Mit seinem Lexikon Schwäbischer Ortsnamen vollendete Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein (nach Oberbayern und Franken) den dritten und letzten Band seiner aus dem Lexikon bayerischer Ortsnamen von 1986 hervorgegangenen Trilogie, die viel mehr Ortsnamen umfasst und umfassen kann als der damalige relativ kleine Band. Auch hier sind verständlicherweise nicht alle Ortsnamen von Bayerisch Schwaben enthalten. Die Auswahl umfasst alle Städte- und Gemeindenamen, dazu ehemals selbstständige Gemeinden und Pfarrdörfer. Hinzu treten Gewässer- und Landschaftsnamen, die bei der Bildung von Ortsnamen eine Rolle gespielt haben. Gleich der erste Name, „Aach im Allgäu”, mag dafür als Beispiel stehen, weiter etwa „Ay a. d. Iller”, „Bühl am Alpsee”, Egg a. d. Günz”, „Lindau (Bodensee)”.
Der Verfasser gibt einleitend eine „Anleitung zur Benutzung”, die für jene Benutzer, die sich mit Namenkunde noch nie näher beschäftigt haben und mit älteren Sprachständen und Schreibungen der deutschen Sprache nicht vertraut sind, erhellend und nützlich sein wird. Die Abschnitte „Erklärung” und „Fußnoten” sind auch zur Orientierung für Fachleute nicht unwichtig. Ein weiteres Entgegenkommen für einen breiten Leserkreis stellt die Übersetzung von lateinischen und griechischen Zitaten ins Deutsche dar. Einer schnellen örtlichen Auffindung von Namen dient die Aufteilung des Bezirks in 12 Karten, die auf den Seiten 464 bis 475 dem Buch beigegeben sind. Eine optische Hilfe ist dabei die Blaufärbung der Flüsse und Seen.
Für Schwaben liegen nur relativ wenige frühmittelalterliche Quellen vor, was die Namendeutung erschwert. Andererseits konnte v. Reitzenstein hier auf bereits 11 erschienene Historische Ortsnamenbücher (HONB) zurück- greifen, die den Weg zu alten Belegen bedeutend erleichterten. Der Verfasser hat sich aber nicht damit zufrieden gegeben, sondern überall noch nach zusätzlichen Belegen gesucht und nicht selten sogar ältere, erhellende gefunden. Auch mit den bisherigen Deutungen hat er sich kritisch auseinandergesetzt und neue Vorschläge unterbreitet (z. B. für Gestratz, Füssen, Stiefenhofen), welche die Diskussion befruchten werden.
Besondere Aufmerksamkeit des Verfassers finden Namen mit vordeutscher Vergangenheit. Das meiste Interesse dürften bei den Allgäuer Lesern wohl Kempten, Füssen und die auf vordeutscher Grundlage ruhenden Flussnamen Iller, Günz, Lech und Wertach finden.
Dass sich trotz gründlicher Arbeit, selten zwar, aber doch noch ältere Belege für Allgäuer Ortsnamen finden lassen, sei am Beispiel von Rauhenzell (S. 315) aufgezeigt. Dieser Name ist bereits 1396 bezeugt: die vesti Lobenberg und das dorf die ruchen Zell darunder. Möglicherweise noch älter, aber undatiert, ist ein Beleg aus dem Kaufbeurer Jahrzeitbuch.
Belegzuweisungen sind im geographisch und besitzgeschichtlich nicht leicht zu erfassenden Allgäu manchmal schwierig, so etwa zwischen Untermaiselstein (S. 388) und Obermaiselstein (S. 285). Der letzterem zugewiesene Beleg von 1345 gehört zu Untermaiselstein, wo das Kloster St. Ulrich und Afra tatsächlich Besitz und einen Ammann namens C. Maisselstain hatte. Die Belege von 1152 und 1166, Untermaiselstein zugewiesen, gehören nach Obermaiselstein, wo das Kloster Rot nach der Identifikation des Urkundenherausgebers mit „Landgericht Immenstadt” seinen Besitz hatte; dieser taucht später nie mehr auf. Für die Deutung des Ortsnamens ist dies belangslos.
