf haben bereits eine Jugendabeilung.

• Ein Zapfenbstreich der Abteilung des 20. Infanterie-Regiments Lindau findet zur Enthüllung des Prinzregenten-Denkmals statt. Bei der anschließenden Festversammlung im Trettach-Hotel wird ein Telegramm vorgetragen mit dem Inhalt: Für den ehrlichen Beweis treuer, anhänglicher Gesinnung, den meine lieben Oberstdorfer nun mit der Aufstellung eines Standbildes erbracht haben und für die telegraphische Huldigung spreche ich gerührten Herzens meinen aufrichtigen Dank aus. Luitpold Prinz-Regent.

Dezember

• Das Schauspiel „Genoveva” wird im Trettach-Hotel aufgeführt.

• Eine Reihe von Festen, Veranstaltungen und Kaffeekränzchen beginnt.

• Es erscheint ein ausführlicher Führer für Schitouren unter dem Titel „Schifahrten in den Oberstdofer Bergen”.

• Zur Reichtagswahl am 12. 12. sind alle Bürger über 25 Jahre zugelassen. Vom Wahlrecht ausgeschlossen sind Frauen, Soldaten und Personen die unter Kuratel stehen.

• 12. 12. Der Prinzregent Luitpold stirbt.

• Nach einem wochenlangen „Wettlauf” mit dem Engländer Robert Falcon Scott erreicht am 14. 12. der Norweger Roald Amundsen als erster Menschen den Südpol. Sein Kontrahent erreicht das Ziel erst am 12. 1. 1913 und kommt, mit seiner Expedition, auf dem Rückweg ums Leben.

• Auf Grund interner Probleme spaltet sich vom „Skilauf-Verein Oberstdorf/Allgäu”“ eine Gruppe der Gründungsmitglieder ab und ruft den „Skiverein II” ins Leben. Johann Seeweg, der auch Skier herstellte, wird als Vereinsvorstand gewählt. Erst 1931 finden die beiden Sportvereine wieder zusammen.

Quellen: »Allgäuer Anzeigeblatt« Jahrgang 1912, Aufzeichnungen von Eugen Thomma.