Sehr viel komplizierter steht es um die Belege für die Besitzorte des Klosters Irsee in alpibus (d. h. in den Alpen, Berggebieten) von 1239. Der Verfasser hat sich hier an einer älteren Veröffentlichung orientiert, die aber durch eine neuere überholt ist. So muss es statt Tiefenbach jetzt Tieffinberc heißen (Gde. Ofterschwang), statt Widenhofen jetzt Niederhofen (im Buch nicht behandelt), statt Rettenberg jetzt Rechenberc, statt Vrobichtes, bei beiden als Wohmbrechts identifiziert, jetzt Freibrechts. Dazu wird Wiler jetzt als Weiler im Landkreis Oberallgäu (Ortsteil der Gde. Fischen i. Allg.) verstanden, statt ehemals als Weiler im Landkreis Lindau. Dies verändert natürlich auch die (Erst-)Nennungsdaten in einigen Fällen.
Der bei Görisried (S. 141) im Ostallgäu als unsicher erwogene Erstbeleg Sindkerisriod von 872, aus einer St. Galler Urkunde, gehört mit Sicherheit nicht dorthin, denn mit dem Illertal endete im Osten der St. Galler Güterbesitz, an der Iller selbst schon das Bistum Konstanz.
Die Namengeschichte von Unterjoch (S. 387) ist wesentlich komplizierter als man bisher annahm. Dank der Hindelanger Heimatforschung, zuletzt durch Alfred Wittwer (Bad Oberdorf), wissen wir, dass der „Ort” zunächst aus etwa 12 ganz zerstreut liegenden Einzelhöfen oder Kleingruppen bestand, z. B. Im Krummenbach, Auf der Blatten, Steinenberg, Zehrer, Gschwend, die Schwanden, die Kraichen (der spätere Ortsmittelpunkt). Noch im Atlas Tyrolensis von Peter Anich (1769/1774) sind diese Namen teilweise erhalten, nicht aber Unterjoch selbst. Im Jahr 1621 wird dann unterschieden zwischen Ufem Joch, Ein Dörfflin und Obem Joch ... so nit beisammen (= Unterjoch!), 1650: uffem vordern Joch, uffem underen Joch. Im Jahr 1701 taucht dann neben Aufm Vordern Joch die annähernd heutige Namenform Vnnder Joch auf. Allerdings werden noch 1732 bei Undere Joch sieben Einzel-Siedlungsstellen genannt. 1866 wurde dann Unterjoch selbstständige Pfarrei und 1867 auch selbstständige politische Gemeinde (bis 1972).
Um Verwechslungen oder Missverständnissen vorzubeugen, könnte man bei Niederstaufen (S. 274) etwa einen Beleg von 1332 hinzufügen: ze Stôphen under dem Kienberg.
Wenn für den Namen Allgäu (S. 1) angenommen wird, das Bestimmungswort sei auf den Gebirgsnamen Alpen zurückzuführen, ist dagegen einzuwenden, dass es nur in klösterlichen, lateinisch geschriebenen Urkunden mehrfach für die Lage ihrer Besitzungen im Allgäu in alpibus heißt, die Klöster aber mit dem Übergang zur deutschen Sprache dann stets im Allgäu (verschiedene Schreibweisen!) schreiben. Der Name Allgäu selbst aber wird vor der Verschmelzung von lb zu ll um 1400 stets mit b geschrieben (z. B. 858: albegouue oder 906 Albegeuve in loco Fiskina; über 50 Belege liegen dazu vor), also das althochdeutsche Wort alba – Alpe, hochgelegener Weideplatz – enthält, mundartlich: Alb, und in Hunderten von Urkunden stets – alb geschrieben.
Der Gebirgsname „Alpen” kommt in deutschen Texten überhaupt nicht vor, allenfalls die Mengenform von Berg, nämlich Birg (Gebirge). Wenn für den Oberallgäuer so interessante Ortsnamen wie z. B. Kornau, Liebenstein, Leubas, Rubi, Einharts und Meckatz fehlen, liegt das an der Auswahl, für die jene Siedlungen zu klein sind. Der Interessent muss sich dafür an die Spezialliteratur, praktisch an die Historischen Ortsnamenbücher für die Altlandkreise halten.
Im Ganzen kann gesagt werden, dass das sorgfältig erarbeitete Werk auf einer verlässlichen Quellengrundlage solide Deutungen bietet, so dass es auch für Allgäuer als Nachschlagewerk für „Schwäbische Ortsnamen” durchaus zu empfehlen ist.